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Über fünf Jahrzehnte hinweg war Alejo Carpentier ein aufmerksamer und genauer Beobachter seiner Heimatstadt Havanna. Die hier versammelten Texte - der erste aus dem Jahr 1925, der letzte von 1973 - zeichnen liebevoll ein farbiges Porträt dieser Stadt und ihrer Bewohner im Wandel der wechselvollen Zeiten.

Produktbeschreibung
Über fünf Jahrzehnte hinweg war Alejo Carpentier ein aufmerksamer und genauer Beobachter seiner Heimatstadt Havanna. Die hier versammelten Texte - der erste aus dem Jahr 1925, der letzte von 1973 - zeichnen liebevoll ein farbiges Porträt dieser Stadt und ihrer Bewohner im Wandel der wechselvollen Zeiten.
Autorenporträt
Alejo Carpentier, geb. 1904 in Havanna, lebte von 1928-39 in Paris. Danach kehrte er nach Kuba zurück, wo er Musikgeschichte lehrte. Später arbeitete er als Journalist in Venezuela. Nach der Revolution leitete er den Staatsverlag auf Kuba, von 1966 bis zu seinem Tod im Jahr 1980 war er Kulturattache in Paris. Alejo Carpentier ist einer der wichtigsten spanischsprachigen Schriftsteller unseres Jahrhunderts.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 29.04.2000

Der Pottwal im Teatro Nacional
Mythologie einer Metropole – eine Liebeserklärung von Alejo Carpentier an sein Havanna
Lange war von ihm nichts Neues mehr auf Deutsch zu lesen. Die Folge der Werke, die Alejo Carpentier (1904 – 1980) als einen Majordomus im Palast der lateinamerikanischen Erzähler ausweisen, wurde 1993 mit dem Jahrhundertroman Le sacre du printemps abgeschlossen.
In dieser Situation ist auch leichtere Ware willkommen: Mehr als ein Dutzend Texte, wie sie die Gelegenheit angetragen, die Erinnerung nahe gelegt, ein innerer Bildvorrat bereichert hat. Zentriert sind sie um ein Zauberwort: San Cristóbal de La Habana. Sie umfassen die Zeitspanne fast eines halben Säkulums, in dem der Kubaner Carpentier Stadtbewohner und Reisender, Emigrant, Rückkehrer und Einheimischer war.
Ein hinreißender Essay über Havanna war schon früher (verdeutscht von der bestechenden Übersetzungskünstlerin Anneliese Botond) bekannt. Er findet sich als Kernstück auch in dieser Sammlung: Die Stadt der Säulen” erweist den Romancier als Traumdeuter der Architektur, der das Spiel des Irregulären und Willkürlichen als Zeichen einer raffinierten Erfahrungskultur versteht und aus der scheinbaren Regellosigkeit einen Stil entwickelt. In den farbigen Halbbogenfenstern, einem Havanneser Wahrzeichen, entdeckt er eine Entsprechung zur abstrakten Malerei der europäischen Moderne –„kombinierte Dreiecke, sich überschneidende Spitzbögen, ein Aufmarsch reiner Farben: Spielkarten, in hundert kubanischen Häusern definiert und ausgespielt”.
Die anderen Texte sind Sekundenschriften, Feuilletons, Ortsbesichtigungen – zusammen bilden sie eine verwinkelte Liebeserklärung an Havanna. In den urbanen Abschweifungen taucht Carpentier zurück bis in den Erinnerungsdämmer des 19.  Jahrhunderts, in vorsintflutliche Entlegenheit; er markiert ein Merkdatum des gesellschaftlichen Wandels mit dem Ende des Diktators Machado, nimmt Castros Revolution von 1959 mit auf, ohne davon merklich berührt zu werden. Havanna: ein Tropentheater, das schon früher so heruntergekommen war wie es heute ist, das sich ebenso schäbig wie hinreißend darbot.
Die Transitexistenz der kreolischen Kapitale hat ihre besonderen Reize: „Havanna ist die Stadt des Unfertigen, des Mangelhaften, des Asymmetrischen, des Verwahrlosten. ” Alejo Carpentier leuchtet in Kirchen und Bordelle hinein, lässt sich von Moden und Riten, Farben und Gerüchen betören, entziffert die Zeichen an den Kolonialbauten, ist vertraut mit der Liturgie des gewöhnlichen Alltags, der unversehens in surrealistische Episoden umspringt, wenn im Teatro Nacional ein Pottwal ausgestellt wird, bis der Geruch nicht mehr zu ertragen ist, oder ein italienischer Graf seiner Leidenschaft fürs Klavier ausgerechnet im französischen Puff nachgeht.
Carpentier durchstreift die Bezirke am Hafen, der tief ins Innere der Stadt einschneidet, studiert die Vororte der Einwanderer: „Die Einmütigkeit der Wünsche, Bedürfnisse und Entbehrungen macht sie zu Mitgliedern einer großen Familie, die sich jedoch, tief hinten in ihren schmutzigen Herbergen, gegenseitig ignorieren. ” Er heftet seine Aufmerksamkeit auf die Halbinsel Regla und dort auf die schwarze Madonna. Die Stimmen der Marktschreier intonieren die Musik der Straßen, die Wucherungen der Ornamente, die Bizarrerien des Antillen-Barocks sind seine Sache. „Die Mythologie der Lotterielose, die Freudsche Symbolik der Zahlen verbreitet überall eine Atmosphäre des Wunderbaren. ” Da ist der glanzvolle Erzähler seines Landes in seinem Fach: magischer Realismus.
Nicht nur ein Flaneur mit seinen geschärften Wahrnehmungen und seiner Augenkunst der Zerstreuung schlendert da durch die Straßen. Auch der Gegenblick dessen, der vom Meer herkommt, aus der europäischen Ferne, wird erprobt. Es ergeben sich Lesarten der Moderne – das Fragment, die Collage, das Kaleidoskop erscheinen in der kreolischen Szenerie. Der Synkretismus der Folklore wird betont, Lautréamont als Gewährsmann des ordnenden Zufalls aufgerufen.
Havanna ist ja eine Stadt, die mit Castros Regime alle Kenntnisse aus der Vorzeit verschüttet hat, die geschichtlich ahnungslos und vergesslich nur die mumifizierten Losungen der Revolution, das versteinerte Pathos eines misslungenen Neuanfangs ausstellt. Der farbige Fächer von Bildern aus der Vergangenheit vor dem verjährten Caudillo ist zugeklappt. Und doch begegnet, wer am Malecon oder in der Altstadt umherspaziert, den Einzelheiten eines mächtigeren Gestern als unentzifferbaren Hieroglyphen. Verwirrt und ahnungslos, wie der Kuba-Besucher gehalten wird, kann er mit Hilfe dieser Stadtporträts von Alejo Carpentier, gespickt mit alten Photos, das Aroma versunkener Zeiten wittern.
Hunderttausende deutscher Touristen reisen jedes Jahr in die Hauptstadt. Dieses Taschenbrevier des entlegenen Blickwechsels sollte bei keinem von ihnen fehlen.
WILFRIED F. SCHOELLER
ALEJO CARPENTIER: Mein Havanna. Geschichten über die Liebe zur Stadt. Aus dem kubanischen Spanisch von Wolfgang Eitel. Ammann Verlag, Zürich 2000. 200 Seiten, Abb. , 29,80 Mark.
Havannas Halbbogenfenster. „Da standen sie”, so Carpentier, „die Lichtzöllner, und erhoben den in Milderungen entrichteten Sonnenwarenzoll. ”
Foto: Verlag
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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Georg Sütterlin sieht die nun in deutscher Übersetzung herausgekommenen Havanna-Aufsätze als Resultat des "gegenwärtigen Kuba-Fimmels". Die Sammlung von Texten aus 50 Jahren ist aber keinesfalls als Reiseleitfaden zu lesen, so Sütterlin, denn sie leistet mehr, indem sie "Hintergründe, Ursprünge und Entwicklungen" aufzeichnet. Dabei hat der Autor, selbst Architekt, ein besonderes Interesse an den architektonischen Seiten Havannas, die er "lyrisch und evokativ" reflektiert, so der Rezensent angetan. Besonders lobt Sütterlin den Stil der Texte und versichert, dass sie ganz ohne angestrengte Originalität oder Witzeleien auskommen und sich damit angenehm vom zeitgenössischen Feuilleton abheben. Allerdings stellt der Rezensent eine "klare Zäsur" zwischen früheren Aufsätzen und Texten nach der kubanischen Revolution fest. In den späteren Texten herrsche eine "akklamatorische Note" vor, und wirke in ihrer "Servilität" unwillkürlich komisch. Doch das kann die vielen "lehrreichen und überraschenden" Einsichten der Stadtbetrachtungen nicht ernsthaft entwerten, findet der Rezensent, weshalb sein Urteil alles in allem positiv bleibt.

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