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Die urkomische Geschichte "Der dritte Nagel", unlängst auch mit großem Erfolg in Frankreich erschienen, erzählt von einem Mann, der vom besten Brötchenbäcker der Stadt versorgt werden will. Gerade vertrackte Alltagssituationen verführen Kant zu nichtalltäglicher Spottlust und Sprachartistik. Da ist die alte Halsabschneiderin Frau Persokeit, die die Leute allein dadurch das Fürchten lehrt, dass sie sie grüßen lässt. Oder Herr Farßmann, ein Buchhalter wie du und ich. Ironie, Satire und tiefere Bedeutung - in Kants Erzählungen gehen sie besonders erstaunliche, stets vergnügliche und verblüffende…mehr

Produktbeschreibung
Die urkomische Geschichte "Der dritte Nagel", unlängst auch mit großem Erfolg in Frankreich erschienen, erzählt von einem Mann, der vom besten Brötchenbäcker der Stadt versorgt werden will. Gerade vertrackte Alltagssituationen verführen Kant zu nichtalltäglicher Spottlust und Sprachartistik. Da ist die alte Halsabschneiderin Frau Persokeit, die die Leute allein dadurch das Fürchten lehrt, dass sie sie grüßen lässt. Oder Herr Farßmann, ein Buchhalter wie du und ich. Ironie, Satire und tiefere Bedeutung - in Kants Erzählungen gehen sie besonders erstaunliche, stets vergnügliche und verblüffende Allianzen ein. Was Wunder, dass ihm die Geschichten nicht ausgehen und hier nicht nur neu zu entdeckende, sondern auch neue veröffentlicht werden.
Autorenporträt
Kant, HermannHermann Kant wurde 1926 in Hamburg geboren. Er machte eine Lehre zum Elektriker. Im Zweiten Weltkrieg war er Soldat, befand sich von 1945-1949 in polnischer Kriegsgefangenschaft. Der Mitbegründer des Antifa-Komitees war im Arbeitslager Warschau und Lehrer an der Antifa-Zentralschule. Ab 1949 besuchte er die Arbeiter- und Bauern-Fakultät Greifswald und studierte von 1952 bis 1956 Germanistik in Berlin. Danach arbeitete er als wissenschaftlicher Assistent und Redakteur. Als freier Schriftsteller lebte er seit 1962 in Berlin und war von 1978 bis 1989 Präsident des Schriftstellerverbandes der DDR. Er starb 2016 in Neustrelitz.Wichtigste Werke: "Die Aula" (1965), "Das Impressum" (1972), "Der Aufenthalt" (1977), die Erzählungsbände "Ein bißchen Südsee" (1962), "Eine Übertretung" (1975), "Der dritte Nagel" (1981), "Bronzezeit" (1986), "Lebenslauf, zweiter Absatz" (2011). Zuletzt erschien: "Therapie. Erzählungen und Essays" (2021).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.08.2011

Aus Angst, ein Prinz zu werden, hatte ich mich zurück in einen Frosch geküsst

Von Honeckers Gnaden: Hermann Kants Erzählungen, die schon in der DDR erschienen, sind so freche und komische Satiren, dass man sich fragt, wie er damit durchkam.

Erstaunt blickt der Bücherfreund auf den Band Erzählungen aus dem Aufbau Verlag, genauer gesagt, auf den Autorennamen: Von Hermann Kant stammen die elf hier versammelten Geschichten. Lange haben wir von ihm nichts wahrgenommen. Aber richtig, er hat in diesem Jahr, am 14. Juni, seinen 85. Geburtstag gefeiert, und vielleicht war das der Anlass, neue Arbeiten auf den Markt zu bringen. Was also hat er uns heute zu sagen?

Wenige Blicke in das Druckwerk genügen, um das Wort "heute" zu streichen. Acht Erzählungen wurden schon in der DDR veröffentlicht, jenem deutschen Staat, in dessen Funktionärselite Hermann Kant einen beachtlichen Platz einnahm. Auch die neunte entstand damals, 1959, erschien aber, warum auch immer, erst 2008. Die zehnte wiederum erschien 2005 in der Zeitschrift "Konkret". Wann sie geschrieben wurde, erfahren wir nicht. Ebenso wenig wird das Geburtsdatum der elften Erzählung genannt, der Verlag gibt nur den Hinweis, dass sie bisher unveröffentlicht blieb. So ist sie also die einzige vom Erzählband vermittelte Arbeit, die noch keiner kennt. Das macht neugierig darauf, ob wir vielleicht eine neue Botschaft aus Kants Werkstatt erwarten dürfen, und wenn ja, was für eine.

Aber schauen wir zunächst in das Angebot aus früheren Zeiten. Ihm neu zu begegnen macht durchaus Spaß. Es war nie ein Geheimnis, dass der Schriftsteller Kant über Intelligenz und Schläue verfügte und davon oft Gebrauch machte, für den vielen seiner Kollegen der Mut fehlte. So zum Beispiel in der Erzählung "Der dritte Nagel". Die Nägel stecken in der Hofwand eines Bäckers, der supergute Schrippen backen kann, diese aber nur an Kunden abgibt, die wiederum ihm liefern, was er begehrt. Wer das tut, findet an einem der Nägel einen Beutel mit Musterbrötchen, die übrige Kundschaft muss sich mit geschmacklosem Backwerk abfinden.

Ein Buchhalter namens Farßmann, der uns das alles berichtet, möchte auch Nagel-Schrippen. Der Bäcker, der Buchhalter und Buchhändler nicht unterscheiden kann, will dafür das chinesische Erotikbuch "Kin Ping Meh" haben, von dem es nur wenige Exemplare gibt. Des Buchhalters Vetter besitzt eins, könnte also helfen, doch auch er besteht auf Gegenleistung, verlangt eine der seltenen Eintrittskarten für den "Tierparkball". Und so weiter und so fort. Das Ganze ist ein wunderbar freches Porträt der Mangelwirtschaft, so unverschämt komisch, dass man sich fragt, wie ein DDR-Schriftsteller ohne existenzschädigenden Ärger damit durchkommen konnte.

Oder nehmen wir die Erzählung "Bronzezeit", von Kant seinem Kollegen Stephan Hermlin gewidmet. Auch hier begegnen wir dem Buchhalter Farßmann, diesmal eine wichtige Figur im "Volkseigenen Betrieb Orden und Ehrenzeichen", kurz ausgedrückt "VEB Ordunez". Die Firma dient dem staatlichen Sektor "Ruhm und Ehre" und fertigt vor allem "Ode-an-die-Freude-Orden" und "Freunde-an-der-Oder-Medaillen". Die jedoch sind nur auf dem Binnenmarkt gefragt, und der Betriebsleiter möchte unbedingt auch Orden für Länder mit harter Währung produzieren. Dazu soll eine Bronzestatue des "Großen Reiters" verhelfen, die einst auf dem "Platz der guten Taten" prangte, in der antipreußischen Propagandaphase dann abgeräumt und auf dem Firmengelände verbuddelt wurde. Jetzt, in einer Zeit der "Neuen Unbefangenheit", könnte der Bronzevorrat helfen, die Deviseneinnahmen zu steigern. Farßmann aber warnt vor der Neubewertung des Preußentums. Bald darauf wird der Preußenreiter wieder aufgestellt und Farßmann als Ehrengast zur "Wiederbemannung des Sockels am Platz der guten Taten" geladen. Will man ihn etwa zum Funktionär befördern? Er entzieht sich der unerwünschten Ehre, indem er die Begrüßungsriten zwischen kommunistischen Parteichefs übertreibend imitiert: Er küsst den "Höchsten Vertreter des Höchsten Bereichs" auf die linke Wange, auf die rechte Wange und schließlich auf den Mund. Das Ergebnis: "Ich hatte mich aus der Gefahr, ein Prinz zu werden, zurück auf meinen Platz als Frosch geküsst."

Andere DDR-Schriftsteller sind für weniger freche Äußerungen gemaßregelt, verhaftet, aus dem Land gejagt worden. Warum blieb Kant verschont? Nicht zuletzt wohl, weil er ein zuverlässiger Genosse war, der zwar intern krittelte, nach außen aber fest zu Staat und Regime stand. Von 1969 bis 1978 sorgte er als einer der fünf Vizepräsidenten, danach bis 1990 als Präsident des DDR-Schriftstellerverbandes für Zucht und Ordnung beim Autorenvolk. Von 1974 bis 1979 war er Mitglied der SED-Bezirksleitung Berlin, von 1986 bis 1989 Mitglied des SED-Zentralkomitees, von 1981 bis 1990 Abgeordneter der DDR-Volkskammer. Auch die Staatssicherheit hatte ihn, wie Akten aus zwei Jahrzehnten belegen, als zuverlässigen DDR-Bürger gekannt. Kein Wunder, dass Mielkes MfS zwar über den flinkmäuligen Kritiker empörte Protokolle verfasste - zum Beispiel, als er 1984 in einer Farßmann-Geschichte Bürokraten und Kontrolleure aufs Korn nahm -, aber keinen Krieg gegen ihn führte.

Die frechen Erzählungen einerseits und des Erzählers Vita andererseits, wie stimmen sie zusammen? Es gibt nicht übermäßig viele Schriftsteller, die so sprachsicher daherzuplaudern vermögen wie er. Kant hätte auch ohne den Dienst an Ulbricht und Honecker erfolgreich Bücher schreiben können. Würde er, wenn er das Rad der Jahrzehnte zurückdrehen könnte, sich beim zweiten Daseinsversuch anders orientieren? Wohl nicht, das donnert uns die letzte der elf Geschichten ins Hirn. "Patchwork" heißt sie und führt einen gealterten, gichtkranken Autor vor, der zu einer Lesung seiner Werke unterwegs ist. Wie immer nimmt Kant seine Figur auf die Schippe, ebenso deren Umfeld. Wir befinden uns in Mecklenburg, das aber erkennbar nicht mehr Teil der DDR, sondern Gesamtdeutschlands nach der Wende ist. Was sagt der Autor Kant dazu? Er mault ein bisschen herum, einfallsreich wie stets, aber am Ende schlägt er dann zu. Da heißt es: "Manierlich lud ich ihn zum nahen zwanzigsten der Dritter-Oktober-Feste ein. Welchen Grund ich sähe, das dröhnende Datum zu feiern? Immerhin, gesetzt, wir gingen von vierzig Jahren Verweildauer aus, wäre die Hälfte dann um."

Wenn der Autor den Tag der Deutschen Einheit zum zwanzigsten Mal feiern lässt, so spielt seine Erzählung wahrscheinlich 2010. Und nicht bloß wahrscheinlich, sondern ganz gewiss verhängt er über das vereinte Deutschland eine nur kurze Lebenszeit, nicht länger als bis 2030. Eine "Verweildauer" also, die sich an jener der DDR orientiert. Welche Art politischer und gesellschaftlicher Zukunft aber stellt Kant für die Zeit danach in Aussicht? Gar keine, bis jetzt jedenfalls. Dabei wird er wohl bleiben, denn er ist klug genug, um zu wissen, dass Bücher eines DDR-Wiedergängers wenig Aussicht auf Veröffentlichung hätten.

SABINE BRANDT

Hermann Kant: "Lebenslauf. Zweiter Absatz".

Erzählungen.

Aufbau Verlag, Berlin 2011. 255 S., geb., 18,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Einen DDR-Wiedergänger, der klug genug ist zu schweigen, erkennt Sabine Brandt in dem Autor, der einst hohe Ämter im Arbeiter- und Bauernstaat innehatte und dennoch oder gerade drum frech das eigene Nest beschmutzen durfte, ohne weiter dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden. Die vorliegenden elf Geschichten Hermann Kants versucht Brandt zunächst auf irgendeine Aktualität, auf eine neue Botschaft hin abzuklopfen, schließlich war vom Autor lange nichts zu lesen gewesen. Brandt stellt fest: Nahezu alle Erzählungen wurden bereits veröffentlicht, die meisten schon zu DDR-Zeiten. Den alten Sachen "neu zu begegnen" macht der Rezensentin allerdings so viel Spaß, dass sie dem Autor nur gratulieren möchte: Zu ebenso sprachsicheren wie komischen, ja kritischen Geschichten und zu seinem 85. Geburtstag.

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