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Kein Jahrgang ohne Klassenkasper, kein Kartenspiel ohne Joker, keine Regel ohne Ausnahme - Narren kommen in den besten Familien vor. Vorwärtsgetrieben von ihren törichten Träumen, kämpfen sie gegen wechselnde Windmühlen, Götter, staatliche Behörden oder andere dubiose Übermächte. In seinem aberwitzigen Kompendium der weltlichen und geistlichen Narretei sammelt Ulrich Holbein die unglaublichen Lebensgeschichten von über dreihundert lebenden und historischen Persönlichkeiten. Er läßt unterschätzte Übermenschen aus den Nebeln der Weltgeschichte hervortreten und wirft neues Licht auf bewährte…mehr

Produktbeschreibung
Kein Jahrgang ohne Klassenkasper, kein Kartenspiel ohne Joker, keine Regel ohne Ausnahme - Narren kommen in den besten Familien vor. Vorwärtsgetrieben von ihren törichten Träumen, kämpfen sie gegen wechselnde Windmühlen, Götter, staatliche Behörden oder andere dubiose Übermächte. In seinem aberwitzigen Kompendium der weltlichen und geistlichen Narretei sammelt Ulrich Holbein die unglaublichen Lebensgeschichten von über dreihundert lebenden und historischen Persönlichkeiten. Er läßt unterschätzte Übermenschen aus den Nebeln der Weltgeschichte hervortreten und wirft neues Licht auf bewährte Heilige wie Franz von Assisi, den Dalai Lama oder Pater Anselm Grün. Die Viten von Laozi, Kaspar Hauser, Peter Handke bis Osama bin Laden bieten Stoff für dieses hochamüsante und welthaltige Erzählwerk. Ein gigantomanisches Sammelsurium kultureller Kuriosa, in dem sich Prinz Charles neben Sexguru Osho, Mohammed Ali neben Nina Hagen und Papst Benedikt XVI. Seite an Seite mit Till Eulenspiegel findet. Eine unverzichtbare Fundgrube für die Liebhaber kurioser Enzyklopädien, eine raffiniert wissensstrotzende Summa summarum der Torheiten und Genialitäten der Weltgeschichte, von A bis Zett erzählt von Ulrich Holbein.
Autorenporträt
Ulrich Holbein, geboren 1953, studierte in Kassel Malerei und wurde durch seine Kolumnen in der "Zeit", der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung", der "Süddeutschen Zeitung" sowie in "konkret" bekannt. Er ist Autor zahlreicher Publikationen. 2011 wurde Ulrich Holbein mit dem "Kasseler Literaturpreis" ausgezeichnet. Dieser Preis wird an Autoren vergeben, deren Werk "auf hohem künstlerischem Niveau von Komik und Groteske geprägt ist".
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.12.2008

Der Weltwiederverzauberer
Nur von Narren lohnt es sich zu erzählen: Ulrich Holbeins "Narratorium", ein Haupt- und Sonderwerk

In diesem Kopf möchte man mal wohnen. Zwei, drei Tage vielleicht nur, dann würde es einem wohl doch etwas zu bunt und gefährlich zwischen all den Zickzackdenkern, Massenmördern, Schwadroneuren, Genies, Alleindenkern, Päpsten, Irren, Weltbeglückern. Kinder, ist da was los, im Kopf von Ulrich Holbein und in seiner Bibliothek. Der Mann ist: Essayist, Sprachbeobachter, Erzähler, Langhaarträger, Lebenskolumnist, 55 Jahre alter Eremit im nordhessischen Knüllgebirge, sanfter Mensch mit sanfter Stimme. Und vor einer Weile hat er beschlossen, das Personal seiner Welt einmal schön zu sortieren, in eine Art Ordnung zu bringen und ein Lexikon der wunderlichen Personen zusammenzustellen, von verrückten Visionären, von Gurus und von Narren - ein Narratorium.

Hier wird grundsätzlich nicht geradeaus gedacht, sondern ständig abgebogen, in lächerliche Höhen gestiegen und in Abgründe hinein, Gedankenexperimente, Lebensexperimente, einfach anders als alle. "Aber warum sehn die alle so glücklich aus?", fragt Holbein sich im Vorwort selbst. Um gleich zu antworten: "Weil sie rosarote Brillen aufhaben, Flöhe im Ohr, Rosinen im Kopf und verblüffend wenig Tassen im Schrank. Sie strampeln sich aus Zwangsjacken frei. Diese glühenden Augen! Wofür demonstrieren die alle?"

Oh, das wird auch nach 1007 Seiten nicht viel klarer geworden sein. Jeder demonstriert für sich, für seinen eigenen Wahn, seine eigene Idee von der Welt. 255 Lebensläufe hat Ulrich Holbein zusammengeschrieben, so wie es noch keiner vor ihm geschrieben hat. Es treten auf: Xerxes und Merlin, Peter Handke und Joseph Ratzinger, Salvador Dalí und Demokritos, Adolf Hitler und Holly Golightly und unendlich viele Schaumköpfe, Unheils- und Heilsbringer mehr. Aufnahmekriterium im "Narratorium" ist: Andersdenker. Und Holbein schreibt, verkürzt, dichtet und verdichtet diese Lebensgeschichten auf seine Art. Er beginnt, schön alphabetisch, mit Dennis Abner, einem Katzenfreund aus San Diego, der sich für seine Freundin, die Disneys Dschungelbuch sehr liebte, dem Tiger Shirkan anverwandeln ließ. Zweitausend Tattoo-Stunden, sechs chirurgische Eingriffe, künstliche Hasenscharte, Schnurrborsten und Reißzähne ließ er sich herbeioperieren, der Weisheitsformel "Tat twam asi" auf seine Weise folgend: "Du bist diese Katze, also werde Katze!" Wie seine Freundin die ganze Sache fand, steht leider nicht dabei.

Schon geht es weiter, über Abraham a Santa Clara: "Selbst Schönheit machte er mies" und Herbert Achternbusch: "In seinen über 22 Filmen und Textbüchern (Kamera: Wer grad eine Hand frei hatte) ließ er Frauen in weißen Nachthemden auf echten Nilpferden reiten"; zu Idi Amin: "Wen er zum Wettschwimmen nötigte, ließ ihn sicherheitshalber gewinnen" und Emile M. Cioran: "Andere schufteten; er litt. Andere hatten Probleme; er machte sich welche, gestürzt ins Unglück, bevor es eintrat."

Das alles macht einen beim Lesen auf die Dauer total verrückt. Man sehnt sich zwischendurch immer mal wieder nach einem kleinen Durchschnittsgenie, einem Sachlichkeitslebenslauf. Holbein ahnt das natürlich selbst. In einer Mail, die er als eine Art Lesehilfe verschickt hat, schreibt er: "Wer die Polyrhythmik der Subebenen und Lesarten nicht durchhören kann, hört nur nerviges Gedröhn bis zum Brechreiz." Was dann aber natürlich an den trotteligen Dauerlesern und Rezensenten liegt. Das "Narratorium" ist ein Buch zum Hin-und-Her-Lesen, zum Herauslesen sonderbarer Kleinigkeiten, zum Lebenslaufverknüpfen, per Verweispfeil wird man ständig von einem Leben in ein anderes geworfen. Überforderung ist gewünscht: "Ich habs aber so gemacht, daß Trommelfeuer und Überreizung - insofern auch Prüfstein und Vivisektion: was hält einer durch, bis er etwas erlebt, was ihm bisher entging - in ein Delirium hineinzwingen, das selbst dumpfen oder auch transzendenzkritischen Sensorien dann plötzlich die Gabe des Umkippens in 3-D-Sehen und ins plötzliche Rhythmushörenkönnen abverlangt oder gewährt."

So stellt sich Holbein selbst das Leseerlebnis seines Buches vor. Das Buch als Droge, wenn wir das jetzt richtig verstehen. Als eine Art Dauerdroge, eine Bewusstseinserweiterung, die bleibt. Und - ja, so kann man es lesen, das "Narratorium", das Lexikon als Wahnwitz und Erleuchtung. In dem übrigens natürlich keineswegs nur Heldengeschichten stehen. Ganz im Gegenteil. Am besten kann Holbein eigentlich verdammen: Handke, Hitler, Steiner, Beuys werden alle aus ihren Wolkenhäusern geworfen. Handke: "Im Sensibilitätssimulator Handke bewunderten sie einen gröblicheren Rilke, als sie vielleicht verdient hätten. Frauen im OEuvre dienten als Leserin, Dienerin, Quartiermacherin, ,schönes, junges Ding'. Oft spürte die aggressive Mimose den Impuls, dem Nächstbesten ins Gesicht zu schlagen. Ein Lektor, den er tatsächlich ohrfeigte, wusch sich tagelang das Ehrenmal nicht von der Wange." Über Hitler: "Er senkte Buchautorenhonorare von 20 auf 10 % (was man nach 1945 stillschweigend beibehielt)". Ungerechtfertigterweise wird auch die heldenhafte kalifornische Baumsitzerin Julia Butterfly Hill nach zweijährigem Baumsitzen von Holbein verhöhnt: "Darüber, daß auch für das Toilettenpapier, das Julia auf ihrem Baum Luna verbrauchte, Bäume gefällt werden mußten, reflektierte sie nicht." Und in ihrem Buch habe die Baumfee viel "Gutmensch-Schmus" zusammengetragen.

Doch keinen trifft Holbein-Hass und Holbein-Verachtung so hart wie Peter Sloterdijk. Denn dieser Mann und Schaumgelehrte, so wie der "Narratoriums"-Herr es sieht, hätte alles groß und neu und lustig denken können, so wie Holbein es sich wünscht. Als "Strubbelfreak im Schlabberlook" war er der Mann "mit Typoskripten in der Alditüte", die verstaubte Gelehrtenwelt "mit betont fröhlicher Wissenschaft aufzumischen". Doch: "Um ernstgenommen zu werden, statt bloß als Sektenchef und Clown zu rangieren, mußte PS Seele verkaufen. Humor, obwohl er welchen hatte, hielt er klein." Für ZDF und Karriere und Podien und Vernunft hat Holbeins Hoffnung alles aufgegeben. Sloterdijk heute: alles Show, alles Schaum, große Worte, kleine Gedanken, und "wenn er abends Pfauenfedern abschminkte, hing er ganz normal beim Hausitaliener ,Tartuffo bianco' ab".

Ein trauriges Ex-Närrchen in dieser großen Narrenwelt. Das Bewusstsein erweitert uns dieser Mann nicht mehr. Weiter im Text, weiter, schließlich zu Uliversum Unwiederholbein, jaaa, ein etwas drolliges Pseudonymchen für den Autor, aber schön, so sieht er sich und sein Leben: "Der schlagersingende Tiernarr wurde streichquartettsüchtiger Sozialpädagoge, dann Theologe, dazwischen auch Librettist, Ikonologe, davor, danach und jederzeit: Extremnostalgiker: Seit er in griechischer Felslandschaft ins Filmset einer Mittelalterszene hineinlief, sehnte er sich nach schöneren Zeiten, egal wohin, Hauptsache vorbei."

Und dieses Vorbei irgendwie in die Gegenwart hineinzuzaubern, hinüberzudichten aus einer unerreichbaren, ewig unwirklichen Welt zurück zu uns, zurück in diese Welt, das ist das traurig-optimistische Programm des "Narratoriums" und Holbeins wahrer Wunderwelt. Und wer wollte bezweifeln, dass das wahr ist: "Die Rückkehr des Mittelalters macht Fortschritte, aber die Wiederverzauberung der Welt läßt auf sich warten."

VOLKER WEIDERMANN

Ulrich Holbein: "Narratorium". Ammann-Verlag, 1007 Seiten, 39,90 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 16.12.2008

Von Gottessöhnen, Blödelbarden und Jokern
Ulrich Holbein will die Narrheit der Welt sortieren und wird dabei sehr gemütlich: „Narratorium”
Narr - was für ein herrliches Wort, das überaus verwickelte Tatbestände in eine einzige mächtige Sprachgeste spannt! Ich erinnere mich der Reise auf einer deutschen Autobahn, wir fuhren aus und suchten einen Parkplatz auf; und eine Mitreisende hielt plötzlich inne, sah auf die Fahrbahn, wo die Autos mit Tempo 140, 160, 180 vorüberschossen, schüttelte den Kopf und rief nichts als: Narrn! Narrn! Und wirklich, da klang es auf einmal bei jedem vorüberrasenden Fahrzeug genauso wie - Narrn - ! - Narrn - ! Dann stiegen wir wieder ein, fädelten uns in den Verkehrsstrom zurück und bildeten, ohne den Widerspruch allzu krass zu fühlen, neuerdings einen Teil der großen Narrenbahn.
Davon hat die alte Satire gelebt: dass sie aus dem Lauf der Welt insgesamt für einen Augenblick heraustritt und fähig wird, ihn als großes Narrenhaus oder Narrenschiff anzuschauen, den Betrachter selbst nicht ausgenommen. Dass es je anders werden könnte, hoffte sie nicht; mehr als dieser Augenblick des Einhalts, in dem das Spaßhafte und das Melancholische so vieldeutig ineinander übergehen, ist nicht drin. Diesem schwierig gemischten Affekt heißt es standzuhalten, sonst kippt das Projekt, erst ins bloß Lustige und nach einer Weile ins Langweilige dazu, wie das bei Büttenreden mit eingestreutem Tusch eben so der Fall zu sein pflegt. Wahrscheinlich geht das nur in einer Zeit, die noch eine deutliche Vorstellung davon hat, wie es nicht nur graduell, sondern grundsätzlich anders sein sollte; also einer Zeit mit starker Religion. Wer dagegen den Narren, statt für die maßgebliche Gestalt dieser unserer verkehrten Welt, bloß für eine karnevaleske Figur im Reigen der Sonderfälle hält, wer sich rein über die Buntheit des Maskenzugs freut statt auch über seine Gleichform zu trauern, der wird den Narren in seiner nur metaphysisch auslotbaren Tiefe verfehlen. Er wird an die Reihe, die doch das einzige Mittel bleibt, um die Narrenzunft in der ihr angemessenen Form darzustellen, gänzlich verlorengehen.
Dies widerfährt leider dem Autor Ulrich Holbein mit seinem „Narratorium”. Schon der Titel lässt die Gefahren ahnen, denen dieses überaus umfängliche und ambitionierte Projekt – mehr als tausend großformatige Seiten stark – erliegen wird: Da klingen das Narrative und das Moratorium an, mit einem Wort, da macht es sich einer allzu gemütlich, ohne den moralistischen Fonds zu haben, dessen Kraft und Schwung allein sein Vorhaben zusammenfassen und an ein erkennbares Ziel tragen könnte. Dann geht der nur emphatisch zu erlangende Oberbegriff verloren, unter den Erscheinungen zu subsumieren wären wie Erich von Däniken und Janis Joplin, der Dalai Lama und der Massenmörder Fritz Haarmann, Karlheinz Stockhausen und Ludwig II. von Bayern. Warum denn wäre der Papst (er kriegt gleich zwei Einträge, als Ratzinger und als Benedikt XVI.) als ein Narr zu klassifizieren? Dass Holbein seine Lehren nicht in den Kram passen, reicht als Qualifikation schwerlich hin. „Erste Amtstat: Nicht nur Schwule als Priester verbieten, auch solche, die Homophilie tolerieren. Wer ihm nicht unterwürfig und papakomplexbeladen zujubelte, jaulte auf. (…) Keusche Hemmung hingegen, abgelutschte Termini à la ,jungfräuliche Reinheit’ in den asymmetrischen Mund zu nehmen, verspürte er nie.” Das ist Kabarett vom Borniertesten. Nicht als ob nicht auch die Vertreter des Kabaretts in diesem kunterbunten Lexikon ihren Ort fänden.
„Gerhard POLT, Lausbub, Stegreifschnauze, Wurstmax, Urbayer, Scheindepp vom Schliersee (geb. 1942)” – aber wenn es sich bei diesem Phänomen um einen Scheindeppen handelt, was hat er unter den Echtnarren zu suchen? „Man wusste bei ihm nie: Meinte er's nur so, tat er nur so, oder war er auch sonst so, und sowieso nichts als so, und noch mal so? (…) Dadurch hoben sich Unterschied zwischen Satire und Leben aber total auf”: Das genau ist das Problem an Polts Umgang mit seinem Stoff, aber eben auch an Holbeins Umgang mit Polt, das geht immer so behaglich-unbehaglich im Kreis herum, der allein durch das Pathos aufzusprengen wäre. Dem Pathos aber misstraut Holbein so gründlich, dass er diejenigen, welche es ungescheut aufbieten, um die Narren zu bekriegen, ihrerseits flugs zu den Narren steckt.
"Karl KRAUS, Kampfclown, Weltenrichter, Racheengel (1874 - 1936)". Das mit dem Kampf hat ja seine Richtigkeit, aber wo käme der Clown her? „1001 Schienbeinscheißer checkten nicht, dass ihr Urinstrahl samt Gebiss an der Unnahbarkeit solcher Waden abperlte.” Aber aus dieser Einsicht ergibt sich nichts, das plappert und klappert immer so weiter, auf Dieter Hildebrandt folgt die Mystikerin Hildegard von Bingen (Mystik - kapieren wir nicht, also sehr lustig), auf Hildegard die „Baumfrau” Julia Butterfly Hill, die 738 Tage auf einer winzigen Plattform in der Krone eines fällungsgefährdeten Redwood-Riesen namens „Luna” aushielt, wobei das Augenmerk besonders der Praxis physischer Notdurft unter derart exponierten Umständen gilt. „Darüber, dass auch für das Toilettenpapier, das Julia auf Luna verbrauchte, Bäume gefällt werden mussten, reflektierte sie nicht.” Zu einem größeren als einem solchen Lachen langt es bei Holbein leider selten.
Und was gingen uns heute alle die persischen Poeten, indischen Eremiten, chinesischen Weisen an, dank Holbeins ausschweifender Lektüre reichlich vertreten, wenn sie wirklich bloß das, Narren, gewesen sein sollen? Und was die weithin vergessenen Lebensreformer vom Anfang des 20. Jahrhunderts in ihren härenen Gewändern, die Holbein in Mengen ausgräbt? Er mag ja recht damit haben, dass Rilkes lyrisches Früh-, Mittel- und Spätwerk so ziemlich gleichmäßig schwach auf der Brust ist – aber wo wäre das Närrische daran? Und gewiss wäre er doch in einem anderen Sinne Narr als Hitler und Osama bin Laden, die in der gleichmütigen Art des Lexikons ebenfalls ihr Fett wegkriegen?
Jemanden wie Friedrich von Spee, den großen Bekämpfer des Hexenwahns, als Narren zu deklarieren, grenzt ans Infame. Man sollte sein Porträt auch nicht mit dem Hexenbild von Hans Baldung Grien zusammenmontieren, denn dieses liefert ausschließlich dem Wahn Argumente, der die Hexen verbrennen will. Da fehlt es allerorten an Urteilsvermögen und Trennschärfe.
Unkenntlich werden im Wirrwarr dieser 255 Artikel, die im Ton kaum variieren, diejenigen Namen, die man gern einmal unter dem Titel des Narrentums gebündelt sähe, nämlich die der zeitgenössischen Großblender. Eine etwas abgemagerte Liste, die Dieter Bohlen („Musik- und Kohlemacher”), Yoko Ono („Powerfrau, Witch, Witwe”), Rüdiger Nehberg („Strapazenlüstling, Ekelüberwinder”) und Peter Sloterdijk („Makrodenker, Schaumwerker”) auf den gemeinsamen Nenner bringt, könnte man sich reizvoll vorstellen. Doch diese Rosinen muss man sich aus dem aufgeblähten Hefekuchen schon selbst herauspicken.
Besonders liebevoll hat Holbein sein eigenes Bildnis geschnitzt, welches, damit der Leser doch auch was zum Rätseln hat, unter dem so geist- wie humorvollen Pseudonym „Uliversum Unwiederholbein” erscheint. „Landkommunarde, Wolkenkuckuck, Zuspätromantiker”, nennt er sich, „Müsli-Mysticus, Öko-Dandy, Daologe, Waldbold, Knüll-Idylliker, Metachemiker, Metaromancier, Polysoph”. Er nimmt sich selber ganz schön auf den Arm; doch nur, um sich aufs Zärtlichste darin zu wiegen. BURKHARD MÜLLER
ULRICH HOLBEIN: Narratorium. Abenteurer - Blödelbarden - Clowns - Diven - Einsiedler - Fischprediger - Gottessöhne - Huren - Ikonen - Joker - Kratzbürsten - Lustmolche - Menschenfischer - Nobody - Oberbonzen - Psychonauten - Querulanten - Rattenfänger - Scharlatane - Theosophinnen - Urmütter - Verlierer - Wortführer - Yogis - Zuchthäusler. 255 Lebensbilder. Amman Verlag, Zürich 2008. 1008 Seiten, 39,90 Euro.
Das ist Kabarett vom Borniertesten
Ulrich Holbein hält sich für einen „Metachemiker” und „Polysophen”
Der Narrenkundler Ulrich Holbein wurde 1953 in Erfurt geboren. Heute lebt er als „Waldbold, Müsli-Mysticus, Öko-Dandy, Metaromancier” und verschiedenes andere im nordhessischen Knüllgebirge. Links ist Papst Benedikt XVI. zu sehen, dem der Narrenkundler Mangel an „keuschen Hemmungen” attestiert. Fotos: Jürgen Bauer (oben), aus dem besprochenen Band (links)
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Nicht erwärmen kann sich Burkhard Müller für Ulrich Holbeins voluminöses "Narratorium". Das Unterfangen, eine Art Enzyklopädie der Narren der Welt zu erstellen, hält er durchaus für reizvoll. Aber Holbeins Umsetzung dieses Projekts scheint ihm wenig gelungen. Er vermisst nicht nur Urteilskraft und Trennschärfe, sondern auch den "moralistischen Fonds", der nötig wäre, um ein "erkennbares Ziel" zu erreichen. Außerdem hält er Holbein vor, recht "gemütlich" vorzugehen. Gute Satire sieht für Müller jedenfalls anders aus. Den Artikel über Papst Benedikt XVI. etwa beurteilt er als "Kabarett vom Borniertesten". Auch mit den Einträgen über Karl Kraus, Rilke, Gerhart Polt und viele andere zeigt er sich nicht einverstanden.

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