Marktplatzangebote
15 Angebote ab € 0,60 €
  • Gebundenes Buch

Wahrheit, wo Erinnern nicht möglich ist
Auf der Suche nach Inspiration für seinen neuen Roman stößt der junge Schriftsteller Benito in einer alten Zeitung auf die Notiz eines Mordes, in den offenbar sein Großvater Samu verwickelt war, den er nie kennengelernt hat. Und doch vernimmt Benito plötzlich Samus Stimme, die ihm eine große Generationensaga ins Herz diktiert: Es ist die bewegte Geschichte seiner Familie in der Kleinstadt Paitanás, am Rande der Atacamawüste im Norden Chiles, die vier dramatische Jahrzehnte umspannt.
Wehmütig und zärtlich blickt Samu auf die Vergangenheit zurück und
…mehr

Produktbeschreibung
Wahrheit, wo Erinnern nicht möglich ist

Auf der Suche nach Inspiration für seinen neuen Roman stößt der junge Schriftsteller Benito in einer alten Zeitung auf die Notiz eines Mordes, in den offenbar sein Großvater Samu verwickelt war, den er nie kennengelernt hat. Und doch vernimmt Benito plötzlich Samus Stimme, die ihm eine große Generationensaga ins Herz diktiert: Es ist die bewegte Geschichte seiner Familie in der Kleinstadt Paitanás, am Rande der Atacamawüste im Norden Chiles, die vier dramatische Jahrzehnte umspannt.

Wehmütig und zärtlich blickt Samu auf die Vergangenheit zurück und erweckt Gestalten wie den korrupten Dorfpfarrer, der mit dem Freudenmädchen Trinidad unter einer Decke steckt, oder die wilde Lorenzona, die durch die Wüste reitet, wieder zum Leben. Und er führt Benito zu dem Geheimnis seiner Herkunft, das eng mit den Grausamkeiten der chilenischen Geschichte zusammenhängt.
Autorenporträt
Petra Strien, promovierte Romanistin, lebt als Übersetzerin von Belletristik und Lyrik in Köln. Sie hat zahlreiche Romane, Erzählungen, Lyrik spanischer und lateinamerikanischer Autoren übersetzt (u.a. Laura Esquivel, Angeles Mastretta, Bioy Casares, Lugones, Rosario Castellanos, Enrique Vila-Matas, Juan Gelman, José Angel Valente).
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Dieser Roman von Rodrigo Díaz Cortez ist für Ralph Hammerthaler ein Beispiel für eine junge, starke Literatur aus Lateinamerika, die sich nicht nur um Drogen, Gewalt und Diktatur dreht. Auch die Marke "Magischer Realismus" füllt den Text nicht aus, versichert er. Für Hammerthaler besticht der Text durch eine unheilvolle Grundierung, Verdacht und Hypothese über das, was zu Beginn am Rand der chilenischen Atacama-Wüste Dunkles geschehen ist.

© Perlentaucher Medien GmbH

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.04.2014

Getrocknetes Blut, ewiges Lächeln
Chile zwischen Putsch und Start-up: Rodrigo Díaz Cortez und sein Roman „Der mieseste aller Krieger“
Ein Hotelzimmer: ein Glockenwecker, übers Bett verstreute Rosen, Blütenblätter da und dort – dieses Buch fängt mit einem Stillleben an. Dazu gehören auch ein Mann und eine Frau – weil sie tot sind, sehr still und unbewegt. Sie hingestreckt auf dem Bett, er, lächelnd im Sessel, mit einem Loch in der Stirn, der Blutfaden getrocknet. Was da passiert ist in der kleinen Stadt Paitanás, am Rand der chilenischen Atacamawüste, werden wir nie ganz erfahren. Ein paar Verdächtige, ein paar Hypothesen. Hat die schöne Engländerin, genannt die Inglesa, ihren Liebhaber und Komplizen Sofanor erschossen? Und hat sie sich dann aus Versehen selbst vergiftet, mit einem Schluck aus der Bierflasche, die Schierling enthielt? Kann sein, kann nicht sein – ein Stillleben darf man nicht mit Fragen behelligen.
Dieses Bild aber zeigt die Urszene des Romans von Rodrigo Díaz Cortez, „Der mieseste aller Krieger“. Es schimmert bei allem, was wir lesen, unheilvoll hindurch. Aber auch tröstend, weil so herrlich obszön. Noch dazu gerät Samu, der Erzähler, in Verdacht, die Morde begangen zu haben. Dabei war Sofanor sein bester Freund. Wäre Samu nicht so feige und ungeschickt gewesen, der mieseste Krieger eben, sie wären die tollsten Gangster geworden, welche die Wüste je gesehen hat. So aber hat Samu ein kleines Bordell eröffnet, für die Arbeiter aus den Salpeterwerken.
Samu lebt auch schon nicht mehr. Was ihn nicht daran hindert, dem Enkel Benito seine Geschichte einzuflüstern, damit er sie aufschreibt. „Die Erinnerung ist eine Wunde, die mit der Naht deiner Worte verschlossen wird, doch die Narbe wird, wie du weißt, nie verblassen.“ Wer Kategorien braucht, um Eindrücke abzuheften, greift routiniert zum „Magischen Realismus“.
  Aber das wäre, wie beim jüngst verstorbenen Gabriel García Márquez, zu einfach. Hört man dem toten Großvater zu, stellt man fest, dass er klar und nüchtern erzählt, den Menschen zugeneigt, auch in ihren Verfehlungen. „Der Tod“, sagt er, „ist die Luft, die zwischen den Schwingen des Geiers hindurchgleitet“. Das ist weniger magisch, als es sich anhört. Denn der Geier ist die konkreteste Gestalt des Todes, die einem Lateinamerikaner einfällt. Entsetzt sieht ein junger Soldat den Schatten eines Aasgeiers an seinem Pferd vorüberhuschen. Ganz zu Recht, denn hätte ihn der Schatten selbst gestreift, wären ihm zehn Jahre Unglück sicher gewesen.
Dem Flüstern des Großvaters auf der Spur, schweift Cortez von Jahrzehnt zu Jahrzehnt, vor und zurück. Erzählt wird die Geschichte eines verarmten, geknechteten Landstrichs, eine Gangstergeschichte, eine Familiengeschichte. Dem Enkel Benito dürfte der Kopf schwirren. Denn seine Großeltern haben einst ein kleines Mädchen aufgenommen, Tita, seine Mutter, die auf einem vor Anker liegenden Schiff zurückgelassene Tochter der schönen Inglesa. Es sieht also so aus, als hätte Benito zwei Großväter gehabt, einen bekannten, Samu, und einen unbekannten, Sofanor, der im Hotel sterben musste, Loch in der Stirn, getrocknetes Blut, ewiges Lächeln.
Der Chilene Rodrigo Díaz Cortez, Jahrgang 1977, der heute als Taxifahrer in Barcelona jobbt, steht, wie die Argentinier Hernán Ronsino und Lucía Puenzo oder Daniel Alarcón aus Peru für die starke junge Literatur aus Lateinamerika. Leider ist nur ein Bruchteil davon auf Deutsch zu haben, meist die Geschichten, die sich um Putsch, Diktatur und Traumata ranken, um Gewalt und Drogen. Gerade so, als verlangte der europäische Markt nach ihm lieb gewordenen Koordinaten.
Cortez erweckt die Benito-Generation nicht zum Leben. Der Enkel ist nur Adressat längst vergangener Konflikte. Dabei könnte er heute in der Hauptstadt Santiago leben und verwundert auf den Boom der Internetfirmen blicken. Oder er könnte gegen die von halblinks angezettelten neoliberalen Verwerfungen protestieren. Diese Haltung läge ihm zumindest im Blut.
  Je älter Tita, seine spätere Mutter, wird, desto aufmüpfiger wird sie auch, „diese Frau mit dem um den Kopf geschlungenen Tuch, den feinen Gesichtszügen und den klaren Vorstellungen“. Einmal, als Unruhen ausbrechen, setzt sie sich an die Spitze der Arbeiter. Später verliebt sie sich in Carmelo, einen Studentenführer. Nach dem Militärputsch fliegen sie auf, mit Propagandamaterial der revolutionären MIR in den Taschen. Diese Bewegung machte schon Salvador Allende das Leben schwer, weil sie ihn für zu kompromisslerisch hielt und mit Gewalt zum Sozialismus wollte. Im Gefängnis bringt Tita ihren Sohn zur Welt. Benito wird seine Eltern nie kennenlernen.
RALPH HAMMERTHALER
Rodrigo Díaz Cortez: Der mieseste aller Krieger, Roman. Aus dem Spanischen von Petra Strien. Aufbau Verlag, Berlin 2013. 288 Seiten, 19,99 Euro.
„Der Tod ist die Luft, die
zwischen den Schwingen des
Geiers hindurchgleitet.“
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung und nicht-private Nutzung exklusiv über www.sz-content.de
…mehr