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Wie können die Gewerkschaften in Deutschland zum Motor für Reformen werden? Politiker und Wirtschaftsexperten schlagen Alarm: Gewerkschaften blockieren die notwendige Modernisierung des Sozialstaats und gehören entmachtet. Haben die schrillen Warner recht? Die Autoren sagen, warum Deutschland Gewerkschaften braucht - als Reformer, die sich selbst erst einmal reformieren. Die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hat sich früh Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf auf die Fahnen geschrieben. Als erste Gewerkschaft kam sie den Arbeitgebern in der Tarifpolitik entgegen und nahm mit betrieblichen…mehr

Produktbeschreibung
Wie können die Gewerkschaften in Deutschland zum Motor für Reformen werden? Politiker und Wirtschaftsexperten schlagen Alarm: Gewerkschaften blockieren die notwendige Modernisierung des Sozialstaats und gehören entmachtet. Haben die schrillen Warner recht? Die Autoren sagen, warum Deutschland Gewerkschaften braucht - als Reformer, die sich selbst erst einmal reformieren. Die IG Bergbau, Chemie, Energie (IG BCE) hat sich früh Sozialpartnerschaft statt Klassenkampf auf die Fahnen geschrieben. Als erste Gewerkschaft kam sie den Arbeitgebern in der Tarifpolitik entgegen und nahm mit betrieblichen Bündnissen den Kampf um Arbeitsplätze auf. Diese Strategie ist nach wie vor im Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) umstritten. Gabriele Stief und Hartmut Contenius beschreiben den Weg der IG BCE und die Krise, in der sich heute alle Gewerkschaften durch dramatische Mitgliederverluste befinden. Stationen der Suche nach einem neuen Selbstverständnis sind das gescheiterte Bündnis für Arbeit, der gewerkschaftsinterne Streit um die Agenda 2010 und die jüngste Debatte um die Mitbestimmung. Die Autoren empfehlen eine neue Kultur der Mitverantwortung, die Kompromisse nicht als Niederlagen, sondern als Stärke begreift. Sie ist Garant für das Überleben der Gewerkschaften. Die Gewerkschaften als Reformmotor? Im Schlußkapitel streiten der IG BCE-Vorsitzende Hubertus Schmoldt und der Soziologe und Gewerkschaftsexperte Oskar Negt über diese Frage.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.09.2005

Gegen den Abschied von der Mitverantwortung
Die Erfolgsgeschichte der IG BCE als Tischvorlage für die gewerkschaftliche Reformdebatte

Gabriele Stief/Hartmut Contenius: Nur wer mitgestaltet, überlebt. Gewerkschaft als Motor. Aufbau-Verlag, Berlin 2005, 202 Seiten, 14,90 Euro.

Haben die Gewerkschaften noch eine Zukunft? Die Frage, die Gabriele Stief und Hartmut Contenius in ihrem Vorwort stellen, hat natürlich nur rhetorischen Charakter. Doch die Antwort ist kein bedingungsloses Ja, wie es einem oft mit trotzig-verzweifeltem Unterton aus den Apparaten entgegenschallt. Der Befund der Autoren ist niederschmetternd: Die jüngste Geschichte der Gewerkschaften sei "eine Geschichte der Verweigerung und des Abschieds aus politischer Mitverantwortung". Ihr Credo: Ihren Abstieg in die Bedeutungslosigkeit können die Gewerkschaften nur verhindern, wenn sie sich reformieren und in der Wirklichkeit ankommen.

Wie das geht, führen die beiden Politikredakteure der "Hannoverschen Allgemeinen Zeitung" exemplarisch an der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) vor: mit einem - wenn auch nicht ganz freiwilligen - Bekenntnis zur Sozialpartnerschaft, deren Wegbereiter der verlorene Jahrhundertstreik von 1971 war, die Niederlage der Linken auf dem Mannheimer Gewerkschaftstag 1980 und das darauf folgende "Ausfegen" der innergewerkschaftlichen Opposition; mit einer realistischen, illusionslosen Bestandsaufnahme der veränderten wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Rahmenbedingungen; mit einer pragmatischen und vorausschauenden Tarifpolitik, die den Tabubruch nicht scheut; mit der unbedingten Bereitschaft zum konstruktiven Dialog und zum politischen Kompromiß.

Von Hubertus Schmoldt (und seinen Vorgängern) lernen heißt siegen lernen - so hätte die Erfolgsgeschichte ebensogut betitelt werden können. Das Buch liest sich über weite Strecken so, als wäre es eine Auftragsarbeit des amtierenden Vorsitzenden. Doch hat die Gewerkschaft weder den Anstoß dazu noch finanzielle Unterstützung gegeben, sondern lediglich bei der Vermittlung von Gesprächspartnern geholfen. Gleichwohl ist eine kritische Distanz selten erkennbar, meist machen sich die Autoren Schmoldts Positionen zu eigen, wie auch die meisten Kapitel mit einem Zitat von ihm überschrieben sind. Auch im Text hätten viele Sätze vom IG-BCE-Chef oder seinem Bruder im Geiste - Bundeskanzler Gerhard Schröder höchstselbst, der das Buch kürzlich auch in Berlin vorstellte - kommen können. Immer fragt man sich: Wo sind die Autoren nur Sprachrohr, wo spricht aus ihnen eigene Überzeugung?

Gleichwohl: Herausgekommen ist ein spannend geschriebener und zum Weiterdenken animierender Leitfaden für Modernisierer, ein Buch von zweien, die es gut meinen mit den Gewerkschaften, geschrieben für die vielen Akteure in den Gewerkschaften, die ihre Organisation vom Blockierer-Image befreien und zukunftstauglich machen wollen.

Das Buch beginnt - und das ist eine ungewöhnliche Konzeption - mit den Kurzporträts von drei Gewerkschaftschefs, zwei jüngeren Vorstandsmitgliedern und der Jugend an der Basis; es endet mit der Aufzeichnung eines Gesprächs zwischen Schmoldt und dem Sozialphilosophen Oskar Negt. Dazwischen setzen sich die Autoren in sechs Kapiteln in ungeschminkter und dadurch wachrüttelnder Weise mit Reizthemen wie dem Mitgliederschwund und der überfälligen Organisationsreform auseinander, mit den Chancen und Risiken einer betriebsnahen Tarifpolitik und der europäischen Mitbestimmung, mit der unrühmlichen Rolle der Gewerkschaften im "Bündnis für Arbeit" und ihrem internen Zerwürfnis über die "Agenda 2010", das zeitweilig sogar zum offenen Bruch geführt hat.

Die Autoren sparen kaum ein Thema aus, aber reißen alles nur an. Für kaum einen Abschnitt benötigen sie mehr als drei oder vier Seiten. Dennoch gelingt es ihnen, den unkundigen Leser ins Bild zu setzen und selbst dem erfahrenen Beobachter noch Neues zu vermitteln. Leider sind es nur 12 Seiten, auf denen sie ihre Reformvorschläge unterbreiten - darunter eine Direktmitgliedschaft beim DGB, an dessen Spitze ein Generalsekretär mit Autorität und Überzeugungskraft stehen soll, der die widerstrebenden Interessen bündelt und nach außen mit einer Stimme vertritt; eine kreative Tarifpolitik, die nicht jedes betriebliche Bündnis als Betriebsunfall deklariert, sondern die Öffnung des Flächentarifs offen mitgestaltet; eine Rückbesinnung der Gewerkschaften auf ihre historische Rolle als Selbsthilfeorganisation der Arbeitnehmer und, daraus erwachsend, die Übernahme der alleinigen Verantwortung für die zuvor von gesamtstaatlichen Aufgaben entlasteten Sozialversicherungen; die Klärung des gewerkschaftlichen Selbstverständnisses - Dienstleister, Kampforganisation, betrieblicher Partner? - und die Hinwendung zu neuen Beschäftigtengruppen; schließlich die aktive Mitwirkung bei der Gestaltung europäischer Arbeitnehmerrechte.

Die Autoren stellen ihre Reformvorschläge zur Diskussion, aber die Diskussion darüber sollen andere führen. Wären die Einzelgewerkschaften überhaupt bereit, Macht an den DGB abzugeben? Ließen sich tatsächlich neue Mitglieder gewinnen, wenn diese "von oben" einer Gewerkschaft zugeordnet würden? Verspräche nicht ein Wettbewerb der Ideen attraktivere Lösungen? Stief und Contenius haben kein abschließendes, aber ein anregendes Werk geschrieben, eine Tischvorlage für die überfällige gewerkschaftliche Reformdebatte. Daß die IG BCE dabei gut wegkommt, ist unvermeidlich - und vermutlich sogar gewollt, um andere zur Nachahmung zu animieren.

NICO FICKINGER

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Anregend erscheint Rezensent Nico Fickinger dieses Buch von Gabriele Stief und Hartmut Contenius über die zukünftige Rolle der Gewerkschaften. Wie er berichtet, befinden sich die Gewerkschaften nach Einschätzung der Autoren gegenwärtig in einem deprimierenden Zustand. Das Absinken in die Bedeutungslosigkeit sei nur durch entschiedene Reformen zu verhindern. Die Autoren führten exemplarisch die Erfolgsgeschichte der Industriegewerkschaft Bergbau-Chemie-Energie (IG BCE) vor Augen, als "Tischvorlage für die überfällige gewerkschaftliche Reformdebatte". Ein wenig vermisst Fickinger allerdings dabei die kritische Distanz zu Positionen des IG-BCE-Chef Hubertus Schmoldt. Andererseits begrüßt er, dass die Autoren "in ungeschminkter und dadurch wachrüttelnder Weise" Reizthemen angehen, etwa den Mitgliederschwund und die überfälligen Organisationsreform, die Chancen und Risiken einer betriebsnahen Tarifpolitik, oder auch die unrühmliche Rolle der Gewerkschaften im "Bündnis für Arbeit" und ihr internes Zerwürfnis über die "Agenda 2010". Insgesamt würdigt Fickinger das Buch als einen "spannend geschriebenen und zum Weiterdenken animierenden Leitfaden für Modernisierer".

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