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1973 habilitierte sich Pätzold an der Humboldt- Universität zu Berlin mit"Faschismus, Rassenwahn, Judenverfolgung". Das sollte sein Lebensthema werden. Auch die nachfolgenden Arbeiten"Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung"oder"Pogromnacht 1938"sowie die Untersuchung zur Wannsee-Konferenz (mit Erika Schwarz) galten als bahnbrechend, er erwarb sich mit seinen Forschungen internationalen Ruf. Pätzold, der aus seiner politischen Haltung nie einen Hehl gemacht hat, gehört unverändert zu den publizistisch aktivsten und kritischsten Vertretern seiner Zunft. Seine Erinnerungen gehen über eine…mehr

Produktbeschreibung
1973 habilitierte sich Pätzold an der Humboldt- Universität zu Berlin mit"Faschismus, Rassenwahn, Judenverfolgung". Das sollte sein Lebensthema werden. Auch die nachfolgenden Arbeiten"Verfolgung, Vertreibung, Vernichtung"oder"Pogromnacht 1938"sowie die Untersuchung zur Wannsee-Konferenz (mit Erika Schwarz) galten als bahnbrechend, er erwarb sich mit seinen Forschungen internationalen Ruf. Pätzold, der aus seiner politischen Haltung nie einen Hehl gemacht hat, gehört unverändert zu den publizistisch aktivsten und kritischsten Vertretern seiner Zunft. Seine Erinnerungen gehen über eine traditionelle Autobiographie hinaus: Es handelt sich zugleich um eine fundierte Auseinandersetzung mit den zwei unterschiedlichen Arten von Geschichtsschreibung in der BRD und der DDR und dem aktuellen Geschichtsrevisionismus.
Autorenporträt
Prof. Dr. Kurt Pätzold, geboren 1930 in Breslau, war bis 1992 Inhaber des Lehrstuhles für deutsche Geschichte an der Humboldt-Universität Berlin. Zahlreiche Publikationen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 24.07.2008

Ohne Thälmann kein Hitler
Die Memoiren des DDR-Historikers Kurt Pätzold
„Bleibt der so?”, waren die ersten Worte, die der Vater sagte, als er seinen Sohn erblickte, der mit einer Zange ans Licht der Welt geholt worden war. Der Historiker Kurt Pätzold erwähnt es am Anfang seiner Autobiographie. Der Kopf des 1930 in Breslau geborenen Kindes wuchs sich zurecht. Aber Pätzold ist geblieben, was er wurde. Einige Monate nach Kriegsende trat er in Weimar der „Antifa-Jugend” bei, da bekam er Vorträge von Kommunisten zu hören, einige hatten das KZ Buchenwald überlebt. Er schreibt: „Ich hörte bei diesen Treffen über Geschichte und Literatur, von Gott und der Welt sprechen wie nie zuvor. Fragen und Gegenfragen schlossen sich an. Tabus gab es nicht.” Pätzold wurde Kommunist. Den Bau der Mauer hat er begrüßt. Und das Konzert, das Wolf Biermann 1976 in Köln gab, hat in seinen Augen „den Anspruch des Liedermachers, Sozialist zu sein, erledigt”. In den sechziger Jahren trug Pätzold dazu bei, dass ein paar Studenten, die zu kritisch gewesen waren, für eine Weile von der Universität relegiert wurden. Letzteres tut ihm heute leid: „Die Betroffenen … waren keine Feinde dieses Staates und keine Umstürzler. Niemand von ihnen hat später einen Ausreiseantrag gestellt oder versucht, die Republik illegal zu verlassen.”
Kurt Pätzold hat das System der DDR insgesamt gutgeheißen, zu seiner Meinung steht er noch heute. Er ist ein bisschen trotzig, aber nicht larmoyant. Die besten Passagen seiner Memoiren sind jene, in denen er sachlich-gelassen erzählt. Sein Buch ist aufschlussreich, weil es nicht bloß den Autor, sondern auch die DDR verstehen hilft. Außerdem ist es gut lesbar geschrieben.
Wie es bei Memoiren oft der Fall ist, sind auch in dieser die Kindheitsschilderungen besonders ansprechend. Pätzolds Eltern waren arm. Auf den abgeernteten Feldern in Breslaus Umgebung ist der arbeitslose Vater stoppeln gegangen. Er las Getreidereste und Kartoffeln auf. Am Wochenende kümmerten Vater und Sohn sich um die Hausarbeit; die Mutter, die als Putzfrau arbeitete, sollte nicht auch noch ihnen „den Dreck wegräumen”. Pätzold schreibt, sich mit seinem Vater immer gut verstanden zu haben. Dieser muss ein freundlicher Mann gewesen sein. Seiner Einberufung entkam der Hitlergegner, weil er sich während des Kriegs in einem Unternehmen bewährte, das Holzbearbeitungsgeräte und Granaten herstellte. Als er 1945 aus Breslau floh, nahm er den Kanarienvogel der Familie mit. Die Mutter, die schon fort war, hatte ihm erklärt, wie er das Tierchen umbringen müsse, wenn er auch ging. Er brachte es nicht über sich. Lieber beschwerte er sich – zu Fuß auf dem Weg nach Westen – mit einem Vogelbauer.
Eiertanz um die Fakten
Der Besuch des Gymnasiums war für Kurt Pätzold im Dritten Reich nicht in Betracht gekommen: Das Schulgeld hätten die Eltern irgendwie aufbringen können, doch für sein Studium hätte es nicht gereicht. Pätzold dürfte auch deshalb nach 1945 gern Kommunist geworden sein, weil ein Armer-Leute-Kind wie er in der DDR studieren konnte. Stalin habe er zu dessen Lebzeiten für „groß” gehalten, dies auch „wegen des (überschätzten) Verdienstes, das ihm am Sieg der Roten Armee zugeschrieben wurde”. 1949 machte man Pätzold zum Sekretär der SED-Parteiorganisation der Universität Jena, von 1954 an erfüllte er den Posten sechs Jahre lang hauptamtlich.
Pätzold weiß, dass nur wenige Vertreter der ostdeutschen Geschichtswissenschaft bei den westlichen Kollegen anerkannt sind. Zu denen gehört er. Immerhin, schreibt er, habe man sich in der DDR mit der Geschichte der Arbeiter befasst, Jahre bevor das im Westen in Mode kam. Und auch sein Spezialgebiet, die Geschichte der Judenverfolgung und des Dritten Reichs, hält er für ganz gut bestellt. Das Besondere der marxistischen Geschichtsforschung in der DDR sieht er in ihren politischen Zielen: „Sie sollte antifaschistische Kämpfer orientieren und verfehlte Frontstellungen vermeiden helfen.” Das scheint ihm eingeleuchtet zu haben.
Im Rahmen einer „deutschen Geschichte von den Anfängen bis zum Ende des Zweiten Weltkriegs” wurde Pätzold Ende der sechziger Jahre damit betraut, die Nazidiktatur vor Kriegsausbruch zu schildern. Der Band enthielt einen gravierenden „weißen Fleck”: Der Hitler-Stalin-Pakt vom August 1939 durfte nicht erwähnt werden. Pätzold nahm es hin. Auf der Universität durfte vom Pakt geredet werden, nicht aber an den Schulen, für die die Reihe auch gedacht war. Für Tagungen im Ausland habe es eine „Exportausgabe” gegeben. Ohne sie hätte man sich vor den Kollegen zum Gespött gemacht. Erst im Januar 1989 sei auf einer Konferenz der Historiker-Gesellschaft beschlossen worden, „mit dem Eiertanz um die Fakten des August/September 1939” Schluss zu machen.
Einige DDR-Historiker hätten gern eine Hitler-Biographie geschrieben. Das war aber nicht machbar: Erst musste es eine Biographie des Kommunistenführers Thälmann geben. Von den Absurditäten der DDR-Geschichtspolitik erzählt Pätzold allerlei. Vergleichbar absurd erscheint es ihm, dass er 1990 zusammen mit anderen ohne „Einzelfallprüfung” seiner Professorenstelle an der Humboldt-Universität enthoben wurde. FRANZISKA AUGSTEIN
KURT PÄTZOLD: Die Geschichte kennt kein Pardon. Erinnerungen eines deutschen Historikers. edition ost, Berlin 2008. 318 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Franziska Augstein hat interessiert in Kurt Pätzolds Memoiren gelesen, weil sie nicht nur ein Schlaglicht auf das Leben des DDR-Historikers, sondern auch auf die DDR selbst werfen. Im Ton überwiegt der Trotz, stellt die Rezensentin fest und attestiert den Lebenserinnerungen insgesamt gute Lesbarkeit, wobei sie gerade die "sachlich-gelassenen" Passagen am besten fand. Pätzold, dessen Spezialgebiet als Historiker der Holocaust und das Naziregime ist, war seit Ende des Zweiten Weltkrieges Kommunist und ist bis heute der Meinung, dass die DDR ein gutes politisches System war, erklärt Augstein. Trotzdem biete das Buch neben den lesenswerten Kindheitserinnerungen Einblick in so manche Absurdität der Geschichtspolitik der DDR, etwa, dass der Hitler-Stalin-Pakt zwar an der Universität und in den "Exportausgaben" der Forschungsliteratur erwähnt werden durfte, in den Schulen dagegen unter allen Umständen verschwiegen werden musste.

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