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Die Autorin widerlegt den Mythos, dass sich Frauen ganzheitlicher, integrativer und kooperativer im Wissenschaftsbetrieb verhalten. Sie bietet Zahlen und Fakten, wie unterschiedlich die Karriere von Männern und Frauen an den Universitäten verläuft und welche Gründe das hat. Ihre entscheidende Frage aber lautet: verändern Frauen die Inhalte der Wissenschaften? Londa Schiebinger zeigt an konkreten Fällen, wie Frauen in den letzten Jahrzehnten die Medizin, die Archäologie, die Biologie, die Primatologie und andere naturwissenschaftliche Disziplinen in zentralen Erkenntnissen verändert und…mehr

Produktbeschreibung
Die Autorin widerlegt den Mythos, dass sich Frauen ganzheitlicher, integrativer und kooperativer im Wissenschaftsbetrieb verhalten. Sie bietet Zahlen und Fakten, wie unterschiedlich die Karriere von Männern und Frauen an den Universitäten verläuft und welche Gründe das hat. Ihre entscheidende Frage aber lautet: verändern Frauen die Inhalte der Wissenschaften? Londa Schiebinger zeigt an konkreten Fällen, wie Frauen in den letzten Jahrzehnten die Medizin, die Archäologie, die Biologie, die Primatologie und andere naturwissenschaftliche Disziplinen in zentralen Erkenntnissen verändert und beeinflusst haben. Ihre Einsichten sind überraschend: scheinbar "neutrale" naturwissenschaftliche Fragestellungen entpuppen sich in ihrer Analyse als deutlich von Geschlechterrollen bestimmt. Dabei wird klar: Nur das Offenlegen und Sichtbarmachen der unterschiedlichen Erwartungshorizonte von Männern und Frauen kann zu einer Forschung führen, die unser Wissen wirklich bereichert.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.11.2000

Unangenehme Arbeit für uns Männer
Londa Schiebinger erforscht die Frau / Von Regine Halentz

Die Forscher wußten sofort, daß ihr Fund eine Sensation darstellte: die 3,2 Millionen Jahre alten versteinerten Knochen eines Wesens, das zweifelsohne aufrecht gegangen war, ausgegraben 1974 in Ostafrika. Noch am Fundort tauften sie diesen wohl frühesten Vorfahren des Menschen auf den Namen Lucy, und auch später blieb man dabei, daß es sich um ein weibliches Individuum gehandelt hatte. Donald Johanson, der Chef des Teams, begründete seine Annahme mit der Morphologie des Beckens bei Hominiden. Weibliche Individuen weisen eine größere Beckenöffnung als männliche auf, damit Säuglinge mit großem Hirn geboren werden können. Doch Lucy und ihre Artgenossen vom Typ Australopithecus afarensis hatten gar keine großen Hirne, da diese sich bei Hominiden erst eine Million Jahre später ausbildeten. Und bei genauerer Betrachtung "hatte Lucy auch kein breiteres Becken", erläutert Londa Schiebinger. Dennoch habe Johanson keinen weiteren Beleg dafür geliefert, warum er seinen wertvollen Fund für "zweifelsfrei weiblich" hielt.

Warum er dann bei dieser Behauptung blieb? Weil die Forschung über die Ursprünge der Menschheit von Voreingenommenheiten beherrscht wird, lautet die Antwort Schiebingers. Lucy werde ihrer Statur wegen für weiblich gehalten. Sie maß 1,10 Meter und wog vermutlich nicht mehr als siebenundzwanzig Kilogramm. Ein so graziles, offenbar schutzbedürftiges Wesen konnte nur weiblichen Geschlechts gewesen sein - natürlich. Und so stellt das New Yorker Museum of Natural History Lucys Spezies im Schaubild dar: ein Weibchen, überragt von einem männlichen Artgenossen, der beruhigend den Arm um die Gefährtin gelegt hat.

Neben seiner Klage über den jahrhundertelangen systematischen Ausschluß von Frauen aus der Welt der Wissenschaft hat der Feminismus die Forschung immer auch ihrer vorwiegend "männlich" orientierten Inhalte wegen kritisiert. Anhand der älteren wie der jüngeren Wissenschaftsgeschichte kann Londa Schiebinger zeigen, wie berechtigt diese Kritik ist. Ihrer Meinung nach vollzog sich seit dem Ende des achtzehnten Jahrhunderts eine "geschlechtsspezifische Prägung der Naturwissenschaften". Bis dahin hatten sich Frauen, wenn auch oft im häuslichen Rahmen, sehr eingehend mit verschiedenen Wissenschaften befassen können - von Pflanzenbau und Medizin bis zu Physik und Mathematik. Doch dann zerfiel die europäische Gesellschaft in zwei Bereiche: die öffentliche Sphäre des Regierens und Arbeitens und die Privatsphäre von Heim und Herd. Forschung begann sich in der öffentlichen Sphäre zu organisieren.

Londa Schiebinger bezeichnet dies als "historischen Zusammenstoß" zweier Kulturen, der Kultur der Wissenschaft und der Kultur der Frauen. Beide streben seither auseinander. Begründet wurde der Ausschluß der Frauen aus dem Wissenschaftsbetrieb mit ihrem intellektuellen und körperlichen Unvermögen, illustriert durch ein Weiblichkeitsideal, das keinerlei Zweifel an ihrer ausschließlichen Eignung für Heim, Herd und Kinderstube aufkommen ließ.

Diese "Ungleichheiten zwischen den Geschlechtern" - den Institutionen der Wissenschaft sozusagen als Webfehler mitgegeben - haben nach Ansicht von Londa Schiebinger "das Wissen beeinflußt, das aus jenen Institutionen hervorgeht". Noch in den siebziger Jahren gehörten etwa die "Abenteuergeschichten der Empfängnis" zum Standardrepertoire der zellbiologischen Lehre. Diese Storys handelten davon, "wie sich das heldenhafte Spermium auf die Suche nach dem Ei begibt, die lebensfeindliche Umwelt des Vaginaltraktes überlebt und zahllose Rivalen besiegt". Der weiblichen Keimzelle kam die passive Rolle eines träge im Eileiter treibenden Objektes zu.

Zu Unrecht, wie man heute weiß: Die Eizelle signalisiert der Samenzelle die Richtung, bildet fingerähnliche Auswüchse an ihrer Oberfläche aus, sogenannte Mikrovilli, um den Samen zu fassen und anzudocken. Schiebinger stellt fest: "Bemerkenswert ist, daß der Eihügel der Mikrovilli zwar schon 1895 nachgewiesen, aber erst rund achtzig Jahre später der Erforschung für wert befunden wurde."

"Wie weiblich ist die Wissenschaft?" fragt die Autorin im Untertitel ihres Buches. In diesem Jahrhundert haben zahlreiche Frauen die heiligen Hallen der Wissenschaft betreten. Londa Schiebinger fragt, inwieweit sich dadurch das Wissen selbst verändert hat. Sie dokumentiert, wie feministische Ansätze in der Forschung dazu führten, ausgetretene Pfade zu verlassen, Lücken zu erkennen, Alternativen in den Blick zu nehmen - und somit zweifellos wissenschaftliche Kreativität zu fördern.

Bis in die sechziger Jahre hinein war zum Beispiel die Primatologie von Grundannahmen wie männlicher Dominanz und weiblicher Fügsamkeit bestimmt. Durch die Arbeit von Forscherinnen wie Jane Goodall und Dian Fossey begann sich der Blick auf eine Kreatur zu weiten, die seit Darwin als Vorfahre des Menschen gilt. Vor allem wurde das stereotype Bild weiblicher Primaten als unterwürfiger Geschöpfe widerlegt, die Sex und Nachkommen gegen Schutz und Nahrung tauschten. Die Frauen entdeckten bei den Weibchen soziale Strategien und kognitive Fähigkeiten, sexuelle Behauptungsfähigkeit und Initiativen bei der Nahrungssuche. Ihre Arbeiten reihten sich ein in Bemühungen um eine "Neubeschreibung des Geschlechterunterschieds".

Zuweilen wird die heutige Primatologie als feministische Wissenschaft angesehen. Achtzig Prozent der Doktorgrade werden dort inzwischen an Frauen vergeben, soviel wie in keiner anderen Disziplin. Von Louis Leakey wird berichtet, er habe Jane Goodall 1960 ins Feld geschickt, weil er glaubte, Frauen seien besonders geduldig und wahrnehmungsfähig. Leakey war wie Johanson Urmenschenforscher. Er erhoffte sich von den Daten über die Primaten ein besseres Verständnis der Menschwerdung. Schiebinger zitiert seinen Ausspruch: "Du kannst einen Mann und eine Frau zur Kirche schicken, aber nur die Frau wird dir später genau sagen können, wie die Leute angezogen waren."

Doch ist es interessanterweise gerade die Primatologie, die von Londa Schiebinger gegen eine von Feministinnen gern verbreitete Behauptung ins Feld geführt wird: daß Frauen ein ganz spezifischer Denk- und Forschungsstil eigen sei, der sie von den Männern unterscheide. Für den Paradigmenwechsel war man, darauf verweist die Autorin mit Nachdruck, weder auf ein höheres Einfühlungsvermögen noch etwa auf ganzheitliches und integratives Denken angewiesen. Bis 1960 wurden weibliche Tiere und rangniedere Männchen in der Forschung nahezu ausgeblendet, bevorzugt wurden etwa die als besonders aggressiv geltenden Savannenpaviane. Es genügte also, unbeobachtete Forschungsobjekte einzubeziehen und dazu die bisherige willkürliche Auswahl besonders auffälliger Individuen durch eine repräsentative Auswahl zu ersetzen. Dies wiederum gehört aber zu den quantitativen Methoden, die von einigen Feministinnen sogar abgelehnt werden.

Einen typisch "weiblichen Stil, den man einfach so am Labortisch oder am Klinikbett einstöpseln könnte, gibt es nicht". Londa Schiebinger wendet sich gegen Konzeptionen, "die eine feministische Wissenschaft als einfühlsam, antihierarchisch, ökologisch und ,menschenfreundlich' schildern". Mit Recht fürchtet sie, daß solcherart simple Stereotype die Kluft zwischen den beiden Kulturen des Wissenschaftsbetriebes und der Frauen nur noch vertiefen würden. Ebendiese Kluft sollte ihrer Meinung nach endlich überwunden werden. Trotz zahlreicher Gesetze und Förderungsprogramme sind Frauen in der Wissenschaft, vor allem in der Naturwissenschaft, stark unterrepräsentiert. Sie verdienen im Durchschnitt weniger als Männer - bei gleicher Qualifikation und in derselben Disziplin.

Schiebinger, eine Amerikanerin, die in Berlin lehrt, plädiert für "eine Neuordnung des Verhältnisses zwischen Berufsleben und Familienleben im 21. Jahrhundert" und für Reformen im Wissenschaftsbetrieb. Doch auch sie weiß keine Patentlösung für die bestehenden Konflikte, und an manchen Stellen klingen ihre Sätze hilflos wie in einem psychologischen Eheratgeber. So müssen wir uns einstweilen mit dem Aufdecken unterschiedlicher Erwartungen und Geschlechtsidentitäten in der Wissenschaft bescheiden. Aber was heißt hier bescheiden, wenn es denn der Neubewertung einiger vorzeitlicher Knochen aus Ostafrika dienen sollte oder, wie der Klappentext des Buches verheißt, einer Forschung, "die unser Wissen wirklich bereichert"?

Londa Schiebinger: "Frauen forschen anders". Wie weiblich ist die Wissenschaft? Aus dem Amerikanischen von Karin Wördemann. Verlag C. H. Beck, München 2000. 325 S., 9 Abb., br., 39,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Die Autorin untersuche den "clash of cultures", den Zusammenstoß einer Kultur der Weiblichkeit mit einer frauenlosen Wissenschaftskultur in den USA und im interkulturellen Vergleich, erklärt Hiltrud Häntzschel. Insbesondre interessiere sie sich für die Auswirkungen des Ausschlusses von Frauen auf die Inhalte der Naturwissenschaften. Fasziniert hat die Rezensentin, wie Schiebinger auf ihrem Weg durch die Disziplinen "eine Fülle bekannter, aber auch bislang wenig beachteter geschlechtsgenuiner Veränderungen im Wissen" ausmacht. Dass sie auch vor der "Differenzfalle" warne, in die der Feminismus immer zu tappen Gefahr läuft, findet Häntzschel gleichfalls erwähnenswert. Um so bedauernswerter, dass der Titel der deutschen Ausgabe "geradewegs in diese Falle führt".

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