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Produktdetails
  • Verlag: Haffmans
  • Seitenzahl: 487
  • Abmessung: 210mm
  • Gewicht: 630g
  • ISBN-13: 9783251202867
  • ISBN-10: 3251202863
  • Artikelnr.: 24615173
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.11.1999

Wer allein ist, befindet sich in schlechter Gesellschaft
Der amerikanische Bürgerkrieg und der Schriftsteller des schwarzen Humors: Eine Biographie über Ambrose Bierce / Von Joachim Kalka

Wer war Ambrose Bierce? Die meisten deutschen Leser werden eine unklare Vorstellung haben: von einem amerikanischen Autor des neunzehnten Jahrhunderts, dessen OEuvre irgendwie mit dem ominösen Begriff des schwarzen Humors zusammenhängt. Es ist aber durchaus angebracht, sich dieses Autors etwas genauer zu versichern, wozu nun gute Gelegenheit besteht.

Bierce (1842 geboren) war nach seiner Militärzeit im amerikanischen Bürgerkrieg, die ihn unauslöschlich prägte, vor allem ein Journalist, der in San Francisco, Washington und London arbeitete (an letzterem Ort in den Jahren 1872 bis 1876 unter anderem bei einer bizarren Zeitschrift, die eigens zur Vertretung der Interessen der exilierten Kaiserin Eugénie gegen feindselige Pressekampagnen und insbesondere gegen den unerbittlichen Hass Henri Rocheforts dienen sollte). Er schrieb einige glänzende und eine größere Reihe mittelmäßiger Erzählungen oft phantastischen oder makabren Inhalts, bei denen sich häufig zeigt, dass früher Mangel an systematischer Bildung gerne mit einem ostentativ "literarischen" Stil kompensiert werden soll. Er verfasste ein "zynisches" Wörterbuch satirisch-aphoristischer Definitionen ("Arbeit, die - Einer der Prozesse, wodurch A Eigentum für B erwirbt") und anderes mehr, und er endete mysteriös: Wie ein biographisches Lexikon es knapp zusammenfasst: "Ein Misanthrop, verschwand er in Mexiko."

Ehe unsere eigene Jahrhundertmitte die zivilisatorische Sicherheit wieder abschaffte, hatten wenige Autoren der Neuzeit hinter ihrem Todesdatum ein Fragezeichen; Bierce aber ist "1914?" gestorben. Aus sardonischer Neugier oder vielleicht auch, weil er sich noch einmal dem Journalismus widmen wollte, ging er nach Mexiko, wo der Krieg zwischen den Guerrilleros von Pancho Villa und den Regierungstruppen viel Anschauungsmaterial für einen Ironiker bot. Irgendwo zwischen Chihuahua und Ojinga verlieren sich die Spuren. Im Lauf des Jahrhunderts sind immer wieder Hypothesen über dieses Verschwinden angestellt worden (Charles Fort, der einzige Autor mit einem spekulativen Interesse an außerirdischen Besuchern, der Stil und Humor besaß, hat beiläufig die Vermutung angestellt, das Bierce zu Studienzwecken entführt wurde). Nun haben wir die deutsche Übersetzung einer gescheiten und zu ihrem Gegenstand achtungsvolle Distanz haltenden Biographie aus dem Jahre 1995; dem Haffmans Verlag ist dafür zu danken, dass er sie seinen Bierce-Ausgaben hinterhergeschickt hat.

Vielleicht ist Bierce hierzulande noch am ehesten den Lesern der Phantastik vertraut - mit Texten aus der Sammlung "Can Such Things Be?" (1893) wie "The Damned Thing", der schönen Automatengeschichte "Moxon's Master", in der ein Schachroboter kein guter Verlierer sein kann, oder "An Inhabitant of Carcosa" - einem Text, an den sich andere Phantastik-Autoren wie Chambers oder Lovecraft mit Echo-Geschichten angeschlossen haben.

Doch ist es weniger die Panik der unheimlichen Geschichten als der Horror der mit Pokerface realistisch erzählten Schilderungen, der heute noch beeindruckt. Vor dieses Entsetzen schieben sich allerdings nicht unkokette Erzählweisen: Wie gesagt ist Bierce immer unter dem im Deutschen recht dubiosen Begriff des "schwarzen Humors" rubriziert worden. Während der Begriff des "Humour noir" in Frankreich durch die Surrealisten fixiert wurde und seine Ahnenreihe in Bretons Anthologie aus dem Jahre 1939 mit Swift, dem Marquis de Sade, Lichtenberg und Charles Fourier beginnt, wurde der Schwarze Humor in Deutschland als Spätimport von hauptsächlich angelsächsischen Genre-Erzählern nach dem Kriege vor allem als eine Art makabres Kunstgewerbe ausziseliert.

Ein entsprechendes Moment von stereotyper Provokation durch Gewaltmechanismen findet sich durchaus bei Bierce; die Zuordnung ist nicht ganz ungerecht. Die naiv-kalte Geschmacklosigkeit etwa der Erzählungen aus "The Parenticide Club" (Der Elternmord-Klub) - "Mein Lieblingsmord", "Hundeöl" und so weiter - hat etwas heute noch Abstoßendes, aber nichts Erschütterndes oder Verwirrendes ("Alles in allem muss ich wirklich die Ansicht vertreten, dass hinsichtlich seiner künstlerischen Schrecklichkeit mein Mord an Onkel William selten übertroffen worden ist"). Die Bedeutung des in zynischen Konstellationen inszenierten Horrors bei Bierce wird aber erst klar, wenn man sich vergewissert, woher diese Form der Verzweiflungskomik stammt, und zu jenen Texten vorstößt, in denen diese Grotesktechnik wirklich groß ist.

Und hier hat es seinen besonderen Sinn, dass der Verfasser der neuen Biographie bereits als Herausgeber eines Werkes zum amerikanischen Bürgerkrieg und als Verfasser eines Buches über General Phil Sheridan hervorgetreten ist, einen der erfolgreichsten Generäle der Nordstaaten im amerikanischen Bürgerkrieg. Sheridan, ein Jahrzehnt älter als Bierce, war unter anderem für eine der großen Verheerungsaktionen der Kriegsgeschichte verantwortlich, die Verwüstung des blühenden Shenendoah-Tals mit der die Logistik der Südstaatenarmeen zerstört werden sollte, auf den Befehl von General Grant hin: dieses Flusstal zu einer Wüstenei zu machen. Die sicher bedeutendste unter den Erzählungssammlungen von Bierce, "In the Midst of Life" aus dem Jahre 1892, blickt nach dreißig Jahren auf den Bürgerkrieg zurück; die zeitliche Distanz vergoldet nichts. Es gibt bis heute keine Geschichten, die mit größerer Schärfe als Bierces beste Versuche das Entsetzen des Krieges fixieren. Wie das kleine Kind an einem "sonnigen Herbstnachmittag" beim einsamen Spiel im Wald in die langsam und stumm daherkriechende Menge der Verwundeten und Sterbenden nach einer Schlacht gerät, das bleibt ein ungeheuerlicher Einfall. "Er bewegte sich unbekümmert zwischen ihnen hin und her, ging von einem zum anderen und starrte mit kindlicher Neugier in die Gesichter. Die waren alle außerordentlich weiß, und viele waren mit roten Streifen oder Flecken versehen. Etwas hieran . . . erinnerte ihn an den geschminkten Clown, den er letzten Sommer im Zirkus gesehen hatte, und er lachte, als er ihnen zusah . . . Er näherte sich nun einer dieser kriechenden Gestalten von hinten und bestieg sie mit einer geschickten Bewegung rittlings. Der Mann sank auf die Brust, erholte sich, schleuderte den kleinen Jungen wild zu Boden, wie ein ungezähmtes Fohlen es wohl getan haben mochte, und wandte ihm ein Gesicht zu, dem der Unterkiefer fehlte . . ."

Schon in den Titeln jener Hälfte dieses Bandes mit "Geschichten von Soldaten und Zivilisten", welche dem Militär gewidmet ist, flammen die Schlachten des Bürgerkriegs auf - Resaca, Chickamauga. Die berühmteste Geschichte des Bandes ist "An Occurrence at Owl Creek Bridge". Der Spion, der auf der Brücke gehängt werden soll, entkommt im letzten Augenblick - so scheint es, bis sich die ganzen nun folgenden Irrfahrten als der innere Bilderschwall in der Sekunde vor dem Tod enthüllen - und will nach Hause. "Was ihm unterwegs begegnet - die zwei langen Baumreihen, die am Horizont zusammentreffen, die unvertrauten, bösen Sterne, das Geflüster in einer unbekannten Sprache - das ist so unheimlich wie nur irgend etwas an vergleichbarem Erzählen, das ich je gelesen habe" (Kingsley Amis).

Der Spion ist in einem Bürgerkrieg eine Figur mit besonders schmerzlichen Konnotationen; er ist ein entfernter Verwandter jenes Artillerieoffiziers, der sein eigenes Haus und seine eigene Familie zusammenkartätschen muss ("The Affair at Coulter's Notch"). Der amerikanische Bürgerkrieg von 1861 bis 1865 steht vor dem Ersten Weltkrieg, als das blutige Präsidium der militärischen Moderne, beispiellos blutiges Experimentierfeld der neuen Waffen. Bierce ist ein Todesexperte. Eine andere Erzählung der erwähnten Sammlung verdiente, sehr viel bekannter zu sein: "Parker Adderson, Philosopher". Sie beginnt mit der Frage: "Gefangener, wie lautet Ihr Name?" und schildert dann eine Szene im Zelt eines Generals der Konföderierten, dem ein verhafteter Spion vorgeführt wird. Dieser, Parker Adderson, verhält sich - im vollen Bewusstsein, dass er im Morgengrauen erschossen wird - mit souveräner, eleganter Gelassenheit. Der General, der diese große Ruhe bestaunt, ist unruhig und wird von der jokosen Selbstsicherheit seines Gefangenen fast unheimlich berührt. Ihre kleine philosophische Diskussion über den Tod kommt zum Ende, ohne dass es dem General gelungen wäre, Addersons Gleichmut zu erschüttern. Ein Offizier betritt das Zelt. Der General gibt den Befehl, Adderson auf der Stelle zu erschießen.

"Ein lauter Schrei brach aus dem Mund des Spions. Er warf sich vor, reckte den Hals, weitete die Augen, krampfte die Hände zusammen. ,Um Gottes Willen', rief er mit rauher, fast unverständlicher Stimme; ,das kann nicht Ihr Ernst sein. Sie vergessen - ich soll erst morgen früh sterben.'" Der General insistiert kühl. Der Gefangene tobt, rast und schlägt um sich; ehe es den Soldaten gelingt, ihn niederzuringen, hat er seinen Bewacher getötet und dem General eine tiefe Stichwunde versetzt. Er wird schließlich, weiß vor Entsetzen und in einem fast katatonischen Zustand, zur Hinrichtung gebracht. "Zehn Minuten später wurde Sergeant Parker Adderson aus der Armee des Nordens, Philosoph und geistreicher Kopf, wie er im Mondlicht kniete und stammelnd um sein Leben bettelte, von zwanzig Mann füsiliert." Dass Bierce den General, der vorher so sehr vor dem Tode erschauerte, seinen Befehl wiederholen und dann friedlich und freundlich und mit einem "Lächeln unaussprechlicher Sanftheit" seiner Wunde erliegen lässt ("Ich nehme an, das muss der Tod sein"), macht durch den allzu symmetrischen Kontrast den Schluss der Erzählung unbefriedigend. Trotzdem bleibt sie eine der stärksten Kritiken des Stoizismus, die es gibt.

Mit seinem "Wörterbuch des Teufels" (1906) gehört Bierce in die Geschichte der Aphoristik. (Der Untertitel von Morris' Buch zitiert den schönen Eintrag: "Alone, adj. In bad company".) Viele der als Alphabet lexikalischer Definitionen angeordneten Gedanken wirken heute verstaubt-preziös, manche sind noch überraschend frisch und tückisch. (In Friedemann Spickers jüngst erschienener kluger Anthologie "Aphorismen der Weltliteratur" setzt die Chronologie Bierce gar nicht uneben zwischen Mark Twain und Nietzsche.) Die Einträge dieses voluminösen und von fiktiven Zitaten starrenden Teufels-Wörterbuchs oszillieren zwischen Witz ("Barometer, das - Ein ingeniöses Instrument, das anzeigt, was für Wetter wir haben"), Sottise ("Mayonnaise, die - Eine der Saucen, die bei den Franzosen die Stelle einer Staatsreligion einnehmen"), zynischem Scharfsinn ("Langweiler, der - Jemand, der redet, während man will, dass er zuhören sollte") und Existenzkritik ("Ozean, der - Ein Wasservolumen, das etwa zwei Drittel der Welt bedeckt, die für den Menschen geschaffen wurde - welcher keine Kiemen besitzt").

Bierce gehört zu den Autoren, deren relativ umfangreiches Werk für den, der es systematisch durchstudiert, viele Enttäuschungen bereithält - die aber alle durch die außerordentliche Faszinationskraft einiger weniger Texte vollkommen aufgewogen werden. Erzählungen wie "Chickamauga" gehören zu den großen Geschichten des neunzehnten Jahrhunderts.

Seine Biographie bietet darüber hinaus eine interessante Chronik der Vereinigten Staaten im späten neunzehnten Jahrhundert, viele eigenartige Einzelheiten und ein ungelöstes Rätsel; dass sie von einem Militärhistoriker mit einem guten Begriff von Sozial- und Pressegeschichte geschrieben wurde, hat auch der Darstellung des literarischen Werkes gut getan.

Und ist Bierce nun in den Wirren der mexikanischen Revolution irgendwann später noch einmal aufgetaucht, ist er im fernen fantastischen Carcosa gesehen worden? Wir wissen nicht, wie er ums Leben kam oder was aus ihm wurde. Morris bringt vorsichtig die Erwägung ins Spiel, dass manches für einen Selbstmord spricht. Die schon in den Jahren gleich nach Bierces Verschwinden konfusen und widersprüchlichen Informationen aus Mexiko werden niemals mehr ein eindeutiges Bild ergeben. Wir schlagen noch einmal im "Wörterbuch des Teufels" unter dem Stichwort "Tot" nach und finden die - als Zeilen eines gewissen Squatol Johnes ausgewiesenen - Verse: "Mit allem Atmen fertig, mit / der ganzen Welt, mit allem quitt: / Den Wettlauf bis zum Ziel gerannt, / das Ziel als leeres Loch erkannt."

Roy Morris: "Ambrose Bierce. Allein in schlechter Gesellschaft". Biographie. Aus dem Amerikanischen von Georg Deggerich. Haffmans, Zürich 1999. 488 S., 59,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Joachim Kalka begrüßt diese Biographie über Ambrose Bierce, der von deutschen Lesern meist nur vage als ein Autor der literarischen Phantastik und des sogenannten "schwarzen Humors" aus dem letzten Jahrhundert bekannt sei. Nicht alle Werke dieses Autors, so Kalka, seien heute noch von Belang, allzu oft verliere sich Bierce doch in "eine Art makabres Kunsthandwerk". Wirklich gültig seien vor allem noch Bierces Erzählungen über den amerikanischen Bürgerkrieg in den 1860er Jahren: "Es gibt bis heute keine Geschichten, die mit größerer Schärfe ... das Entsetzen des Krieges fixieren." Da treffe es sich gut, dass der Autor der Biographie zugleich als ein Spezialist für diesen Krieg bekannt sei. Morris` Buch biete überdies "eine interessante Chronik der Vereinigten Staaten im späten 19. Jahrhundert".

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