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In diesem Band erzählt der renommierte Historiker Peter Gay die Geschichte seiner Jugend als assimilierter antireligiöser Jude im Nazi-Deutschland 1933-1939. Mit der ihm eigenen Eloquenz und analytischem Scharfsinn beschreibt Gay seine Familie, das Leben, das sie führten und geht auf die Gründe ein, warum sie Deutschland nicht zu einem früheren Zeitpunkt verließen. Er forscht seinen eigenen ambivalenten Gefühlen dem heutigen Deutschland und den Deutschen gegenüber nach, ohne in Selbstmitleid zu verfallen oder Anklage zu erheben. Peter Gays Erinnerungsbuch - aufrichtig, was persönliche Fragen…mehr

Produktbeschreibung
In diesem Band erzählt der renommierte Historiker Peter Gay die Geschichte seiner Jugend als assimilierter antireligiöser Jude im Nazi-Deutschland 1933-1939. Mit der ihm eigenen Eloquenz und analytischem Scharfsinn beschreibt Gay seine Familie, das Leben, das sie führten und geht auf die Gründe ein, warum sie Deutschland nicht zu einem früheren Zeitpunkt verließen. Er forscht seinen eigenen ambivalenten Gefühlen dem heutigen Deutschland und den Deutschen gegenüber nach, ohne in Selbstmitleid zu verfallen oder Anklage zu erheben.
Peter Gays Erinnerungsbuch - aufrichtig, was persönliche Fragen betrifft, und maßvoll in der Beurteilung der politischen Ereignisse von 1933 bis 1939 - eröffnet uns eine neue Perspektive der Geschichte des deutschen Judentums.
Autorenporträt
Peter Gay, 1923 in Berlin geboren, emigrierte 1939, als Jude von Verfolgung bedroht, in die Vereinigten Staaten. Er war Professor für Geschichte an der Yale University in New Haven und ist derzeit Direktor des Center for Scholars and Writers an der New York Public Library. Er ist Ehrenmitglied der Amerikanischen Psychoanalytischen Gesellschaft und gilt als einer der besten Kenner der deutsch-jüdischen Kultur. 1999 erhielt er den Geschwister-Scholl-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999

Als Hitler den weißen Papagei stahl
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit: Peter Gays Erinnerungen an Berlin / Von Patrick Bahners

In seinem Elternhaus hingen keine Gainsbouroughs. Peter Gay entstammt nicht jener Großbourgeoisie, deren Leidenschaft für das Kunstsammeln er den fünften und letzten Band seiner Geschichte der bürgerlichen Erfahrung gewidmet hat. Als Peter Fröhlich wurde er 1923 in Berlin geboren; sein Vater, Gastwirtssohn aus Oberschlesien, hatte es zum Kaufmann gebracht, der Warenhäuser mit Glas und Porzellan belieferte. In der Schweidnitzer Straße Nr. 10 in Wilmersdorf gab es ein Rauchzimmer, in dem freilich nur selten eine Zigarre angezündet wurde. Aber es wurde Chopin gespielt. Die Eltern der Mutter hatten ein Schreibwarengeschäft am Ring in Breslau geführt, und wie das Schönschreiben hatte sie das Klavierspielen gelernt, das sie "mit ziemlicher Fingerfertigkeit" praktizierte.

Der nüchterne Ton dieses Urteils ist charakteristisch für Peter Gays Erinnerungen an seine Berliner Kindheit um 1933. Es liegt ihm fern, die Lebenswelt seiner Eltern, ihre Gewohnheiten und Hoffnungen, zu verklären, ja man darf sagen, dass dies der Fehler ist, den der Analytiker bürgerlicher Phantasien und Selbsttäuschungen um jeden Preis vermeiden wollte. Wie einfach wäre es gewesen, zur Vertreibung aus dem Paradies zu stilisieren, was der deutsche Staat der kleinen Familie antat, die er von heute auf morgen einer Gruppe zuschlug, einer zur minderwertigen Rasse gestempelten Religionsgemeinschaft, der sie sich nie zugehörig gefühlt hatte. Jede Beschönigung der verlorenen Zeit hätte den Verbrechern, die den Fröhlichs ihre Zukunft in Deutschland genommen hatten, auch Macht über die Vergangenheit eingeräumt.

Gerade die unsentimentale Redeweise lässt hervortreten, dass Gay eine ungewöhnlich glückliche Kindheit genossen hat. Ein Musterhaushalt erhält Kontur. Diesen Repräsentanten des mittleren Mittelstandes, die sich eine Hausangestellte leisten können, auch als sie sich einschränken müssen, ist nichts Bürgerliches fremd - nur die Dynamik, die das Wesen das Bürgertums in einer Geschichtsphilosophie ausmacht, der sich Gay in der Nachfolge Voltaires verpflichtet weiß. Es fällt schwer, dem Vater Ambitionen zuzuschreiben. Die Klassikerzitate, mit denen er alltägliche Verrichtungen zu kommentieren liebte, drückten keinen intellektuellen Ehrgeiz aus, wären als gesunkenes Kulturgut aber zu abschätzig qualifiziert. Bildung war in Gays Elternhaus nicht Schatz, nicht Kapital, einfach selbstverständlicher Besitz. Die Aufklärung hatte hier ihre Ziele erreicht. Man glaubte nicht mehr an Gott, stellte einen Weihnachtsbaum auf, ging vernünftig miteinander um. Eine Autobiographie nach jenem viktorianischen Muster, das Gay in "Die Macht des Herzens" untersucht hat, hat er nicht schreiben können: Keine Glaubenskrise gab seinem Seelenleben dramatische Form; das Behagen in der Kultur hat ein äußerer Feind zerstört.

Ein großer Papagei aus weißem Porzellan war das Wappentier der selbstgenügsamen Lebensform; es hätte sich alles wiederholen können in dieser Jugendzeit, nur dass man älter wurde. Der Vogel ging nicht mit auf die Reise, die den Sechzehnjährigen und seine Eltern im Mai 1939, fast in letzter Minute, nach Kuba führte und zwei Jahre später in die Vereinigten Staaten. Der Augenzeuge des Novemberpogroms will es sich nicht ausreden lassen, von der Kristallnacht zu sprechen. Dem Sohn des Glashändlers war nicht zweifelhaft, dass alles zu Bruch ging, als die Scheiben klirrten.

Er spricht das nicht aus, wie er sich überhaupt die symbolische Auslegung der Ereignisse und den Gebrauch anderer Kunstmittel der historiographischen Sinnstiftung versagt. Wo Dilthey die Historie auf die Autobiographie gründen wollte, auf die Gewissheit der Einheit des eigenen Lebenswegs, da scheint Gay die Einfühlung als hermeneutisches Verfahren schon in der Selbstbetrachtung problematisch. Er lässt keinen Film der Erinnerung ablaufen, sondern legt Gedächtnisbilder nebeneinander. Und wenn er die Fotografien beschreibt, die seine Mutter in ein Album klebte, spricht er von sich wie von einer dritten Person. So kommt ihm der Dreijährige, der sich mit einer Kiste Pokerchips beschäftigt, etwas zu artig vor, und dem Teddybären, der dabeisitzt, schreibt er ein ausdrucksloses Gesicht zu. Es ist freilich ebenso eloquent oder schweigsam wie jedes andere Teddyantlitz. Der Bär ist ja deshalb der beste Freund vieler Jungen, weil er der Welt ein Pokerface zukehrt, das für den Mitverschworenen Bände spricht. Peters Teddy blieb offenbar wie der Papagei in Deutschland zurück. Er war vielleicht einmal ein Freund gewesen. Aber nach siebzig Jahren sprach nur noch Teilnahmslosigkeit aus seinen Augen.

Die deutsche Ausgabe des Beck-Verlages enthält nur einen kleinen Teil der Abbildungen des amerikanischen Originals, überdies in betrüblicher Druckqualität. Die Entscheidung, die deutsche Fassung von vornherein als Taschenbuch herauszubringen, sollte wohl einen niedrigen Preis ermöglichen. Leider sieht das Ergebnis äußerst lieblos aus, zudem ist die Übersetzung über weite Strecken hölzern geraten. Bemerkenswert ist der deutsche Wortlaut eines Briefes, den Gay für die amerikanische Ausgabe nicht bloß übersetzt, sondern abgemildert hat. Nicht nur ein Monument der Bosheit nannte ein Onkel eine Tante, vielmehr schlug er sie als "Standbild für schlechte Juden" vor. Das bleibt so stehen. Gay versteigt sich nicht zu Spekulationen über den vermeintlichen jüdischen Selbsthass; nur seinen Onkel soll das hässliche Wort charakterisieren und vielleicht noch die Tante, die solche Schmähungen provozierte. Er ist stolz darauf, dass seine Eltern, obgleich mit den gläubigen Juden in einer Schicksalsgemeinschaft vereint, ihre säkularen Ideale nicht widerriefen. Die Assimilation ist nicht von Anfang an eine Lebenslüge gewesen, und seine Eltern durften 1933 glauben, sie seien die echten Deutschen und nicht die Machthaber.

Wie verträgt sich diese Achtung vor den Toten, vor der Integrität ihres Weltverständnisses, mit dem psychoanalytischen Ansatz, der in jedem Selbstbild eine Täuschung vermutet? "Ich zweifle nicht daran, dass meine Eltern mich in ihrer zurückhaltenden Art liebten." Der Leser stutzt. Nach der Schilderung des innigen Verhältnisses zwischen den Eltern und dem einzigen Kind klingt das plötzlich seltsam distanziert. Die Beweisführung, die in der Harmonie der Oberfläche das untrügliche Zeichen des untergründigen Konflikts entdeckt, erscheint geradezu als Parodie des freudianischen Verfahrens. Soll ein Zweifel, dem alles zum Indiz wird, dem Familienglück die Realität absprechen dürfen? Aber die Analyse, der Gay sich und seine Eltern unterzieht, soll gerade beweisen, dass sie ein reales Leben geführt haben, mit echten Konflikten, für die es echte Lösungen gab. Einem Zorn, der aus frühkindlicher Zeit kommt, meint Gay die Disziplin zu verdanken, die ihn die Jahre der Verachtung und Entrechtung überstehen ließ; dann hätte die Energie des ödipalen Kampfes das Überleben der Familie ermöglicht. Die Unfähigkeit zur Sublimierung machte dagegen Übermacht und Ohnmacht der Nazis aus. Sie beherrschten auch die primitivste Kulturtechnik nicht und waren wirklich Barbaren.

"Die Abgründe der menschlichen Natur, wie sie im Holocaust zutage traten, hätten sogar Freud unsicher gemacht." Die Geschichte der bürgerlichen Welt, die Gay mit Freud geschrieben hat, will den Holocaust nicht erklären. In der bürgerlichen Welt, so hat Gay es im "Kult der Gewalt" dargelegt, war der Hass produktiv. Die einschüchternde Produktivität des berühmten Historikers ist nach seiner eigenen Auskunft auch das Resultat eines Hasses, den er nicht stillgestellt oder besänftigt, sondern umgelenkt und in Arbeit verwandelt hat. "Die Juden übertreiben immer", spottete der Französischlehrer des Goethe Gymnasiums, als ein Mitschüler Peter Fröhlichs "pluie" nicht mit "Regen" übersetzte, sondern mit "Wolkenbruch". Seitdem nimmt er alles ganz genau.

Peter Gay: "Meine deutsche Frage". Jugend in Berlin 1933-1939. Aus dem Amerikanischen von Ulrich Enderwitz, Monika Noll und Rolf Schubert. Verlag C. H. Beck, München 1999. 230 S., Abb., br., 24,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Peter Gays Erinnerungen an seine Jugend im Berlin der dreißiger Jahre sind für die "Zeit" die wichtigste Neuerscheinung im Bereich des Politischen Buchs. Der Besprechung ist der prominenteste Platz eingeräumt, und die Rezension hat sich Ressortleiter Volker Ulrich vorbehalten, einer der kompetentesten Kritiker in der Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus. Man muss ihm glauben, wenn er schreibt, dass Gays Erinnerung weit über viele andere eindrucksvolle Autobiographien zu dem Thema hinausreiche. Man muss ihm glauben, denn Ulrich tut sich etwas schwer, dies anschaulich zu belegen. Einige Hinweise gibt er aber dennoch: "In großer Ehrlichkeit sich selbst gegenüber sucht der Autor zu ergründen, auf welche Weise das Trauma der Nazijahre seine Persönlichkeit verformt oder - wie er sagt - vergiftet hat." Das Buch, so Ulrich, ist ein "Dokument der Selbsterforschung" und "Selbstüberwindung".

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