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Felix sitzt seit seiner Kindheit im Rollstuhl, lebt in Abhängigkeit von der Hilfe seines Bruders und tippt gelegentlich aus Gefälligkeit dessen Manuskripte ab. Sein neuer Roman zeigt beunruhigende Übereinstimmungen mit dem gemeinsamen Leben - und läuft auf eine Katastrophe zu. Jürg Acklin, der eigenwilligste Gegenwartsautor der Schweiz, erzählt mit profunden Kenntnissen der menschlichen Psyche von schwindelerregender Angst und von der unheimlichen Macht der Vorstellungskraft.

Produktbeschreibung
Felix sitzt seit seiner Kindheit im Rollstuhl, lebt in Abhängigkeit von der Hilfe seines Bruders und tippt gelegentlich aus Gefälligkeit dessen Manuskripte ab. Sein neuer Roman zeigt beunruhigende Übereinstimmungen mit dem gemeinsamen Leben - und läuft auf eine Katastrophe zu. Jürg Acklin, der eigenwilligste Gegenwartsautor der Schweiz, erzählt mit profunden Kenntnissen der menschlichen Psyche von schwindelerregender Angst und von der unheimlichen Macht der Vorstellungskraft.
Autorenporträt
Jürg Acklin, 1945 in Zürich geboren, promovierte in Sozialwissenschaften, arbeitete als Lehrer, dann als Redaktor beim Schweizer Fernsehen und hat eine psychoanalytische Praxis in Zürich. Bei Nagel & Kimche erschienen die Romane "Der Känguruhmann" (1992), "Das Tangopaar" (1994), "Froschgesang" (1996), "Der Vater" (1998) und "Defekt" (2002).
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.10.2009

Gefährliches Glück
Der neue Roman des Zürcher Analytikers Jürg Acklin

Ein Hans im Glück, gar ein Glücksritter ist dieser Felix gewiss nicht, obwohl sein Name überdeutlich auf die Bestimmung zum Glücklichsein verweist. Seit seiner Geburt leidet Felix an einer cerebralen Lähmung. Selbständig zu laufen hat er nie gelernt, und nun, mit knapp fünfzig Jahren, ist der Rollstuhlfahrer auf die Betreuung durch seinen älteren Bruder und dessen junge Frau angewiesen. Die beiden kümmern sich liebevoll um ihn und versuchen, wo es nur geht, ihn ins Familienleben einzubeziehen, zu dem auch ein kleiner Sohn gehört. Felix aber, der Ich-Erzähler dieses kleinen Romans, tippt seit langem die Texte ab, die sein Schriftsteller-Bruder verfasst, und man versichert sich nur zu gern der Normalität dieser familiären Wohngemeinschaft.

Was aber ist das Maß, mit dem das Normale gemessen wird, und wem steht ein angemessenes Urteil darüber zu, wo die Abweichung und wo das Beunruhigende beginnt? Um diese Fragen lässt Acklin die Gedanken seines Protagonisten unablässig kreisen. Subtil demonstriert er, wie routiniert Felix sich die Welt schöndenkt und wie schnell er doch aus seinem inneren Gleichgewicht zu bringen ist. Seine eigene Kindheit versucht er unbeirrt als glücklich in Erinnerung zu behalten, obwohl er sich dabei von einem Selbstwiderspruch zum nächsten bewegt. Seinen Vater etwa beschreibt er gern als einen strengen, aber stets liebevollen Mann, doch seine eigenen Worte widerlegen ihn schnell: "Tätlich ist er übrigens auch gegen meine Mutter nie geworden, jedenfalls fast nie. Nur einmal, da hat er ihr in der Küche den Hals zugedrückt, als sie seine Freundin eine billige Hure nannte."

Es gehört schon einiges an Willenskraft und Phantasie dazu, die offenkundigen Fakten so eklatant zu verdrehen. Mit dergleichen psychischen Mechanismen aber kennt sich der 1945 geborene Jürg Acklin bestens aus, führt der studierte Soziologe doch seit langem eine psychoanalytische Praxis in Zürich. Auch in seinen früheren Büchern hat Acklin häufig Menschen in seelischen und körperlichen Ausnahmezuständen geschildert und dabei mitunter bizarre Szenarien entworfen. Der Roman "Das Tangopaar" (1994) etwa beschreibt den komplizierten Alltag eines Ehepaares, dem ein Vaginalkrampf eine slapstickhafte Choreographie aufnötigt. Zwei Jahre zuvor schuf der um skurrile Einfälle offenbar nie verlegene Erzähler mit dem "Känguruhmann" einen Protagonisten, der sich dem Erwachsenwerden verweigert und seit vielen Jahren im mütterlichen Uterus lebt. Gegenüber solchen grotesken Einfällen wirkt die Szenerie von Acklins jüngstem Roman fast wie ein realistisch gezeichnetes Genrebild.

Ein Grund für diese Mäßigung der erzählerischen Phantasie mag darin liegen, dass Acklin diesmal, zumindest was die äußere Konstellation betrifft, auf eigene Erfahrungen zurückgreifen konnte - sein eigener Bruder, so hat es der Autor jüngst in einem Interview geschildert, ist auf den Rollstuhl angewiesen und lebt mit ihm und seiner Familie im selben Haushalt. Die innerfamiliären Spannungen, von denen er erzählt, und die verworrenen Phantasien seines Helden entsprängen indes, so Acklin, der Fiktion.

Die suggestive Kraft der Fiktion ist nun auch ein zentrales Thema des Romans. Denn Felix, der hilfsbereite Assistent seines Bruders, gerät mehr und mehr ins Grübeln über dessen jüngstes Manuskript, das er in eine leserliche Fassung übertragen soll. Immer stärker wird sein Verdacht, sein Bruder könne in dem Roman in kaum verschlüsselter Form von eigenen Eheproblemen und von den Verstrickungen seiner Frau in die Machenschaften einer obskuren Sekte berichten. So wird Felix zum misstrauischen Beobachter seiner Verwandten, wittert hinter jedem noch so harmlosen Wortwechsel geheime Botschaften und verliert zunehmend seine Unbefangenheit. Dieselben Verkrampfungen legt er an den Tag, wo es um sein eigenes Privatleben geht: Seine Zuneigung zur blinden Bernadette versucht Felix trotz aller Sehnsucht zu unterdrücken, will er doch unbedingt vermeiden, sich in der Öffentlichkeit als verkrüppelter Liebhaber einer Behinderten lächerlich zu machen.

So entfaltet Jürg Acklin durch die langen Monologe seines Helden allmählich das Psychogramm eines Menschen, dessen körperliches Handicap zum Auslöser für eine seelische Zwangslage wird, die eine ganze Familie gefangen nimmt. Den Autor als Analytiker interessiert in diesem Fall die Diagnose mehr als die mögliche Heilung - das Ende des Romans bleibt bedrückend offen. Eine ganz reale Pistole zwar taucht auf einmal auf, und Felix liebäugelt zunehmend mit dem Gedanken, sie zu benutzen, um sich seiner Ängste zu entledigen. Was aber am Ende geschieht, wissen wir nicht - und können allein mit Jürg Acklin vermuten, dass Gewalt und Glück schlechte Partner sind, im Leben wie in der Literatur.

SABINE DOERING

Jürg Acklin: "Vertrauen ist gut". Roman. Verlag Nagel & Kimche, Zürich/München 2009., 160 S., geb., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Ein "Kippbild" aus Dichtung und Wahrheit ist dieser Roman für den Rezensenten Martin Zingg. Die mit den Übergängen zwischen Realität und Fiktion spielende Geschichte um den behinderten Felix, der einen Roman seines Bruders abtippt und dabei Parallelen zu seiner und des Bruders Wirklichkeit zieht, zieht den Rezensenten sanft aber unaufhaltsam in Abgründe. Das Ausgeliefertsein als Behinderter und die Konfliktpotentiale der Familie sind die Themen, die Jürg Acklin laut Zingg so witzig wie unterhaltsam, so präzise wie berührend in Szene setzt. Dass der Autor dabei weder dramatisiert noch beschönigt, gefällt dem Rezensenten und macht die Lektüre für ihn zu einer eindrücklichen Erfahrung.

© Perlentaucher Medien GmbH
aben wir das Geschenk: Was wir lesen, ist Felix' Interpretation und man weiss nie mit Sicherheit, was wahr ist und ob es tatsächlich das Leben des Schriftstellers ist, das still aus dem Ruder läuft oder ob Felix sich in etwas hineinsteigert. So schraubt sich die Spannungsspirale das ganze Buch hindurch steil in die Höhe. Acklin erzählt schnörkellos und gerade deshalb echt von diesem Ping-Pong zwischen Fiktion und Wirklichkeit." Tania Kummer, DRS3, 31.03.09