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Ein Welterfolg in neuem Licht
Diese Geschichte hat Generationen bewegt: Im Frühjahr 1945 wird ein dreijähriger Junge in das KZ Buchenwald eingeschleust. Wenn die SS ihn findet, ist ihm der Tod ebenso gewiss wie seinen Beschützern. Gegen alle Vernunft verstecken zwei Häftlinge das Kind, obwohl sie damit die Vorbereitungen des illegalen Lagerkomitees für einen Aufstand gefährden. Das Überleben des Jungen wird zum Sinnbild für den Überlebenswillen der Häftlinge. Der Roman entstand frei nach Motiven einer wahren Begebenheit. Man rezipierte ihn jedoch als Tatsachenbericht, und die Geschichte der…mehr

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Produktbeschreibung
Ein Welterfolg in neuem Licht

Diese Geschichte hat Generationen bewegt: Im Frühjahr 1945 wird ein dreijähriger Junge in das KZ Buchenwald eingeschleust. Wenn die SS ihn findet, ist ihm der Tod ebenso gewiss wie seinen Beschützern. Gegen alle Vernunft verstecken zwei Häftlinge das Kind, obwohl sie damit die Vorbereitungen des illegalen Lagerkomitees für einen Aufstand gefährden. Das Überleben des Jungen wird zum Sinnbild für den Überlebenswillen der Häftlinge. Der Roman entstand frei nach Motiven einer wahren Begebenheit. Man rezipierte ihn jedoch als Tatsachenbericht, und die Geschichte der Rettung des Kindes wurde in der DDR zum Symbol des antifaschistischen Widerstandskampfes. Was bisher nicht bekannt war: Apitz hatte die Rolle der Kommunisten ursprünglich viel konfliktreicher angelegt.

"In 'Nackt unter Wölfen' triumphiert die einfache Menschlichkeit." Marcel Reich-Ranicki
Autorenporträt
Apitz, Bruno
Bruno Apitz, 1900 als zwölftes Kind einer Leipziger Proletarierfamilie geboren, lernte Stempelschneider, kam 1917 wegen Antikriegspropaganda ins Gefängnis, begann eine Buchhändlerlehre und war u. a. Schauspieler. Seit 1927 Mitglied der KPD, wurde er 1933 inhaftiert, war in mehreren KZ, einem Zuchthaus und ab 1937 bis zur Befreiung 1945 im KZ Buchenwald. Danach arbeitete er als Redakteur, Verwaltungsdirektor der Städtischen Bühnen Leipzig und Dramaturg bei der DEFA. Ab 1955 freier Autor in Berlin. Er starb 1979.Sein erster Roman "Nackt unter Wölfen" (1963 verfilmt von Frank Beyer, u. a. mit Erwin Geschonneck und Armin Mueller-Stahl) wurde zu einem Welterfolg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.03.2012

Du bist ein Mensch, beweise es
„Nackt unter Wölfen“ von Bruno Apitz war das wahrscheinlich meistverkaufte Buch der DDR – jetzt erscheint eine um gestrichene Passagen erweiterte Neuausgabe
Frühling auf dem Ettersberg, noch will das Wetter nicht freundlicher werden. Im Konzentrationslager Buchenwald kursiert das Gerücht, bei Remagen hätten die Amerikaner den Rhein überschritten. Im Osten wird um Küstrin und Stettin gekämpft. Die Tage der SS–Herrschaft sind gezählt, aber wann und wie sie endet, kann keiner wissen, als aus Auschwitz ein neuer Transport im Lager eintrifft und mit ihm der polnische Jude Zacharias Jankowski aus Warschau.
Er hat einen Koffer dabei, den er nicht aus den Augen lassen will. Ein Wunder, dass er es bis hierher geschafft hat, ohne Gepäck und Leben an die SS zu verlieren. Im Koffer liegt ein Kind, ein dreijähriger Junge. Ihn entdecken und Kind wie Koffer verstecken, ist für die Häftlinge Höfel und Pippig von der Effektenkammer eins. Dabei gefährdet jeder Versuch, den Kleinen zu retten, das Leben der Retter und vieler anderer. Menschlichkeit macht schwach, mindert die Überlebenschancen im Terrorsystem des Lagers.
Kommunisten verschiedener Nationen haben darin zu einem illegalen Lagerkomitee zusammengefunden und Waffen organisiert. Sie planen Widerstand, wenn die SS beginnen sollte, das Lager zu räumen. Die Organisation könnte mit auffliegen, wenn das Kind entdeckt wird. Wäre es nicht besser für alle, wäre es nicht im Sinne der Tausenden Häftlinge, das Kind rasch wieder loszuwerden? Das ist der Konflikt, der in „Nackt unter Wölfen“ verhandelt wird, dem Roman des Leipziger Autors Bruno Apitz, der acht Jahre in Buchenwald inhaftiert war. Mit diesem einen Buch gelang ihm ein Erfolg, mit dem niemand gerechnet hatte. Als „Nackt unter Wölfen“ 1958 im Mitteldeutschen Verlag Halle erschien, waren die zehntausend Exemplare der Erstausgabe sofort vergriffen.
Man kam mit dem Drucken nicht mehr nach: Die vierte Auflage war komplett vorbestellt, bevor die dritte überhaupt ausgeliefert werden konnte. Seit 1960 stand der Roman auf dem Deutsch-Lehrplan der Klassen neun und zehn; 1961 erschien er als Rowohlt Taschenbuch – als erster DDR-Roman, der in der Bundesrepublik veröffentlich wurde. Übersetzungen folgten, auch ein Hörspiel, ein Fernsehfilm und – 1963 – der DEFA-Film „Nackt unter Wölfen“. Die Auflage bis 1989 erreichte die für das kleine Land schwindelerregende Höhe von etwa zwei Millionen. Dies war der Klassiker des DDR-Antifaschismus.   
Im Roman wird das Kind durch Mut und Solidarität gerettet. Jede der Dutzenden Figuren muss sich angesichts des hilflosen Wesens bewährend, wird kenntlich in der Entscheidungssituation. Da sind die Genossen, die es auf den nächsten Transport geben wollen, um die Widerstandsgruppe nicht zu gefährden; da ist der Lagerälteste Walter Krämer, der sich nicht an die Anweisung hält; da sind Häftlinge, die der Folter standhalten. Pippig wird von der Gestapo totgeschlagen, ein anderer verrät das Versteck, aber der Junge ist schon fortgebracht worden. Ein eigens eingeschleuster Zinker verrät 46 Namen, es sind nicht die richtigen, aber das Lagerkomitee beschließt, die Todeskandidaten zu verstecken. Die Front nähert sich, Luftangriffe verzögern die Evakuierung, bis die Häftlinge – unter Führung der Kommunisten – sich selbst befreien. „Einer Nussschale gleich“ schaukelt am Ende das gerettete Kind „über den wogenden Köpfen“ der Menge: „Im Gestau quirlte es durch die Enge des Tores, und dann riss es der Strom auf seinen befreiten Wellen mit sich dahin, der nicht mehr zu halten war.“ – Ein antifaschistisches Happy End. „Trotz der Härte und Grausamkeit des Sujets ist die authentische und zugleich dichterisch überhöhte realistische Darstellung, die in der Selbstbefreiung der Häftlinge ihren Höhepunkt findet, erfüllt von sozialistischem Optimismus“, hieß es im DDR-Lexikon. Ein „Kitschroman“, „Inbegriff von KZ-Sentimentalität“, meinte Ruth Klüger.
Bruno Apitz hat immer darauf bestanden, dass es sich um einen Roman handele, aber nicht widersprochen, als 1964 Stefan Jerzy Zweig in die DDR kam und fortan als „Buchenwaldkind“ fungierte. Zweig, eines der etwa 900 Kinder, die Buchenwald überlebten, verdankte die Rettung vor allem seinem Vater. Der Junge im Roman ist Waise, die Widerstandskämpfer übernehmen gleichsam die Vaterrolle. Aber weder Zweig noch sein Vater widersprachen der Darstellung, schließlich hatten ihnen in der Tat Kommunisten geholfen.
Nach dem Ende der DDR wurde bekannt, dass damals anstelle Stefan Jerzy Zweigs ein sechzehnjähriger Roma auf den tödlichen Transport geschickt worden war. Der Historiker Volkhard Knigge, der die Gedenkstätte in Buchenwald neu einrichtete und die Legenden, die unter Missbrauch auch des Romans verbreitet worden waren, korrigierte, eine Tafel zur Erinnerung an diese eine Rettung abhängen ließ, wurde von Zweig verklagt. Der Fall landete dort, wo er nicht hingehört: vor Gericht (SZ vom 9. März).
Über das Geflecht aus „Wahrheit, Fiktion und Propaganda“ unterrichtet – trotz einiger Ungenauigkeiten – am besten einen Studie des englischen Historikers Bill Niven (Das Buchenwaldkind. Mitteldeutscher Verlag, Halle, 2009), aber Niven beschäftigt sich vor allem mit Geschichtspolitik und der Wirkung des Romans. Wie dieser entstand, lässt sich nun dank einer Neuausgabe im Aufbau Verlag nachvollziehen. Der Text wurde dazu erweitert um Passagen aus der ersten Teilfassung, die Anfang 1955 entstand, und abgeglichen mit der letzten überlieferten Lektoratsfassung. Ein kundiges Nachwort der Herausgeberin, Susanne Hantke, informiert über den Autor und die Schicksale seines Manuskripts. Im Anhang findet der Leser Berichte über den Lageralltag von „B. Apitz, Leipzig, Buchenwald-Häftling Nr. 2417“, verfasst für eine Broschüre der KPD: „Das war Buchenwald“, Leipzig 1946.
Damit kein Missverständnis aufkommt: „Nackt unter Wölfen“ wurde nicht Opfer von Zensur im klassischen Sinne. Die Korrekturen und inhaltlichen Änderungen erlauben es, die Konflikte der Entstehungszeit genauer zu begreifen. Mancher Befund wirkt auf den ersten Blick paradox. Das beginnt damit, dass zunächst kaum einer an dem kommenden Antifa-Klassiker interessiert war. Apitz hatte den Stoff der DEFA angeboten, die einen nur im KZ spielenden Film nicht drehen wollte. Also entwarf er einen Roman, aber der Deutsche Schriftstellerverband gewährte ihm dafür kein Stipendium. Zu stark waren die Zweifel am Sujet und an den literarischen Fähigkeiten des immerhin schon 55-jährigen Autors.
Glück hatte Apitz mit Fritz Bressau vom Mitteldeutschen Verlag, der ihm den jungen Lektor Martin Gustav Schmidt an die Seite stellte. Mit ihm arbeitete der unter dürftigen Bedingungen lebende Apitz eng zusammen. Ohne Schmidt wäre „Nackt unter Wölfen“ wohl kaum vollendet worden. Es war also, kann man pointieren, ein „Republikflüchtling“, der den DDR-Klassiker lektorierte. Denn Gustav Martin Schmidt ging, nachdem eine von ihm verantwortete Buchreihe vom ZK der SED verboten wurde und man ihm eigene Manuskripte ablehnte, kurz nach der Fertigstellung von „Nackt unter Wölfen“ in den Westen. Dort wurde er als Martin Gregor-Dellin ein geachteter und viel gelesener Autor. In der SZ hat er 1987 über seine Zusammenarbeit mit Apitz berichtet: „Apitz wußte, was er wußte, genau. . . . Der eigentlich schwierige Teil der Arbeit am Manuskript setzte jeweils ein, wenn mir nach einem Vierteljahr ein neuer Manuskriptstoß vorlag und es ans Sprachliche ging . . . Die Gefahr, daß hier der Lektor entweder versagte oder zu weit ging, dass Peinliches und Opernhaftes stehenblieb oder dass es zum Bruch mit dem Autor kam, lag immer nahe.“ Inhaltlich entscheidend wurde, dass Apitz an doppelter Front kämpfte: mitten im Kalten Krieg und inmitten innerkommunistischer Auseinandersetzungen. Apitz wollte Solidarität und Menschenliebe hochhalten in einer Zeit „des neu aufkommenden Faschismus im Westen“, so hatte er der DEFA gegenüber sein Vorhaben begründet.
Zugleich konnte ihm nicht entgangen sein, dass die Rolle der „Roten Kapos“, die in Buchenwald – zum Wohle vieler und um einen hohen Preis – die Kriminellen aus den wichtigen Stellen in der Lagerverwaltung verdrängt hatten, äußerst umstritten war. Der Streit hatte unmittelbar nach dem Krieg begonnen. Einschneidend für Apitz wurde, dass die SED die Buchenwald-Kommunisten immer mehr an den Rand drängte. Bereits 1946/47 ließ die Führung, die überwiegend aus moskautreuen Funktionären bestand, das Verhalten der kommunistischen Funktionshäftlinge ausgiebig untersuchen. War es richtig gewesen, Aufgaben im Terrorsystem zu übernehmen, Todeskandidaten auszuwechseln?
Der Untersuchungsbericht entlastete die Befragten, 1950 aber wurden etwa Ernst Busse, Kapo des Häftlingskrankenbaus, und Erich Reschke, Kapo im Baukommando und Lagerältester, verhaftet und später in der Sowjetunion wegen „Kriegsverbrechen“ verurteilt. Busse starb im Gulag, Reschke kehrte als gebrochener Mann zurück. 1953 verlor der Kopf der illegalen KPD-Leitung im KZ, Walter Bartel, seine Funktionen. Die Partei demütigte die Genossen, die als ihre Mitglieder im Lager gesessen hatten.
Apitz’ Roman ist nicht zuletzt der Versuch, dem ein heroisches Bild der Buchenwald-Kommunisten entgegenzusetzen. Dabei hatte er die moralischen Konflikte der Häftlinge anfangs schärfer gezeichnet. Er erzählte, wie der Lagerschutz Erschöpfte, Kranke zum SS-Mann „Papa Berthold“ bringen muss, der 32 Ausgesonderte mit Giftspritzen ermordet. „Die Lagerschutzler“, hieß es, „mussten folgen. Sie wagten es nicht, sich anzusehen, denn sie wussten, wozu sie jetzt missbraucht worden.“ Nichts davon steht in der Buchausgabe. Getilgt hat Apitz auch – nach Einspruch seiner Genossen – den Bestimmungsort des Transports, mit dem das Kind fortgeschafft werden sollte. Ursprünglich stand da „Bergen-Belsen“, das hätte, der Wahrheit gemäß, den sicheren Tod bedeutet. Das schien 1958 zu kaltherzig: es wurde daraus ein Transport ins Ungewisse. Andeutungen, die SS habe das Lager bereits vor dem Signal zum Aufstand verlassen, hätten die große Erzählung von der Selbstbefreiung gestört und wurden daher geändert.
Spuren all der Konflikte kann man dennoch auch in der 1958 gedruckten Fassung finden. Der Roman dürfte nicht zuletzt deswegen so populär geworden sein, weil in ihm einzelne, ihrem Impuls folgen und gegen Beschluss und Anweisung das Kind retten. Sie, allen voran Pippig, wirken tausendmal lebendiger, plastischer als die Figur des Bochow, die dazu dient, die Rolle der Partei ins rechte Licht zu setzen. Im Gespräch unter Genossen überwindet Bochow seine Abneigung gegen „gefühlsbetonte Erwägungen“, spürt ein „tiefes Gefühl“ und denkt: „Du bist ein Mensch, beweise es . . .“. Apitz neigt zu Pathos und melodramatischen Effekten, interessant ist er dort, wo er den Figuren etwas von seinen eigene Erlebnissen mitgeben kann. Überlebt hatte er, weil er in der Künstlerwerkstatt Auftragsarbeiten für die SS erledigte, in der Pathologie plastische Modelle anfertigte und sich Anfang April 1945 in einem Kanalschacht versteckte.
Man hat sich angewöhnt, den DDR-Antifaschismus einen „verordneten“ zu nennen, aber das trifft das Wesentliche nicht. Er war ein heroisierender Antifaschismus, wo es nichts zu heroisieren gab, der Konflikte, Grauzonen überdeckte. Schwäche wurde verachtet. Bereits 1946 schrieb Apitz über die Insassen des „Kleinen Lagers“, das in fensterlosen Pferdeställen eingerichtete Durchgangslager, sie hätten, durch Hunger und Terror „entmenscht“, am 11. April die Größe der Befreiung nicht begriffen.
Die Verbindung von humaner Botschaft und moralischem Opfer-Ranking ist die schwerste Hypothek für „Nackt unter Wölfen“, so wirksam die im Roman erzählte Geschichte – starke Deutsche retten das hilflose jüdische Kind – auch ist.
JENS BISKY
BRUNO APITZ: Nackt unter Wölfen. Erweiterte Neuausgabe. Herausgegeben von Susanne Hantke und Angela Drescher. Mit einem Nachwort von Susanne Hantke. Aufbau Verlag, Berlin 2012. 586 Seiten, 22,99 Euro.
Als der Roman 1958 erschien,
waren die zehntausend Exemplare
der Erstausgabe sofort vergriffen
Ein Republikflüchtling
hat den Klassiker des
DDR-Antifaschismus lektoriert
Die Partei demütigte diejenigen,
die als ihre Mitglieder
im Lager gesessen hatten
Bruno Apitz (1900-1979) schrieb mit „Nackt unter Wölfen“ einen weltweit erfolgreichen Roman über das Konzentrationslager Buchenwald, in dem er selber acht Jahre lang inhaftiert war. Nach dem Roman drehte Frank Beyer 1963 einen DEFA-Film. Links ist Erwin Geschonneck zu sehen, der Sachsenhausen, Dachau und Neuengamme überlebt hatte. Er spielt den Lagerältesten Walter Krämer.
Foto: Interfoto, Peter Probst (oben)
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In einer kenntnisreichen Besprechung begrüßt Rezensent Jens Bisky die erweiterte Neuausgabe von Bruno Apitz' erfolgreichem DDR-Roman "Nackt unter Wölfen". Der 1958 erschienene Text, der von der gefahrvollen Rettung eines kleinen Jungen im Konzentrationslager Buchenwald durch die Häftlinge und von deren späterer Befreiung unter Führung der Kommunisten erzählt, wurde nun um Passagen aus der ersten Teilfassung erweitert, so dass seine komplexe und konfliktreiche Entstehungsgeschichte nachvollzogen werden kann. Der Kritiker erfährt etwa, dass die Vollendung des Romans zu bedeutenden Teilen dem Lektor Martin Gustav Schmidt - der später als Martin Gregor-Dellin im Westen zu einem viel gelesenen Autor wurde - zu verdanken ist. Lobend äußert sich Bisky auch über das Nachwort von Susanne Hantke, das nicht nur über Bruno Apitz' Alltag als Häftling in Buchenwald informiert, sondern auch seine Schwierigkeiten beleuchtet, in seinem Roman ein "heroisches" Bild der Buchenwald-Kommunisten zu entwerfen, während die SED die Rolle der kommunistischen Kapos hinterfragte und diese im politischen Alltag der DDR zur Seite drängte.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 24.04.2014

Unsere Opfer, unsere Täter

In dem Roman "Nackt unter Wölfen" hat Bruno Apitz das KZ Buchenwald beschrieben. Das Buch war Pflichtlektüre in der DDR. Nun wagen sich MDR und Ufa an eine Verfilmung. Eine heikle Geschichte.

VOJNA, im April

Der riesige, abschüssige Appellplatz liegt im kalten Frühjahrsmorgen, unten braune Holzbaracken, aus denen Rauchfähnchen wehen, dahinter Stacheldrahtzaun und dann Wald. Eine Stimme schneidet durch die Stille: "Mützen - ab!" Ein Mann im ledernen SS-Mantel kommandiert in ein Standmikrofon. Ihm gegenüber steht, aufgereiht in zwei Quadraten, eine graublaue Masse aus Häftlingen, die gehorcht. "Mützen - auf!" Es geschieht. Dann hebt die Lagerkapelle zu spielen an. Kurz darauf erschallt noch ein Befehl: "Cut!"

Es rühren sich 354 Komparsen - diese Zahl zumindest steht auf dem Produktionsblatt der Ufa Fiction für diesen Drehtag. Die Kapelle legt die Instrumente hin, die sie zuvor zum Playback bewegt hat. Die Kameraleute verlegen ihren Standort mitten hinein in die Häftlingsreihen. Männer mit Schläuchen wässern den Kies. Nach kurzer Zeit ruft der Regieassistent Andi Lang in sein Headset-Mikrofon: "And we go again. Jalla Jalla!"

Die gespenstische Appellszene aus dem Konzentrationslager Buchenwald steht am Anfang des Romans "Nackt unter Wölfen" von Bruno Apitz, der 1958 erschien. Mancher kennt sie vielleicht auch schon bildlich aus Frank Beyers Defa-Verfilmung von 1962. Nun wird der Stoff noch einmal neu verfilmt von der Ufa und dem MDR. Aber das, was wie Buchenwald aussieht, ist die Gedenkstätte Vojna in der Tschechischen Republik, eine Stunde südlich von Prag gelegen. Auf dem Gelände dieses kommunistischen Arbeitslagers hat die Produktionsfirma das deutsche KZ nachgestellt, Baracken und auch das sogenannte "Kleine Lager" aufgebaut, in dem die Häftlinge zu Tausenden in Pferdeställen eingepfercht waren.

Es ist seltsam, in dieser Kulisse zu stehen und den Häftlingskomparsen aus nächster Nähe ins Gesicht zu sehen, die wenige Meter entfernt in Lumpen in der Kälte stehen. 354 Komparsen: Das ist noch wenig angesichts der wohl viertausend NVA-Soldaten, die Frank Beyer für seinen Film als Häftlingsdarsteller zur Verfügung hatte. Aber auch diese Zahl ist noch weit entfernt von der Wirklichkeit Buchenwalds 1945, die dann in einem anderen Teil der hier gedrehten Szene in knapper Militärsprache zum Ausdruck kommt. Der lagerälteste Häftling tritt vor zum Rapportführer der SS und meldet: "Herr Untersturmführer, Lager mit 47 571 Häftlingen vollzählig angetreten. Kommandiert 342. Krankenstand 3293. Abgänge 109." Das war die Situation im März 1945. Geschätzte 250 000 Menschen waren zwischen 1937 und 1945 in Buchenwald insgesamt interniert, mehr als 56 000 wurden ermordet, starben an Krankheit und Entkräftung oder auf den Evakuierungsmärschen.

Gegen das Schicksal dieser Masse setzte Bruno Apitz das Schicksal eines einzelnen Kindes. "Nackt unter Wölfen" erzählt, wie der dreijährige polnische Jude Stefan, dessen Eltern in Auschwitz getötet wurden, in einem Koffer ins Lager Buchenwald geschmuggelt wird und die Häftlinge in einen Gewissenskonflikt stürzt: Sollen sie das Kind verstecken und sich selbst dadurch gefährden, noch kurz vor dem Eintreffen der vorrückenden amerikanischen Armee?

Aus dem Konflikt, der mit der Rettung des Kindes und der Befreiung Buchenwalds endet, machte Apitz eine Hymne auf die Solidarität, die den "Sieg des Menschen über die Barbarei" darstelle, wie er selbst einmal sagte. Apitz war acht Jahre lang Häftling in Buchenwald.

Der Roman, der Millionenauflagen erreichte und in dreißig Sprachen übersetzt wurde, wie auch der Film waren Selbstverständigungswerke der DDR mit identitätsstiftendem Charakter. Aber es sind heute mehr denn je auch umstrittene Werke, zum einen wegen der Darstellung der Funktionshäftlinge, die inzwischen durch historische Forschung in anderem Licht erscheint - insbesondere durch Lutz Niethammers Studie "Der gesäuberte Antifaschismus" (1994) über die Rolle der "roten Kapos von Buchenwald". Zum anderen ist "Nackt unter Wölfen" umstritten, weil die Geschichte des polnischen Juden Stefan Jerzy Zweig, die ihm zugrunde liegt, sich etwas anders zugetragen hat als die der Figur in Apitz' Roman - dies hat der britische Historiker Bill Niven in seinem Buch "Das Buchenwaldkind. Wahrheit, Fiktion und Propaganda" (2009) detailliert dargelegt. Es zeigt, wie Zweigs Geschichte für die kollektive Erinnerung in der DDR instrumentalisiert, nach der Wiedervereinigung jedoch abgelöst wurde von einem neuen Erinnerungskollektiv, das heute "nur allzu willig ist, den ostdeutschen Antifaschismus zu diskreditieren". Dabei spielt besonders die Frage eine Rolle, ob für Zweigs Rettung ein "Opfertausch" stattfand, da an seiner Stelle ein Sinto-Junge von Buchenwald nach Auschwitz geschickt wurde.

Warum also sich noch einmal an diesen heiklen Stoff wagen? Stefan Kolditz, der Drehbuchautor, sitzt in einer Baracke neben dem Appellplatz und spricht über seine Adaption. Er betont zunächst, dass er Bruno Apitz und seinem Werk mit großem Respekt begegne. Er lobt an dem Buch einen "Verismus" der Darstellung damals vieler unbekannter Vorgänge, etwa der Schilderung der Leichenentkleidungen, die Häftlinge vornehmen mussten.

Andererseits müsse man heute der Vielschichtigkeit des Geschehens im Lager gerecht werden, zu dem auch ganz andere Quellen zur Verfügung stehen. Kolditz nennt etwa Jorge Semprúns "Was für ein schöner Sonntag!" oder den "Buchenwald-Report". Dessen Herausgeber David A. Hackett hat man als Berater für den Film hinzugezogen, ebenso wie die Herausgeberin der kommentierten Neuausgabe von "Nackt unter Wölfen", Susanne Hantke, und zwei noch lebende ehemalige Buchenwald-Häftlinge.

Bei aller grundsätzlichen Wertschätzung des humanen Kerns des Romans, sagt Kolditz, könne man insbesondere zwei Aspekte nicht unkorrigiert stehenlassen. Zum einen habe Apitz stark aus der Perspektive kommunistischer Funktionshäftlinge erzählt. Während der Roman ihre Geschichte zu einer Heldengeschichte mache, komme das große Elend und sinnlose Sterben, besonders das im "Kleinen Lager" von Buchenwald, darin kaum vor. Zum anderen endet der Roman mit einer Apotheose der Selbstbefreiung der Häftlinge, die so nicht der Wirklichkeit entspreche. Es habe zwar Aktionen bewaffneter Häftlinge gegeben, aber die hätten erst stattfinden können, als die amerikanische Armee im Anmarsch und die SS in weiten Teilen geflüchtet gewesen sei. Diese Aspekte werde der Film also anders darstellen. Darum sei es auch keine Verfilmung im engeren Sinn, sondern eine "nach Motiven von" Bruno Apitz.

Wenn man heute kritisch über die Mythisierung Buchenwalds in der DDR rede, sagt Kolditz, der selbst in der DDR aufgewachsen ist, dann müsse man auch erwähnen, wie in der Bundesrepublik mit den in Buchenwald verantwortlichen SS-Männern umgegangen worden sei: Viele seien gar nicht, manche erst viel zu spät angeklagt oder nach kurzer Zeit begnadigt worden. Der neue Film, so Kolditz, solle auch eine Brücke zur unterschiedlichen Auseinandersetzung mit dem Nationalsozialismus in beiden deutschen Staaten in den fünfziger und sechziger Jahren bauen. Die Frage nach dem Preis der Menschlichkeit sei hochaktuell.

Er rechnet damit, dass es Kontroversen gibt. Nach der Erfahrung mit dem vieldiskutierten Dreiteiler "Unsere Mütter, unsere Väter", zu dem er auch das Drehbuch schrieb, ist er darauf vorbereitet. Mit dem Regisseur Philipp Kadelbach sowie den Produzenten Nico Hofmann und Benjamin Benedict ist bei "Nackt unter Wölfen" dasselbe Team verantwortlich wie bei "Unsere Mütter, unsere Väter".

Auf die Rezeption des Films ist Kolditz gespannt - gerade auch, weil in Westdeutschland "Nackt unter Wölfen" vielleicht nicht so stark in Erinnerung sei, während in Ostdeutschland sehr viele etwas damit verbänden. "Du hast sofort sehr emotionale Reaktionen", sagt er, "Roman und Film haben Spuren hinterlassen, die Leute kennen sofort Figuren daraus."

Eine dieser Figuren ist der Lagerälteste Krämer, bei Beyer gespielt von Erwin Geschonneck. Im neuen Film übernimmt diese Rolle Sylvester Groth. Er wärmt sich gerade nach langem Drehen in der Kälte in einem Wohnwagen abseits des Filmsets auf. Krämer sieht er "zwischen Baum und Borke, also zwischen der SS und den Häftlingen" - jemand, der versuche, "sauber zu bleiben" und daran scheitere, weil er über Leben und Tod anderer zu entscheiden habe. Mit seiner Rolle schließe sich für ihn ein Kreis, sagt Groth. Er hat 1983 seinen ersten Kinofilm "Aufenthalt" mit Frank Beyer gedreht.

Ob es einem Spielfilm besser gelingen kann, darzustellen, was in Buchenwald geschah, als Dokumentationen oder Textzeugnissen? Der MDR sieht in der Fiktion die Möglichkeit, "die historischen Ereignisse für die nachfolgenden Generationen nachvollziehbar zu machen". Auch, ob für den Film Aufnahmen an den Originalschauplätzen gemacht werden dürfe, wurde lange abgewägt. Schließlich hat die Stiftung der Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau-Dora eine zeitlich und örtlich begrenzte Drehgenehmigung erteilt, die sich allerdings mit der Auflage verbindet, den "Friedhofscharakter des Ortes" zu respektieren.

In Vojna endet der Drehtag mit einem Gang über das Set mit dem Herstellungsleiter Tim Greve. Wir passieren das Eingangstor aus Buchenwald mit seinem Schriftzug "Jedem das Seine" und den riesigen Suchscheinwerfern auf dem Dach, das hier komplett nachgebildet wurde. "In ein paar Wochen wird das alles wieder abgerissen", sagt Greve. Für den Moment wirkt es erschreckend echt.

JAN WIELE

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