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Produktdetails
  • Werke und Briefe
  • Verlag: Das Neue Berlin
  • Seitenzahl: 271
  • Deutsch
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 412g
  • ISBN-13: 9783360009081
  • ISBN-10: 3360009088
  • Artikelnr.: 21361687
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.08.2000

Bei Annchen und Hannchen
Georg Hermann zieht den Sommer in die Länge

Nicht immer hebt die Wiederentdeckung das Ansehen eines Autors. Auch das Vergessen kann dem Nachruhm dienlich sein. Was nicht alles ließen die Einträge vermuten, mit denen die Lexika über Georg Hermann informierten. Auf wenigen Zeilen erfuhr man, daß der deutsch-jüdische Schriftsteller eigentlich Hermann Georg Borchardt hieß, daß er 1871 in Berlin geboren wurde und zweiundsiebzig Jahre später, 1943, in Auschwitz umkam, daß er mit dem Biedermeierroman "Jettchen Gebert" einen Bestseller aufweisen konnte und auch sonst einiges geschrieben haben mußte, das die erneuerte Edition vergessener Texte rechtfertigen mochte - eine Werkausgabe, deren erste Bände, ein Exilroman und ein "Spaziergang in Potsdam", noch mit kultivierter Konversation überraschten, gefiel mit impressionistischer Schilderung. Nun aber sind zwei weitere Titel erschienen, begonnen hat die Enttäuschung.

Schon der Auftakt, der Roman "Einen Sommer lang", bleibt da nichts schuldig. So lang, wie es der Titel verspricht, dehnt sich der Bericht über die Monate, die die Witwe Lindenberg mit ihren Töchtern Annchen und Hannchen draußen in Potsdam verbringt, bei Kaffee und Kuchen, bei einem Bier zuweilen und immer anständig unterhalten von den Besuchen der Schwiegersöhne in spe. Was anfangs noch so klingt, als meinte es das Gegenteil, die Ankündigung einer "Geschichte, die eigentlich keine Geschichte ist", erweist sich schnell als nüchterne Vorhersage, als die Anzeige purer Ereignislosigkeit.

Wie bei Fontane, dem Georg Hermann auch sonst gern nachstrebte, sollte es vermutlich zugehen. Unverkennbar ist das Vorbild des "Stechlin". Doch wie aufregend konnte der Alte von dem erzählen, was nicht mehr geschah, welche Spannung legte er in die Langeweile, mit welchem Humor durchschaute er die fortdauernde Vergangenheit. Und wie unbeholfen wirkt es dagegen, wenn sich der Epigone zur Ironie aufschwingt, wenn er eingangs feststellt, daß seine Geschichte "nur in guter Gesellschaft" spiele, "und außerdem noch im vorigen Jahrhundert, das noch nicht in jener verabscheuungswürdigen Leichtfertigkeit sich gehen ließ, wie sie leider das Kennzeichen der gegenwärtigen geworden ist".

Obwohl er gelegentlich das Gegenteil behauptet, ist die überlebte Epoche für den Jüngeren noch immer"die gute alte Zeit", eine Fluchtburg der Phantasie. Den Roman, der 1899 spielt, schreibt er 1917, während in Verdun Tag für Tag Tausende verbluten, Ernst Toller bereits von den Verwundeten erzählt, die hilflos zwischen den Linien sterben. Kein Wort fällt über diese Gegenwart, ausgeblendet wird sie bei Georg Hermann im nostalgischen Rückgriff. Von Blumen und Gärten, von mürbem Gebäck und gekochten Fischen ist statt dessen ebenso ernsthaft die Rede wie von "hundert Fasanen, alten, glänzenden und bunten".

Unversehens ergibt sich der Kitsch, wo der Erzähler die Wirklichkeit impressionistisch illuminiert, so knallbunt, daß man geneigt sein könnte, alles satirisch zu verstehen, gäbe es nicht die Fortsetzung, den zweiten Roman, die Erfolgsgeschichte des Schriftstellers Fritz Eisner. Konnte er im ersten Buch den Eindruck der Karikatur hinterlassen, so begegnet er nun, in einer Ernsthaftigkeit, die keinen Raum mehr läßt für nachsichtige Interpretation. Zu sehr entspricht sein Erleben der Biographie des Autors. Wie dieser nimmt er melancholisch Abschied von der Boheme. Maßvoll enttäuscht fügt er sich in das Schicksal seiner Bürgerlichkeit, halbwegs versöhnt durch den ersehnten Aufstieg - versöhnt wie die vielen, die nach seinen Büchern griffen, weil sie darin die literarische Aufwertung eigener Illusionen entdeckten, sich von einem Schriftsteller verstanden fühlten, der schon mal schreiben konnte, daß "Eros", der kleine neckische Gott, "uns Erde und Himmel mit bunten Farben malte". Verdient, durchaus verdient war die Anerkennung, die es dafür gab, der Eintrag im "Meyer" und die fünf Zeilen im "Brockhaus", der Verweis auf die "liebevolle" Hinwendung zu den "kleinen Dingen", mit der auch noch die ersten Bände der Werkausgabe überzeugen konnten. Schade nur, schade für den Vergessenen, daß es dabei nicht bleiben sollte.

THOMAS RIETZSCHEL

Georg Hermann: "Einen Sommer lang". "Der kleine Gast". Roman. Werke und Briefe, Bd. 7/1 und 7/2. Hrsg. von Gert und Gundel Mattenklott. Verlag Das Neue Berlin, Berlin 1999. 270 und 588 S., geb., 38,- und 48,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Thomas Rietzschel bespricht zwei Romane aus der Werkausgabe Georg Hermanns: "Einen Sommer lang" und "Der kleine Gast". Anfangen kann er mit beiden nichts. Sie sind ihm zu nostalgisch in ihrem Rückblick auf die "gute alte Zeit", zu neckisch in ihren erotischen Anspielungen, zu bieder in ihrem Humor, kurz gesagt, er findet die Romane langweilig. Kühl konstatiert der Rezensent: "Auch das Vergessen kann dem Nachruhm dienlich sein".

© Perlentaucher Medien GmbH