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Die Welt ist tausend Schritte lang. Jedenfalls in Courtillon, einem verschlafenen Nest im Süden Frankreichs. Hier gibt es gerade mal zwei Straßen. Und eine Wiese am Fluss, wo ein großer Freizeitpark entstehen soll. Diese Neuigkeit rüttelt die Dorfbewohner jäh aus ihrem Dornröschenschlaf. Alte, sehr alte Geschichten werden wieder lebendig, es kommt zum Streit. Es ist wie ein Feuer, das um sich greift. Ein aus der Kontrolle geratenes, gewaltiges Johannisfeuer.
Charles Lewinsky lässt die Figuren eines kleinen Dorfs zu einer so liebenswürdigen wie bösartigen Quadrille antreten. Psychologisch
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Produktbeschreibung
Die Welt ist tausend Schritte lang. Jedenfalls in Courtillon, einem verschlafenen Nest im Süden Frankreichs. Hier gibt es gerade mal zwei Straßen. Und eine Wiese am Fluss, wo ein großer Freizeitpark entstehen soll. Diese Neuigkeit rüttelt die Dorfbewohner jäh aus ihrem Dornröschenschlaf. Alte, sehr alte Geschichten werden wieder lebendig, es kommt zum Streit. Es ist wie ein Feuer, das um sich greift. Ein aus der Kontrolle geratenes, gewaltiges Johannisfeuer.
Charles Lewinsky lässt die Figuren eines kleinen Dorfs zu einer so liebenswürdigen wie bösartigen Quadrille antreten. Psychologisch raffiniert und atmosphärisch dicht webt er ein Geflecht aus höchst lebendigen Intrigen und Verbrechenlängst vergangener Tage. Der Autor des Bestsellers 'Melnitz' zeigt auch in 'Johannistag' sein brillantes erzählerisches Können.
Autorenporträt
Charles Lewinsky wurde 1946 in Zürich geboren. Er arbeitete als Dramaturg, Regisseur und Redaktor. Er schreibt Hörspiele, Romane und Theaterstücke und verfasste über 1000 TV-Shows und Drehbücher, etwa für den Film "Ein ganz gewöhnlicher Jude", (Hauptdarsteller Ben Becker, ARD 2005). Für den Roman "Johannistag" wurde er mit dem Schillerpreis der Zürcher Kantonalbank ausgezeichnet. Sein Roman "Melnitz" wurde in zehn Sprachen übersetzt und vielfach ausgezeichnet, u.a. in China als Bester deutscher Roman 2006, in Frankreich als Bester ausländischer Roman 2008. Lewinskys Roman "Gerron" wurde 2011 für den Schweizer Buchpreis nominiert, sein jüngster Roman "Kastelau" stand auf der Nominierungsliste für den Deutschen Buchpreis 2014.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.02.2007

Wenn der Chronist zum Detektiv wird
Wer zählt die Häuser, nennt die Namen? Charles Lewinskys kluger Roman „Johannistag” erforscht die Verschwiegenheiten eines französischen Dorfes
Dieser Mann hat nicht mehr viel vor. Er will nur noch beobachten und aufschreiben, was um ihn herum passiert. In seinem früheren Leben war er Lehrer. Jetzt hat er sich als zwangspensionierter Vorruheständler nach Courtillon, in die französische Provinz zurückgezogen. Um sicherzugehen, dass er diesen Ort nie wieder verlassen wird, schraubt er die Räder seines Autos ab, das von da an wie eine Installation aufgebockt im Garten steht. Er ist im Ort der Deutsche, der Fremde. Fremd zu sein bedeutet, die Geschichten der Leute, die sich schon seit Generationen gegenseitig in die Fenster und in ihre Leben blicken, erst noch entschlüsseln zu müssen. Es heißt aber auch, vieles erzählt zu bekommen, weil der Außenstehende als unabhängiger Zeuge gilt. Er ist noch nicht involviert in die mikrokosmischen Intrigen.
Der Schweizer Autor Charles Lewinsky lebt selbst in einem kleinen französischen Dorf – in Vereux in der Franche-Comté. Er kennt sich also aus in dieser Lebenswelt. „Johannistag” ist aber kein Schlüsselroman, wie Lewinsky auf seiner Homepage betont. Das sollte man ihm ruhig glauben. Denn erstens interessieren die realen Verhältnisse im realen Dorf sowieso keinen Menschen im Rest der Welt. Und zweitens führt der Roman die verschlungenen Wege vor, die das Geschehen nimmt, bis aus den Gerüchten brauchbare Versionen von Wahrheit geworden sind und all das vielfältig Verschwiegene und Vertuschte zu einer feststehenden Erzählung gerinnt. Lewinsky zeigt das Dorf als einen Steinbruch von Ereignissplittern, die der Ich-Erzähler mühsam zusammensetzt wie ein Puzzlespiel, dessen Bildmotiv ihm lange unklar bleibt. Es ist nicht zuletzt auch sein eigenes Geheimnis, das seine Rolle als Beobachter und Erzähler begründet.
Man kann es als schöne Pointe betrachten, dass dieses Buch über die Wandelbarkeit von Geschichten in der Geschichte selbst schon eine Geschichte hat. Als es im Jahr 2000 im Haffmans Verlag erschien, bekam es ein paar wohlmeinende Kritiken, die von einer „Überraschung” sprachen. So ein komplexes Werk hätte man einem bis dato auf fröhliche Fernsehserien, Schlagertexte und gepflegte Unterhaltung abonnierten Autor (der unter anderem auch als Ghostwriter für Harald Juhnke tätig war) gar nicht zugetraut. Kurz darauf ging der Haffmans Verlag pleite und „Johannistag” verschwand wie so vieles in der Konkursmasse. 2006 erhielt Lewinsky dann Lob für den Roman „Melnitz”, eine breit angelegte jüdische Familiensaga über vier Generationen hinweg. Nun reicht der Verlag Nagel & Kimche „Johannistag” nach: eine Neuauflage als Neuentdeckung.
Wer ist der Brandstifter?
„Die Welt ist tausend Schritte lang”, beginnt der Ich-Erzähler seinen Bericht und schreitet das Dorf ab wie ein Buchhalter. Er stellt die Häuser und ihre Bewohner der Reihe nach vor, so dass man am Ende dieser Runde schon wieder vergessen hat, welche Geschichte zu welchem Namen gehört. Der Auftakt ist mühsam, doch es lohnt sich durchzuhalten, denn von nun an entwickelt das Geschehen eine unwiderstehliche Sogkraft. Merkwürdige Dinge ereignen sich: Ein Mädchen fällt aus dem Fenster und beschuldigt einen Nachbarn, sie als Kind sexuell missbraucht zu haben. Jean, der von allen nur der heilige Johann genannt wird, weil er am Johannistag geboren wurde, wehrt sich verzweifelt gegen die Anschuldigungen. Eine alte Frau, die im Rollstuhl auf der Veranda sitzt und von hier aus die Straße überblickt, wird erschossen. Im Wald findet Jean ein Totenschädel, der offenbar von einem britischen Agenten aus dem 2. Weltkrieg stammt. Der Schädel und die Erinnerungen, die sich mit ihm verknüpfen, werden zum Einsatz in der Auseinandersetzung um einen Campingplatz am Flussufer und den Plan, den Fluss auszubaggern, um Kies zu gewinnen. Schließlich brennt am Johannistag ein Haus, und fast jeder kommt als Brandstifter in Frage.
Der Ich-Erzähler ist Chronist und Detektiv, der die Varianten der Wahrheit einsammelt und kombiniert. Zunächst schreibt er lange Briefe an seine verlorene Geliebte, von der er weiß, dass sie ihm niemals antworten wird. Allmählich stellt sich heraus, dass er als Lehrer auf einer Klassenfahrt ein Verhältnis mit einer Minderjährigen begonnen hat. Sein Aufenthalt im Dorf ist zunächst eine Verbannung, dann ein Ort, an dem er seine Wunden lecken kann, am Ende eine neue Heimat. Die Bewältigung seiner eigenen Lebenssituation grundiert als Subtext das Geschehen im Dorf. Innenwelt und Außenwelt verschränken und spiegeln sich ineinander. Die Struktur ist klar, aber unaufdringlich. Lewinskys metaphernreiche Sprache ist protokollarisch präzis, zugleich aber auch von der Liebessehnsucht und Verzweiflung des Erzählers aufgeladen. Die Welt ist tausend Schritte lang. Ihre Tiefe lässt sich nicht so leicht bestimmen.JÖRG MAGENAU
CHARLES LEWINSKY: Johannistag. Roman. Nagel & Kimche, Zürich 2007. 316 Seiten, 21,50 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 31.12.2007

Was wusste die Hühnerfrau?

Spätestens seit Miss Marple wissen wir, dass es auf dem Land beschaulicher, aber nicht harmloser zugeht. Charles Lewinskys Krimi beweist das eindrucksvoll.

Große Dramen bedürfen keiner bedeutenden Bühnen, denn tragische Helden und böse Schurken finden sich in der weiten Welt ebenso wie in verschlafenen Dörfern. Auf diese Einsicht gründet die wohl bekannteste Detektivin der Literatur ihren Erfolg, kennt die freundliche Miss Marple doch für jedes Verbrechen und für jede bedrohliche Leidenschaft ein Beispiel aus ihrer heimischen dörflichen Umgebung. Viele Male hat es Agathe Christie vorgeführt: Das Leben auf dem Lande mag womöglich ruhiger, vielleicht auch gesünder als in der Stadt sein - moralischer und ungefährlicher ist es auf keinen Fall. Und was für die englische Provinz gilt, scheint erst recht für Frankreich zu stimmen. Dorthin nämlich, in die tiefste ländliche Abgeschiedenheit, hat der Schweizer Charles Lewinsky den Erzähler seines "Johannistag" geschickt.

Tausend Schritte ist das Dorf lang, in dem sich der Deutsche ein altes, heruntergekommenes Haus gekauft hat. Abstand will er hier gewinnen zu seinem Beruf als Lehrer, den er frühzeitig verlassen hat, vor allem aber zu einer unglücklichen Liebe, die ihn immer noch quält. Unter den neuen Nachbarn, dem geschäftstüchtigen Weinhändler und dem ehrgeizigen Bürgermeister, dem korrekten Gendarmen und dem gutmütigen Dorftrottel, möchte der Zugereiste also ein neues Leben anfangen; aber bevor er sich noch ganz in seinem neuen Domizil einrichten kann, wird er mehr und mehr in das Leben der anderen hineingezogen.

Geschichten aus Gegenwart und Vergangenheit überlagern sich im Alltag des Dorfes. Warum hat der erfolgreiche Bürgermeister so viel Geld, obwohl er aus einer einfachen Familie stammt; warum greift niemand ein, wenn der alte "General", ein Veteran des Zweiten Weltkriegs, nachts sein Gewehr abfeuert; und von welchen alten Verstrickungen weiß die greise Hühnerfrau, die einzig zu ihren Tieren spricht?

Charles Lewinsky zeichnet das Bild einer verschworenen Dorfgemeinschaft, die viele dunkle Geheimnisse teilt. Der Fremde, durch dessen Augen wir die Ereignisse verfolgen, hat es schwer, hinter all den Lügen und Andeutungen die Wahrheit zu entdecken, die seine Nachbarn vor ihm zu verbergen suchen. Bei alledem hält der Erzähler geradezu trotzig an seiner Wahlheimat fest. Seinem Auto montiert er sogar die Räder ab und wirft sie in den Fluss. An dem aber soll gerade eine lukrative Kiesgrube entstehen, ein Plan, der im Dorf Anlass für Spekulationen und Intrigen gibt.

Vor einem Jahr überraschte Charles Lewinsky Leser wie Kritiker mit dem monumentalen, glänzend erzählten Roman "Melnitz", der über vier Generationen hinweg das Schicksal einer jüdischen Familie in der Schweiz schildert und dem viel Lob zuteil wurde. Der Popularität dieses Romans ist es nun zu verdanken, dass auch ältere Bücher des inzwischen sechzigjährigen Autors neu entdeckt werden. Als "Johannistag" vor sieben Jahren zum ersten Mal erschien, blieb das Echo trotz einzelner guter Kritiken hierzulande gering, obwohl das Buch den Preis der Schweizerischen Schillerstiftung erhielt. Was damals versäumt wurde, kann nun nachgeholt werden. Zu entdecken ist ein kunstvoller Kriminalroman mit allen genretypischen Merkmalen: Brandstiftung und Mord kommen vor, skurrile Drohbriefe werden geschrieben, im Neuschnee finden sich rätselhafte Blutspuren, und ungesühnte Verbrechen der Vergangenheit werfen dunkle Schatten. Vor allem aber gelingt es Lewinsky, lebendige Charaktere zu zeichnen, die Anteilnahme erwecken. Zu den anrührendsten gehört Jean, der Nachbar des Erzählers, der wegen seiner Hilfsbereitschaft gern "Saint Jean" genannt wird. Sein Geburtstag am 24. Juni, dem titelgebenden Johannistag, hat bei dieser Namensgebung zudem eine Rolle gespielt. Allzu heilig verhält sich dieser Johann freilich nicht, und dass er sich für seine vielen handwerklichen Gefälligkeiten von den Dorfbewohnern gern in Naturalien bezahlen lässt, von Frauen gar mit dem "Kaffee der Armen" entlohnt wird, wie eine sehr leibliche Währung poetisch umschrieben wird, bringt seine Ehe mit der robusten Busfahrerin Geneviève in Gefahr.

Größere Gefahren sind in den alten Geschichten verborgen, die zurück in die Zeit der Résistance und des Partisanenkampfs führen. Schritt für Schritt enthüllt Lewinsky ein Netz von Schuld und Geltungssucht, das weit in die Vergangenheit des Dorfes reicht. Dass Klischees von bösen Deutschen und heroischen französischen Widerstandskämpfern vermieden werden, gehört zu den Vorzügen dieses Romans. Vermutlich hat es Lewinsky als Schweizer ohnehin leichter, eine vermittelnde Position zwischen den alten Kriegsgegnern einzunehmen.

So spannend die Kriminalhandlung auch ist - am Ende offenbart sich der erzählende Detektiv selbst als zwielichtige Figur, und das unterscheidet diesen frühpensionierten Französischlehrer dann doch beträchtlich von der untadeligen Miss Marple. Allmählich werden Einzelheiten jener erotischen Verbindung offenbar, die der Auswanderer in Frankreich zu überwinden sucht. Keiner Isolde trauert dieser liebeskranke Tristan hinterher, wie man es zunächst vermuten mag, sondern eher einer Lolita, einem Schulmädchen mit kichernden Freundinnen und besorgten Eltern.

Diese Enthüllungen aber werfen ein neues Licht auf den Erzähler, der sich so freundlich um seine neuen Nachbarn kümmert und sogar die zwölfjährige Elodie, die Tochter des heiligen Johann, bei sich aufnimmt, als deren Eltern sich zerstritten haben. Die Parallele liegt auf der Hand: Die Lügen, mit denen sich der Erzähler seine Vergangenheit zurechtbiegt, um sich in einem harmlosen Licht erscheinen zu lassen, sind genauso bedenklich und fragil wie die Versuche der Dorfbewohner, Vergangenes als ungefährlich darzustellen.

Auch das große, lang ersehnte Johannisfeuer kann nicht alle dunklen Seiten der menschlichen Begierden erhellen und sie erst recht nicht mit reinigender Flamme heilen. Dieser Verzicht auf ein glückliches Ende aber verleiht dem Roman seinen besonderen Reiz, der ihn aus der großen Menge alltäglicher Kriminalliteratur heraushebt.

SABINE DOERING

Charles Lewinsky: "Johannistag". Roman. Nagel & Kimche im Carl Hanser Verlag, München 2007.

316 S., geb., 21,50 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Entdeckung! ruft Jörg Magenau. Und das, obgleich es sich um eine Neuauflage des Romans von Charles Lewinsky handelt und das Buch einen zu Beginn nicht unbedingt hinterm Ofen hervorlockt, wie Magenau zugibt. Aber dann. Dann entwickelt die Geschichte eines Fremden in der französischen Provinz einen "unwiderstehlichen" Sog. Zusammen mit dem Ich-Erzähler puzzelt Magenau mit Varianten der Wahrheit über dessen Innenwelt und die Außenwelt des rätselhaften Dorfgeschehens, geleitet von Lewinskys Text, seiner deutlichen, doch "unaufdringlichen" Struktur und der "metaphernreichen", zugleich "präzisen" Sprache.

© Perlentaucher Medien GmbH
"Die Struktur ist klar, aber unaufdringlich. Lewinskys metaphernreiche Sprache ist protokollarisch präzis, zugleich aber auch von der Liebessehnsucht und Verzweiflung des Erzählers aufgeladen. Die Welt ist tausend Schritte lang. Ihre Tiefe lässt sich nicht so leicht bestimmen." Jörg Magenau, Süddeutsche Zeitung, 12.02.07 "Auch das große, lang ersehnte Johannisfeuer kann nicht alle dunklen Seiten der menschlichen Begierden erhellen und sie erst recht nicht mit reinigender Flamme heilen. Dieser Verzicht auf ein glückliches Ende aber verleiht dem Roman seinen besonderen Reiz, der ihn aus der großen Menge alltäglicher Kriminalliteratur heraushebt." Sabine Doering, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 31.12.07 "Charles Lewinsky hat mit Johannistag einen bedeutenden Roman gegen das Vergessen und Verdrängen, gegen Selbsttäuschungen und Selbstverleugnungen geschrieben." Peter Mohr, Aargauer Zeitung, 14.03.07 "Nagel & Kimche hat ihn neu herausgebracht, und das war recht: Ein gescheites Stück Schweizer Literatur wäre uns sonst abhanden gekommen." Christoph Schneider, Tages-Anzeiger, 03.10.07