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Wie sich ein Professor auf der Suche nach osmanischen Turbanen zwischen den Dirnen von Mestre und einer venezianischen Jungfrau verliert - eine geheimnisvolle Reise durch die Welt der Renaissanacemalerei. Eine einfühlsame Verknüpfung von Orient und Okzident.

Produktbeschreibung
Wie sich ein Professor auf der Suche nach osmanischen Turbanen zwischen den Dirnen von Mestre und einer venezianischen Jungfrau verliert - eine geheimnisvolle Reise durch die Welt der Renaissanacemalerei. Eine einfühlsame Verknüpfung von Orient und Okzident.
Autorenporträt
Nedim Gürsel, geboren 1951 in Gaziantep im Südosten der Türkei, ist seit 1999 Direktor des Pariser "Centre Nationale de la Recherche Scientifique". Seine Romane, Erzählungen und Essays wurden in zahlreiche Sprachen übersetzt. Gürsel lebt in Paris und Istanbul.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.09.2002

Jede Frau trägt Mutters Gesicht
Ansturm der Bilder: Nedim Gürsel geht auf Turbanjagd

Wer kennt Nedim Gürsel? Der türkische Schriftsteller, dessen Erzählungen, Romane, Gedichte und Essays in zehn Sprachen übersetzt worden sind, gilt inzwischen neben Yasar Kemal und Orhan Pamuk als herausragender Vertreter der türkischen Literatur. Geboren 1951 in Gaziantep, studierte Gürsel an der Sorbonne, wo er über Nazim Hikmet und Louis Aragon promoviert wurde. Neben seiner universitären Lehrtätigkeit leitet Gürsel das Centre National de la Recherche Scientifique in Paris.

Nach dem vielbeachteten Romanerstling "Der Eroberer" liegt nun sein zweiter Roman auf deutsch vor: "Turbane in Venedig", in der Türkei 1999 unter dem Titel "Resimli Dünya" erschienen, wörtlich also "Die Welt mit Bildern". Gewidmet ist dieser erstaunliche Roman Istanbul und Venedig, zwei Städten also, die seit Jahrhunderten durch das Meer und die Geschichte miteinander verbunden sind. Und durch ein einzigartiges Gemälde: das Porträt des Sultans Mehmet II., des Eroberers von Konstantinopel, im Jahr 1480 vom Venezianer Gentile Bellini in Istanbul gemalt. Um dieses Porträt und all die anderen wunderbaren Bilder der Bellinis, Carpaccios, Mantegnas, Pinturicchios, Giorgiones studieren zu können, reist der Held des Romans, der Kunsthistoriker Kâmil, quer durch Europa. Er ist auf der Suche nach den "Turbanen", den Türkendarstellungen der italienischen Renaissance. Venedig ist die entscheidende Station, eine fatale, wie schon die Motti ankündigen: die Stadt von Verirrung und Tod. Sie ist der dunkle Wald aus Dantes erster Höllen-Terzine. Und die Gondel, die "wie ein schwarzer Sarg am Kai wartete", evoziert schon bald die obligateste aller Venedig-Referenzen, natürlich mit zugehöriger Liebesgeschichte.

Der türkische Professor ist 46 Jahre alt, lebt unverheiratet, malt dilettantisch und ist dem Raki ergeben. Vor allem ist er einsam. Er blickt auf eine trostlose Kindheit zurück, auf ein Kellergeschoß im geliebten Istanbul, den saufenden Vater und die frühverstorbene Mutter, deren weißes Gesicht ihm in jeder Frau begegnet.

Seine Passion, die Jagd auf Turbane, bringt ihn auf die Spuren zweier Gestalten, die Symbolcharakter annehmen. Da ist der Maler Muallâ, der in Paris und in der Provence "nach dem Licht" suchte und kümmerlich starb. Und da ist der Osmanenprinz Cem, der jüngere Sohn Mehmets II., ein Hoffnungsträger, der seinem frömmelnden Bruder Beyazit weichen mußte und im italienischen Exil den Tod fand. Auch ihn hat Gentile Bellini porträtiert. Beyazit freilich entfernte die Gemäldesammlung seines Vaters sofort und verkaufte sie dem venezianischen Gesandten.

Kâmil kennt natürlich die Ungeheuerlichkeit des Vorgangs: Der Sultan und Kalif läßt sich von einem Ungläubigen malen - in der bilderlosen Welt des Islam ein Sakrileg. Was wäre aus dem Osmanenreich geworden, wenn der Träumer Cem seinem Vater auf dem Thron gefolgt wäre? War eine türkische Renaissance möglich, ein früher Dialog mit Europa, träumte schon Cem diesen türkischen Traum? Hat nicht die Kladde des Jacopo Bellini, die in Mehmets Bibliothek zurückblieb, bereits osmanische Miniaturmaler beeinflußt? (Orhan Pamuks Leser wissen davon.)

Wie sehen die Bilder aus, fragt sich Kâmil Uzman, die Renaissance und Orient in sich vereinten? Das sagenumwobene Porträt des mächtigsten und grausamsten aller Türken zeigt den Schrecken Europas als hageren Mann mit mattem Auge und der gelblichen Farbe eines Todkranken, mit wulstigem, weißem Turban und einer Rose in der Hand. Gentile, dessen Fahrt von der Serenissima nach Istanbul Gürsel auf einigen der schönsten Seiten des Romans beschreibt, überwindet Furcht und Vorurteile und malt die Einsamkeit der Macht. Uzman, der Gentiles Reise in umgekehrter Richtung unternimmt, spürt die Verwandtschaft zwischen Venedig und Istanbul: das gleiche Meer, die Giudecca, die dem Bosporus gleicht, die Pferde von San Marco, die aus Byzanz stammen; das feuchte Quartier ruft das Kellergeschoß der Kindheit wach, die Madonnen der Gemälde das weiße Gesicht der Mutter.

Wahre Bilderobsessionen beherrschen diesen postmodernen Roman, eine Assoziationsakrobatik auch, die manchmal ins Groteske abgleitet. Der Knierheumatismus und die Schmerzen von Golgatha, der Lavendelduft der Bibliothekarin Lucia, in die sich Uzman verliebt, und Muallâs Provence-Gemälde, Pinturicchios Lucretia Borgia und eine Liebschaft aus der Schulzeit - alles kann miteinander verknüpft werden. Lucia, natürlich ebenfalls einem Gemälde entsprungen, das Licht also, wird zur zweiten Besessenheit Uzmans. Auf der Suche nach ihr begegnen ihm die Männer mit dem Turban in der Accademia San Giorgio degli Schiavoni, für die er eine frappierende Deutung parat hält. Sein Tod in Venedig - eine der skurrilsten Passagen des Romans - setzt freilich ein Fragezeichen mehr:

Kâmil Uzman stirbt wie Cem und Muallâ in der Fremde, einsam und verzweifelt wie sie. Ist also der europäische Traum der Türken, damals wie heute, ein Mißverständnis, eine unselige Chimäre?

Die massive Symbolik, die Montage von Zeiten und Räumen, die ambitionierte Intertextualität des Romans verlangen ungewöhnliche Ausdauer. Doch öffnet Gürsel neue, faszinierende Perspektiven. Der Dialog zwischen den Türken und Europa, jäh unterbrochen und wiederaufgenommen, stets gehemmt und schwierig, muß weitergeführt werden. Eine Empfehlung also an geduldige und neugierige Leser, für die Monika Carbe mit ihrer flüssigen Übersetzung und einem nützlichen Glossar zuverlässig gesorgt hat.

CLARA BRANCO

Nedim Gürsel: "Turbane in Venedig". Roman. Aus dem Türkischen übersetzt von Monika Carbe. Ammann Verlag, Zürich 2002. 413 S., geb., 24,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Der neue Roman des Pariser Wissenschaftlers und Schriftstellers Nedim Gürsel über einen türkischen Professor der Kunstgeschichte, der sich für einen Monat nach Venedig begibt, um dort über den venezianischen Maler Jacobo Bellini und dessen Söhne Gentile und Giovannni zu forschen, vermag Renate Wiggershaus nicht zu begeistern. Zu oft hat der Autor den roten Faden der Handlung verloren, zu viele literarische Zitate und Analogien mutet er dem Leser zu, mäkelt die Rezensentin. Besonders ärgerlich findet sie, dass Gürsel historische Fakten äußerst "schludrig" in seine Fiktion montiert habe, etwa, in dem er Albrecht Dürer zum nachlässigen Familienvater stilisiere, obwohl dieser in der Realität keine Kinder hatte. Außerdem hat die Rezensentin viele Sätze von "unfreiwilliger Komik" gefunden, Sätze, für die sie die Übersetzerin nun wirklich nicht verantwortlich machen möchte. Und schließlich hat sie "die Überfrachtung des gesamten Textes mit allen möglichen Einfällen und Angelesenem" gehörig genervt. Schade, bedauert Wiggershaus, dieser Roman hätte "spannend" sein können, wenn Gürsel es verstanden hätte, Geschichte, Kunst und Literatur "lebendig" miteinander in Beziehung zu setzen.

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