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2 Kundenbewertungen

Ein gescheiterter Putschversuch und mehrere Terroranschläge erschüttern 2016 die Türkei. Trotz der explosiven Lage kommt Recep Tayyip Erdogan seinem Ziel, als Präsident uneingeschränkter Herrscher über die Türkei zu werden, immer näher. Inga Rogg zeichnet Erdogans Werdegang vom Reformer zum Autokraten nach. Eingebettet in die Geschichte des Landes, zeigt ihre Analyse, welches Ziel er mit der Errichtung der "neuen Türkei" verfolgt und welche Auswirkung seine repressive Politik hat. Rogg untermauert ihre Ausführungen mit Reportagen, in denen unterdrückte Minderheiten ebenso zu Wort kommen wie…mehr

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Produktbeschreibung
Ein gescheiterter Putschversuch und mehrere Terroranschläge erschüttern 2016 die Türkei. Trotz der explosiven Lage kommt Recep Tayyip Erdogan seinem Ziel, als Präsident uneingeschränkter Herrscher über die Türkei zu werden, immer näher.
Inga Rogg zeichnet Erdogans Werdegang vom Reformer zum Autokraten nach. Eingebettet in die Geschichte des Landes, zeigt ihre Analyse, welches Ziel er mit der Errichtung der "neuen Türkei" verfolgt und welche Auswirkung seine repressive Politik hat.
Rogg untermauert ihre Ausführungen mit Reportagen, in denen unterdrückte Minderheiten ebenso zu Wort kommen wie Anhänger von Erdogan, und vermittelt so ein Stimmungsbild des zutiefst zerrissenen Landes.
Dieses Buch ist eine umfassende und differenzierte Analyse von Erdogans Politik: von seinen Anfängen bis zur brisanten Volksabstimmung über die Verfassungsänderung im April 2017. Es zeichnet ein vielschichtiges Bild einer zerrütteten Gesellschaft, deren Minderheiten durch Erdogans Machtausdehnung immer mehr an die Wand gedrängt werden und enthält eine kritische Betrachtung der Rolle des Westens.
Autorenporträt
Inga Rogg ist Türkei- und Nahost-Korrespondentin der NZZ und der NZZ am Sonntag. Sie studierte Ethnologie, Osmanische Geschichte und Soziologie in München. Von 2003 bis 2012 war sie NZZ-Korrespondentin in Bagdad. Seit 2011 berichtet sie über die Umbrüche und Konflikte in der arabischen Welt und der Türkei. Inga Rogg lebt und arbeitet in Istanbul.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 20.11.2017

Der unheimliche
Hausherr
Drei Autoren schauen besorgt auf den Zustand
der Türkei. Doch nicht an allem ist Erdoğan schuld
VON LUISA SEELING
Als am 13. Mai 2014 Hunderte Kumpel in Soma verschüttet werden und sich abzeichnet, dass sich in der westtürkischen Stadt ein verheerendes Grubenunglück ereignet hat, macht sich der Spiegel-Korrespondent Haznain Kazim auf den Weg. Er trifft auf aufgebrachte Bergleute, die sich empören über die herzlose Reaktion ihres Premierministers Recep Tayyip Erdoğan. Der hatte sie kurz vorher belehrt, Unglücke gehörten beim Bergbau eben dazu. Am Ende können 301 Kumpel nur noch tot geborgen werden. Ein Bergmann, mit dem Kazim spricht, wütet, er wolle Erdoğan nur noch sagen: „Scher dich zum Teufel!“ Die Redaktion von Spiegel Online macht das Zitat zur Überschrift. Was folgt, ist eine Hexenjagd, die aus Sicht des Journalisten viel erzählt über die türkische Gesellschaft.
Das Zitat – teils falsch verstanden als Meinungsäußerung Kazims – entfesselt im Internet einen Mob, der auch vor Drohungen nicht zurückschreckt. Fanatische Erdoğan-Anhänger beschimpften ihn als Verräter, Spion und Nazi. Türkische Medien greifen die Sache auf und werfen ihm vor, Desinformation zu betreiben. Kazim und seine Familie beschließen, die Türkei vorübergehend zu verlassen. Unter Erdoğan, resümiert er die Episode, waren „alternative Fakten“ längst alltäglich geworden, und Verschwörungstheorien „der Kitt, der die türkische Gesellschaft zusammenhält“.
Kazims Zeit als Korrespondent von 2013 bis 2016 bildet so etwas wie die Rahmenhandlung seines Buches „Krisenstaat Türkei“, und zum Reiz dieser Perspektive gehört, dass der in Oldenburg geborene Journalist mit pakistanisch-indischen Wurzeln vorher einige Jahre in Pakistan gearbeitet hat. Als er und seine Frau 2013 nach Istanbul ziehen, zeichnet sich zwar schon ab, in welche Richtung sich das Land in den nächsten Jahren entwickeln würde. Doch im Vergleich zu Pakistan erscheint ihm die Türkei zunächst als Hort der Liberalität.
Ein Eindruck, der allerdings nicht lange vorhält. In eher thematisch als chronologisch geordneten Kapiteln beschreibt Kazim den Niedergang eines Landes, das vor nicht allzu langer Zeit noch als Modell für eine islamisch geprägte Demokratie galt. Heute gibt es Krisen, wohin man blickt: Im Südosten geht der Krieg zwischen der Kurdenguerilla PKK und der Armee in immer neue Runden, kurdische Extremisten und Anhänger der Dschihadisten-Miliz IS verbreiten mit ihren Bomben Angst und Schrecken; außenpolitisch liegt die Türkei mit Europa im Clinch, den USA, auch mit vielen arabischen Nachbarn; im Inneren betreiben Erdoğan, seit 2014 Staatspräsident, und seine konservativ-islamische AKP Raubbau an der Demokratie. Kazim mischt seine Analyse mit Reportage-Elementen, hie und da reflektiert er auch seine Rolle als Beobachter, als Journalist.
So leicht sich sein Buch auch liest, sein Ausblick ist zutiefst pessimistisch. Immer mehr, so Kazim, zementiert Erdoğan seine Macht; die jüngste wichtige Etappe auf diesem Weg war das Verfassungsreferendum im April dieses Jahres, in dem eine knappe (und umstrittene) Mehrheit für die Einführung eines Präsidialsystems stimmte. Ein Ende dieser Entwicklung, schreibt er, sei nicht absehbar.
Ein ähnlich krisenhaftes Bild zeichnet Inga Rogg, langjährige NZZ-Korrespondentin in Bagdad und Istanbul, in ihrem Buch „Türkei, die unfertige Nation“. Sie ist überzeugt, dass es Erdoğan vor allem um eins geht: um die Absicherung seiner Macht. Doch sie ist deutlich skeptischer, was die Stabilität des Systems angeht. In ihrer Darstellung wirkt die Türkei wie ein Druckkochtopf, der jederzeit explodieren kann. Die „neue Türkei“ Recep Tayyip Erdoğans sei heute „nicht größer und stärker, wie er es seinen Anhängern predigt, sondern isolierter und gespaltener denn je“, schreibt Rogg. Und dass der Präsident auf die Bremse treten müsse – sonst sei „ein Crash der ,neuen Türkei‘ so gut wie unvermeidlich“. Zwischen den verschiedenen Lagern wüchsen Wut und Hass. Schon während der Gezi-Proteste 2013 seien fanatische Erdoğan-Anhänger mit Messern auf Kritiker losgegangen. Heute könne die Lage schnell außer Kontrolle geraten.
Beide, Kazim und Rogg, haben eine politische Bestandsaufnahme vorgelegt; der Frage, wie sich denn das Abgleiten der Türkei in die Autokratie aufhalten ließe, widmen sie sich nur auf wenigen Zeilen in ihren Schlusskapiteln. Kazim wirft der Bundesregierung vor, sich mit Kritik allzu lange zurückgehalten zu haben; doch hätte sich Erdoğan von mehr Strenge wirklich beeindrucken lassen? Der türkischen Zivilgesellschaft traut er derzeit nicht zu, das Ruder herumzureißen. „Die Akteure von Gezi klammern sich an die Hoffnung, dass der Geist der Proteste und die andere, demokratische, bunte Seite der Türkei noch lebe. Tatsache ist aber, dass die Türkei heute undemokratischer ist denn je“, schreibt er. Rogg hingegen meint, die Regierung habe die Gezi-Proteste zwar niedergeschlagen, deren Geist sei aber noch da. Das habe sich während der Referendumskampagne an den vielen Nein-Initiativen gezeigt. Und der Protestmarsch von CHP-Chef Kemal Kılıçdaroğlu im Sommer nach Istanbul sei ein starkes Signal gewesen, dass die Opposition Erdoğan weiter Paroli bieten wolle. Kazim ist zwiegespalten: Die, die sich als Alternative anböten, seien „nicht unbedingt die bessere Alternative“; den Personenkult der CHP um Staatsgründer Atatürk sei mit dem um Erdoğan vergleichbar, die MHP sei schlicht rechtsextrem.
Es ist eine Stärke beider Bücher, dass sie die türkische Misere nicht einfach nur Erdoğan und seiner AKP in die Schuhe schieben, sondern auch einen Blick auf die Vorgeschichte werfen, auf illiberale Strukturen, die den Aufstieg der heutigen Machthaber überhaupt erst möglich machten. „Ist das nun Islamisierung?“, fragt Kazim im Zusammenhang mit der wachsenden Zahl von Moscheen. „Oder ist es vielmehr die Rückkehr zu einer Religiosität, die vor Atatürk herrschte, seither aber unterdrückt wurde?“ Die in Trümmern liegende alte Republik, schreibt Rogg, habe sich „in gewisser Weise selbst ihr Grab geschaufelt. Atatürks Politik zielte ganz darauf ab, einen starken Staat aufzubauen, und dabei sind auch alle seine Nachfolger geblieben.“ Wer immer die Macht hatte, machte sich Justiz und Verwaltung untertan.
Lohnend, wenn auch auf ganz andere Weise, ist die Lektüre des Buches „Erdoğanistan. Der Absturz der Türkei und die Folgen für Deutschland“ von Hasan Çobanlı, eingedeutscht Cobanli. Von dem 1952 in Istanbul geborenen und in Deutschland aufgewachsenen Autor ist vor zwei Jahren der lesenswerte Roman „Der halbe Mond“ erschienen, eine mit burleskem Humor aufgeschriebene Geschichte seiner eigenen Familie. Als Ur-Enkel des preußischen Generalfeldmarschalls Albrecht Graf von Roon und Enkel des osmanischen Generals und späteren Atatürk-Weggefährten Cevat Çobanlı Paşa ist Hasan Cobanli geradezu prädestiniert dafür, den deutsch-türkischen Beziehungen den Puls zu fühlen.
Sein neues Buch handelt davon, was „faul ist im Staate Erdoğanistan“ und ob die deutsch-türkische Freundschaft eine Zukunft hat, und schon der Titel lässt erahnen, dass er diesen Fragen mit polemischer Energie nachgeht. Manche Passagen sind etwas wirr geraten, aber Cobanli schreibt pointiert und anekdotenreich; amüsant ist etwa die Episode seiner ersten Begegnung mit Istanbuls Oberbürgermeister Recep Tayyip Erdoğan in den Neunzigern auf einer Cocktailparty, bei der Cobanli beobachtet, dass dieser sich im Kreise der High Society gar nicht wohl zu fühlen scheint („Sein Lächeln wirkte gequält, sein viel zu weiter Nadelstreifenanzug ließ ihn noch riesenhafter erscheinen, als er war“).
Cobanli versucht gar nicht erst, eine neutrale Perspektive einzunehmen, sondern erzählt die Geschichte von Erdoğans Wandlung zum Autokraten aus Sicht eines Kemalisten. Der Autor zählt sich zur säkularen Elite und hat für die Ungebildeten und Frommen (für ihn gehört das zusammen) erkennbar wenig übrig. Aus seinen Bemerkungen über die „anatolischen Wähler“, die ihre Stimme dem „Sultan“ schenken, spricht Verächtlichkeit. Das Militär, jahrzehntelang Hüter des Kemalismus, kommt dagegen eher gut weg, obwohl gerade die Generäle immer wieder demokratische Grundrechte einschränkten.
Dabei gibt es durchaus Passagen, in denen Cobanli die rigiden Leitplanken des Kemalismus hinterfragt: Möglicherweise habe Atatürks Laizismus „ungewollt die innerhalb der türkischen Klassengesellschaft verwurzelten sozialen Barrieren zementiert und zu Zeitbomben werden lassen“, schreibt er. Doch zugleich lässt er keine Gelegenheit aus, auf den sozialen Barrieren herumzureiten – und veranschaulicht so, wenn auch vermutlich unbeabsichtigt, die Spaltung der Gesellschaft in „schwarze“ und „weiße“ Türken.
Viel Optimismus für die Zukunft verbreitet also auch Cobanli nicht, aber er schließt mit einem Appell: Die Vorgänge am Bosporus dürften nicht dazu führen, „den Schurkenstaat Erdoğanistan mit ,der Türkei‘ gleichzusetzen und die andere Hälfte zu vergessen“. Was auch immer man von Cobanlis Furor halten mag, dem Satz kann man nur zustimmen: Abschreiben sollte man das Land nicht. Dafür ist es zu wichtig – und zu nah.
Für Inga Rogg ist der Staat
wie ein Druckkochtopf,
der jederzeit explodieren kann
Hasan Cobanli fragt zumindest,
was die rigiden Leitplanken
des Kemalismus bewirkt haben
Hasnain Kazim:
Krisenstaat Türkei.
Erdoğan und das Ende der Demokratie am Bosporus.
DVA München 2017,
256 Seiten, 20 Euro.
E-Book: 15,99 Euro.
Inga Rogg:
Türkei, die unfertige Nation. Erdoğans Traum vom
Osmanischen Reich.
orell füssli Verlag Zürich 2017. 240 Seiten, 20 Euro.
E-Book: 15,99 Euro.
Hasan Cobanli:
Erdoğanistan. Der Absturz der Türkei und die Folgen für Deutschland.
Verlag C.H. Beck München 2017, 226 Seiten, 14,95 Euro.
E-Book: 11,99 Euro.
Ja zur Verfassungsänderung: Werbeplakat von Präsident Recep Tayyip Erdoğan im April in der Stadt Rize am Schwarzen Meer.
Foto: Chris McGrath/Getty
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Rezensent Wolfgang Taus rechnet seiner Kollegin, der Türkeikorrespondentin für die NZZ, Inga Rogg, die Expertise hoch an, die sie bei einem Porträt der gespaltenen Türkei unter Erdogans Führung an den Tag lege. Es gibt ihm Aufschluss über ein "Land zwischen Mythos und Realität", schreibt Taus, der mit seiner Inhaltswiedergabe seine genaue Lektüre unter Beweis stellt.

© Perlentaucher Medien GmbH