Marktplatzangebote
14 Angebote ab € 1,80 €
  • Gebundenes Buch

Wann sagt schon mal jemand: Ich habe alles? Ljudmila Ulitzkaja erzählt von Frauen, die zu diesen seltenen Menschen gehören, auch wenn ihnen Glück, Schönheit, Reichtum, kurz, die Attribute des Glücks, versagt geblieben sind. Vielmehr hätten sie allen Grund, am Leben zu verzweifeln. Aber, irgendwo im Inneren gibt es etwas, das sie nicht zerbrechen läßt. Diesem Geheimnis ist die Moskauer Autorin auf der Spur. Ihr liebevoller und zugleich verschmitzter Blick heftet sich an schrullige Außenseiter wie Asja, die arme Verwandte, die Monat für Monat mit stoischem Gleichmut ihre reiche Cousine besucht,…mehr

Produktbeschreibung
Wann sagt schon mal jemand: Ich habe alles? Ljudmila Ulitzkaja erzählt von Frauen, die zu diesen seltenen Menschen gehören, auch wenn ihnen Glück, Schönheit, Reichtum, kurz, die Attribute des Glücks, versagt geblieben sind. Vielmehr hätten sie allen Grund, am Leben zu verzweifeln. Aber, irgendwo im Inneren gibt es etwas, das sie nicht zerbrechen läßt. Diesem Geheimnis ist die Moskauer Autorin auf der Spur. Ihr liebevoller und zugleich verschmitzter Blick heftet sich an schrullige Außenseiter wie Asja, die arme Verwandte, die Monat für Monat mit stoischem Gleichmut ihre reiche Cousine besucht, Geld und Sachen abstaubt, um sie sogleich zu einer noch bedürftigeren Freundin zu tragen. Buchara, eine Frau von orientalischer Schönheit, wird von ihren Nachbarn gemieden. Um so größer aber ist dann deren Bewunderung für die Kraft dieser Frau, die die eigene tödliche Krankheit so lange besiegt, bis sie ihrer behinderten Tochter ein eigenständiges Leben ermöglicht hat. Es ist die Kunst dieser Frauen, dem Dasein einen Sinn abzutrotzen und an Verlusten nicht zugrunde zu gehen das macht sie uns so sympathisch. Vor allem aber bewundern wir ihr Talent, zu lieben und diese Liebe als Glück zu empfinden. In anderen Geschichten treffen wir aber auch Menschen wie Olga: Ein unstillbares Verlangen treibt sie in immer neue absurde Situationen. In rasante Liebesabenteuer stürzt sich auch die Pikdame, wobei Tochter und Enkelin unter ihrer tyrannischen Fuchtel leiden. Und Nina, Witwe eines wohlhabenden Neuen Russen, wird von einem riesigen schwarzen Kater heimgesucht. Was hat sie nur falsch gemacht, daß sie mit dieser mystischen Erscheinung gestraft wird?
Autorenporträt
Ljudmila Ulitzkaja, Jahrgang 1943, arbeitet mehrere Jahre als Genetikerin, bevor sie zu schreiben begann.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999

Richtfest der Liebe
Bei Ulitzkaja hat jedes Glück seinen Platz / Von Sabine Brandt

Es gibt mancherlei Gründe, ein Buch zu lesen: Zuweilen treibt uns ein ernsthaftes Bildungsstreben, öfter der Umstand, dass Autor und Werk gerade im Gespräch sind. Manchmal, wenn man Glück hat, entsteht aus der Begegnung mit der Lektüre ein Liebesverhältnis. Der Leser spürt in sich eine Hingabe wachsen, wie er sie einst vor der Märchen erzählenden Großmutter fühlte. Dann fragt er nicht mehr danach, ob das Buch ihn belehrt, ob es auf der Bestsellerliste steht, ob er beim nächsten Partytalk kundig mitschwatzen kann. Er will nur weiterlesen, vergisst dabei sich selbst, weint, lacht, lebt mit den Personen der Geschichte. So sieht das schönste Leseerlebnis aus, und ein solches Erlebnis beschert uns Ljudmila Ulitzkaja in den zwölf Erzählungen ihres Bandes "Olgas Haus". Die russische Schriftstellerin, 1943 geboren und jetzt in Moskau lebend, hat schon etliche Romane, Novellen, Erzählungen verfasst, die auch ins Deutsche übersetzt wurden. Dass es sich auch hier um Russen handelt, spielt nur insofern eine Rolle, als jede Geschichte einen konkreten Ort und ihre Personnage identifizierbare Gesichter braucht. Zwar greift die Autorin durchaus auch in den Fundus nationaler Vergangenheiten, aber nirgends wirkt dies wie eine ideologische Schranke. Keine der Figuren ist uns fremd, denn was sie jeweils umtreibt, kennt die ganze Welt: Liebe und Feindschaft, Armut und Habgier, Leben und Tod.

Nicht einmal das Wort "Held" taugt zur Beschreibung der handelnden Personen, weil es Assoziationen hervorruft, die in diesem Fall nicht passen. Ob reicher Schieber oder Bettler, Professor oder debile Missgeburt, alle Erzählfiguren sind Farbpünktchen auf der irdischen Palette, die schon Goethes Mephistopheles dem himmlischen Herrn vorhielt: "Ich sehe nur, wie sich die Menschen plagen. / Der kleine Gott der Welt bleibt stets vom gleichen Schlag / Und ist so wunderlich als wie am ersten Tag." Genau so sieht es Ulitzkaja, nur mit dem Unterschied, dass sie den feinen Teufelsspott, der auch ihr zu Gebote steht, durch eine solide Portion Erbarmen kompensiert. Liebt sie die Menschen, die sie porträtiert? Sie ist beileibe keine schreibende Mutter Teresa, was uns im Interesse literarischer Qualität nur recht sein kann. Aber sie geht offenkundig davon aus, dass wir mit ihren Narren, ihren Irrenden ein kleines Stückchen verwandt sind, dass unser eigener Daseinshorizont sich nur ein bisschen verdunkeln müsste, um uns vergleichbare Probleme zu schaffen. Und wozu würden wir uns hinreißen lassen, um mit dem über uns verhängten Fatum zurechtzukommen? Diese Frage wird niemals gestellt, schwingt aber in jeder Wendung mit und zeigt die Liebe der Autorin zu ihren armen Schelmen. Diese Liebe macht sie jedoch nicht blind.

Ein Beispiel: Der Professorengattin Olga - auf die sich der Buchtitel bezieht - genügen weder ihre Familie noch die Bücherwelt des Gemahls. Sie versucht, ihrem Dasein durch Seitensprünge, wenn nicht neuen Sinn, so doch mehr Farbe zu geben. Eines Tages landet sie im Bett des wunderschönen Knaben Kasijew, genannt Kasja, Klassenkamerad des Sohnes, Schüler des Ehemanns. Ein wieder jung machendes, unbeschreibliches, weltumstürzendes Erlebnis - das jedoch, wie Olga erfahren muss, auch Tochter Lena zuteil wird, in Wahrheit also von bestürzender Beliebigkeit ist. Der Schock der Enttäuschung wirft sie um, doch der Zusammenbruch scheint nur zeitlich bedingt. Danach geht alles wieder seinen banalen Alltagsgang: Der Ephebe Kasja verkommt zum grobschlächtigen Metzgergesellen, Ehemann und Kinder machen Karriere, Olga sorgt für sie. Aber sie ist gezeichnet, vergießt ständig "helle, schwache Tränen und empfindet unaufhörliches, quälendes Mitgefühl für alles Lebendige und Nichtlebendige, das in ihr Blickfeld gerät ... Sie schämt sich ein wenig für ihren Zustand, kann aber nichts dagegen tun."

Ein weiteres Beispiel: Die Greisin Murr, einst Trumpfass der sowjetischen Hautevolee, nun verkrüppelt und vergessen, gibt sich den Ihren gegenüber als tyrannische Kommandeuse. Tochter Anna und die Enkel lassen sie lange Zeit ungestraft gewähren, insbesondere Anna, von der quälenden Tyrannei unheilbar geprägt, reagiert auf die Alte wie ein Kaninchen auf die Schlange. Ausführlich zeichnet Ulitzkaja das Martyrium einer Familie, die von Murr zerstört wurde, führt dann aber die Geschichte zum ebenso logischen wie verblüffenden Schluss: Enkelin Katja entdeckt eines Tages, wie es in Wahrheit um die Machtverhältnisse steht, und demonstriert diese Einsicht brutal. Sie "ging auf Murr zu, holte mit lockerer Hand aus und versetzte der alten, noch ungeschminkten Wange eine schallende Ohrfeige". Murr begehrt noch einmal auf: "Was? Was? Ihr werdet sowieso tun, was ich will." Doch von nun an wird nichts mehr so sein, wie es war. Wobei allerdings offen bleibt, ob das Künftige auch das Bessere ist oder nur etwas anderes.

Wer will, kann solche Vorgänge auch politisch deuten, gute Literatur lässt so etwas zu. Ulitzkaja beschreibt in einigen ihrer Geschichten arme alte Weiber, die in Verhältnissen vegetieren müssen, wie sie der Westen seit Generationen nicht mehr kennt. Nirgends untersucht sie, welche gesellschaftlichen Kräfte solche schauderhaften Lebensumstände verschuldet haben: Sie schildert sie nur. Ihr Ton bleibt sanft, auch anfechtbare Figuren werden nur beschrieben, nie verurteilt, die Autorin nimmt dem Leser kein Gramm Verantwortung ab. Er muss schon selbst entscheiden, ob er etwas für die Welt tun möchte, mit der Ulitzkaja ihn konfrontiert. Es ist eine Welt, die in Jahrtausenden von keinem politischen Programm, keinem philosophischen System geläutert werden konnte, in der nach wie vor Not erfahren, Freundschaft verraten, Krankheit erlitten, Sterben gefürchtet wird und in der Liebe oft nur im träumerischen Abbild möglich ist. Wie zum Beispiel bei den zwei Moskauer Bettlerinnen, die von sich glauben, "auserwähltes Volk" zu sein, weil sie niemals versäumen, Gott für jede Gabe zu danken. Wenn wir nach der Botschaft der zwölf Erzählungen fragen, so könnte die Antwort heißen, dass der Begriff Liebe viele verschiedene, auch absurde Deutungen zulässt. Man kann aber auch die Suche nach einer besonderen Botschaft aufgeben und sich stattdessen einfach dem interessanten Erzählen hingeben und der Freude, die es bereitet.

Ljudmila Ulitzkaja: "Olgas Haus". Erzählungen. Aus dem Russischen übersetzt von Ganna-Maria Braungardt. Verlag Volk und Welt, Berlin 1999. 289 S., geb., 36,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Nicht, dass die Themen der Autorin besonders spektakulär sind: Ulitzkaja schreibt vorwiegend Familiengeschichten, genauer gesagt Frauengeschichten, meint Dorothea Trottenberg. Ulitzkajas Augenmerk gelte Frauen, die in Traditionen und Familienkonstellationen verhaftet seien, aus denen es kaum ein Entrinnen gebe. Frauen, die aber "weder mit ihrem Schicksal hadern, noch in Larmoyanz verfallen", wie Trottenberg findet. Dass Ulitzkajas Erzählungen nicht ins Rührselige kippen, liegt in den Augen der Rezensentin an der gelungenen Mischung aus "liebevoll-genauer Beobachtung und nachsichtiger Ironie".

© Perlentaucher Medien GmbH