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Michelangelos Weg zur Meisterschaft In diesem Buch macht sich ein wissenschaftlicher Detektiv an die Arbeit. Er geht den Hunderten von Hinweisen in zeitgenössischen Dokumenten nach und entwirft ein neues Bild Michelangelos, das die Jahre der frühen Meisterschaft bis zur Vollendung der monumentalen Deckenmalerei in der Sixtinischen Kapelle (1512) umfaßt. James Beck, ein Kenner der Renaissance-Kunst, eröffnet hier einen neuen Zugang zu Denken und Fühlen, zu Temperament und Sexualität dieses bereits zu Lebzeiten "göttlich" genannten Künstlers. Der künstlerische Aufstieg Michelangelos begann, als…mehr

Produktbeschreibung
Michelangelos Weg zur Meisterschaft
In diesem Buch macht sich ein wissenschaftlicher Detektiv an die Arbeit. Er geht den Hunderten von Hinweisen in zeitgenössischen Dokumenten nach und entwirft ein neues Bild Michelangelos, das die Jahre der frühen Meisterschaft bis zur Vollendung der monumentalen Deckenmalerei in der Sixtinischen Kapelle (1512) umfaßt. James Beck, ein Kenner der Renaissance-Kunst, eröffnet hier einen neuen Zugang zu Denken und Fühlen, zu Temperament und Sexualität dieses bereits zu Lebzeiten "göttlich" genannten Künstlers. Der künstlerische Aufstieg Michelangelos begann, als er 26jährig seinen ersten Auftrag für eine Monumentalstatue übernahm, die zugleich eine seiner berühmtesten werden sollte: der marmorne David, ein Meisterwerk von klassischem Ebenmaß, das bis 1873 vor dem Florentiner Palazzo Vecchio stand. Zwei Männer haben diese erste Lebensphase geprägt: Lodovico, der strenge Vater, und Lorenzo de Medici - "il magnifico" -, der autokratische und kunstliebende Stadtherr von Florenz.
Beinahe 30jährig knüpfte Michelangelo die entscheidende dritte Verbindung - zu dem neugewählten Julius II. Dem Auftrag für das Grabmal dieses eigenwilligen und unberechenbaren Papstes verdanken wir Meisterwerke wie die Sklaven und den Moses. Am Ende dieser genialen Jugendphase steht Michelangelos Vollendung der riesigen Deckenfresken in der Sixtinischen Kapelle im Jahr 1512.
Gestützt auf zahlreiche, weitgehend noch zu Lebzeiten des Künstlers entstandene Dokumente entwirft James Beck eine sehr dichte Biograp hie der frühen Jahre. Dabei scheut er sich nicht, neben den künstlerischen auch die prägenden persönlichen Einflüsse, Begegnungen, Gedanken und Empfindungen zu benennen und zu einem überraschend frischen Lebensbild zusammenzufügen.
Autorenporträt
James Beck lehrt Kunstgeschichte an der Columbia University, New York. Sein besonderes Interesse gilt der Renaissancekunst und Fragen der Restaurierung von Kunstwerken.
Mit seinem vieldiskutierten Buch Art Restoration: The Culture, the Business and the Scandal (1993) ist er als vehementer Kritiker an den herrschenden Praktiken hervorgetreten.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 09.08.2001

Wer zu tief in die Quellen schaut
James H. Becks Biografie über das Genie Michelangelo ist ins Wasser gefallen
Der „göttliche” Michelangelo Buonarroti war schon zu Lebzeiten so berühmt, dass gleich zwei Biographien im Umlauf waren, welche dem Genie huldigten, das die Pietà, den David und die Fresken der Sixtinischen Kapelle schuf und sich auch auf Architektur und Poesie verstand. Mit der einen war er nicht einverstanden, vor allem was die Darstellung seiner Jugend und künstlerischen Anfänge betrifft, die andere schrieb sein Schüler Ascanio Condivis mit Billigung des Meisters. Neben diesen Lebenszeugnissen kann ein Biograph der heutigen Zeit auf eine Fülle von Material zurückgreifen: auf Briefe, Sitzungsprotokolle, Zeitzeugenberichte und natürlich auf das Werk selbst. Dem amerikanischen Kunsthistoriker James H. Beck ist vor allem daran gelegen, dem Menschen Michelangelo gerecht zu werden und nicht eine weitere kunsttheoretische Betrachtung seines Werkes zu den bereits zahlreich existierenden hinzuzufügen. So mag der große Vorteil gegenüber den zeitgenössischen Biografien darin liegen, dass heute die Erkenntnisse der Psychologie und der Geschichtsforschung herangezogen werden können. Aber das kann auch eine Falle sein, und nicht immer gelingt es dem Biografen Beck, die von ihm insistierte konsequente Trennung von Werk und Künstler einzuhalten.
Drei Männer haben laut Beck den Werdegang Michelangelos entscheidend beeinflusst: die Mäzene Lorenzo de' Medici (Il Magnifico) und Papst Julius II, sowie sein Vater Ludovico di Lionardo Buonarroti, der Zeit seines Lebens die Tätigkeit des Sohnes verachtete, weil die Bildhauerei in der Renaissance nur als Handwerk betrachtet wurde. Diesen drei Männern sind auch die Hauptkapitel des Buches gewidmet, und damit schränkt Beck die Möglichkeiten beträchtlich ein, einerseits weil er der Biografie Michelangelos nur bis zur Mitte seines Lebens folgen kann und andererseits, weil er andere Einflüsse wie den des Bußpredigers Frate Girolamo Savonarola in diese Einteilung zwängen muss. Darüber hinaus verführt die partielle Überbewertung der zeitgenösssischen Quellen zu allerlei Spekulationen, denn nicht immer können Dokumente eindeutig jene Auskunft geben, die der Biograf für seine Thesen benötigt. Beck bietet zwar eine Menge Material, aber der Mensch Michelangelo verschwindet dahinter wie in einem Nebel.
War Michelangelo ein jähzorniger Mensch, nur weil er in jungen Jahren mit einem Konkurrenten in Streit geriet, mit der Folge, dass sein Profil für immer durch eine gebrochene Nase entstellt war? Und ähnelte er damit den als jähzornig bekannten und für seine „Terribilità” berüchtigten Papst und Förderer Julius II? Beck versucht eine Geistesverwandtschaft herzustellen und die halböffentlich geführten Auseinandersetzungen von Künstler und Mäzen als Beleg zu werten. Noch schwieriger ist die Frage nach der angeblichen Homosexualität Michelangelos. Sie wird nach langen Ausführungen schließlich verneint, doch die angeführten Gründe folgen einer merkwürdigen Konstruktion: Wenn Michelangelo in seinen Briefen an jüngere Verwandte immer wieder sexuelle Enthaltsamkeit predigt und sich auch öffentlich zu einem abstinenten Leben bekennt, so muss das noch nichts über seine sexuelle Orientierung aussagen. Beck beschreibt ja gerade die harten Strafen bis zum Todesurteil für Homosexuelle, insofern ließe sich auch eine andere These aufstellen, wonach sich der Künstler aus Angst vor Entdeckung zurückhaltend verhielt. Beides ist möglich und entzieht sich der Festlegung. Hier kommt wiederum das Werk ins Spiel: War die Darstellung von schönen Männerkörpern wie der des David eine zeitgenössiche Mode, oder war sie der Homosexualität seines Schöpfers geschuldet? Tatsache ist jedenfalls, dass Michelangelo nicht verheiratet war, aber das waren seine berühmten Zeitgenossen Leonardo da Vinci, Raffael und Botticelli schließlich auch nicht.
Am besten gelungen ist die Untersuchung des Verhältnisses zum Vater. Hier hat Beck die Quellen geschickt genutzt, wie beispielsweise dessen Briefe an seinen in Rom lebenden, inzwischen berühmten Sohn. „Michelangelo mochte noch so viel erreichen, er mochte noch so großen Erfolg haben, und er mochte ein noch so aufopferungsvoller Sohn sein, den einzigen Menschen auf der ganzen Welt, um dessen Anerkennung es ihm wirklich zu tun war, Ludovico Buonarroti, konnte er nicht zufriedenstellen.‘ Schon bei der Berufswahl begannen die Schwierigkeiten; der Vater, selbst nicht gerade wohlhabend, hatte sich für seinen Zweitgeborenen eine andere Laufbahn vorgestellt. Doch hier blieb Michelangelo – zum Nutzen seiner Zeitgenossen und der Nachwelt – hartnäckig. Nach einem kurzen Zwischenspiel in einer Lehrwerkstatt genoss er die Vergünstigung, in den Gärten der Medici zu lernen oder besser gesagt: sich eigenständig auszubilden. Der zweite herbe Schlag für den Vater sollte die Entscheidung für die Bildhauerei sein, die im gesellschaftlichen Ansehen noch niedriger stand als die Malerei. Wegen eines Plagiatsvorwurfs hatte Michelangelo seine Geburtsstadt verlassen müssen und kehrte lediglich zu kurzen Zwischenspielen nach Florenz zurück. Er konnte sich also nur aus der Ferne um den mittlerweile verwitweten Vater kümmern, der ihm bittere Briefe schrieb und sich darüber beklagte, „dass er dazu noch...kochen, putzen, die Töpfe und Pfannen säubern, Brot backen‘ müsse. Zudem äußerte er seine Befürchtung, im Angesicht des Todes auf fremde Hilfe angewiesen zu sein. Unwillkürlich beschleicht einen der Gedanke, dass sich zwar die Zeiten gewaltig verändert haben mögen, nicht aber diese eine Konstante der elterlichen Unzufriedenheit mit den Entscheidungen ihrer Kinder und die ständige Klage, man schenkte ihnen nicht genügend Aufmerksamkeit. Verwandtschaftliche Beziehungen seien wie Schuhe, zitiert Beck ein volkstümliches Sprichwort, „je enger sie werden, um so mehr tun sie weh”. Trotz seiner dichten und einfühlsamen Beschreibung schießt Beck übers Ziel hinaus, wenn er dieses schwierige Vater-Sohn-Verhältnis auf das Werk Michelangelos zu übertragen versucht und die Pietà als dessen Sehnsucht nach einer intakten Familie interpretiert, also das Ganze nur noch in Küchenpsychologie ausartet.
So drängt sich bei der Lektüre von Becks Biographie zuweilen der Verdacht auf, dass er allzu sehr in seine unerschöpflichen Quellen verliebt ist, beispielsweise wenn er die amtliche Aufstellung der Gegenstände im Hause Michelangelos nach dessen Tod seitenlang zitiert. Wichtig sind nach seiner Ansicht die Gegenstände, die nicht aufgelistet sind: Bücher, Gemälde und Skizzen. Warum das wichtig ist, verrät er nur vage. Und bedarf es für diesen schmalen Erkenntnisgewinn des vollständigen Abdrucks der amtlichen Dokumente?
Der ansonsten lebendigen und aufschlussreichen Beschreibung, die uns direkt in das Denken und die Lebensumstände der Renaissance führt, schaden seine Spekulationen jedenfalls gewaltig. Schade, denn über lange Strecken hinweg könnte dieses Buch tatsächlich eine gelungene Einführung in das Leben des „göttlichen” Michelangelo sein – wäre da nicht dieser Anspruch, es bis in die dunkelsten Winkel hinein auszuleuchten und den letzten Rest Geheimnis zu entschlüsseln.
ELKE SCHUBERT
JAMES H. BECK: Die drei Welten des Michelangelo. Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz, Monika Noll und Rolf Schubert. C.H. Beck Verlag. München 2001. 270 Seiten, Abb., 49,80 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 20.03.2001

Väterchen, komm, klopf mit mir
Quellensteuerfrei: James H. Beck weiß, was Michelangelo so wenig umgetrieben hat / Von Wilfried Wiegand

Der uns allen vertraute Typ der kunsthistorischen Monographie ist keine hundert Jahre alt. Heinrich Wölfflin war der erste Kunstschriftsteller, der den entscheidenden Schritt wagte und die Werkanalyse von der bis dahin vorherrschenden Lebensbeschreibung trennte. Sein Dürer-Buch von 1905 beginnt mit einer auf sechzehn Seiten zusammengedrängten Biographie, die folgenden dreihundert Seiten sind dann nur noch den Kunstwerken gewidmet. Wölfflins Buch wird mit Recht als ein Gründerwerk wissenschaftlicher Kunstanalyse gefeiert, und alle großen Autoren haben sich bis heute mehr oder weniger an sein Vorbild gehalten. Je mehr wir aber gelernt haben, auch wissenschaftliche Literatur historisch wahrzunehmen, je mehr unser Sinn sich geschärft hat für die Klassiker-Qualität der großen Kunsthistoriker, um so deutlicher wird zugleich, wie verhängnisvoll Wölfflins Versachlichung die Kunstwissenschaft vom großen literarischen Publikum isoliert hat.

Sie war nun zwar frei von Kitsch und Kolportage, aber leider ebenso frei von allen Kontakten mit dem allgemeinen Entwicklungsgang der Literatur. Daß einige geniale Autoren wie Roberto Longhi oder Henri Focillon, Erwin Panofsky oder André Chastel auch nach Wölfflin immer wieder große literarische Leistungen zustande brachten, widerspricht nicht der traurigen Tatsache, daß Literatur und Kunstwissenschaft seit Wölfflin prinzipiell zweierlei geworden sind. Von Giorgio Vasari bis Carl Justi und Hermann Grimm war die Künstlerbiographie ganz selbstverständlich eine Gattung der Literatur gewesen. Ihre Rhetorik war die gleiche wie die von Anekdote, Novelle und Roman, und selbstverständlich richtete sie sich an das gleiche Publikum. Seit Wölflin aber überläßt die Kunstwissenschaft das biographische Genre den Amateuren.

Doch immer wieder gibt es auch Wissenschaftler, die aus dem Getto der drögen Begrifflichkeit ausbrechen wollen. Das muß keineswegs heißen, daß dabei alles Expertenwissen über Bord geworfen wird. Im Gegenteil, besonders von amerikanischen Akademikern wird in den letzten Jahren immer wieder der Versuch gemacht, die in hundert Jahren aufgehäuften Forschungserträge in eine leserfreundliche, vorwiegend biographische Erzählform zu bringen. Und sind nicht die verfeinerten Methoden der Moderne, allen voran die Psychoanalyse, bei der Verknüpfung von Werkanalyse und Lebensgeschichte ebenso hilfreich, wie es für Grimm und Justi die historische Allgemeinbildung war?

Der bisher jüngste Versuch, das abgewanderte Lesepublikum durch die biographische Darstellungsform zurückzuerobern, stammt von James H. Beck, Professor für Kunstgeschichte an der Columbia University, New York. Beck ist Experte für die italienische Renaissance und noch in Erinnerung durch seine überzogene Polemik gegen die Restaurierung der Sixtinischen Kapelle, die in den späten achtziger und frühen neunziger Jahren Schlagzeilen machte. Sein neues Buch konzentriert sich auf die erste Hälfte von Michelangelos langem Leben (1475 bis 1569). Es endet, abgesehen von einem Ausblick auf Michelangelos letztes Werk, die "Pietà Rondanini", mit dem Jahr 1513, als Papst Julius II., sein größter Auftraggeber, stirbt. Das ist, um die Biographie abzubrechen, in der Tat kein schlechtes Datum. Michelangelo hat damals seine weltbekannten Hauptwerke schon geschaffen oder zumindest konzipiert: Der riesige David steht schon seit neun Jahren in Florenz, die Sixtinische Decke ist fertig, und das überdimensionale, niemals vollendete Julius-Grabmal ist als Ganzes skizziert und in einzelnen schon angefangen.

Aber warum überhaupt will Beck seine Biographie so früh schon beenden? Eine merkwürdige Idee hat ihn dazu verführt. Beck ist der Überzeugung, daß Michelangelos Entwicklung - biographisch und künstlerisch - sich durch drei "Väter" erklären läßt: den leiblichen Vater, dann seinen ersten Mäzen Cosimo Medici, schließlich den furchteinflößenden Auftraggeber Julius II. Dieser Ansatz hat zur Folge, daß der Autor viel kulturgeschichtlichen Aufwand treibt, am Schluß aber nur Deutungen anzubieten hat, die mit ein paar entschlossenen psychoanalytischen Konklusionen schneller zu haben gewesen wären. Vage wird eine lebenslange Bewunderung für seinen ersten Mäzen Lorenzo Medici, "Il Magnifico", behauptet. Etwas gewaltsam wird die charakterliche Ähnlichkeit mit dem jähzornigen Julius II. konstruiert. Und eine lebenslange Nähe zur eigenen Familie wird als Besonderheit gerade dieses Lebenslaufes mißverstanden.

Beck kennt die Quellen, und sein Verhängnis ist, daß er sie gar zu gut kennt. Ausführlich zitiert er aus dem Briefwechsel mit dem Vater und mit den Brüdern. Was dabei für das Verständnis der Werke herauskommt, ist herzerweichend trivial. Fast überall, besonders aus der "Madonna Doni" und den Fresken der Sixtinischen Decke, meint Beck die Sehnsucht des Einzelgängers nach Heim und Geborgenheit herauszuspüren. Und ist nicht sogar die Pietà Rondanini ein verzweifeltes Werben um die Liebe des Vaters, der seinem Sohn nie so recht verziehen hat, daß er nur den Beruf eines Bildhauers erlernte? Ergreifend ist das Werk gewiß, aber dafür haben wir schon bessere Erklärungen gelesen. Beck will die Menschlichkeit Michelangelos freilegen und wird dabei so platt, daß das Besondere seiner Kunst nicht deutlicher spricht, sondern hinter dem Horizont des Allgemeinen zu verschwinden droht.

Unentwegt wird aus irgendwelchen Quellen zitiert, meist ohne daß etwas dabei herauskommt, was für den Künstler oder sein Werk wichtig wäre. Nur selten ist der kulturgeschichtliche Rohstoff an sich so interessant, daß man ihn mit Interesse um seiner selbst willen liest. In diese Kategorie gehört beispielsweise die Expertendiskussion, die in Florenz, kaum war der David fertig, darum geführt wurde, wo die Statue aufgestellt werden soll. Beck zitiert seitenlang aus dem Protokoll, und man ist ihm dankbar dafür. Endlich einmal fühlt man sich, als säße man in der Zeitmaschine und sei eben im Florenz des späten Quattrocento gelandet.

Das ganze Elend der Quellenhuberei wird sichtbar, wenn Beck sich daranmacht, ausführlich die Frage von Michelangelos Homosexualität zu erörtern. War er nun, oder war er nicht? Becks Antwort ist verblüffend, das muß man ihr lassen. Genaues, so gesteht er nach Lage der Quellen ein, wissen wir sowieso nicht. Aber statt sie nun beiseite zu legen und die Werke zu befragen, zieht er aus dem Schweigen der Dokumente die eigenartige Folgerung, daß Michelangelo vermutlich so gut wie gar kein Sexualleben hatte. Diese Behauptung enthebt den Autor der Notwendigkeit, zur Frage der Homosexualität Stellung zu beziehen. Aber wie kommt Beck überhaupt zu der verblüffenden Ansicht, Michelangelos Geschlechtsleben habe sich vor allem als Keuschheit geäußert?

Die Quellen haben es ihm erzählt. Denn hat der Künstler sich nicht in seinen Briefen lobend über Enthaltsamkeit geäußert? Daß derartige Selbstdarstellungen nicht unbedingt getreue Schilderungen des tatsächlichen Sexualverhaltens sind, weiß, so möchte man meinen, heutzutage jeder, aber offenkundig stimmt das nicht. James H. Beck jedenfalls weiß es nicht. Daß Homosexualität als überaus verwerflich galt und mit grausamen Strafen geahndet wurde, belegt er umständlich mit zeitgenössischen Zitaten. Aber auf die naheliegende Folgerung, daß Michelangelo sich das Image des sexuellen Abstinenzlers zugelegt haben könnte, um eben solchen Diffamierungen und Strafen zu entgehen, kommt Beck keine Sekunde lang. Er nimmt alles, was der Künstler und seine Freunde zu Michelangelos Gunsten sagen, ganz naiv beim Wort. Als Menschenkenner ist James H. Beck, man kann es leider nicht beschönigen, eine runde Null. Was nützt es, alle Quellen zu kennen, wenn man das Leben so gar nicht kennt?

James H. Beck: "Die drei Welten des Michelangelo". Aus dem Englischen von Ulrich Enderwitz, Monika Noll und Rolf Schubert. C. H. Beck Verlag, München 2001. 270 S., 58 Abb., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Der Rezensent findet hier vieles zu umständlich. Warum der Autor seine Biografie bereits mit dem Jahr 1513 enden lässt, als mit Papst Julius II. Michelangelos größter Auftraggeber stirbt, will Wilfried Wiegand nicht so recht einleuchten, oder jedenfalls nicht mit Hilfe des "kulturgeschichtlichen Aufwands", der hier getrieben wird. Die These von den drei prägenden Vaterfiguren, als deren letzte Julius II. figuriert, die Wiegand hinter dem abrupten Ende vermutet, schreibt er, wäre mit ein paar entschlossenen psychoanalytischen Konklusionen schneller zu konstruieren gewesen. Und dann diese Quellenhuberei! Was dabei für das Verständnis der Werke herauskommt, findet Wiegand nur "herzerweichend trivial". Wirklich nützlich, das Verständnis des Werks wie den Künstler betreffend, so glaubt er, wäre ein Minimum an Menschenkenntnis gewesen. In dieser Hinsicht aber sei der Autor "eine runde Null".

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