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Zum ersten Mal auf deutsch wird hier der kleine Text des Halbheteronyms Baron von Teive veröffentlicht, eine wichtige Ergänzung zum Buch der Unruhe und ein wichtiger Bestandteil des Gesamtwerks Pessoas. Álvaro Coehlho de Athayde ist der 14. Baron von Teive, übrigens der einzige Selbstmörder im Werk Pessoas, und entdeckt voller Schmerz, daß er die Bücher, die er schreiben wollte, nicht schreiben kann. "Ich habe, wie mir scheint, die volle Entfaltung meines Verstandes erreicht. Und daher werde ich mich töten." Seine persönliche Chronik, eine Sammlung negativer Lebenslektionen: eine von…mehr

Produktbeschreibung
Zum ersten Mal auf deutsch wird hier der kleine Text des Halbheteronyms Baron von Teive veröffentlicht, eine wichtige Ergänzung zum Buch der Unruhe und ein wichtiger Bestandteil des Gesamtwerks Pessoas. Álvaro Coehlho de Athayde ist der 14. Baron von Teive, übrigens der einzige Selbstmörder im Werk Pessoas, und entdeckt voller Schmerz, daß er die Bücher, die er schreiben wollte, nicht schreiben kann. "Ich habe, wie mir scheint, die volle Entfaltung meines Verstandes erreicht. Und daher werde ich mich töten." Seine persönliche Chronik, eine Sammlung negativer Lebenslektionen: eine von Einsamkeit geprägte Kindheit, eine enge, aber unerwiderte Bindung an die Mutter, ein abgeschlossenes Studium - ohne Folgen -, eine wohlhabende Existenz auf dem Lande, Schwierigkeiten im sexuellen Umgang mit Frauen, Amputation des linken Beines etc. "Dem Baron fehlten im Leben nicht nur ein abgeschlossenes schriftstellerisch-philosophisches Werk, sexuelle Eroberungen, die Mutter und das linke Bein, ihm fehlte auch der Sinn für Humor."
Autorenporträt
Fernando Pessoa (1888-1935), der wohl bedeutendste moderne Dichter Portugals, ist auch bei uns mit dem Buch der Unruhe bekannt geworden. Er gehört zu den großen literarischen Erneuerern, ist nicht nur der Begründer der modernen Dichtung seines Landes, sondern eine der Schlüsselfiguren in der Entwicklung der zeitgenössischen Dichtung überhaupt. Er schuf nicht nur Gedichte und poetische Prosatexte verschiedenster, ja widersprüchlichster Art, sondern Verkörperungen der Gegenstände seines Denkens und Dichtens: seine Heteronyme. Er gab seinem vielfältig gespaltenen Ich die Namen Alberto Caeiro, Ricardo Reis, Álvaro de Campos und eben Pessoa, das im Portugiesischen so viel wie 'Person, Maske, Fiktion, Niemand' bedeutet.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 14.02.2005

Bekenntnisse eines Unproduktiven
Ein weiteres Heteronym von Fernando Pessoa: Der Baron von Teive

Wieder ein neues Buch oder genauer: ein neuer Text aus dem Nachlaß des ja schon 1935 gestorbenen Fernando Pessoa. Was hier deutsch vorgelegt wird, ist erst 1999 portugiesisch erschienen. Von dem "Baron von Teive" hörte man aber schon 1960 in einem in Rio herausgekommenen Pessoa-Band. Teive ist also ein weiteres "Heteronym" Pessoas. So nannte er die von ihm erfundenen Autoren mit eigener und also fiktiver Biographie, deren Werke er schrieb: Ricardo Reis, Alberto Caeiro, Álvaro de Campos und Bernardo Soares, der in Pessoas wichtigstem Werk, dem "Buch der Unruhe", erscheint und den er ein "Semiheteronym" nennt, weil er ihm näherstehe als die anderen. Nun also auch Teive - mit vollem und klingendem Namen: Álvaro Coelho de Athayde, Baron von Teive. Er gehört, so will es die Fiktion, "zu einer der vornehmsten Familien" Portugals und endete, als einzige der "heteronymen" Figuren, durch Selbstmord. Das war im Jahr 1920. Pessoa schrieb die wenigen Texte, die zu Teive gehören, von 1928 an.

Für das schöne Buch, um das es hier geht und das keiner der vielen Freunde Pessoas wird auslassen wollen, ist es wichtig zu wissen, daß Pessoa "Die Erziehung zum Stoiker" nicht abgeschlossen und nicht einmal überarbeitet hat und daß ebendies für zahlreiche Texte Pessoas gilt (eine kritische Gesamtausgabe fehlt immer noch). Publiziert hat er keinen der dem Baron zugeschriebenen Texte. Herausgeber Richard Zenith, der dies einleitend darlegt, hat eine bestimmte Anordnung der "Notizen und Entwürfe" vorgenommen und einige kleinere Texte Pessoas hinzugefügt, von denen er meint, sie gehörten zu Teive hinzu. Der Titel, für den er sich entschieden hat, ist sehr zusammengesetzt: "Die Erziehung zum Stoiker. Das einzige Manuskript des Barons von Teive. Über die Unmöglichkeit, hohe Kunst zu schaffen"; er hätte auch (und sprechender noch) "Bekenntnis eines Unproduktiven" lauten können, denn auch diese Überschrift erscheint bei Pessoa. Die Übersetzerin hat gute Arbeit geleistet; nur manchmal muß man ihr widersprechen.

Daß es bei Teive nicht eigentlich um "stoische" Philosophie geht, etwa im Sinne von Epiktet oder Seneca, zeigt sich bald. Dieser Titel führt deutlich in die Irre, und Philosoph Georg Kohler, der auch schon über "Alberto Caeiro" einfühlsam geschrieben hat, hat es in seinem wieder sehr schönen Nachwort denn auch dargelegt. Teives Problem ist in Wahrheit, was fromme Leute vormals "das Laster der Engel" nannten: Hochmut, Stolz, die "superbia", der Demut, der "humilitas", entgegengesetzt. Luzifer, der "Lichtträger" und alles andere als häßlich, war ja in der (außerbiblischen) Tradition ursprünglich ein Engel. Das Rätsel oder Geheimnis des Bösen, das sich im Paradies ganz unvermittelt eingestellt hat - "Und die Schlange war listiger denn alle Tiere auf dem Felde . . ." -, mußte ja irgendwie hergeleitet werden. Auch der Baron redet intensiv vom "Bösen in der Welt", das nichts beweise, weder die Existenz noch die Inexistenz Gottes, sondern nur eben "die Existenz des Bösen". Vor allem aber ist er also stolz, und - dies jedoch hilft ihm gar nicht - weiß es selbst. Die Fiktion ist, daß er seine unfertigen Manuskripte allesamt verbrennt, dann diesen Text schreibt, der also die einzige Hinterlassenschaft sein soll, und sich dann aus dem Leben schafft.

Der Baron schreibt auch in seinen letzten Stunden wunderbar: ruhig und luzid, einfach und anmutig, in schmuckloser Deutlichkeit. Und ganz unrhetorisch. Man kann da auch wieder nur Pessoa selbst bewundern, denn er hat ja dies alles hastig und entsprechend schwer entzifferbar einfach so nach und nach aufs Papier geworfen. Kaum vorstellbar für alle, die schreiben, daß solche Perfektion, wie sie da durchaus nicht immer, aber doch immer wieder hervortritt, auf diese Weise erreichbar ist. Ein Schreiben, das aus der Überlegung kommt, und ein gerade in seiner Einfachheit und auch noch in der (guten) Übersetzung bestrickender Stil.

Der keineswegs sympathische Baron also durchschaut sich, durchschaut auch seinen sterilen Stolz. Besonders ärgerlich, daß dieser Stolz sogar noch gesellschaftlich ist: "Auch wenn ich mich immer gegen solche sterilen Begriffe wie Adel und gesellschaftlicher Rang wehren konnte, vergessen konnte ich sie nie. Sie sind in mir wie eine Feigheit, die ich verachte, gegen die ich aufbegehre, die aber auf befremdliche Weise meinen Verstand und meinen Willen in Fesseln legt." Es geht so weit, daß er es nur deshalb unterläßt, "eine junge, sehr einfache Frau zu heiraten und vielleicht glücklich zu werden". Und wie er sich in Gefühl und Gedanken von dieser ihm doch zärtlich hingegebenen Frau löst, genießt er den Frühlingsabend, es ist Mai, im Freien. Und: "in dieser milden und traurigen Stunde entstand der Gedanke meines Selbstmords". Für Teive gibt es nur das Nichts, metaphysisch und moralisch. Er ist durchdrungen von der "Vergeblichkeit aller Anstrengungen und der Nichtigkeit aller Vorsätze".

Auch so etwas wie aufklärerischen "Fortschritt" gibt es für ihn nicht: "Ich glaube weder an die Jungfrau Maria noch an die Elektrizität". Sogar die pessimistischen Dichter verachtet er, da ihr "System" nur darauf beruhe, daß sie sexuell keinen Erfolg gehabt hätten. Da nennt er und wird dabei sehr deutlich Giacomo Leopardi, Alfred de Vigny und den Portugiesen (auch aus dem 19. Jahrhundert) Antero de Quental: "Ein System, das auf persönlichen sexuellen Phänomenen beruht, kann ich nur für erbärmlich vulgär und schmutzig halten." Dann legt er dar, warum er nie zu einem (in doppelter Hinsicht) vollendeten Werk gekommen sei: Seine Skrupel hinderten ihn daran, denn "intensives Ringen um Perfektion" führe unweigerlich zum "Verzicht". Und dann: "Träumen ist besser als sein." Ein schönes Buch, ein schöner neuer Pessoa, für den man dem Ammann Verlag erneut dankbar sein muß.

HANS-MARTIN GAUGER

Fernando Pessoa/Baron von Teive: "Die Erziehung zum Stoiker". Herausgegeben von Richard Zenith. Aus dem Portugiesischen übersetzt von Inés Koebel. Nachwort von Georg Kohler. Ammann Verlag, Zürich 2004. 109 S., geb., 17,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Ein schönes Buch", urteilt Hans-Martin Gauger über "Die Erziehung zum Stoiker". Wieder einmal Texte, die Fernando Pessoa unter einem Decknamen - er selbst nannte sie "Heteronyme" - geschrieben hat: diesmal als "Der Baron von Teive". Verstreute, auch im Portugiesischen erst 1999 erschienene Schriften. Der Übersetzerin muss der Rezensent nur manchmal widersprechen - ansonsten habe sie gute Arbeit geleistet. Gauger staunt sogar über die Leichthändigkeit des Stils. Für irreführend hält er jedoch den Titel, denn um Stoizismus im philosophischen Sinne geht es in dem Buch nicht. Es geht vielmehr um eine spezifische Form von Stolz, um ein luziferisches Moment, das der Baron von Teive nicht aus sich, aus seinem Wesen zu verbannen vermag. Eine Neigung zum Nichts, die Unfähigkeit, an irgend etwas zu glauben, sich um irgend etwas zu bemühen. Er will um Perfektion nicht ringen, denn ein Ringen um Perfektion führe nur zum Verzicht. Lieber hält er es mit dem Motto: "Träumen ist besser als sein" und leistet Verzicht - auf das mögliche Glück mit einer gesellschaftlich unter ihm Stehenden, auf das Schreiben und auch auf das Leben. Der Baron, so Pessoas Fiktion, hat sich 1920 das Leben genommen.

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