Produktdetails
  • Verlag: Ammann
  • 2000.
  • Seitenzahl: 279
  • Deutsch
  • Abmessung: 205mm
  • Gewicht: 402g
  • ISBN-13: 9783250104162
  • ISBN-10: 3250104167
  • Artikelnr.: 08843045
Autorenporträt
Erika Burkart ist eine der bedeutendsten Dichterinnen der Gegenwart, für ihr Schaffen wurde sie mit zahlreichen Preisen ausgezeichnet, so mit dem Meersburger Droste-Preis, dem Johann-Peter-Hebel-Preis und dem Mozart-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.06.2001

Fischer, wie tief ist das Wasser?
Aufgespießte Schmetterlinge: Erika Burkart blickt hinter die Masken

Der Titel ist Programm. Erika Burkart taucht unter. In ihrem neuen Buch "Grundwasserstrom" - Aufzeichnungen aus den letzten sieben Jahren - will sie ergründen, welche Konflikte in den Tiefen brodelten. Was sie zum Schreiben zwang. Wie ihr Verhältnis zur Natur ist und wie dieses wiederum ihr Leben durchwirkte. Die Autorin bewegt sich auf unterirdischem Terrain, dort, wo das Grundwasser im Finsteren dahinzieht. Ab und zu fischt sie ein Fundstück auf, transportiert es an die Oberfläche und präsentiert es dem Leser zur Ansicht: "Schreiben, ein dem hermetisch arbeitenden Traum entfernt verwandter Vorgang, Formeln erarbeiten; Palimpseste lesen, sich durchlesen zum Urtext." "Grundwasserstrom" ist ein poetischer Rechenschaftsbericht und gleichzeitig ein Rückblick der neunundsiebzigjährigen Schweizer Autorin, die ihr ganzes Leben im Aebtehaus Kapf des Klosters Muri am Rande des Murimooses verbracht hat: einer düsteren, magischen Landschaft; einer idealen Projektionsfläche für phantastische Gespinste.

Erika Burkart schrieb zwar auch Prosastücke und Romane, hat sich aber vor allem als Lyrikerin innerhalb der Schweizer Literatur einen Namen gemacht. Seit den fünfziger Jahren publiziert sie in regelmäßigen Abständen Gedichte, zuletzt "Schweigeminute" (1988), "Die Zärtlichkeit der Schatten" (1991) oder "Stille fernster Rückruf" (1997). Es sind Lyriksammlungen, in denen sich manch eigenwillige Beobachtung zu sprühenden Strophen verdichtet, allerdings auch aparte Zeilen über blökende Schafe, dahinziehende Wolken und der ach so triste dahinschwindenden Liebe finden.

"Grundwasserstrom" vereinigt jetzt die parallel entstandenen Notate. In diesen Stenogrammen schwingt etwas mit vom lyrischen Grundton, den sie so oft erprobt hat. Das macht sie leicht lesbar und treibt den Leser durch den streng komponierten Sprachrhythmus voran. Allerdings behält die Autorin nicht immer die Kontrolle. Ab und zu geraten ihre Notate der Geziertheit eines damenhaften Poesiealbums verdächtig nahe. Auch ein paar prätentiöse Schönschriftübungen sind unübersehbar: "Reden vom Schnee schließt Schweigen mit ein, Stille, in der wir die Flocken fallen hören, die fernläutenden des Erinnerns und die größeren, langsamen des Vergessens."

Alles zieht die Aufmerksamkeit der Autorin auf sich. Was ihr unter die Finger kommt, gerinnt früher oder später unterschiedslos zu Sprache: die Freundschaft mit dem Schriftsteller Hermann Burger; ein meergrün gesprenkeltes Vogelei, das sie im Gras gefunden hatte; Fundstücke aus Büchern; die Erinnerung an den gewalttätigen Säufervater, der einst als Jäger die Sümpfe am Gran Chaco durchstreifte, und an die Mutter, die der Wildheit dieses Mannes nichts entgegenzusetzen hatte; die Häutung einer Eintagsfliege; die rätselhafte Fremdheit der Polenflüchtlinge, die während des Zweiten Weltkriegs in der Arbeitskolonie im Murimoos interniert waren.

Erika Burkarts Erzählverfahren gleicht dabei der Methode des Schmetterlingsforschers, der die flatternden Objekte einfängt und im Glaskasten säuberlich zur Untersuchung aufspießt. Das hat Vor- und Nachteile. Störend wird dieses Vorgehen, wenn ein Lesefundstück aus seinem komplexen Kontext herausgelöst wird und durch seine schroffe Enthüllung plötzlich nackt, jeder Magie beraubt dasteht. Die Methode beweist immer dann ihre Vorzüge, wenn literarische Zitate sich im Bewußtsein des Lesers unversehens wie irisierende Leitsätze einbrennen.

Spannend werden Erika Burkarts Aufzeichnungen immer dann, wenn sie sich ihren Lieblingsthemen nähert: dem Spiegel, dem Traum, der Maske. Dabei gibt es einen inneren Zusammenhang zwischen den drei Motiven. Imponierend etwa ihre Anmerkungen zum Spiegelbild, das wiederum mit dem Verhüllenden der Maske und dem Entlarvenden des Traums korrespondiert: Einmal beschreibt sie - und man vergißt diese Stelle nicht so bald - die wehklagenden Irren, die ihr Gesicht im Weiher der Psychiatrischen Klinik St. Urban spiegeln und dabei nur immer das Fremde im Eigenen erblicken. Das "Hinter-die-Masken-Schauenwollen" dagegen diagnostiziert die Autorin kühl als Alterssyndrom. Als Sucht nämlich, jederzeit "zusammenschauen" zu wollen und unter der stilisierten Oberfläche das Wahrhaftige, nicht selten das Erschreckende zu entdecken.

Spiegel und Maske wiederum sind verwandt mit dem Traum. Die Schriftstellerin redet von teuflischen und paradiesischen Träumen und rückt den Traum immer wieder in die Nähe des Schreibens. Beides schöpft aus dem zerklüfteten Unbewußten. Beides geschieht in Bildern, die den Abgrund zwischen Reden und Schweigen überbrücken. In diesen Passagen gelingt Erika Burkart auf spielerische Weise der Zusammenfall von Poesie und Erkenntnis, Sinnlichkeit und Reflexion. Kein schlechtes Verfahren, um den Leser mit sich zu ziehen.

PIA REINACHER

Erika Burkart: "Grundwasserstrom". Ammann Verlag, Zürich 2000. 280 S., geb., 38,- DM.

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Perlentaucher-Notiz zur NZZ-Rezension

Behutsam und bewundernd schreibt Elsbeth Pulver über diese "Aufzeichnungen", die zunächst in Gestalt von Erinnerungen, Zitaten und - als "Höhepunkt des Buches" - einigen Erzähltexten keinen Zusammenhang beanspruchen, und ihn dann doch liefern. Ein Strindberg-Zitat, das die Rezensentin mitliefert, scheint die Poetologie der Autorin grundsätzlich zu benennen: `Du musst Realist sein, um Mystiker zu werden`. Und so kommt es denn, dass die Beschreibung von Landschaften, ihren Pflanzen- und Erdbeschaffenheiten, ihren Flur- und Kindheitsnamen, zum Ausdruck einer magische Zeit wird, so Pulver. Der titelgebende "Grundwasserstrom" sei ebenso geologisch wie poetisch und existentiell. Dieses Buch ist das "verschwiegendste" und "zugleich das anmutig unangestrengteste" der Schriftstellerin geworden, schreibt Elsbeth Pulver.

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