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Produktdetails
  • Verlag: Kremayr & Scheriau
  • Seitenzahl: 304
  • Abmessung: 215mm
  • Gewicht: 618g
  • ISBN-13: 9783218006583
  • ISBN-10: 3218006589
  • Artikelnr.: 24088006
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.1999

Wiener Schnitzeljagd
Richard Strauss ist nicht zu fassen: Das Festmahl im Jubeljahr / Von Michael Gassmann

Nicht jedem passiert jede Geschichte. Richard Strauss hat schon immer eine ganz andere Art von Literatur auf sich gezogen als etwa Gustav Mahler, und so verwundert es nicht, dass auch in seinem fünfzigsten Todesjahr die Neuerscheinungen anlässlich des Jubiläums von sehr spezifischem Charakter sind.

Marianne Reissigers Kochbuch "Und die Schokolade nehmen wir im blauen Salon. Zu Gast bei Pauline und Richard Strauss" ist so ein Fall. Welche anderen Komponisten kämen schon mit ihren Rezepten für solch ein Editionsvorhaben in Betracht? Würde man etwa "Zu Gast bei Gesualdo" erwerben wollen? Oder "Schlemmen mit Stockhausen"? Gar "Backen mit Boulez"? Bei Strauss aber ist das anders; immer schon war dies die eine Seite eines Bildes, das man sich von ihm gemacht hat: Strauss, der Großbürger und Familienmensch. Spießer konnten bei dem Gedanken Genugtuung empfinden, das Genie und Wohlanständigkeit sich keineswegs ausschließen müssen. Während ringsherum alles im Sumpf der Atonalität versank, komponierte Strauss im Kreise der Familie weiterhin seine schönen Opern. Das neue Kochbuch - angereichert um die Liebes- und Ehegeschichte von Pauline und Richard und um eine CD mit Lesungen aus ihrem Briefwechsel - ist dazu angetan, diese schräge Sicht der Dinge zu befestigen.

Die Koch- und Backrezepte freilich sind in jeder Hinsicht eine Wucht. Der englische Komponist Charles Villiers Stanford, der im Jahre 1915 in einem Artikel mit der Überschrift "Music and the War" Strauss' Musik als Abbild des deutschen Militarismus beschrieb, weil sie auf zahlenmäßige Überlegenheit und überragende Instrumententechnik setze, hätte sich beim Anblick der Zutatenliste zur Spinatroulade, zum Rehrücken, zur Sachertorte oder zur Eierschokolade in seinem Urteil bestätigt gefühlt. In Strauss' Küche müssen sich wahre Materialschlachten abgespielt haben, und jeder mag nun selbst beurteilen, ob die kulinarischen Resultate die eigene Wehrkraft zersetzen oder stärken.

Auch für Kurt Wilhelm ist das Leben von Strauss als "mustergültiger Familienvater" eines der drei Leben des Komponisten, neben dem als Komponist und dem als Dirigent, die er in seiner opulenten, 1984 zuerst erschienenen, nun wieder aufgelegten Bildbiografie "Richard Strauss persönlich" zu beschreiben sucht. Sein Stil ist knapp, der Text zielt aufs Anekdotische. Das eröffnende München-Kapitel etabliert den ins Gemütvolle spielenden Tonfall. Wilhelm ist ein langjähriger Freund der Familie, und so mag man ihm nachsehen, dass er ein geschöntes Bild des Komponisten liefert und das Kapitel über die Ernennung zum Präsidenten der Reichsmusikkammer mit "Das Ehrenamt" überschrieben hat. Das Buch ist eine Art Familienalbum und insofern dem Kochbuch verwandt: ein prachtvoll bebildertes Souvenir. Beim Durchblättern kommen einem die Worte Fritz Buschs in den Sinn: "Das Rätsel der Strauss'schen Natur zu lösen, die, obwohl Trägerin einer der erstaunlichsten Begabungen, dennoch nicht von ihr durchdrungen und besessen ist wie die anderer großer Künstler, sondern sie in der Tat nur ,trägt' wie einen Anzug, den man ablegen kann - dies ist weder mir noch irgend jemand anderem gelungen." Keine Verbindung will sich herstellen lassen zwischen dem jovialen Alten in seiner bis zur Decke mit Kunst und Kitsch gefüllten bayerischen Villa und dem Komponisten der "Salome" und der "Metamorphosen". Wer war Richard Strauss?

Es verwundert nicht, dass der merkwürdige Ton der Vertraulichkeit, der solcherart Lebensbeschreibungen prägt, diese Hausbuchprosa für die Teetische der Rosenkavaliersliebhaber, entschiedene Gegenreaktionen auf der anderen Seite des biografischen Gewerbes provoziert. An die Stelle des Familienvaters rückt nun der Präsident der Reichsmusikkammer, das Unehrenamt, die Versuchung, das gesamte Leben des Komponisten auf diese zwei Jahre hin zu erklären, scheint groß zu sein und verzerrt das Bild zur anderen Seite hin.

Die Biografien Maria Publigs und Matthew Boydens werben mit einem solchen Ansatz: Publig gibt vor, "sensible Bereiche" zu diskutieren, die andere "gar nicht erwähnen", und annonciert stolz die Verwendung "geheimen NS-Materials"; Boyden verspricht, sein "besonderes Augenmerk" auf die Rolle von Strauss im Dritten Reich zu richten. Beiden Arbeiten merkt man leider die Eile an, mit der auch diese ehrgeizige Jubiläumsliteratur auf den Markt geworfen wurde. Warum hat kein Lektor verhindert, dass Boydens Buch in einer Übersetzung herausgebracht wurde, die so holprig ist, dass man stets im Unklaren gelassen wird, ob Boydens Aussagen nicht doch präziser sind, als die deutsche Fassung vermuten lässt. Anglizismen ("wie irgendetwas in Mozart") sind regelmäßig Bestandteil von Satzkonstruktionen, deren Gebälk vernehmlich ächzt. Maria Publigs Sprache hingegen musste nicht übersetzt werden, so dass die Verbindung von sprachlicher und gedanklicher Unschärfe unmittelbar auf uns wirken kann: "Faschismus mit Antisemitismus gleichzusetzen ist keine ursprüngliche Symbiose." "Die Mechanismen dafür zu erkunden, ist hier nicht das Thema."

Matthew Boyden breitet auf fast siebenhundert Seiten das Leben des Komponisten vor uns aus. Unverkennbar steht er, detailreich chronologisch nacherzählend, in der Tradition der englischsprachigen Biografik, deren Stärke Farbigkeit, Lebendigkeit und Informationsfülle sind. Leider belässt Boyden es nicht beim Erzählen, sondern versucht, die tieferen gesellschaftlichen und weltanschaulichen Ursachen des Phänomens Strauss zu ergründen: Er hüpft kurz durch Nietzsches Gedankengebäude, schildert Kaiserdeutschland als eine beinahe ausschließlich auf Antisemitismus gegründete Gesellschaft und behauptet allen Ernstes (das Thema "Programmmusik" streifend), dass Strauss der Erste gewesen sei, der "zugab", dass alle Musik ihren Ursprung in persönlich Erlebtem habe. Boyden, so erfährt man in der Verlagsmitteilung, hat sich bereits mit einem "Rough Guide to Classical Music" und einem "Rough Guide to Opera" einen Namen gemacht; nun gut. Aber "A Rough Guide to Nietzsche's Philosophy" oder "A Rough Guide to Fascism", das geht einfach nicht. Auch bei den Werkporträts macht sich Boydens Spezialisierung auf das Ungefähre unangenehm bemerkbar. So erfahren wir etwa, die Alpensymphonie sei "erstklassig komponiert", und überhaupt gehöre das Werk von Richard Strauss "zum großen Teil zum Schönsten und Eindringlichsten", das "jemals komponiert wurde".

Maria Publig verzichtet auf die Erörterung der Musik vollkommen, weil sie ihr biografisches Projekt als "historische Annäherung" versteht. Im Vorwort erläutert sie ihre Methode: Strauss' "Aussagen und seine Überzeugungen werden dabei stets in Relation zum jeweiligen geschichtlichen Prozess gesetzt". Genauso schlicht, wie dies formuliert ist, geht Publig auch vor. Erscheint ihr etwas in der Biografie des Komponisten vor gesellschaftlichem Hintergrund erklärbar, greift sie zur "Geschichte des privaten Lebens" von Ariès und Duby und findet prompt die entsprechenden Zeitumstände. Gelegentlich liefert sie geradezu groteske Erklärungen; so habe Strauss es sich vor allem auf Grund seiner verantwortungsvollen Stellung als Kulturpolitiker mit gewerkschaftlicher Ambition versagt, nach "Elektra" weiterhin die Grenzbereiche der Tonalität auszuloten. Und was sagt uns die Bemerkung, Strauss fehle im Unterschied zu den Klassikern Mozart und Beethoven die bedingungslose Liebe zum Menschen?

Ganz unprätentiös ist hingegen Christoph Wagner-Trenkewitz' Arbeit über Richard Strauss und Wien. Das Konzept ist ebenso klar wie überzeugend: Im ersten Teil schildert Wagner-Trenkwitz den Aufstieg des jungen Komponisten bis zum Jahre 1919, im zweiten Strauss' Amtsführung als Künstlerischer Oberleiter der Oper zwischen 1919 und 1924 und im dritten seine Rückkehr ins Wiener Konzertleben nach dem Rücktritt von diesem Amt. Handbuchqualitäten gewinnt die Arbeit durch eingefügte Übersichten über die Wiener Aufführungsgeschichte der einzelnen Opern mit detaillierten Angaben zu Inszenierungen und Besetzungen. Zwei umfängliche Statistiken zu Richard Strauss' Wiener Dirigententätigkeit und den Aufführungen seiner Werke an der Staats- und Volksoper komplettieren das ebenso informative wie geradlinige Buch.

Wer war Richard Strauss? Ein guter Esser, ein Familienmensch, ein mit den Nazis paktierender Opportunist: Mehr hat die opulente Jubiläumsbiografik kaum zu Tage gefördert. Schon deshalb war es eine gute Idee Hanspeter Krellmanns, diese Frage neunzehn Autoren unterschiedlichster Profession zur Beantwortung vorzulegen: Schriftstellern, Dramaturgen, Musikwissenschaftlern, Historikern, Politologen, Philosophen. Es ist ein intellektuelles Vergnügen ersten Ranges, der kleinen Gelehrtenrepublik beim Meinungsaustausch zuzuhören und zu notieren, wie die immer noch an den Lippen Adornos hängende Musikwissenschaft am weitesten daneben zielt: Anette Unger meint es gut und möchte nachweisen, dass nicht nur Mahler, sondern auch Strauss, indem er zur Charakterisierung bestimmter Rollen in den Opern mit Stilzitaten arbeitete, den Bruch zum Kompositionsprinzip erhoben, damit die "artifizielle Kunstmusik" in ihrer Scheinhaftigkeit entlarvt und somit "Adornos Ansprüche erfüllt" habe. Da wäre Strauss aber erleichtert gewesen. Musikologen sind für Musiker, was Ornithologen für Vögel sind, hat Charles Rosen einmal bemerkt.

Die Beschreibung einer Reise nach Garmisch, die Friedrich Dieckmann "Das Rätsel Strauss" betitelt hat, ist in ihrem Bemühen, das Phänomen Strauss gewissermaßen auf sich wirken zu lassen, viel fruchtbarer. Dieckmann gelingt es, Thesen zu Werk und Person in knappste Formulierungen zu gießen, die im Gedächtnis bleiben. Dass Strauss während des Ersten Weltkriegs die "Kollaboration mit dem Pathos" verweigert habe, ist eine treffende Beobachtung. Strauss habe "als Zeitgenosse von der Hand in den Mund gelebt": Dieckmann umreißt damit präzise den Grund für die Unmöglichkeit, Strauss als politischen Menschen zu fassen zu bekommen. Strauss als "antiromantischer Künstler par excellence" und als ein Komponist, dessen Opernsujets alleine schon - heiter, antikisch - eine Karriere als Kultkomponist des Nationalsozialismus verhinderten - das ist wie so vieles andere anderer Autoren in diesem Buch bedenkenswert.

Wer war Richard Strauss? Man greife zum wunderbar handlichen, wiederaufgelegten und mit Incipits ausgestatteten Werkverzeichnis Franz Trenners und lausche mit dem inneren Ohr der Musik.

Marianne Reissinger: "Und die Schokolade nehmen wir im blauen Salon". Zu Gast bei Pauline und Richard Strauss. Mary Hahn Verlag, München 1999. 128 S., 30 Abb., 1 CD mit Strauss-Liedern und Opern-Arien, geb., 49,90 DM.

Kurt Wilhelm: "Richard Strauss persönlich. Eine Bildbiographie. Henschel Verlag, Berlin 1999. 454 S., Abb., geb., 98,- DM.

Matthew Boyden: "Richard Strauss". Die Biographie. Europa Verlag, München 1999. 704 S., geb., 68,- DM.

Maria Publig: "Richard Strauss". Bürger - Künstler - Rebell. Eine historische Annäherung. Verlag Styria, Graz 1999. 296 S., S/W-Abb., 49,80 DM.

Christoph Wagner-Trenkwitz: "Durch die Hand der Schönheit". Richard Strauss und Wien. Verlag Kremayr & Scheriau, Wien 1999. 304 S., Abb., geb., 47,80 DM.

Hanspeter Krellmann (Hrsg.): "Wer war Richard Strauss?" Neunzehn Antworten. Mit farbigen Fotografien von Wilfried Hösl. Insel Verlag, Frankfurt am Main 1999. 317 S., Abb., geb., 49,80 DM.

Franz Trenner: "Richard Strauss". Werkverzeichnis (TrV). Zweite überarbeitete Auflage. Verlag Dr. Richard Strauss, Wien 1999. 395 S., geb., 128,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"In einer Sammelrezension bespricht Michael Gassmann folgende sieben Bücher über Richard Strauss:
1) Christoph Wagner-Trenkwitz: "Durch die Hand der Schönheit, Richard Strauss in Wien"
Bei Wagner-Trenkwitz lobt Gassmann die sachliche und informationsreiche Art der Darstellung. Wer sich für das Thema interessiert, der finde hier "Handbuchqualitäten" und "umfängliche Statistiken".
2) Hanspeter Krellmann (Hg.): "Wer war Richard Strauss?" (Insel Verlag)
In den 19 Essays des von Hanspeter Krellmann herausgegebenen Bandes findet Gassmann "ein intellektuelles Vergnügen ersten Ranges", allerdings nicht so sehr bei den Texten der Musikwissenschaftler, die Strauss` Musik immer nur an der Elle der Begriffe Theodor W. Adornos mäßen, sondern eher bei den Dramaturgen oder Autoren wie Friedrich Dieckmann, der nachweise, dass Strauss mit der Ästhetik der Nazis sehr wenig gemein habe.
3) Matthew Boyden: "Richard Strauss, die Biografie" (Europa Verlag)
Boydens Biografie stehe in der angelsächsischen Tradition und sei somit farben- und informationsreich erzählt. Boyden sei allerdings "ein Spezialist fürs Ungefähre", seine Ausführungen zu Nietzsche oder dem Faschismus oder anderen weltanschaulichen Themen findet Gassmann schwer verdaulich. Man merke im übrigen, mit welcher Eile das Buch geschrieben sei. Boyden gehe aber immerhin auch auf das Thema "Strauss im Nationalsozialismus" ein.
4) Kurt Wilhelm: "Richard Strauss persönlich" (Henschel Verlag)
Diese Strauss-Darstellung findet Gassmann dann doch etwas geschönt, aber immerhin opulent bebildert, ein rechtes Souvenir. Man müsse verstehen: Es handele sich um das Buch eines mit der Familie Befreundeten.
5) Maria Publig: "Richard Strauss, Bürger, Künstler, Rebell" (Verlag Styria)
Publig verzichte völlig auf musikalische Erörterungen. Ihre Art, Strauss über einen zeithistorischen Bezug anzunähern verführe die Autorin zum Teil zu "grotesken Erklärungen".
6) Marianne Reisiger: "Und die Schokolade nehmen wir im blauen Salon" (Mary Hahn Verlag)
Auch zu Maria Reissigers Kochbuch "Und die Schokolade..." fällt Gassmann nicht viel Gutes ein. Die Rezepte zu Sacher-Torte und anderen Speisen seien etwa so schwer wie Strauss` Partituren. Bei keinem anderen Komponisten komme man im übrigen auf so eine Idee. Könne man sich etwa ein Buch unter dem Titel "Backen mit Boulez" vorstellen?
7) Franz Trenner: "Richard Strauss, Werkverzeichnis".
An Trenners Werkverzeichnis lobt Gassmann die Handlichkeit und die Incipits vor den Werknummern.

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