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Mit der Ankunft des jungen Studenten Galsan Tschinag in Leipzig beginnen diese Lebenserinnerungen. In der Nomadenjurte aufgewachsen, ist ihm hier alles fremd und neu: das Essen mit Messer und Gabel, das Wasserklosett, der Umgangston der Menschen und der Himmel über der grauen Stadt. Aber mit unbändigem Wissensdrang stürzt er sich auf alles, was er hier lernen kann, gewinnt Freunde unter Studenten, Professoren und Schriftstellern und wird bald zu einem Meister der deutschen Sprache.
Inmitten der reichen europäischen Kultur und Geschichte fühlt er sich zunächst klein und unbedeutend. Erst als
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Produktbeschreibung
Mit der Ankunft des jungen Studenten Galsan Tschinag in Leipzig beginnen diese Lebenserinnerungen. In der Nomadenjurte aufgewachsen, ist ihm hier alles fremd und neu: das Essen mit Messer und Gabel, das Wasserklosett, der Umgangston der Menschen und der Himmel über der grauen Stadt. Aber mit unbändigem Wissensdrang stürzt er sich auf alles, was er hier lernen kann, gewinnt Freunde unter Studenten, Professoren und Schriftstellern und wird bald zu einem Meister der deutschen Sprache.

Inmitten der reichen europäischen Kultur und Geschichte fühlt er sich zunächst klein und unbedeutend. Erst als er eine deutsche Forscherin durch seine Heimat führt, wird ihm klar: Auch sein eigenes Land, seine Sprache und seine Leute haben der Welt einzigartige Erkenntnisse zu schenken.
Autorenporträt
Tschinag, GalsanGalsan Tschinag, geboren 26.12.1943 in der Westmongolei, ist Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa. Von 1962 bis 1968 studierte er Germanistik in Leipzig, seither schreibt er viele seiner Werke auf Deutsch. Er lebt den größten Teil des Jahres in der Landeshauptstadt Ulaanbaatar und verbringt die restlichen Monate abwechselnd als Nomade in seiner Sippe im Altai und auf Lesereisen im Ausland. Galsan Tschinag wurde mit vielen Auszeichnungen, darunter das Bundesverdienstkreuz, geehrt.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.05.2018

Mutter Leipzig ließ ihn eine neue Sprache lieben
Der mongolische Schriftsteller Galsan Tschinag erinnert sich an seine deutsche Studienzeit

Literarische Landschaften sind reich an Überraschungen, Bizarrerien und verrückten Geschichten. Längst hat sich der Begriff der Nationalliteratur aufgelöst zugunsten einer weltoffenen Szenerie. Die Poeten haben die Grenzen überschritten, sprachlich wie räumlich. Ein herausragender Vertreter dieser transnationalen Schriftkultur ist der aus der Mongolei stammende Galsan Tschinag, aufgewachsen als Kind eines nomadischen Viehzüchters aus dem Volk der Tuwa. "Ich bin der erste Schriftsteller einer schriftlosen Nation", bekennt er stolz, aber nicht nur dies: Als Achtzehnjähriger kam er 1962 mit einem Stipendium nach Leipzig. Am Herder-Institut lernte er Deutsch, an der Karl-Marx-Universität studierte er Germanistik bis zu seinem Abschied aus dem östlichen Westen im Sommer 1968.

Inzwischen hat der Autor vierzig Bände vorgelegt, Gedichte, Erzählungen, Romane, Reportagen. Mehr als dreißig davon sind in deutscher Sprache verfasst, in einem Deutsch, das brillanter und einfallsreicher nicht sein könnte. Mit dem Fingerspitzengefühl eines gelernten Schamanen durchleuchtet Tschinag die Geheimnisse einer anderen Welt. Er ist ein Virtuose der Sprachartistik. In der sozialistischen Mongolei diente ihm später das Deutsche als Tarnsprache. Warum es ihn nach Leipzig verschlagen hat, ohne ein Wort Deutsch zu können, darauf gibt der Schriftsteller eine verblüffend einfache Antwort: "Das Schicksal wollte es so."

Nun hat Tschinag einen Zyklus autobiographischer Romane begonnen, und der erste Band ist Leipzig gewidmet, seiner "Mutter Leipzig". Hat der Autor bisher einem deutschen Lesepublikum das Leben, die Kultur und Traditionen der Nomaden nähergebracht, so beschreibt er nun erstmals seine Erfahrungen in der deutschen Fremde. Er kommt in eine Stadt, die aus Beton, Eisen, Glas und Dampf zusammengesetzt ist, nichts erinnert an seine tuwinische Heimat. Die ersten tiefen Eindrücke, die er schildert, sind jedoch keineswegs die von neuen Menschen oder einer ungewohnten Umgebung, sondern seine Auseinandersetzungen mit den mongolischen Mitstipendiaten, die aus Nomenklatura-Familien stammen und ihn als Hirtenjungen aus der Steppe verachten. Die neue Sprache ist widerborstig, vor allem kann er lange Zeit kein "f" aussprechen, bis ihm ein mongolischer Mitbewohner im Studentenwohnheim ins Gesicht schlägt. Die Lippe schwillt so an, dass er den Mund nicht mehr schließen kann, und plötzlich merkt er, dass das "f" nur mit leicht geöffnetem Mund richtig ausgesprochen werden kann, damit nicht unversehens ein ungewolltes "p" herauskommt. Dies ist sein erster Sieg über die ihn hänselnden mongolischen Mitstudenten.

Ein eigenwilliger Einstieg in die fremde Stadt, aber verständlich deshalb, weil seine Umgebung zunächst die eigenen Landsleute sind, die damals in die DDR geschickt wurden. Tschinag spricht von seinen "Leipziger Lehrjahren", aber wer die DDR der sechziger Jahre sucht, betrachtet aus dem Blickwinkel eines Ostasiaten, der wird enttäuscht. Wohl erfährt der Leser, dass damals ein Brötchen fünf Pfennig kostete, ein Pfund Graubrot für 39 Pfennig zu haben war und für ein Pfund Äpfel fünfzig Pfennig bezahlt werden mussten, aber mit Äußerungen über das politische Klima im Land, in der Stadt, die Umbrüche im "sozialistischen Aufbau", die damals stattfanden, hält sich Tschinag merkwürdig zurück, obwohl er sich als Chronist versteht. Im Mittelpunkt seiner Erfahrungen steht das Professorenehepaar Schwan, Esther und Matthias, die in einer gutbürgerlichen Villa leben und ihn schließlich bei sich aufnehmen. Der Nomade aus dem Volk der Tuwa lernt eine neue - bürgerliche - Welt kennen, das Akademikerpaar lässt sich von dem jungen Studenten aus der Ferne bezaubern. Man macht zusammen Ausflüge, debattiert nächtelang, und schließlich lernt Esther Schwan bei Tschinag Mongolisch und sogar ein wenig seine Muttersprache Tuwinisch, die Tschinag fortan wohl korrekter als Sprache der Dwalar bezeichnet. Im Juni 1966 brechen er und Esther Schwan gemeinsam in die Mongolei auf, sie will seine Heimat kennenlernen und sich von ihm führen lassen.

Drei Monate bewegen sich die beiden durch das Land der Nomaden, allerdings mit Problemen. Die Tatsache, dass der junge Student mit einer europäischen Frau zurückkommt, erweckt bei allen die Vermutung, sie wäre seine Braut. Dementis sind unnütz. Dass Galsan Tschinag diese Verwicklung nicht vorhergeahnt hat, nimmt Wunder. Nicht verwunderlich ist, dass sich zwischen den beiden etwas anbahnt, es kommt für Tschinag zum ersten Kuss seines Lebens. Esther Schwan nennt dies eine "kleine Panne", die man sich verzeihen solle. Tschinag ist empört, denn er hat sich in die Frau verliebt.

Der dreimonatige Aufenthalt in der Mongolei nimmt im Buch breiten Raum ein. So blass die DDR der sechziger Jahre bleibt, so anschaulich werden die Erlebnisse im Land der Mongolen und Dwalar zur Sprache gebracht. Immer heftiger drängt sich nach vorne, dass der junge Nomade merkt, dass er ausgenutzt wird, denn nach dem Aufenthalt veröffentlicht Esther Schwan als Ethnologin und Turkologin die Ergebnisse dieser Reise, die sie Galsan Tschinag verdankt, der aber nicht erwähnt wird. Ihr dient die Reise zum späteren akademischen Ruhm und Ansehen, er bleibt ein Niemand. Die weitere Zuspitzung dieses Konflikts hat der Autor einem späteren Band seiner Autobiographie vorbehalten, aber er deutet schon unmissverständlich an, dass die frühere Harmonie und Freundschaft zu zerbrechen beginnt.

Die Liebe zu Leipzig trübt diese bittere Erfahrung nicht. Der "Roman" oder wie immer man diesen Lebensbericht bezeichnen mag, endet mit dem Studienabschluss im Sommer 1968. Galsan Tschinag ist Bester seines Jahrgangs und darf im Leipziger Alten Rathaus die Abschlussrede halten, ein emotional tief empfundenes Lob auf die Stadt. Das erfüllt ihn mit hoher Genugtuung, er findet Anerkennung und zeigt sich dankbar. Dennoch hinterlässt dieser Einstieg in einen Zyklus autobiographischer Erzählungen einen zwiespältigen Eindruck. Viele Fragen bleiben unbeantwortet. Man wüsste gern genauer, wie sich ein junger Nomade in der DDR der sechziger Jahre gefühlt hat, welchen Widersprüchen er politisch und sozial begegnete. Warum war Leipzig eine so elementare, positive Erfahrung, dass Tschinag für sein weiteres Leben die deutsche Sprache zu seiner literarischen Ausdrucksform wählte und mit Begeisterung und Enthusiasmus den Besonderheiten dieser Sprache nachspürte? Tschinag kleidet seine "Leipziger Lehrjahre" in sehr persönliche Betrachtungen. Das ist wohl Absicht. Ein tuwinischer Nomade, der in seinen schwersten Stunden Werke von Beethoven hört, wird uns immer ein Rätsel bleiben.

LERKE VON SAALFELD.

Galsan Tschinag: "Kennst du das Land". Leipziger Lehrjahre.

Unionsverlag, Zürich 2018. 309 S., geb., 24,- [Euro].

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»Galsan Tschinag schreibt in einem Deutsch, das brillanter und einfallsreicher nicht sein könnte. Mit dem Fingerspitzengefühl eines gelernten Schamanen durchleuchtet er die Geheimnisse einer anderen Welt. Er ist ein Virtuose der Sprachartistik.« Lerke von Saalfeld Frankfurter Allgemeine Zeitung