Marktplatzangebote
10 Angebote ab € 2,00 €
  • Buch mit Leinen-Einband

'Natürlich wirst du mich verlassen und dir irgendeinen jungen Esel suchen; aber vielleicht ist es dann schon nicht mehr von Bedeutung.' Für Alice wird Sergios schmerzvoll-weitsichtige Prophezeiung wahr, als sie auf Raul trifft. Ein inniges, ein neues Leben beginnt, das Alice zunächst von Spanien nach Paris, dann aber auch immer tiefer in die Vergangenheit führt. Dorthin, wo sich die Wege der wichtigsten Menschen in ihrem Leben schon einmal gekreuzt haben. Und dorthin, wo Geheimnisse verborgen liegen, deren Enthüllung Alice in ihrem Tag- und Traumleben um so stärker beschäftigt, als Raul…mehr

Produktbeschreibung
'Natürlich wirst du mich verlassen und dir irgendeinen jungen Esel suchen; aber vielleicht ist es dann schon nicht mehr von Bedeutung.' Für Alice wird Sergios schmerzvoll-weitsichtige Prophezeiung wahr, als sie auf Raul trifft. Ein inniges, ein neues Leben beginnt, das Alice zunächst von Spanien nach Paris, dann aber auch immer tiefer in die Vergangenheit führt. Dorthin, wo sich die Wege der wichtigsten Menschen in ihrem Leben schon einmal gekreuzt haben. Und dorthin, wo Geheimnisse verborgen liegen, deren Enthüllung Alice in ihrem Tag- und Traumleben um so stärker beschäftigt, als Raul partout nicht mehr daran rühren möchte. Angelica Ammar widmet ihren Figuren eine gespannte Aufmerksamkeit, heftet sich mit wachem Blick an ihre Fersen und folgt ihnen minutiös im dichten Fluß ihrer Geschichten, in denen sich Erahntes, Erlebtes und Nacherlebtes auf faszinierende Art ergänzen. Das eindrucksvolle Debüt einer starken Erzählerin.
Autorenporträt
Angelica Ammar, geb. 1972 in München, studierte Romanistik und Ethnologie in München und Madrid. Weitere Aufenthalte in Lissabon, Montevideo und Buenos Aires. Zahlreiche Übersetzungen aus dem Spanischen und Französischen. Seit 1997 lebt die Autorin in Paris.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.10.2006

Die Monade schlägt zurück
An Winken herrscht kein Mangel: Angelica Ammars Erstlingsroman überzieht den Alltag mit Erinnerungsbildern

Aus Monaden läßt sich kein Leben entwerfen und auch kein Roman, allenfalls ein philosophisches System oder vielleicht eine Skulptur. "Stell dir doch mal so eine kleine Monade vor", sagt der Plastiker Raul in seinem Pariser Künstleratelier zur Erzählerin, die beklemmt auf eine Konstruktion aus Bleikugeln in einem Netzrahmen schaut, an denen er gerade herumpoliert. Monadenhafte Abgeschirmtheit jedes einzelnen, bleiernes Gesetz zufälliger oder schicksalhafter Zusammenhänge, erklärt der Künstler seiner Freundin - "doch das hat doch nichts mit uns zu tun". Natürlich hat es mit ihnen zu tun. Alles hat immer mit ihnen zu tun, darin liegen der unmittelbare Reiz und das verborgene Problem dieses Debütromans, der die Anspielungen und Zeichen so eng setzt, daß man beim Lesen unwillkürlich immerfort "aha" nicken möchte.

Gegen die massige Monadenwelt ihres Freundes hält die Erzählerin Alice das Gesetz der sich verlaufenden, wieder auftauchenden, sich neu verlierenden Spur ihrer selbst. Bevor sie als Ethnologiestudentin zu ihrem Freund Raul nach Paris zog, lebte sie eine Zeitlang als Alicia beim philosophischen Einzelgänger Sergio im spanischen Dorf, dessen Name dem Roman seinen Titel gab. Erinnerungen von Sand, Pinienwäldern, Hitze, Kälte, staubigen Feldwegen mit kläffenden Hunden steigen auf. Auch darüber hängt aber die Luftblase Paris, denn Sergio hatte in einer früheren Lebensphase, bevor er Alicia kannte, ebenfalls einmal ein paar Monate oder Jahre in der Pariser Boheme verbracht. So dringt in die annähernd glückliche, etwas biedere Boheme-Gegenwart mit Raul für Alice der herbere Hauch von Sergios früherem Leben, wohl kurz nach der Studentenbewegung. Von der Pariser Alice löst sich im Gedanken an Sergio und dessen einstige Freunde, die der jungen Frau aus Erzählungen bekannt sind, die Alicia aus der Zeit in Tolmedo ab. Diese setzt sich, immer unabhängiger werdend, über die konkrete Erinnerung der Erzählerin hinweg und bewegt sich schließlich frei durch den Roman, "als wäre sie zu einer der Figuren aus Sergios Erzählungen geworden".

Die Verbindung dieser erzählerischen Doppelperspektive ist der vierunddreißigjährigen Autorin, die seit neun Jahren in Paris lebt, gut gelungen. Kapitelweise wechselt die Erzählung zwischen erster und dritter Person und verstrickt das eigene Selbst in ein Verwirrspiel unterschiedlicher Lebensspuren. Das gekonnt eingesetzte Mittel der indirekten Rede setzt die Gespräche und Situationen auf eine zwischen Realität und Vorstellung subtil flimmernde Distanz. Alice alias Alicia ist als Erzählerin und Figur so breit angelegt, daß sie alles Geschehen immerfort aufsaugt.

Da schlägt aber die Monade zurück und drängt die anderen Figuren ins Reich der konstruierten Schemen. Raul ist der gutmütig teekochende, im Atelier mit Lötkolben hantierende und Zigarettenstummel ins Spülbecken werfende Gegenwartshöhlenbewohner mit mexikanischem Französischakzent. Sergio, der argentinische Intellektuelle mit den schwieligen Händen, seit er sich in Spanien mit Handwerksarbeit durchs Leben bringt, brütet dagegen, ebenfalls dunklen Tabak inhalierend, nachts über den Büchern. Und der Maler Chaco, der einst all seine Bilder in die Seine warf und in der algerischen Wüste bemalte Steine im Sand vergrub, ist kaum mehr als ein Gerücht.

All diese Profile sind fein gezeichnet. Wie aber die Erzählerin sich nachts an solche Männer schmiegen und tagsüber, wenn sie nicht gerade an ihrer Doktorarbeit über nordafrikanische Wüstenfresken sitzt, an ihrem Charakter sich stoßen will, kann man sich nur metaphorisch vorstellen. An Winken dazu, einer bedeutsamer als der andere, ist im Roman denn auch tatsächlich kein Mangel - Cioran, Macedonio Fernández, Raymond Chandler im Bücherregal, die Abgründe zwischen Morandis gemalten Flaschen und Vasen, die Sergio der Alicia einmal erklärte, der Gegensatz zwischen Wagners Mythen- und Verdis Menschentragödie, über den Raul und sein Freund sich unterhalten: ein Horizont der Bedeutsamkeiten, der sich weit und fern über das im Detail geschilderte Alltags-Paris spannt wie ein komplizierter Traum.

Beim Durchqueren der mit Sergios Erinnerungen besetzten Stadt dämmert der Erzählerin, vielleicht seien auch das ja nur "die wuchernden Triebe der Vorstellung oder eines Gedankens, der mir einmal in einer dieser Straßen kam und der nun als falsche Erinnerung in dem Flechtwerk meiner inneren Bilder verknotet ist". Das könnte wohl sein. Es wäre dann die falsche Erinnerung einer Monade, die sich zwischen In- und Auswendigkeit, zwischen Selbst- und Weltbezug nicht entscheiden kann.

Angelica Ammar: "Tolmedo". Roman. Ammann Verlag, Zürich 2006. 257 S., geb., 18,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
…mehr

Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Als "unendlich behutsam" beschreibt Martin Zingg die Sprache in Angelica Ammars erstem Roman. Auch die Worte wirken auf ihn sorgsam "abgeschmeckt", die Gesamtanmutung sinnlich. Stärkere Wertungen sind dem Rezensenten nicht zu entlocken, Ammars Vorsicht und Zurückhaltung scheint auf ihn abzufärben. Die Heldin, referiert der Rezensent, werde bei ihren Spaziergängen durch Paris immer wieder von Erinnerungsblitzen eingeholt, die zu kleinen Halluzinationen mutierten. "Transformierende" Fantasie nennt Rezensent Martin Zingg die besondere Begabung der Heldin, die zugleich die der Autorin ist.

© Perlentaucher Medien GmbH