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Auch die moderne Welt ist von Religionen geprägt: Viele Götter leben unter uns. Religiöse Glaubensformen und Sprachmuster beweisen in vielerlei Transformationen erstaunliche Beharrungskraft. Diesem Gegenwartsbefund verleiht das neue Buch des Münchener Theologen und Historikers Friedrich Wilhelm Graf historische Tiefenschärfe. Er analysiert anschaulich und pointiert die vielfach noch ungeschriebenen Religionsgeschichten der Moderne als Teil komplexer Wandlungsprozesse von Kulturen und Mentalitäten. Der Zeitrahmen spannt sich von den Religionsdebatten um 1800 bis zu den Menschenrechts- und…mehr

Produktbeschreibung
Auch die moderne Welt ist von Religionen geprägt: Viele Götter leben unter uns. Religiöse Glaubensformen und Sprachmuster beweisen in vielerlei Transformationen erstaunliche Beharrungskraft. Diesem Gegenwartsbefund verleiht das neue Buch des Münchener Theologen und Historikers Friedrich Wilhelm Graf historische Tiefenschärfe.
Er analysiert anschaulich und pointiert die vielfach noch ungeschriebenen Religionsgeschichten der Moderne als Teil komplexer Wandlungsprozesse von Kulturen und Mentalitäten. Der Zeitrahmen spannt sich von den Religionsdebatten um 1800 bis zu den Menschenrechts- und Globalisierungsdiskursen des frühen 21. Jahrhunderts. Besonderes Interesse gewinnt dabei die Auseinandersetzung mit aktuellen kulturwissenschaftlichen Deutungsmodellen und die programmatische Überwindung der Engführungen einer konfessionalistischen Religionsgeschichte.
Autorenporträt
Friedrich Wilhelm Graf, geb. 1948, ist Professor für Systematische Theologie und Ethik an der Universität München und nimmt daneben zahlreiche weitere Aufgaben wahr, u.a. als Ordentliches Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaften. Als erster Theologe wurde er 1999 mit dem Leibniz-Preis der DFG ausgezeichnet. Seine kirchenkritischen Einsprüche in großen Zeitungen haben ein lebhaftes Echo gefunden.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.03.2004

Christen, redet prägnanter!
Friedrich Wilhelm Graf läßt den glimmenden Docht der Religion aufflammen / Von Hans Maier

Die religiöse Signatur der Zeit ist schwer zu deuten. Viele Strömungen liegen miteinander im Widerstreit. Dementsprechend kontrovers ist die Reaktion. Optimisten verweisen auf Zeichen einer neuen Unbefangenheit im Umgang mit Religion, auf moderne Filme mit Himmeln und Engeln, auf Epen und Dramen mit kosmologischem und religiösem Gehalt. Sie glauben ein Zittern der Luft zu spüren, registrieren bei nicht wenigen Menschen neue Glaubenssehnsucht, neue Glaubensbereitschaft. Pessimisten weisen demgegenüber auf die empirischen Befunde des Glaubensverlustes hin, auf das, was man, ein Wort Romano Guardinis umkehrend, das "Sterben der Kirche in den Seelen" nennen könnte. Das religiöse Spektrum zeigt eine erstaunliche Vielfalt, freilich auch Züge der Beliebigkeit. Dem "glimmenden Docht" des christlichen Glaubens, so scheint es, hilft das Wehen der neuen Religiosität kaum auf. Oft wird Religion zur Kuschelecke, zum grünen Gemütswinkel, zu einem Abenteuerspielplatz des Geistes. Vor allem in Europa herrscht ein universeller Synkretismus; Elemente westlicher wie östlicher Religionen vermischen sich, während anderswo, vor allem in islamischen Staaten, die militanten Züge des Religiösen in scharfen Abgrenzungen und Aggressionen gegen "Ungläubige" wiederaufzuleben scheinen - in einem leidenschaftlichen "Gott will es!", das Einsprüche nicht gelten läßt und das sich schwertut mit Geduld und Toleranz.

Der Münchner evangelische Systematiker und Ethiker Friedrich Wilhelm Graf - als Autor den Lesern dieser Zeitung wohlbekannt - geht an das Thema "Religion in der modernen Kultur" weder mit Optimismus noch mit Pessimismus, sondern mit betonter Nüchternheit heran. Sein Kronzeuge ist Max Weber - von ihm stammt auch das titelgebende Dictum des Buches von der Wiederkehr der Götter. In seinem Vortrag "Wissenschaft als Beruf", gehalten vor dem Freistudentischen Bund am 7. November 1917 in München (veröffentlicht 1919), sagte Weber: "Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf." Diesem fatalistischen Befund schickte er eine Warnung vor falschen Erwartungen voraus: "Und über diesen Göttern und in ihrem Kampf waltet das Schicksal, aber ganz gewiß keine ,Wissenschaft'."

Graf will sich mit dem Weberschen Fatalismus, der Weberschen Schicksalsgläubigkeit nicht einfach zufriedengeben. Er sucht nach Möglichkeiten, das Gespräch zwischen Religion und Wissenschaft wieder in Gang zu bringen, nicht nur im Sinn diagnostischer Bestandsaufnahmen, empirischer Vermessungen, sondern mit Hilfe von "Kritik und Konstruktion" - also theologisch. Sein Buch kann als Exempel einer protestantischen Theologie gelesen werden, die inmitten einer pluralistischen Gesellschaft zu neuem Aufbruch ansetzt, die in der Flut des Beliebigen einen eigenen "selbstgesteuerten" Kurs erprobt. Dies auf einfache, freilich anspruchsvolle Weise: indem sie sich bemüht, mit höchstmöglicher Prägnanz von Gott zu reden und dadurch "gelehrtem Glauben zu rationaler Durchsichtigkeit" zu verhelfen im Sinn "gebildeter und rational kommunikationsfähiger Religion".

Grafs theologisches Schifflein hat nicht nur die evangelische Tradition an Bord in Gestalt einer besonderen Lese-, Verstehens-, Unterscheidungs- und Interpretationsfähigkeit. Auch moderne Schiffsgüter fehlen nicht: religions- und kulturwissenschaftliche Materialien, Überlieferungskritik, Selbstdistanz, das Salz der Dekonstruktion - und auch ein wenig ökumenische Konterbande wandert mit (Katholisches wird in Maßen wahrgenommen, die Orthodoxie fehlt leider fast ganz). Dabei geht es auch um die Stellung evangelischer Theologie im Wissenschaftssystem, in der Gelehrtenrepublik im ganzen. Soll in unseren Universitäten noch von Gott geredet werden? Der Verfasser fürchtet, daß am Ende des gegenwärtigen Spar- und Auszehrungsprozesses in Deutschland die Theologie zwischen alle Stühle geraten könnte: Auf der einen Seite stünden dann nur noch Fakultäten für Religionswissenschaft mit mehr oder minder laizistischem Einschlag an den Universitäten, auf der anderen Seite eine in Seminaren außerhalb der Universitäten zentrierte Gemeindetheologie.

Man blickt auf die Religionsgeschichten der Moderne anders, je nachdem ob man dem Leitfaden der "Säkularisation" oder dem Paradigma der "wiederkehrenden Götter" folgt. Graf zeigt das an drei Fallstudien (zur Dechristianisierung um 1800, zur religiösen "Erfindung" der Nation im neunzehnten Jahrhundert und zum Religionsdiskurs um 1900). Er macht sichtbar, welche religiösen Energien gerade der vorgeblich "einlinige" Säkularisationsprozeß im Lauf der letzten Jahrhunderte immer wieder neu entbunden hat. Das ist ein spannendes Kapitel Geistes- und Sozialgeschichte. Die "Bielefelder Historie" wird in Grafs Perspektive gewissermaßen "gegengelesen" - sah die Schulweisheit der Sozialhistoriker lange Zeit im Religiösen nur ein Derivat des Sozialen (falls sie es überhaupt wahrnahm), so zeigt der Verfasser, wie viele Erscheinungen der Moderne sich nur befriedigend erklären lassen, wenn man die - oft in den Untergrund verdrängten - religiösen Antriebe zur Kenntnis nimmt. "Kann den Gläubigen verstehen, wer seinen Gott nicht kennt?. . . Können Mentalitätshistoriker dem historischen Anderen ,ins Herz blicken'?", fragt er.

Von den klassischen Themen her fällt übrigens auch unerwartet Licht auf moderne Probleme: So bemüht sich Graf in einem Kapitel "Gottes Stimme auf globalen Märkten" die Weber-These von Religion als bestimmender Kraft der Lebensführung in die Gegenwart hinein fortzuschreiben, während er sich in einem weiteren Kapitel mit dem Verhältnis religiöser "Letzthorizonte" und kultureller Identitäten beschäftigt. Hier kommen Huntingtons Thesen, aber auch Küngs "Weltethos" und die mühsame theologische Rezeption des Menschenrechtsgedankens (mühsam in allen drei christlichen Kirchen!) kritisch in den Blick.

Schon Max Weber, obwohl ein Feind der "Ideengeschichte" und ein Verfechter des Vorrangs materieller (freilich auch ideeller) Interessen, hatte in seinen Studien zur Wirtschaftsethik der Weltreligionen eingeräumt, daß die durch Ideen geschaffenen Weltbilder "sehr oft als Weichensteller die Bahnen bestimmt (haben), in denen die Dynamik der Interessen das Handeln fortbewegte". Wahrnehmung und normative Deutung ökonomischer und politischer Fakten wurden immer auch von religiösen Ideen mitbestimmt. Hier setzt Grafs aktuelles Bemühen ein, Religion "nicht als ein Epiphänomen des kulturellen Weltumgangs des Menschen oder als einen Sonderbezirk der Kultur zu deuten, sondern religiösen Glauben als eine elementare Sinnstruktur ernst zu nehmen, die alle Handlungsvollzüge des Menschen (mit-)bestimmt". So übt er berechtigte Kritik an der Ignoranz, mit der westliche Intellektuelle vielfach von Religion sprechen, ohne den Gegenstand auch nur von fern zu kennen.

Graf leitet die Kompetenz der Theologie zur Deutung moderner Religion nicht aus institutionellen Gegebenheiten, aus Traditionen und Ehrenvorrängen ab. Insofern geht es ihm nicht um einen neuen "Streit der Fakultäten" , nicht darum, daß die vom ersten Platz verbannten Theologen wieder, wie in alten Zeiten, "die Ersten werden" . Jedoch: das Feld, in dem sich die alten und neuen Götter tummeln, ist inzwischen so weit, so diffus, so ambivalent und konfliktreich geworden, daß es normativer Unterscheidungen bedarf, damit nicht alles und jedes auf eine Stufe gestellt wird - religiöses Ethos ebenso wie religiöser Terror, das Faszinierende der Religion ebenso wie ihre Schrecknisse und Zerstörungskräfte. Auch im Götterfeld der Moderne sind nicht alle Götter gleich. "Wer sich den vielen neuen Kampfgöttern nicht wehrlos ausliefern will, muß alte normative Fragen nach der Unterscheidung von humaner Religion und barbarisierenden Glaubensmächten neu stellen." Das bedeutet eine neue Rechtfertigung von Theologie als Mittel kritischer Reflexion, als Instrument der Unterscheidung im intellektuellen Streit der Gegenwart. In diesem Sinn ist Theologie, indem sie mithilft, "in den Arenen von Wissenschaft, Zivilgesellschaft, Kirche und Politik der heilsamen Unterscheidung von Gott und Mensch Geltung zu verschaffen", für den Verfasser unverändert aktuell.

Friedrich Wilhelm Graf: "Die Wiederkehr der Götter". Religion in der modernen Kultur. C.H. Beck Verlag, München 2004. 329 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 13.05.2004

Besser ohne metaphysische Stiefel
Friedrich Wilhelm Graf zeigt den Einfluss der Religion in der modernen Kultur und in der Wirtschaft
Vor 100 Jahren rügte Ernst Troeltsch auf einer Konferenz in den Vereinigten Staaten den Philosophen William James. Wenn man die Eigenart von Religiosität analysiert, könne man doch nicht bei einer empirischen Psychologie stehen bleiben. Wo bleibt die Frage nach der Geltung? Die amerikanischen Zuhörer waren irritiert. Nur einer äußerte Verständnis. Er wisse, sagte er Troeltsch im Vertrauen, dass man in Europa in hohen Stiefeln gehen müsse. Was Troeltsch bestätigte. Die Europäer wollten nicht barfuß gehen wie die amerikanischen Empiristen. Die Anekdote findet sich in dem Buch des Systematischen Theologen der Universität München, Friedrich Wilhelm Graf.
Man kann nicht behaupten, deutsche Universitäts-Theologen in ihren hohen Stiefeln hätten bislang viel zur Analyse der religiösen Landschaft der Moderne beigetragen. Eher haben sie sich vor der Säkularisierung hinter hohe Mauern und kirchliche Prüfungsordnungen zurückgezogen. Graf bildet eine Ausnahme und setzt sich mit seinen Kollegen offensiv auseinander. Der statistische Rückgang des Kirchenbesuches bedeute noch lange keine Entchristlichung der Kultur.
Er erinnert daran, dass selbst Theologen dem Vorgang der Säkularisierung zuweilen etwas Positives abgewonnen haben: wenn sie nämlich ein Aufgehen des Christentums in der sozialen Ordnung bedeutet. Konsequent leuchtet Graf am Beginn seiner Studie die Deutungskategorien Entkirchlichung, Entchristlichung und Säkularisierung aus. Sie sind weder neutral, noch deckungsgleich.
Der Unterschied zwischen Entkirchlichung und Entchristlichung steht im Hintergrund von vier Kapiteln, die der Fortdauer von Christentum in der modernen Kultur gewidmet sind. Gestützt auf neuere Studien weist Graf nach, dass sich die Idee der Nation einem Transfer religiöser Kategorien in politische verdankt. Ohne die Religionsgeschichte lässt sich der Vorgang der „Erfindung” der Nation nicht rekonstruieren.
Konfuzius und Kapitalismus
Als in Deutschland die Nation durch die aufkommende Industriegesellschaft in soziale Konflikte gestürzt wurde, nahm der Religionsdiskurs eine andere Wendung: Ob der neue selbstbestimmte Mensch aus einer Abkehr von der Religion geboren wird oder umgekehrt in Religion den notwendigen Halt im reißenden Strom des Veraltens aller Normen findet. Doch führte diese Debatte nicht zwingend zurück nur zum Christentum. Religionswissenschaftler machten die jüdisch-christliche Schöpfungsvorstellung für die Entseelung von Natur und Mensch mitverantwortlich; die Weltbilder archaischer oder fremder Religionen werteten sie als machtvolle Quellen einer Autonomie des Individuums gegenüber den rechenhaften Mächten der Moderne auf: als Ausgangspunkt avantgardistischer Religiosität.
Der Autor führt den Leser noch zu einem weiteren Kapitel moderner Religionsgeschichte: der Auswirkung, die Religionen auf die Ökonomie haben. Der heutige globale Kapitalismus teilt sich in Richtungen, die ihrerseits bestimmt sind von der Religionsgeschichte. Der anglo-amerikanische ist puritanisch begründet; das rheinische Modell der sozialen Marktwirtschaft hat seine Wurzeln in katholischer und lutherischer Soziallehre; der asiatische Kapitalismus ist von Familienstrukturen und Konfuzianismus geprägt. In einer Zeit, in der viele Religionen untergehen sehen, weist Graf ihre Dauerhaftigkeit als Werte wirtschaftlichen Handelns nach.
Ähnliches gilt für die Debatten um die Menschenrechte. Samuel Huntington machte aus der Beobachtung, dass die westlichen Menschenrechte christliche Wurzeln haben, das Drama eines unausweichlichen Kampfes des Westens mit dem Islam, der keine Menschenrechte kenne. Anlass für Graf, dieses Kapitel einer Glaubengeschichte der Moderne zu revidieren. Die meisten christlichen Theologien standen – mit Ausnahme puritanischer Sekten – bis in die neueste Zeit der Idee der allgemeinen Menschenrechte skeptisch gegenüber. Dass dem Einzelnen unabhängig von den Ordnungen, in denen er sein Leben führt, absolute Grundrechte zukämen, war mit ihrer Auffassung von der Sündhaftigkeit des Menschen unvereinbar. Erst in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts änderte sich das. Dabei wurden die Menschenrechte auch im Westen unterschiedlich fundiert: nicht nur als vorstaatliche Rechte des Einzelnen, sondern auch als Teilhaberrechte des Einzelnen an der gesellschaftlichen Ordnung. Muslimische Gelehrte begründen sie ähnlich. Nichts berechtigt zu der Behauptung, die Menschenrechte seien eine exklusive christliche Errungenschaft, die notfalls mit Gewalt gegen den Islam verteidigt werden muss.
Blinde und taube Theologen
Graf reißt die dogmatische Idee einer entkirchlichten Kultur nieder und bringt die Fortdauer christlicher Werte auf Begriffe. Dennoch möchte er dem Leser am Ende weismachen, die Theologen verfügten über eine den Religionswissenschaftlern überlegene Deutungskompetenz. Sie seien die Spezialisten des Normativen; nur der Theologe könne mit normativen Gesichtspunkten kritisch und angemessen umgehen. Doch steht diese Behauptung in schrillem Kontrast zu den exzellenten Studien, auf die Graf sich selber bei seiner Analyse der fortdauernden Macht der Religionen in der modernen Kultur stützt und die überwiegend nicht von Theologen, sondern von Historikern, Philosophen, Religionswissenschaftlern und Sozialwissenschaftlern stammen.
Graf weiß, dass viele Theologen blind und taub für die moderne Kultur geworden sind und will diesen Zustand beenden. Bravo. Jedoch sollte er seine eigenen Voraussetzungen bei diesem Unternehmen konsequenter klären. So richtig der Zweifel an einer Gleichsetzung von Entkirchlichung und Entchristlichung der Kultur ist: ein positiver Begriff von Religion in der modernen Kultur ist damit noch nicht gewonnen. Graf stellt gleich am Anfang seiner Studie drei Triebkräfte moderner Religionsgeschichte vor: es herrschen auch hier Marktgesetze; die religiösen Anbieter konkurrieren um die gleichen Themen; Religionen operieren in einem gemeinsamen religiösen Feld. Die Macht des religiösen Pluralismus hat alle Beteiligten erfasst.
Wenn Graf dennoch meint, Christentum und nicht-christliche Religionen, Theologen und Religionswissenschaftler seien von dieser Macht ungleich getroffen, fällt er hinter seinen eigenen Ansatz zurück. Die Pluralität der Werte verlangt die Pluralität der Disziplinen, um sie zu erkennen. Der Theologe Graf hätte die hohen Stiefel der Metaphysik ganz ausziehen sollen. So wie es der von ihm oft zitierte Max Weber getan hat, auf den der Titel der Studie versteckt hinweist. „Heute aber ist es religiöser ‚Alltag‘. Die alten vielen Götter, entzaubert und daher in Gestalt unpersönlicher Mächte, entsteigen ihren Gräbern, streben nach Gewalt über unser Leben und beginnen untereinander wieder ihren ewigen Kampf.”
HANS G. KIPPENBERG
FRIEDRICH WILHELM GRAF: Die Wiederkehr der Götter. Religion in der modernen Kultur. C. H. Beck Verlag, München 2004. 329 Seiten, 24,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Gott war längste Zeit tot, jetzt ist er back in town - Ludger Heidbrink zufolge ist das eine der gängigsten Aussagen über unsere nachmoderne Gegenwart. Friedrich Wilhelm Graf hat eine Bestandsaufnahme des "religious turn" vorgelegt und damit einen sehr guten Eindruck beim Rezensenten hinterlassen, vor allem deshalb, weil Graf "das Aufflammen heiliger Kriege und religiöser Kulturkämpfe in den historischen Kontext stellt". Wir wenden uns Gott zu, weil die Welt überkomplex ist und wir uns nach sinnstiftenden Ordnungen sehnen, so die These des Buches. Doch ist das wirklich wahr, fragt der Rezensent, der sich nicht sicher ist, ob es wirklich so weit her ist mit der "Renaissance der Religion". Ist es nicht doch nur ein "periodisches Phänomen" und als solches Abschnitt einer umfassenderen "Säkularisierungsgeschichte"?

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