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Michael Köhlmeier erzählt in seiner Novelle, die in den fünfziger Jahren spielt und auf wahren Begebenheiten beruht, die Geschichte des Emilio Zanetti. Scheinbar ohne Grund beginnt dieser eine Schlägerei und wird daraufhin verhaftet. Bei der Überstellung gelingt ihm die Flucht: Als es kein Vor und Zurück mehr gibt, klettert er auf einen Hochleitungsmast. Während sich eine schaulustige Menge versammelt, steigt der zehnjährige Ich-Erzähler zu Emilio hinauf und versucht zu vermitteln. Die Situation spitzt sich zu: Wird Zanetti springen, oder wird er sich ergeben ...

Produktbeschreibung
Michael Köhlmeier erzählt in seiner Novelle, die in den fünfziger Jahren spielt und auf wahren Begebenheiten beruht, die Geschichte des Emilio Zanetti. Scheinbar ohne Grund beginnt dieser eine Schlägerei und wird daraufhin verhaftet. Bei der Überstellung gelingt ihm die Flucht: Als es kein Vor und Zurück mehr gibt, klettert er auf einen Hochleitungsmast. Während sich eine schaulustige Menge versammelt, steigt der zehnjährige Ich-Erzähler zu Emilio hinauf und versucht zu vermitteln. Die Situation spitzt sich zu: Wird Zanetti springen, oder wird er sich ergeben ...
Autorenporträt
Köhlmeier, Michael
Michael Köhlmeier, 1949 in Hard am Bodensee geboren, lebt in Hohenems/Vorarlberg und Wien. Bei Hanser erschienen die Romane Abendland (2007), Madalyn (2010), Die Abenteuer des Joel Spazierer (2013), Spielplatz der Helden (2014, Erstausgabe 1988), Zwei Herren am Strand (2014), Das Mädchen mit dem Fingerhut (2016) und Bruder und Schwester Lenobel (2018), außerdem die Gedichtbände Der Liebhaber bald nach dem Frühstück (Edition Lyrik Kabinett 2012) und Ein Vorbild für die Tiere (Gedichte, 2017) sowie die Novelle Der Mann, der Verlorenes wiederfindet (2017) und zuletzt Die Märchen (Mit Bildern von Nikolaus Heidelbach, 2019). Michael Köhlmeier wurde vielfach ausgezeichnet, zuletzt 2017 mit dem Literaturpreis der Konrad-Adenauer-Stiftung sowie dem Marie Luise Kaschnitz-Preis für sein Gesamtwerk und 2019 mit dem Ferdinand-Berger-Preis.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 28.09.2002

Liebe, Lüge, Täuschung
Auf dem Hochspannungsmast: Michael Köhlmeiers Novelle

Es ist ein klassisches Novellenszenario, das Michael Köhlmeier in seinem neuen Buch schildert. "Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt wurde" handelt von einem unerhörten Ereignis, das auf eine wahre Begebenheit zurückgeht. Die Tat, die das Zünglein im Lebensschicksal des Helden bedrohlich ausschlagen läßt, ist schnell erzählt. Der sechsundzwanzigjährige Emilio Zanetti, Sohn eines italienischen Einwanderers, verprügelt eines Tages Vinzenz Manal, bis dieser halb tot ins Koma fällt. Ein rätselhafter Vorgang, scheinbar ohne Anlaß. Keiner weiß, was den Vorfall provoziert hat. Es ging dem Elektriker bis jetzt doch alles leicht von der Hand. Er hatte es schon deshalb einfach im Leben, weil er schön war, schön wie kein anderer mit seinen schwarzen Haaren, seinen weißen Zähnen und seinem elastischen Gang. Vinzenz Manal wiederum war erst vor kurzem ins Dorf gezogen. Er wohnte mit seiner Frau an der Hauptstraße in Hohenems. Ein wuchtiger Mann. Der Italiener hätte noch bis ans Ende seiner Kräfte auf ihn eingeschlagen, wenn die Dorfbewohner nicht dazwischengegangen wären.

Man sperrt Emilio in den Kotter. Als ihn der Dorfpolizist am anderen Tag abholen will, um ihn dem Untersuchungsrichter in Feldkirch vorzuführen, flüchtet er. Mit dem Rad fährt er quer über die Felder, immer vom Polizisten verfolgt. Als er keinen Ausweg mehr sieht, rettet er sich auf einen eisernen Hochspannungsmast. Da sehen wir ihn nun auf seinem luftigen Hochsitz, in seinem weißen Hemd, dem schwarzen Sonntagsanzug, der getüpfelten Krawatte. Der Wind fährt in seine Kleider, eine bizarre Vogelscheuche. Unten wartet die gaffende Menge: johlende Dorfbewohner, der Polizist, der Vater, die Stiefmutter, Freunde. Keiner weiß, warum er den Mann malträtiert hat, erst recht nicht, warum Zanetti für die Mißhandlung sein bestes Gewand angezogen hat. Gleich wird die Kompaßnadel des Schicksals auf die eine oder andere Seite ausschlagen, radikal in jedem Fall.

Michael Köhlmeier liefert mit seiner Geschichte solide, zünftige Schreibarbeit, korrekt im Detail, artig nach den Regeln der Kunst, aber letztlich doch etwas manierlich. Der Grundeinfall jedoch fügt sich in eine lange literarische Tradition. Und an zwei Stellen ritzt der Autor in diese Folie so ganz nebenbei erfinderische, eigensinnige literarische Lösungen. Einmal in der Verkapselung des Geheimnisses, das seinen Helden vorantreibt. Aufgelöst wird das Rätsel des eruptiven Gewaltausbruchs nämlich an keiner Stelle. Und doch schwingt die innere Wahrheit des Helden in jedem Satz mit: als drohende Regelverletzung, als gefährlicher lockender Tabubruch, der in jedem Augenblick alle Schranken niederwalzen könnte. Wie infiziert von dieser verborgenen, schrecklichen Wahrheit wirken die Sätze an manchen Stellen. Einmal nur wird sie offen angedeutet: als Zanettis Kollege den Vater fragt, warum dieser die Tat begangen habe. "Aus Liebe", sagt der Vater, und jetzt schreit die Mutter: "Macht das alles richtig, was falsch ist, und alles klug, was dumm ist?" Dies sind gleichzeitig winzige Verweise an die unterlegte klassische Folie, an die alten Vorbilder, an die Köhlmeiers Novellenvariante anschließt: Das Echo aus C. F. Meyers Novelle "Die Richterin" zum Beispiel ist unüberhörbar. Michael Köhlmeier erzählt mit "Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt wurde" die alte Geschichte der gesetzlosen Liebe in neuer Variante: Weil sie verboten ist, verschafft sie sich Raum unter der Maske der Gewalt.

Ein zweites Mal beweist der Autor souveräne Gestaltungskraft, denn Emilio Zanetti hat am Ende nur noch zwei Möglichkeiten: sich vom Hochspannungsmast fallen zu lassen und so selbst zu töten; oder hinunterzusteigen und sich der Strafe auszuliefern. Beides schafft er aus eigener Kraft nicht. Wie bringt der Autor die Sache zu Ende? Er schickt den jüngeren Kollegen Zanettis auf den Mast. Dieser hat den Freund in der Zwischenzeit bestohlen und sich mit der Beute in der Bäckerei Süßigkeiten gekauft. Zum Reden bringt auch er den verstockten Zanetti nicht. Nur einmal antwortet dieser auf die Frage nach dem Grund für seine Tat mit einem verschlungenen Satz: "Überall, wo etwas los ist für das Herz und die Hand, wird gelogen", sagt er nämlich und: "Aber ich bin draufgekommen, daß es nicht anders geht. Es geht sich anders nämlich nicht aus."

Das ist alles. Was tut jetzt der Freund? Er reagiert mit Selbstentblößung. Er erzählt Zanetti, daß er ihn feige bestohlen hat. Er konfrontiert den hoch Irritierten, der ihn der Lüge verdächtigt, mit der peinlichen eigenen Wahrheit und erlöst ihn mit diesem Trick aus der Falle. Ein ebenso schlichter wie raffinierter Einfall. Michael Köhlmeier hat in diesen Passagen der ewigen Geschichte um Liebe, Lüge und Täuschung ein eigenständiges Kapitel zugefügt.

Michael Köhlmeier: "Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt wurde". Deuticke Verlag, Wien 2002. 108 S., geb., 12,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Einen "Meister des Indirekten", der es verstehe so filigran wie offen zu erzählen, erblickt Rezensent Hermann Wallmann in Michael Köhlmeier, dessen Erzählung "Der Tag, an dem Emilio Zanetti berühmt war" ihn tief beeindruckt hat. Die Geschichte um den zehnjährigen Ich-Erzähler Zill und seinen Freund, den 26-jährigen Elektriker Zanetti, der unerklärlicherweise einen Mann niederschlägt und sich dann auf einen Hochspannungsmast flüchtet, glänzt nach Ansicht Wallmanns vor allem durch die "erzählerische Raffinesse" Köhlmeiers. Die ganze Erzählung sei von einer Spannung zwischen der äußeren und der inneren Handlung geprägt, nur dass es für Köhlmeier die traditionelle Verbindung von Motiv und Tat nicht gebe. "Man möchte es paradox formulieren", raunt Wallmann: "Das Ereignis dient dem Geheimnis."

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"Michael Köhlmeier hat sich in vielen epischen Genres bewährt, als Romancier wie als Bearbeiter mythischer Grundlagenwerke unserer Kultur, der antiken Sagen, der Bibel, des Nibelungenlieds; von jener Souveränität, die auf das Ungesagte vertraut, zeugen jedoch vor allem seine Novellen und Erzählungen." Karl-Markus Gauss, Neue Zürcher Zeitung, 02.05.02