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Helene Weigel, Schauspielerin und Theaterleiterin, hat die Theaterlandschaft Ost-Berlins geprägt wie kaum sonst jemand. Maßgeblich beeinflußte sie die Theorien Brechts zur Schauspielkunst. Von 1949 bis zu ihrem Tod leitete sie das Berliner Ensemble. Sabine Kebir hat aus hunderten von Zeugnissen die Lebensgeschichte der "Mutter Courage" rekonstruiert. "Sie ist einfach herrlich: in Mildheit, Zähheit, dazwischen Freundlichkeit." (Alfred Kerr.)

Produktbeschreibung
Helene Weigel, Schauspielerin und Theaterleiterin, hat die Theaterlandschaft Ost-Berlins geprägt wie kaum sonst jemand. Maßgeblich beeinflußte sie die Theorien Brechts zur Schauspielkunst. Von 1949 bis zu ihrem Tod leitete sie das Berliner Ensemble. Sabine Kebir hat aus hunderten von Zeugnissen die Lebensgeschichte der "Mutter Courage" rekonstruiert. "Sie ist einfach herrlich: in Mildheit, Zähheit, dazwischen Freundlichkeit." (Alfred Kerr.)
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.05.2000

HW, zu deutsch Havary
Noch eine neue Biografie zum 100. von Helene Weigel
1965 gastierte das Berliner Ensemble mit Brechts Bearbeitung von Shakespeares „Coriolan” in London und wurde bejubelt als „beste Theatertruppe der Welt”. Wenn die Berichte zutreffen, so war es das Verdienst der Prinzipalin, der Intendantin und Darstellerin der Volumnia – das Verdienst Helene Weigels. Was diese zierliche Frau aus ihrem Körper, ihrer Stimme, ihrem Gesicht an Ausdruckskraft freisetzte, hat ihre Zuschauer fasziniert vom ersten Vorsprechen der siebzehnjährigen Elevin der berühmten Schule von Genia Schwarzwald bis zum letzten Bühnenauftritt in Paris einen Monat vor dem Tod. Der Kritiker des Nouvel Observateur scheint den Atem anzuhalten, wenn „die Weigel die Bühne betritt, leicht wie eine alte Grille, auf dem Boden verankert mit den groben Quadratlatschen, Haut und Knochen, einundsiebzig Jahre des Schicksals und fünfzig Jahre Geschichte auf dem Buckel, unschuldig wie die Armut, listig wie der alte Maulwurf der Dialektik, gebeugt wie die Geduld, zäh wie die Bosheit, vorstehende Schulterblätter wie die Lebensmüdigkeit, das Auge scharf wie der Eigensinn zu überleben . . .”
Die Konsequenz ihrer Lebensgeschichte ähnelt den scharfen Holzschnittlinien ihres Kollwitz-Gesichtes genauso wie ihrem hochstilisierten Spiel (das ihr den Beinamen „die Chineserin” einbrachte). Aber dann haben doch ein paar heftige Turbulenzen für ein gewisses Schlingern gesorgt. Eine dieser Turbulenzen – in diesem Fall ist das Bild unpassend harmlos – geht zu Lasten der deutschen Geschichte, schleudert Helene Weigel, die Jüdin und Linke, aus der Bahn, aus der Schauspielerkarriere, verurteilt sie zu zwölf Jahren wandernden Hausfrauendaseins im Exil und setzt sie im geteilten Nachkriegsdeutschland ab. Die andere Turbulenz geht von ihrem Ehemann, geht von Brecht und seinem nie gestillten Frauenbedarf aus. Sein erstes überliefertes Briefgedicht an sie vom Dezember 1923 bilanziert ihre Begegnung brechtisch-lakonisch: „HW / (zu deutsch: / Havary)”.
Was gibt es über das Leben der Helene Weigel zu erzählen? Nichts was Schauspielerbiografien sonst bieten: keine Amouren und Flirts, keine Scheidungen, keinerlei Glamour, kein peinliches name dropping. Zu erzählen ist von der Arbeit am Text und an der Rolle, die keinen Augenaufschlag lang unpolitisch ist, von der Gastgeberkünstlerin auch „unter dem dänischen Strohdach” oder den kalifornischen Palmen, von der Verwalterin des Brecht-Erbes. Den Schwerpunkt ihrer Biografie legt Sabine Kebir auf die Geschichte der schauspielerischen Entwicklung der Künstlerin, ihre darstellerischen Perfektionierung und Stilisierung im Dienst an Brechts Werk.
Kebir hat die Materialmassen der Brecht- und Weigel-Archive um- und umgegraben – dies bereits für ihre vorausgegangenen Publikationen aus dem Brecht-Umfeld –, und alles, was der Künstlerin und dem Menschen Helene Weigel Konturen gibt, herangeholt. Sie zitiert bevorzugt Gesprächsmitschriften und Telefonate mit Zeitgenossen, deren mögliche private oder politische Parteilichkeiten freilich nicht benennend. Sabine Kebir ist eine engagierte Apologetin – sie hält ihre schützende Hand über ihre Helden: Wer Brechts irritierendes Verständnis von Treue kritisiert oder an seiner Allein-Autorschaft öfter als unumgänglich rüttelt, verfällt dem Verdikt der besitzergreifenden Bürgerlichkeit.
Da kommt es dann gelegentlich, wenn Helene Weigel mal wieder der Kragen platzt und sie Koffer und Kinder packt, zu kasuistischen Klimmzügen. In einem angestrengten Argumentationseifer sucht Kebir Helene Weigel aus der Parteinähe (der KPD wie der SED) zu rücken. So wechseln sich ein Anti-Fuegi-Affekt und ein heftiger Anti-DDR-Affekt miteinander ab – das ganze aber keineswegs von einer westlichen Position aus. Brechts und Weigels Rollen im kulturellen Leben der DDR werden zu einer einzigen Widerstandsgeschichte, jede „Gesinnungsbeflissenheit” wird Taktik, sichtbare Zustimmung zum System steht in Nebensätzen, als taktischer Zwang wenn nicht subversive Aktion.
Am liebsten zitiert Kebir kritische Stimmen über die Arbeit des Berliner Ensembles aus dem orthodox-kommunistischen Lager. Es ist fast vergnüglich, von den Ängsten der Obrigkeit vor der moralischen Anstalt BE aus den Stasi-Akten zu erfahren – die werden im Nachhinein zur Anekdotenkiste. Zum Beispiel hat Helene Weigel – das war durchaus nicht ihre einzige mutige Aktion! – 1967 bei der Wahl zur Volkskammer vom geheimen Wahlrecht Gebrauch gemacht und für „zirka 3 Minuten die Wahlkabine” benutzt. Die staatlichen Ehrungen, die sie in Mengen angenommen hat (zum Nationalpreis hat Brecht sie vorgeschlagen!) erwähnt die Autorin dagegen nicht. Aber wer erwartet heute schon Biografien ohne ideologische Schatten, Brüche, Irrtümer?
HILTRUD HÄNTZSCHEL
SABINE KEBIR: Abstieg in den Ruhm. Helene Weigel. Eine Biographie. Aufbau-Verlag, Berlin 2000. 425 S. , 39,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.05.2000

Fortdauerndes Wechselverhältnis
Vier Bücher zum hundertsten Geburtstag von Helene Weigel

Das zweitschwerste der vier Bücher, die zum heutigen hundertsten Geburtstag von Helene Weigel erschienen sind, stammt von Werner Hecht, mit einem Vorwort von Siegfried Unseld. Es wiegt 1060 g, enthält schöne, seltene Fotos. Werner Hecht als Brecht-Editor mit Vollmacht der Weigel und Siegfried Unseld als Brecht-Verleger dank der von der Weigel aufrechterhaltenden Suhrkamp-Prävalenz haben guten Grund, der Prinzipalin des Berliner Ensembles ein Denkmal zu setzen. Nach Brechts Tod hat sie, in Absprache mit den drei Miterben, Brechts Kindern, und begünstigt durch ihre österreichische Staatsbürgerschaft, alle Kontrollambitionen der SED auf Brechts schriftstellerischen Nachlass abgewehrt und den Universalvertrag ihres Mannes mit Peter Suhrkamps Verlag erst bestätigt, dann erneuert. Das Buch enthält eine Lebenschronik, den rezensorischen Widerhall ihrer Rollen von 1919 (damals debütierte sie in Frankfurt am Main als Woyzecks Marie) bis zu ihrem letzten Auftreten 1971 in Nanterre, und den Text eines Gesprächs, das Hecht, enger Mitarbeiter gerade in der Zeit des Ensemblezerfalls Ende der sechziger Jahre, mit ihr geführt hat; das Datum (November 1969) muss sich der Leser selbst erschließen. Helene Weigel hat kaum Einzelinterviews gegeben, nur wenige ihrer Privatbriefe sind erhalten; um so bedeutsamer ist dieses Gespräch.

Von der Fotografin Vera Tenschert stammt ein 1400 Gramm schwerer Bildband, in dessen Aufnahmen - sie stammen aus der Zeit nach dem Riss, der 1961 durch das Berliner Ensemble zog - viele Facetten des Matriarchats aufscheinen, das die Weigel nach Brechts Tod über das ihr zugefallene Theater ausübte. Die Huldigung gibt Einblicke in die Privatsphäre; man sieht die Weigel nicht nur "Die Mutter" spielen, sondern auch Pilze sammeln und theaterinteressierte Armeeangehörige bewirten. Beiläufig erfährt man, dass Herman Budzislawski, Weltbühnen-Chef im Prag der dreißiger Jahre und amerikanische Exilgenosse, im Ost-Berlin der sechziger Jahre ihr engster Berater wurde. Hechts Buch wie das von Vera Tenschert zeigen Interieurs: schöne, alte Möbelstücke kombiniert vor neutralen Hintergründen. Eine ganze Intellektuellen-Generation hat so gewohnt.

Ist das schwerste dieser Bücher nicht das gewichtigste, so ist das leichteste von ihnen leicht in einem sehr respektablen Sinn. Es stammt von Carola Stern und wiegt 380 Gramm. Die Geschichte eines Künstlerpaars, das in bemeisterter Schwierigkeit und fortdauernder Ergiebigkeit des Wechselverhältnisses kaum seinesgleichen hat, wird hier von einer außerordentlich erzählbegabten und politisch engagierten Lehrerin einer Schulklasse von heute erzählt. Sie setzt Befremden über die kommunistischen Anschauungen des Künstlerpaars und die Belastbarkeit einer Ehefrau voraus, die Mutter, Hausfrau, Lebensorganisatorin, Hauptschauspielerin, Intendantin war.

Carola Stern erzählt diese Geschichte mit einer Mischung aus Bekümmert- und Unbekümmertheit, die gleich den rechten Ton trifft, mit einem dem Buch vorangesetzten Ehegedicht aus der Zeit des amerikanischen Exils: einem titellosen Wechselgesang zwischen Mann und Frau, dessen intensive Resignation der Ausdruck unauflöslicher Bezogenheit ist. Carola Sterns Bericht will, im Blick auf Brecht, keine Werkerzählung sein; wo er nicht umhinkann, diese Sphäre zu streifen, macht die Erzählerin es sich manchmal etwas leicht. Genau aber ist ihr Sinn für die psychischen und sozialen Voraussetzungen dieser lebensschwierigen Gemeinschaft; sie erkennt die androgyne Anziehung, die die Weigel auf Brecht ausübte, und beschreibt die Parallelität der Herkunft. Beider Väter waren Kleinbürger, denen der Aufstieg geglückt war. Der antibürgerliche Affront ihrer Künstlerkinder hatte die gleiche soziale Wurzel.

Das vierte dieser Weigel-Bücher ist mit 590 g schwerer als das leichteste und gewichtiger als das schwerste. Es stammt von der Literaturhistorikerin und Politologin Sabine Kebir. So gründlich ihr Buch auf weiten Strecken gearbeitet ist, so fesselnd es seinen Stoff ausbreitet: es ist nicht frei von Einseitigkeiten, von Fehlstellen. Gleich zu Anfang tappt die Autorin in eine Falle, wenn sie die große Brecht-Schauspielerin Helene Weigel zur größten aller Brecht-Schauspielerinnen ihrer Zeit stilisiert und sich dabei in eine Phraseologie versteigt, in der die "jüdischen Züge" der Weigel und ihre "asiatische Körpersprache" dazu herhalten müssen, den "Universalismus" - die Sprachgrenzen übersteigende Wirkung - ihrer Schauspielkunst zu begründen. Die Vorstellung, dass sich "in den Konzepten des hochgebildeten Lukàcs das politisch unterentwickelte Niveau Osteuropas" gespiegelt habe, ist humoristisch, abwegig die Feststellung, dass Erich Mühsams Werk "in der DDR totgeschwiegen wurde", so dass es "eine Provokation" gewesen sei, wenn die Weigel (in einem niemals veröffentlichten Gespräch!) ein Mühsam-Stück als Quellpunkt ihrer Annäherung an die Arbeiterbewegung bezeichnet habe. Die Autorin wird fragwürdig auch, wenn sie die Beziehung der Weigel auf den seit 1925 von Stalins Katastrophenpolitik dominierten deutschen Partei-Kommunismus zu entschärfen sucht. Brecht als künstlerischer Vorreiter eines basisdemokratischen "Bewusstseins der großen Mehrheiten" ist eine wunderliche Vorstellung, wenn man bedenkt, dass des Dichters Demokratiebegriff ein auf die Revolutions-Avantgarde beschränkter war. Erst in späten, aus dem (durch Kebir exzentrisch missdeuteten) Juni-Schock von 1953 hervorgehenden Gedichten ermahnt der Dichter die kommunistische Führung, auf "die Weisheit des Volkes" zu hören; diese anhaltend bedeutsame Kategorie löst sich ihm aus dem Scheitern einer voluntaristischen Politik. Man tut weder Brecht noch der Weigel einen Dienst, wenn man den Lernprozess unterschlägt, den beide in drei katastrophenreichen Jahrzehnten durchliefen.

Ist Carola Stern an den Widersprüchen ihrer Heldin interessiert, so Sabine Kebir an den Übereinstimmungen. Doch schmälert der Hang zur Idealisierung, dem die Autorin nachgibt, nicht ie Bedeutung ihres Buches, dem eine Detailüberarbeitung guttäte. Zu seinen Verdiensten gehört es, die geistigen Grundlagen der Haltung zu verdeutlichen, die die Weigel an Brechts Seite zu einer überlegenen Rolle finden ließ. Sabine Kebir ziegt, dass Brecht in der Schauspielerin, die er 1924 in Berlin kennenlernte, eine souveräne Frau fand, die im Wiener Lyzeum der Reformpädagogin Eugenie Schwarzwald auf der Höhe eines psychologisch avancierten Emanzipationsbewusstseins ausgebildet worden war.

FRIEDRICH DIECKMANN

Werner Hecht: "Helene Weigel. Eine große Frau des 20. Jahrhunderts". Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main 2000. 343 S., geb., 58,- DM.

"Helene Weigel". Fotografien von Vera Tenschert. Henschel Verlag, Berlin 2000. 224 S., 230 Abb., geb., 128,- DM.

Carola Stern: "Männer lieben anders. Helene Weigel und Bertolt Brecht". Verlag Rowohlt Berlin, Berlin 2000. 224 S., Abb., geb., 36,- DM.

Sabine Kebir: "Abstieg in den Ruhm. Helene Weigel. Eine Biographie". Aufbau Verlag, Berlin 2000. 300 S., Abb., geb., 39,90 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Hiltrud Häntzschel fällt vor allem eines an dieser Biografie auf: Die apologetische Herangehensweise der Autorin. Zwar erwähnt die Rezesentin nicht ohne Anerkennung die große Menge an Material, das Kebir ausgewertet hat. Allerdings zählt Häntzschel verwundert zahlreiche Beispiele auf, wo die Autorin ihrer Ansicht nach zu sehr "ihre schützende Hand über ihre Helden" hält: Dies betrifft unter anderem die hier relativierte Parteinähe Helene Weigels, die Nicht-Erwähnung der staatlichen Auszeichnungen, Kebirs Sicht von Brechts Treueverständnis und seiner Allein-Autorschaft (es sei denn, das Gegenteil ist eindeutig bewiesen). Bisweilen lese sich die Biografie als eine "einzige Widerstandsgeschichte", resümiert Häntzschel.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Sabine Kebir hat Helene Weigel in ihrer Biographie kongenial erfasst." Sächsische Zeitung 20020319