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Produktdetails
  • Schriften. Rosa-Luxemburg-Stiftung
  • Verlag: Dietz, Berlin
  • Seitenzahl: 167
  • Abmessung: 230mm
  • Gewicht: 308g
  • ISBN-13: 9783320020286
  • ISBN-10: 3320020285
  • Artikelnr.: 25012074
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 25.06.2001

Dämonisierte Männer in Rom
Eine Analyse der drei italienischen Parteien der rechten Mitte

Christian Christen: Italiens Modernisierung von rechts. Berlusconi, Bossi, Fini oder Die Zerschlagung des Wohlfahrtsstaates. Karl Dietz Verlag, Berlin 2001. 167 Seiten, 29,80 Mark.

Im Mittelpunkt dieses Buches über Italiens derzeitige politische Verhältnisse, dem ein Vorwort von Herbert Schui über den Neoliberalismus vorausgeht, steht eine Analyse der drei Parteien der rechten Mitte, welche am 13. Mai 2001 vereint die Wahl gewonnen haben: Forza Italia (Silvio Berlusconi), Alleanza Nazionale (Gianfranco Fini), Lega Nord (Umberto Bossi).

Die historischen Abschnitte greifen trotz richtiger und gerade hierzulande, wo viele falsche Eindrücke verbreitet wurden, sehr lesenswerter Aussagen zu kurz, weil sie Italiens früheres Parteiensystem und dessen Zerfall seit 1990 zu wenig erklären. So wird von der bis dahin permanent regierenden Democrazia Cristiana (DC) nur gesagt, daß sie konservativ gewesen sei; auch über ihren sozialistischen Koalitionspartner erfährt man so gut wie nichts. Aber die DC war eine große Partei der Mitte mit dem für Italien so gewichtigen katholischen Hintergrund; mit linkeren und rechteren Gruppierungen, zwischen denen der nur ganz kurz erwähnte Giulio Andreotti erfolgreich vermittelt hat; und der PSI handelte unter Bettino Craxi als durchaus moderne sozialdemokratische Partei.

Erst der Zerfall dieser beiden Parteien, von dem man nicht erfährt, daß er auch eine Folge der weltpolitischen Wende von 1989/90 war und daß im Falle des PSI die Kommunistische Partei kräftig nachhalf, hinterließ in Italiens wahlentscheidender Mitte das Vakuum, welches Berlusconi neu gefüllt hat und in welches auch Fini eingedrungen ist. Der Rassismus-Vorwurf gegen die Lega läßt sich aus den mitgeteilten Texten nicht belegen; doch zu Recht wird ihr attestiert, daß sie als erste energisch gegen Zentralismus, Klientelismus und Korruption in den Alt-Parteien angegangen ist und schon bald nach 1990 ein Föderalismus-Konzept vorgelegt hat.

Die Kernbotschaften der neuen Parteien werden gut erklärt: der Neoliberalismus und zugleich Wertkonservatismus Berlusconis; der radikale Regionalismus Bossis, der vor allem kleinere Unternehmer und untere Mittelschichten an den "industriellen Peripherien" anspricht, dabei den ihm von Christen noch nachgesagten Anti-Meridionalismus hinter sich gelassen hat; schließlich der Etatismus Finis, welcher ebenfalls wertkonservativ auftritt und den starken Staat als Grundlage sozialer Gesellschaft propagiert, aber die von seiner neofaschistischen Vorgängerpartei stets abgelehnte Stärkung der Regionen damit grundsätzlich vereinbaren will.

Für die Einbringung weiterer Elemente aus dem Erbe der DC sorgten deren kleine Nachfolge-Parteien CCD und CDU, die in diesem Buch nur am Rande vorkommen, obwohl sie für die neue Regierungskoalition mindestens so wichtig sind wie die Lega Nord. Berlusconi scheint aus dem Scheitern seines ersten Anlaufs vor sieben Jahren gelernt zu haben. Er hat nämlich alle diese Botschaften zu einem moderaten und ordnungspolitischen Programm vereinigt, welches die antiquierte Struktur und die in Jahrzehnten zementierte Führungsschicht des Staates erneuern möchte. Es gibt liberale Antworten auf die Probleme einer Gesellschaft, welche nicht mehr aus wenigen Arbeitgebern und vielen Arbeitnehmern besteht, sondern aus sehr vielen kleinen Unternehmern, dazu aus Rentnern. Die Mitte-links-Koalition hat sich denen zwar in den letzten fünf Jahren praktisch angenähert, ist aber grundsätzlich bei ihrer mehr sozialdemokratischen und dazu klientelistischen Position geblieben.

Zudem sind, wie Christen richtig beobachtet, die postkommunistischen DS zerstritten: Massimo d'Alema wollte eine starke sozialdemokratische, Walter Veltroni eine sozialliberale Partei in einem breiten Bündnis. Beides ist bisher nicht gelungen. Darum griff man zum Mittel der Dämonisierung Berlusconis und Bossis, welches von der linksliberalen Publizistik Europas und gerade auch Deutschlands nur zu gern aufgenommen worden ist.

Aus den negativen Erfahrungen mit den Sanktionen gegen Österreich wollen ja alle die nicht lernen, welche sich im sicheren Besitz einer antifaschistischen Wahrheit wähnen. Christen schließt aus den jüngsten italienischen Entwicklungen, daß Linksparteien der Weg zur Mitte hin nichts einbringt. Aber das muß sich erst zeigen - und ebenso, ob Berlusconi und seine Verbündeten den nicht mehr bezahlbaren Wohlfahrtsstaat bisheriger Ausweitung wirklich zerschlagen oder ob sie ihn nur den veränderten demographischen und sozialen Realitäten anpassen werden.

In der Europa-Politik ist ohnehin in Rom Kontinuität angesagt. Es wäre gut, wenn Autoren, die Italiens Verhältnisse erklären möchten, nun mit dem Schreiben weiterer Bücher zunächst einmal ein Jahr warteten.

RUDOLF LILL

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rudolf Lill findet zwar, dass das Buch über die drei großen rechten Parteien "sehr lesenswerte Aussagen" enthält und besonders die "Kernbotschaften" dieser Parteien "gut erklärt" werden. Doch dann hagelt es Kritik: er bemängelt, dass der historische Teil des Bandes "zu kurz greift" und man viel zu wenig über die frühere parteienpolitische Landschaft erfährt. Auch findet er, dass insbesondere der "Rassismus-Vorwurf", den der Autor gegenüber der Lega Nord erhebt, nicht durch entsprechende Textstellen belegt wird. Lill schlägt vor, auf weitere Bücher zu den italienischen Parteien jetzt erst mal zu verzichten und die politische Entwicklung abzuwarten.

© Perlentaucher Medien GmbH