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Auf dreierlei weise gehen wir der geschichte in die falle. Indem wir glauben, sie "ereigne sich einfach so", zweitens durch die geschichtsbilder (also unsere kollektiven vorstellungen von geschichte, die diese bis zur unkenntlichkeit entstellen), und schliesslich dadurch, dass wir denken, geschichte lasse sich einfach nach art einer story narrativ darstellen. Eine neue triangulation der geschichte, die auf darstellungslogik und -techniken rücksicht nimmt, die den (überwiegend kollektiv-vorbewussten) einbildungen rechnung trägt und die die feedbacks der geschichtsbetrachtung auf die soziale…mehr

Produktbeschreibung
Auf dreierlei weise gehen wir der geschichte in die falle.
Indem wir glauben, sie "ereigne sich einfach so", zweitens durch die geschichtsbilder (also unsere kollektiven vorstellungen von geschichte, die diese bis zur unkenntlichkeit entstellen), und schliesslich dadurch, dass wir denken, geschichte lasse sich einfach nach art einer story narrativ darstellen. Eine neue triangulation der geschichte, die auf darstellungslogik und -techniken rücksicht nimmt, die den (überwiegend kollektiv-vorbewussten) einbildungen rechnung trägt und die die feedbacks der geschichtsbetrachtung auf die soziale aktion miteinkalkuliert, kann hingegen so etwas wie eine neue "kartographie" der geschichte hervorbringen, womit ihre theoriefähigkeit nicht mehr hinter der von semiologie, psychoanalyse und narratologie zurückstünde.

Der Autor
Georg Schmid gebürtig aus Wien, lebt in Frankreich. Lehrte in den USA, in Paris sowie hauptsächlich an der Universität Salzburg. Zahlreiche wissenschaftliche Veröffentlichungen; bei Böhlau sind erschienen: Die Zeichen der Historie (1986; vergriffen), Die Spur und die Trasse (1988: vergriffen), Bewegung und Beharrung (Ko-Autor, 1994; vergriffen).
Autorenporträt
Georg Schmid, geboren 1940, war Pfarrer in Greifensee, ist emeritierter Titularprofessor im Fach Religionswissenschaft an der Universität Zürich, ehemaliger Leiter der evangelischen Informationsstelle »Kirchen, Sekten, Religionen« in Greifensee und Autor zahlreicher Publikationen.
Rezensionen

Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Genauso wenig wie der Rezensent Martin Stingelin weiß, ob das Prädikat "ideologiekritisch", das er dem Buch verleiht, heutzutage eine Warnung oder eine Empfehlung bedeutet, weiß der Leser der Rezension am Ende etwas darüber, was Stingelin nun eigentlich von diesem Buch hält. Zwar liege die "Klugheit" von Georg Schmids semiotischem Ansatz "in den Fragen, die er stellt", aber bei den Antworten - was übrigens der Rezensent nicht weiter bedauerlich findet - erschöpfe sich das Ganze "in immer neuen Anläufen". Man muss wohl davon ausgehen, dass es dem Autor nach Meinung des Rezensenten gelingt, über die Darstellung des "Konstruktionscharakters unserer Geschichtsbilder" die "Naturalisierung der Geschichte zu durchschauen." Ist man zu diesem erfreulichen Ergebnis gelangt, erfährt man allerdings am Ende der Rezension, dass bereits ein anderer, nämlich Hayden White in seinem Buch "Metahistory", bereits ebensolche klugen Fragen gestellt hat. Was das wiederum für das rezensierte Buch bedeutet, verrät der Rezensent leider nicht.

© Perlentaucher Medien GmbH

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.03.2001

Nur weg mit festen Rauchmustern
Klios Klamotten: Georg Schmid bildet sich nichts auf die Historie ein

"Die Geschichtsfalle" ist ein ideologiekritisches Buch ohne daß der Rezensent wüßte, ob dieses Urteil bei den wechselnden Konjunkturen der intellektuellen Moden noch eine Warnung oder schon wieder eine Empfehlung darstellt. Der Autor Georg Schmid bedient sich der semiotischen Methode, um unser Unterscheidungsvermögen bei der Geschichtsbetrachtung von Weltbildern zu sensibilisieren. "Weltbilder" weisen in den zeichentheoretisch geschulten Augen von Schmid - der aus achtbarem idiosynkratischen "stolz der persönlichen und argumentierbaren option" gleichzeitig einen gewöhnungsbedürftigen orthographischen Windmühlenkampf gegen das "ß" und die Großschreibung führt - "in richtung (auto-)suggestion, klischee, stereotypisierung von anschauung, erfahrung und wirklichkeit".

Geschichtsbilder verleihen ihren Gegenständen eine blendende Selbstevidenz, die alle Fragen abweist. Diese anschauliche Gewißheit will das ideologiekritische Unternehmen von Schmid durch Historisierung und Kontextualisierung als Schein und Einbildung entlarven: Woher rühren die Bilder, aus denen vermeintlich die Geschichte selbst direkt zu uns spricht? Leisten sie nicht die Übersetzung zwischen einem historischen Argument und einer augenfälligen Anekdote, einem einleuchtenden Ereignis, die stellvertretend für dieses Argument einstehen? Wie gelingt es diesen Bildern, ihre Übersetzungsleistung zu maskieren und als Unvermitteltheit auszugeben? Welchem Zweck hat diese Verkleidung ursprünglich gedient, und welchen Kostümreigen haben unsere Geschichtsbilder seither aufgeführt, um uns in der Illusion historischer Gewißheit zu wiegen?

Die Klugheit von Georg Schmids Buch liegt in den Fragen, die es stellt; der Versuch, sie zu beantworten, erschöpft sich zwar in immer neuen Anläufen aus verschiedenen Richtungen, doch hat dieser Anblick nichts Betrübliches, zeichnet er sich doch durch eine anregende Findigkeit aus. "Die Geschichtsfalle" ist eine überfließende Quelle weltläufiger Problematisierungen, jedoch kein Heimwerkerhandbuch zur Eindämmung von Problemen im akademischen Hausgebrauch.

Diese Weltläufigkeit zeigt sich einmal mehr vor Ort; der Ethnologe muß seinen Blick für das Fremde zu Hause schulen, will er in der Fremde bekannte Muster wahrnehmen. Der Salzburger Historiker konfrontiert in einem "Divertissement", einer beiläufigen Begehung des Stadtbildes in fünfundzwanzig selbst angefertigten Photoporträts, den topischen Gemeinplatz, daß Salzburg "schön" sei, mit der Ernüchterung, die sich einstellt, wenn man die Kamera nur einen Bildausschnitt neben das touristische Objekt der Begierde hält. Diese Entautomatisierung des Blicks fördert komplizierte, durch "unkrautkistln" bedingte Umwege zutage, wo das herkömmliche Wahrnehmungsmuster einen reibungslosen Verkehrsfluß zu sehen wünscht, oder provisorische Zugänge zum zentralen Verkehrsknotenpunkt "Hauptbahnhof", der gar nicht erst in den Blick kommt.

Diese Bilder sind Allegorien der Blickstörung, der Reflexion über den Konstruktionscharakter unserer Geschichtsbilder. Schmid bedient sich der Unterscheidung zwischen Denotation und Konnotation, zwischen einem Zeichensystem vermeintlich direkt vermittelter und einem viel reicheren Zeichensystem unterschwellig mitschwingender Bedeutungen, das dieses ebenso unweigerlich wie unbemerkt begleitet und überwältigt. Diese Differenzierung erlaubt es, die Naturalisierung der Geschichte zu durchschauen, die den Eindruck vermittelt, als sei es immer schon unabänderlich so gewesen. Unter dem Vorzeichen der Unterscheidung zwischen Objekt­ und Metasprache werden überdies im Redefluß der Geschichte sehr viel mehr Stimmen und Ströme hörbar, als der anherrschende Ton des fatalistischen "Es ist, wie es ist" vermittelt.

Diese Utopie einer kommenden Wissenschaft semiotisch aufgeklärter Geschichtsschreibung nennt Schmid "historiologie". Doch nicht nur historische Wahrnehmungsmuster, auch verfestigte "ess-, trink-, rauchgewohnheiten und -muster" will der Autor in einer "lukullographie" - mit Roland Barthes teilt Schmid auch die Neigung zu Wortneuschöpfungen - einer entautomatisierenden Selbstbefragung aussetzen.

Bei der Empfänglichkeit des Autors für rhetorische Formalisierungen historischer Argumentationsmuster überrascht dabei nur, daß er - neben Nietzsche - Hayden Whites wichtiges Buch "Metahistory", das schon im Untertitel, "Die historische Einbildungskraft im 19. Jahrhundert in Europa" , an sein eigenes Buch anklingt, nicht zur Kenntnis genommen zu haben scheint (F.A.Z. vom 8. Oktober 1991). Darin liegt immerhin die tröstliche Zuversicht, daß die Historie selbst nach ihrer semiotischen Aufklärung ein Stückwerk bleiben wird und sich in der Geschichte aufs immer neue behaupten muß.

MARTIN STINGELIN

Georg Schmid: "Die Geschichtsfalle". Über Bilder, Einbildungen und Geschichtsbilder. Böhlau Verlag, Wien, Köln, Weimar 2000. 438 S., Abb., br., 88,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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