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Franz Fühmann. Die Kunst des Scheiterns - Decker, Gunnar
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Die Biografie von Gunnar Decker fragt nach dem, was es war, das Franz Fühmann bei seiner Wandlung, dem langen irrtumsreichen Weg zu sich selbst, zum Maßstab wurde.Die Dichtung Georg Trakls, das Romantik-Thema von E.T.A. Hoffmann bis zum "Bergwerk" wird zum inneren Movens des Zu-sich-Selber-Kommens. Scheitern hierbei verstanden, als die sich häufig versagende äußere Erfüllung, die zu einer Intensivierung seiner inneren Wahrnehmung und Steigerung des ästhetischen Ausdrucksvermögens führt.Mit Fühmanns Leben, seiner tiefen Verstrickung in die Brüche und Katastrophen des 20. Jahrhunderts, öffnet…mehr

Produktbeschreibung
Die Biografie von Gunnar Decker fragt nach dem, was es war, das Franz Fühmann bei seiner Wandlung, dem langen irrtumsreichen Weg zu sich selbst, zum Maßstab wurde.Die Dichtung Georg Trakls, das Romantik-Thema von E.T.A. Hoffmann bis zum "Bergwerk" wird zum inneren Movens des Zu-sich-Selber-Kommens. Scheitern hierbei verstanden, als die sich häufig versagende äußere Erfüllung, die zu einer Intensivierung seiner inneren Wahrnehmung und Steigerung des ästhetischen Ausdrucksvermögens führt.Mit Fühmanns Leben, seiner tiefen Verstrickung in die Brüche und Katastrophen des 20. Jahrhunderts, öffnet sich ein Panorama, das die Biografie über ein Geschichtenbuch hinaus zum Geschichtsbuch macht. Nach 1990 ist Fühmanns große, unbestreitbar gesamtdeutsche Bedeutung - ein Dichter der Krise zu sein - allzu sehr in den Hintergrund getreten. Diese Biografie will das ändern.
Autorenporträt
Gunnar Decker, geboren 1965 in Kühlungsborn, lebt als Theater- und Filmkritiker sowie freier Autor in Berlin. Der promovierte Philosoph ist Verfasser biografischer Bücher zu Ernst Jünger, Hermann Hesse, Gottfried Benn und Rilkes Frauen. 2016 wurde Gunnar Decker mit dem "Heinrich-Mann-Preis" ausgezeichnet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.07.2009

Der bitterste Schmerz ist der, gescheitert zu sein

Franz Fühmann, einer der schillerndsten deutschen Autoren des zwanzigsten Jahrhunderts, ist heute fast vergessen. Jetzt widmet sich ein Essay Fühmanns Leben und Werk.

Joseph Goebbels gefiel die Dichtung des jungen Obergefreiten: So schreibe der namenlose Soldat des Ostens. Mit diesem Kommentar versah der Reichspropagandaminister das Gedicht des Zweiundzwanzigjährigen, das er im Jahr 1944 in der NS-Wochenzeitung "Das Reich" drucken ließ. Und am 28. Januar 1945 hob Goebbels ihn sogar auf die Titelseite, mit dem heroisch tremolierenden Gedicht "Das Maß": "Karg und klar ist die Zeit. / Ehern waltet die Not. / Zucht und Demut vollenden das Leid." So klingt der junge Dichter Franz Fühmann, der trotz allem noch an den Endsieg glaubt, mitten im Untergang des Dritten Reichs. Der Vater Josef Fühmann zeigt die Zeitung stolz in seinem sudetischen Heimatort Rochlitz herum.

Vierzig Jahre später fällt die Lebensbilanz des in der DDR lebenden Schriftstellers Franz Fühmann vernichtend aus. In seinem Testament vom Juli 1983 heißt es: "Ich habe grausame Schmerzen. Der bitterste ist der, gescheitert zu sein: In der Literatur und in der Hoffnung auf eine Gesellschaft, wie wir sie alle einmal erträumten." Als er heute vor fünfundzwanzig Jahren, am 8. Juli 1984, an Krebs starb, endete eine der schillerndsten deutschen Autorenexistenzen im zwanzigsten Jahrhundert. Vom jugendlichen NS-Barden zum kommunistischen Schriftstellerfunktionär, der schließlich unter Qualen zum kritischen Autor in der DDR mutiert, 1976 unter den prominenten Protestierern gegen die Ausbürgerung Wolf Biermanns ist, vergeblich mit vielen Werkplänen ringt und zum Entdecker junger Talente wird.

Das heute weithin vergessene Leben und Werk Fühmanns belegt, dass die untergegangene DDR weniger Farce, sondern vielmehr ein Drama war. Dabei sind es keine Wandlungen, die Fühmann durchlebt, sondern schmerzliche Häutungen, die er schonungslos an sich selbst vornimmt. 1963, als die langwierigste und entscheidendste ihm noch bevorstand, hatte Marcel Reich-Ranicki den frühen "Kamerad Fühmann" bereits in seinem Klassiker "Deutsche Literatur in West und Ost" auf mehreren Seiten interpretiert.

Gunnar Decker, in der DDR aufgewachsener Theaterredakteur und ausgewiesener Lebensbeschreiber (Gottfried Benn, Vincent van Gogh, Rilke und dessen Frauen), hat nun Franz Fühmann eine Biographie gewidmet - und dabei den Untertitel seines Buches, die "Kunst des Scheiterns", vielleicht doch allzu wörtlich genommen. Denn so überzeugend die meisten seiner Werkdeutungen sind, so gut er sich in den Lebenswindungen Fühmanns und umfassend zitierten Dokumenten auskennt: Durch fehlende Quellenangaben und Register entwertet sich dieses biographische Unternehmen; gegen die wohlfeile Inanspruchnahme des (literatur)wissenschaftsskeptischen Fühmann für etwas, das "anderes sein will als eine wissenschaftliche Monographie", nämlich als Essay "radikal subjektiv" und "sich darin durchaus im Einklang mit Fühmann" sehend, kann dieser sich leider nicht mehr wehren. Der sensible Essayist Fühmann hätte den mit räsonierenden Verschmocktheiten angereicherten Stil Deckers ("Wir haben mit Büchern gelebt, in ihnen etwas gesucht") zweifellos moniert. Franz Fühmann und sein 240 Archivkästen umfassender Nachlass in der Berliner Akademie der Künste haben Besseres verdient.

Dennoch gelingt es Gunnar Decker, die wiederzuentdeckende Bedeutung des 1922 geborenen Schriftstellers uns vor Augen zu führen. Fühmann wächst in Gegensätzen auf: die Mutter tiefreligiös, der Vater Pharmaunternehmer, Hitleranhänger und hallodrihafte Kleinstadtgröße, der seinen Sohn auf die Jesuitenschule in Kalksburg bei Wien schickt. Den Krieg erlebt der Jungnazi an der Ostfront und in Griechenland und übersteht traumatische Endkämpfe 1945 in den böhmischen Wäldern, zu denen er noch am 6. Mai 1945 von einem Heimaturlaub aufbricht, nach abendlicher Trakl-Lektüre. In sowjetischer Kriegsgefangenschaft wird er zum Kommunisten, in die DDR entlassen als treuer Funktionär und Autor: Er sitzt alsbald im Vorstand der "national-demokratischen" Blockpartei NDPD. Zweifel rumoren nach dem XX. Parteitag der KPdSU; seine Akte als Informant der Staatssicherheit wird 1959 geschlossen, ohne dass er Berichte geliefert hätte. Doch noch steht er fest zur DDR. Literarisch macht er sich auf den Bitterfelder Weg mit seiner Reportage "Kabelkran und Blauer Peter" über die Rostocker Werften. 1961 schreibt er über die Panzer, die den Mauerbau sichern: "Es ist gut, daß sie da stehen, denn es ist notwendig."

Aber seine nächste Häutung steht bevor, ausgelöst durch die Beschäftigung mit dem im Jahr 1938 verstorbenen Güstrower Künstler Ernst Barlach. Jahre innerer Emigration und schwerster Krisen mit Alkoholexzessen folgen; nach einem erfolgreichen Entzug und Neuorientierung gelingt ihm 1973 mit dem Band "Zweiundzwanzig Tage oder Die Hälfte des Lebens" eine neue Form: in der Mischung aus Aphorismen, Essays und Erzählungen. Der manische Rohkostesser und vom abhängigen Ketten- zum militanten Nichtraucher gewordene Fühmann stürzt sich besessen und vergeblich in sein "Bergwerk"-Buchprojekt: Der Spruch "Ich bin Bergmann! Wer ist mehr?" hängt in seinem Haus in Märkisch Buchholz.

Er verbeißt sich in die Romantiker - die stärksten Passagen von Deckers Biographie -, ist lange schon Verfasser wunderbarer Märchen und Kinderbücher - und erlebt 1982 schließlich das Erscheinen seines Georg-Trakl-Buches "Vor Feuerschlünden" (im Westen als "Der Sturz des Engels" veröffentlicht), eine großartige und eigensinnige Summe lebenslanger Auseinandersetzung. Von der Staatssicherheit als operativer Vorgang "Filou" überwacht, ist Fühmann über die Jahre als unermüdlicher Förderer kritischer Autoren - von Uwe Kolbe bis zu Gert Neumann - zur literarischen Instanz geworden: 1980 preist er Wolfgang Hilbig: "das ist ein neuer Trakl, so etwas kommt nur 1 mal in je 20 Jahren". Christa Wolf erinnerte sich in ihrer Trauerrede an Fühmann, "unheimlich in seiner Unbedingtheit": "Er konnte verachten, anhaltend und unversöhnlich. Aber er konnte auch - fast möchte ich sagen: vor allem - rückhaltlos bewundern und bejahen."

Am Ende dominierte die Verzweiflung, über die Verhältnisse, über sich: "Ich weiß nicht wie weiter." In seinem Testament untersagte Franz Fühmann den Schriftstellerfunktionären Hermann Kant und Dieter Noll die Teilnahme an seinem Begräbnis. Und er hinterließ seine vor Feuerschlünden erkämpfte Einsicht: "Ich grüße alle jungen Kollegen, die sich als obersten Wert ihres Schreibens die Wahrheit erwählt haben."

ALEXANDER CAMMANN

Gunnar Decker: "Franz Fühmann". Die Kunst des Scheiterns. Eine Biographie. Hinstorff Verlag, Rostock 2009. 455 S., geb., 24,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Da der vor 25 Jahren verstorbene Schriftsteller Franz Fühmann nach Ansicht von Alexander Cammann heute "fast vergessen" ist, begrüßt er den biografischen Essay von Gunnar Decker, der bereits als Biograf von Gottfried Benn, Vincent van Gogh und Rainer Maria Rilke hervorgetreten ist. Allerdings lässt der Rezensent keinen Zweifel daran, dass der Verfasser seines Erachtens dem "schillerndsten" deutschen Autor des letzten Jahrhunderts damit keineswegs gerecht wird. Der "radikal subjektive" Ansatz Deckers stelle eine unangemessene Vereinnahmung Fühmanns dar, und auch stilistisch ließen die Ausführungen des Autors einiges zu wünschen übrig, bekrittelt Cammann. Immerhin weiß der Rezensent aber zu würdigen, dass in Deckers Buch Fühmann die Bedeutung zugewiesen wird, die dem Schriftsteller, der sehr schmerzhafte Verwandlungen vom fest an den "Endsieg" glaubenden Junglyriker zum in der sowjetischen Kriegsgefangenschaft gewandelten Kommunisten bis zum späteren DDR-Kritiker durchmachte, auch gebührt.

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