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Galsan Tschinag erzählt hier die Geschichten, die der Stoff seiner Kindheit sind und die sich in seine Erinnerung eingegraben haben. Geschichten von seiner weitverzweigten Familie, von Festen, Heimsuchungen, Krieg und Liebe. Geträumte Wirklichkeit und als Realität erlebte Märchen verbinden sich und münden in einen Gesang an den Altai.

Produktbeschreibung
Galsan Tschinag erzählt hier die Geschichten, die der Stoff seiner Kindheit sind und die sich in seine Erinnerung eingegraben haben. Geschichten von seiner weitverzweigten Familie, von Festen, Heimsuchungen, Krieg und Liebe. Geträumte Wirklichkeit und als Realität erlebte Märchen verbinden sich und münden in einen Gesang an den Altai.
Autorenporträt
Galsan Tschinag, eigentlich Irgit Schynykbajoglu Dshurukuwaa, wurde 1943 in der Mongolei als Sohn tuwinischer Nomaden geboren, mit 4 Jahren begann seine Ausbildung zum Schamanen. 1962 studierte er in Leipzig Germanistik, seither schreibt er auf Deutsch. Galsan Tschinag wurde mit zahlreichen Auszeichnungen geehrt, darunter der Adelbert-von-Chamisso-Preis und der Literaturpreis der deutschen Wirtschaft. 2015 erhielt er den ITB BuchAward, Werkpreis Literatur. 2002 wurde ihm das Bundesverdienstkreuz verliehen. Galsan Tschinag lebt in Ulan Bator/Mongolei und bei den Tuwa-Nomaden des Hochaltai.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 07.10.2002

Im Jahr der gelben Häsin
Mongolisches Fischfleisch: Galsan Tschinags verstreute Texte

Kann man sich "verreiten"? Im Deutschen kann man sich verlaufen, verfahren und verirren. Im Sattel geboren wurde ein anderes Wort. Vergaloppiert hat sich, als er auf dem Weg zu den Yakhirten feststellen mußte, daß er sich "verritten" hatte, der Schriftsteller Galsan Tschinag in seinem "Märchen von der Schneesturmnacht". Es erschien im schmalen Band "Tau und Gras", mit dem jetzt der Autor, der seit seinem Studium in der DDR der sechziger Jahre auf deutsch schreibt, Prosasplitter aus zwanzig Jahren nachreicht.

Der siebenundfünfzigjährige Tschinag, der in der mongolischen Hauptstadt Ulan Bator lebt, drei Monate im Jahr als Nomade in der Jurte verbringt, doch auch viel Zeit auf Lesereisen im Ausland, bezeichnet sich als "deutschen Schriftsteller mit mongolischem Gesicht". Nicht umgekehrt. Er ist Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa, die er 1996 zurückführte in die Heimat im Altai-Gebirge, aus der sie während der kommunistischen Jahre zwangsumgesiedelt waren.

Das finanzierte er aus Tantiemen seiner literarischen Arbeit, die ihn vor allem im deutschsprachigen Raum bekannt machte. Mit Romanen wie "Der blaue Himmel" oder "Zwanzig und ein Tag" trat er erst nach der Wende hervor. Schon sein Erstling, "Eine tuwinische Geschichte", mußte 1981 nicht übersetzt werden. Wie man im Nachwort zu diesem im Verlag Volk und Welt erschienenen Debüt lesen kann, hatte sich Erwin Strittmatter, der es schrieb, anfangs gefragt: "Will hier einer den Mongolen spielen?" Wenn in der DDR jemand literarisch ausritt, dann war es der Pferdeliebhaber Strittmatter selbst. Dennoch wurden sie Freunde. Einige Texte von 1981 kann man zwischen den mehrheitlich erstmals gedruckten nun wiederlesen, etwa die "Kantate auf den Altai", die jetzt als "Ode" dargeboten wird. "Im Frühlingswald" hat sich überholt, dessen Botschaft Tschinag einst "An einen Genossen" richtete, dem er, bezugnehmend auf seine Abstammung von wohlhabenden Ahnen, versicherte: "Ich bin ein Kind meiner Zeit und will ihr braver Soldat sein."

Wiederaufnahme fand die Geschichte von "Onkel S.", den die Leute seinerzeit "wie einen Ehrengast" behandelten, "weil sie ihn für einen von der Staatssicherheit hielten". Dafür halten sie ihn in der jetzigen Textfassung noch immer, behandeln ihn jedoch "wie einen neuzeitlichen Fürsten". Also wie einen Aufsteiger der neuen Macht, die in einem anderen Text einen Opportunisten hervorbrachte, der als "Ergebnis unseres Rations- und Beziehungssozialismus" karikiert wird.

Aber Tschinags Blick zurück auf die Kindheit und Jugendjahre, wie sie in "Tau und Gras" wiedererstehen, ist keineswegs der einer nachträglichen politischen Abrechnung. Das Gute bleibt gut, wie etwa in der Fabel "Die Tamyr", in der zwei Brüder durch die Zeitläufe des zwanzigsten Jahrhunderts sich vom Stammesauftrag der Rache lösen. Im Zweiten Weltkrieg, ausgebrochen "im Jahr der gelben Häsin", haben sie als Soldaten an der gleichen Front gekämpft, warum sollten sie sich anschließend erdolchen, um eine alte Blutschuld einzulösen?

Gerade in so knappen Texten, wie sie jetzt im Bändchen des Unionsverlags versammelt sind, vernimmt man überdeutlich den Schlag der zwei Herzen in Tschinags Brust. Da ist einerseits die Liebe zur deutschen Sprache, der er Wortschöpfungen wie "Meinungerei" (für die Medienwelt) oder "alleinzige Königin" abgewinnt. Und da sind andererseits Metaphern, die aus der Erfahrungswelt des Steppenlebens stammen wie etwa "madenhaft schnell", also flink wie "die Bewegungen einer Made in versäuertem Milchrahm". Manchmal kommt beides zusammen, wenn über einen Rappen gesagt wird, daß er "die behufte Güte, die bemähnte Weisheit" gewesen sei. Es sei ihm gegönnt. Stärkeren Eindruck hinterlassen die nüchtern und bestenfalls ohne nachträgliche Reflexion wiedergegebenen Erinnerungsbilder. Wie der Schüler dachte, als er noch nicht zu einem "erweckten, erfahrenen Menschen" geworden war, macht die Miniatur vom hart durchgreifenden Direktor deutlich, der den Jungen der lärmenden Klasse Haarbüschel abschneidet, den Mädchen die Zöpfe. Anderntags kehrt der "Haarmäher" zurück und fragt die Schüler, was sie in seinen Augen wohl seien. "Fischfleisch", antwortet ein Mädchen. "Weder Fisch noch Fleisch", habe sie wohl gemeint, sagt der Genosse Direktor und belohnt sie mit einem: Sehr gut! "Vaters Schnauzbart" fällt auf die gleiche Weise, als ihn zwei sowjetische Grenzsoldaten, die sich in die Jurte verirrten, falsch verstehen. Er wollte Schnupftabak von ihnen, sie wähnten seine Geste als Bitte um eine Rasur. Als der Vater den Sohn später in die Fremde verabschiedete, gab er ihm als guten Rat mit auf den Weg: "Sei vorsichtig, mein Kind, wenn du dich zunächst mit Händen und Füßen verständigen mußt." Mit zitternder Stimme wird in der Stunde des Abschieds eine absurde, Jahre zurückliegende Begebenheit aufgefrischt. Tschinag war "zum Weinen zu Mute", jeder Leser kann es ihm mitfühlen. In solchen Geschichten, die ohne große Worte und Übersetzungsversuche auskommen, funktioniert mühelos der Brückenschlag zwischen den Kulturen.

SIEGFRIED STADLER

Galsan Tschinag: "Tau und Gras". Prosa. Unionsverlag, Zürich 2002. 157 S., geb., 14,80 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Helmut Höge schwärmt von dem mongolischen Schriftsteller Galsan Tschinag, der seit seinem Studium in Leipzig auf deutsch schreibt, auch wenn er wieder in Ulan-Bator lebt. Zunächst lässt sich Höge über die verschiedenen, bereits erschienenen Romane Tschinags aus, in denen starke, selbstbewusste Mongolinnen im Mittelpunkt stünden. Sie sind, meint Höge, in der nomadischen, schamanistisch-buddhistisch geprägten Gesellschaften nicht den typischen Rollenvorbildern ausgesetzt gewesen. Auch die von Höge neu angekündigten 33 Erzählungen aus dem Band "Tau und Gras" sind bereits 1981 auf Deutsch erschienen, in der DDR; es sind überwiegend Erinnerungen aus der Jugendzeit des Autors, schreibt Höge, worin wieder eine Frau, nämlich Tschinags Großmutter, eine besondere Rolle spiele.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Wunderbare kleine Geschichten, die das Leben Galsan Tschinag, einem Stammesoberhaupt der turksprachigen Tuwa, zutrug. Ein bezauberndes, eindrucksvolles, ergreifendes Buch, das breit einsetzbar ist.« Johann Straubinger Bücherschau