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David Shenks so umfassendes wie einfühlsames Porträt einer noch immer unterschätzten Krankheit hat bei seinem Erscheinen in den USA sowohl den Beifall des Feuilletons als auch der medizinischen Fachwelt gefunden. Und er belegt seine Aufsehen erregende These: Alzheimer ist eine Epidemie. Auch in Deutschland muss die Auseinandersetzung mit Alzheimer intensiver geführt werden.
Umfassend recherchiert und brillant erzählt, erleichtert Shenks Buch die Beschäftigung mit einer schrecklichen Krankheit.

Produktbeschreibung
David Shenks so umfassendes wie einfühlsames Porträt einer noch immer unterschätzten Krankheit hat bei seinem Erscheinen in den USA sowohl den Beifall des Feuilletons als auch der medizinischen Fachwelt gefunden. Und er belegt seine Aufsehen erregende These: Alzheimer ist eine Epidemie. Auch in Deutschland muss die Auseinandersetzung mit Alzheimer intensiver geführt werden.

Umfassend recherchiert und brillant erzählt, erleichtert Shenks Buch die Beschäftigung mit einer schrecklichen Krankheit.
Autorenporträt
David Shenk ist Sachbuchautor, Regisseur von Kurzfilmen und Korrespondent für "TheAtlantic.com". Er hält populärwissenschaftliche Vorträge und schreibt für "National Geographic", Slate, "The New York Times", "harper's" und "The New Yorker" sowie für die Rundfunksender National Public Radio und Public Broadcasting Service. David Shenk lebt in Brooklyn.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 06.05.2005

Gehirnschwund in Zeitlupe
Verlusterfahrung: David Shenks Porträt der Alzheimer-Krankheit

Sie gehört zu den Modekrankheiten, über die in der Presse ständig berichtet wird, auch wenn es gar nicht viel an gesicherter Erkenntnis über sie gibt. Denn jener Gedächtnisschwund, den der Münchner Arzt Alois Alzheimer 1906 als erster unter dem Mikroskop entdeckte, ist bis heute eines der größten Rätsel der Medizin geblieben. Zwar weiß man inzwischen, daß es sich bei der Alzheimer-Krankheit um Proteinverklumpungen ("Plaques") handelt, die zusammen mit fadenähnlichen Gebilden ("Tangles") den Informations- und Nährstofftransport im Gehirn zerstören. Doch die entscheidende Frage bei dieser Geißel des Alters ist weiterhin ungeklärt. Jene Frage, wie sich die Plaques- und Tangle-Wucherungen stoppen lassen - oder wie man sich zumindest gegen sie wappnen kann. "Immer mehr Betroffene", schreibt David Shenk in seinem Buch, "erfahren zum frühstmöglichen Zeitpunkt, worunter sie leiden und was das für sie bedeutet. Was aber fangen sie mit diesem Wissen an?"

Schon diese rhetorische Frage zeigt, daß es Shenk mit seinem Alzheimer-Porträt weniger darum geht, eine Chronik des Forschungsstandes und einiger, teilweise berühmter Krankheitsfälle vorzulegen (Ronald Reagan, Ralph Waldo Emerson, Willem de Kooning). Der New Yorker Journalist, der sich vorher als Autor über den "Datenmüll" des Internets profiliert hat, interessiert sich stärker für die existentielle Dimension der Krankheit. Schließlich bedeutet eine Alzheimer-Diagnose ein Todesurteil. Der Betroffene und seine Angehörigen müssen sich zudem damit abfinden, daß das Leiden lange dauern und im vollständigen Ich-Verlust enden wird. Nach durchschnittlich acht Jahren und drei Stadien kann ein Alzheimer-Patient in der Regel weder alleine stehen noch sprechen, nicht sitzen und auch nicht mehr ohne Hilfe zur Toilette gehen. Was zunächst harmlos mit kleinen Erinnerungslücken und Orientierungsschwächen beginnt, steigert sich zum totalen Vergessen - bis der Kranke schließlich auf die Bewußtseinsstufe eines Neugeborenen sinkt, sabbert und saugt, die Zehen im "Babinski-Reflex" krümmt - und nicht einmal auf seinen Namen reagiert.

Alzheimer funktioniert wie ein Rücklauf in die Kindheit. Gerade das, was in westlichen Wohlstandsgesellschaften als höchstes Glück gefeiert wird - die Ausprägung einer unverwechselbaren Identität -, löscht dieser unheimliche Gehirnschwund schleichend und nachhaltig aus. Nicht von ungefähr ist er darum zur Horror-Metapher für menschliche Vergänglich- und Vergeßlichkeit avanciert. Sowenig man auch über Alzheimer weiß, eines steht fest: Es ist eine Alterserscheinung, die sich gerade in Ländern mit hoher Lebenserwartung rasant ausbreitet. Keine andere Krankheit birgt in den Industrienationen gegenwärtig ein höheres Epidemierisiko. Schon heute sind in Deutschland eine Million Menschen an Alzheimer erkrankt. Spätestens mit den "Babyboomern" wird sich ihre Zahl verdoppeln - und damit die Betreuungskosten. Für Amerika schätzen Experten, daß sich die Menge der Pflegeplätze in den nächsten zwanzig Jahren vervierfachen wird. Während Jüngere bis zu 40 Jahren noch so gut wie gar nicht betroffen sind, liegt die Quote bei den 68jährigen bei zwei Prozent. Unter den 77jährigen ist es jeder sechste, dessen Gedächtnis auf einmal symptomatische Schwächen zeigt. Die Alzheimer-Gefahr wächst von da an mit jedem Lebensjahr.

Wie Dickdarmkrebs, Osteoarthritis oder Schwerhörigkeit gehört Alzheimer zu den verborgenen Krankheiten, die erst seit hundert Jahren existieren, weil der Mensch vorher meistens zu früh gestorben ist, um von ihnen dahingerafft zu werden. Wohlstand und medizinischer Fortschritt haben die Lebenserwartung in der Ersten Welt erhöht. Sie haben aber nicht dazu geführt, so Shenk, daß die Bürger von heute weniger leiden. "Der Mensch lebt jetzt länger, als seine Gene es eigentlich vorsehen", zitiert er den Epidemiologen S. Jay Olshansky von der Universität Chicago, "aber dieser Erfolg der Medizin hat auch einen Nachteil: Die Menschen sind schwächer und haben öfter Behinderungen."

So gesehen ist Alzheimer ein Beispiel für die unvermeidliche Ambivalenz des medizinischen Fortschrittsbegriffs: Das Unterfangen, die Grenze des Todes immer weiter hinauszuschieben, kommt der Ausdehnung des Sterbeprozesses gleich - eines Prozesses, der freilich keineswegs schon deshalb das Verdikt "lebensunwert" verträgt, wie es über manch einer medizinischen Kostendebatte gespensterhaft schwebt. "Was sonst nur ein kurzer Moment ist, sehen wir hier in Zeitlupe über Jahre", resümiert Shenk. "Das ist schmerzhafter, als sich viele Menschen vorstellen können. Alzheimer ist unser bestes optisches Gerät, um wahrzunehmen, was Verlust wirklich bedeutet."

Shenks Buch entpuppt sich als Plädoyer für einen verständnisvolleren Umgang mit menschlicher Sterblichkeit generell. Insgesamt ist sein Report schon deshalb interessant und wohltuend, weil er dazu zwingt, sich nicht nur mit den Möglichkeiten, sondern auch mit den Grenzen und Verwerfungen des medizinischen Fortschrittsgedankens auseinanderzusetzen.

GISA FUNCK.

David Shenk: "Das Vergessen". Alzheimer: Porträt einer Epidemie. Europa Verlag, Leipzig 2005. 312 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.03.2005

Und alles wird furchtbar einfach
Eiweißmüll zerstört die Erinnerung von immer mehr Menschen. David Shenk erzählt eindringlich von der Verdunklung, aber auch von den Glücksmomenten der Alzheimerschen Krankheit
Und? Heute schon Angst gehabt? Haben Sie einen Schlüssel verlegt und ihn unerklärlicherweise im Bad wiedergefunden? Oder den Namen eines Kollegen vergessen, obwohl Sie mit dem doch seit Jahren zu tun haben? War dann da dieser beklemmende Verdacht, dass es jetzt endgültig losgeht mit der inneren Zerbröckelung und Verflusung?
Dass Alzheimer in den vergangenen Jahren zur wohl mächtigsten Krankheitsmetapher wurde, liegt vielleicht auch daran, dass dieses Leiden für die Baby-Boomer-Generation mit ihrem riesigen Ego die beklemmendste Vorstellung bedeutet: Dass das, was man ist, restlos verschwinden kann. Am Ende bleibt ein unbewohnter Körper, die leere Hülle einer Person. Vor allem aber hat die Konjunktur von „Alzheimer” als Synonym für alles Vergessen damit zu tun, dass Alzheimer heute schlicht die bedeutendste Alterskrankheit der westlichen Welt ist. Allein in Deutschland gibt es eine Million Kranke. In den nächsten 20 Jahren wird sich die Zahl verdoppeln; wenn man die momentanen Kosten hochrechnet, würde 2045 alles Geld im Gesundheitssystem von der Pflege der Alzheimerpatienten verschlungen werden.
Im Nachwort zur amerikanischen Taschenbuchausgabe von „Das Vergessen” erzählt David Shenk von einer Freundin seiner Mutter, die sein Buch loyalerweise sofort nach Erscheinen gekauft habe. Seither aber liege es plastikumschweißt auf dem Nachttisch. Zu groß sei ihre Angst, es zu öffnen, gestand sie, zu groß ihre Furcht, dieser Krankheit ins Gesicht schauen zu müssen. Man kann die Frau verstehen. Man kann jeden verstehen, der lieber nichts wissen will über die Plaques und Tangles, die sich langsam über das Gehirn hermachen und nach und nach alles auslöschen, Erinnerung, Koordinationsfähigkeiten, Sprachvermögen. Am Ende der Krankheit kehren in geradezu unheimlicher Symmetrie streng retrograd die Reflexe zurück, die das neugeborene Kind nach und nach verloren hat: Babinski-Reflex, zappeln, saugen, greifen.
„Anfangsstadium - Mittleres Stadium - Endstadium”: David Shenk erklärt in drei Kapiteln den Verlauf der Krankheit von den ersten Aussetzern bis zu den Stadien 7d bis 7f: „Kann nicht ohne Hilfe aufrecht sitzen; kann nicht länger lächeln; kann den Kopf nicht mehr hochhalten”. Beklemmend anschaulich erklärt er, wie die Krankheit langsam und stetig den Geist verdunkelt, indem sie das Gehirn mit molekularem Eiweißmüll füllt, der den Zugang zur Erinnerung verstellt. Diese Chronik eines angekündigten Todes verschaltet Shenk gekonnt mit dem Wettlauf der medizinischen Forschung und mit berühmten Beispielfällen - Ralph Waldo Emerson, Ronald Reagan, Willem de Kooning.
Shenks besondere Leistung aber besteht darin, dass er der Krankheit gute Seiten abzugewinnen versucht. Das wäre heikel bis geschmacklos, würde er nur aus dem komfortablen Fauteuil einer gesunden Konstitution heraus den Kranken über den Kopf tätscheln und sagen, nun, das hat doch alles sicher auch seinen Sinn, nicht wahr. Shenk lässt stattdessen zunächst einen Kranken zu Wort kommen, der es sich selbst zur Aufgabe gemacht hatte, Sinn im Verlust seines Gedächtnisses zu finden.
Im Anfangsstadium ist Alzheimer für die Betroffenen, während des späteren Krankheitsverlaufs für die Angehörigen eine Katastrophe: Die Hälfte der Betreuer leiden unter klinischen Depressionen. Seit zehn Jahren gibt es in Amerika ein Internet-Forum, in dem sich Angehörige und Betreuer über praktische Fragen der Krankheit, aber auch über ihr eigenes Schicksal austauschen. Im Februar 1999 meldete sich dort zum ersten Mal ein Kranker selbst zu Wort. Bei dem Universitätsprofessor Morris Friedell war Alzheimer so früh diagnostiziert worden, dass er seine Erfahrungen eloquent beschreiben konnte.
Friedell, der in Kalifornien zum Thema Menschenwürde geforscht und gelehrt hatte, versuchte, in der Reflexion über seine Krankheit die eigene Würde zu verteidigen: „Das Kernstück menschlichen Gefühls ist das Mitleid,” schrieb er. „Es ist wohltuend zu sehen, wie ein 18 Monate altes Kind auf Kummer eines anderen Menschen reagiert: Es holt Spielzeug, versucht zu trösten, obwohl es noch nicht sprechen kann, es sucht einen Erwachsenen, der helfen könnte. Wenn sich mein Zustand auf dieses kindliche Niveau verschlimmert, kann auch ich noch Mitleid empfinden und bewahre so meine Menschlichkeit.” Als Friedells Krankheit weiter fortschreitet, betont er, dass er durch den Wegfall der Erinnerung die Gegenwart immer prägnanter wahrnehme. Diese glücklich-intensive Augenblickserlebnisse sind mit am anrührendsten.
Zehn Jahre, bevor der Dichter Ralf Waldo Emerson selbst im Vergessen verschwand, schrieb er, das Gedächtnis sei „der Zement, der Asphalt, in dem die Fähigkeiten eingebettet sind und ohne die das Leben zusammenhanglos aneinandergereiht wären”. Zement, Asphalt, eingebettet - was für ein naiv-robuster Optimismus! Alzheimer zeigt im Gegenteil, dass das Gedächtnis so feinteilig, empfindlich und hinfällig wie ein Gebilde aus Sand ist. Die Krankheit löscht nach und nach alle Spuren und Fähigkeiten, man kann dem Tod bei der Arbeit zusehen. Die Kranken freilich wissen irgendwann nicht mehr, was sie verloren haben; ihr Leben wird oft einfacher. Emerson selbst sagte: „Ich habe meine geistigen Fähigkeiten verloren, aber mir geht es sehr gut.”
Shenk verzahnt gegen Ende Friedells Reflexionen mit der Krankheitsgeschichte Willem de Koonings: Der amerikanische Maler, der in den Siebzigern nur noch schwache Kopien seiner eigenen Werke zustande gebracht hatte, blühte in den letzten Lebensjahren, im Schatten seiner Alzheimer-Erkrankung, noch einmal auf. Kräftige Farben, fröhliche Bilder - „der Effekt waren Leichtigkeit und Freude”, schrieb ein Kritiker, „es handelte sich um die Elegie eines alten Mannes, nachdem er sich eine turbulente Pause vom eigenen Ich gegönnt hatte.” Was der Kritiker nicht wusste: de Koonings eigenes Ich war großteils längst verschütt gegangen unter den gefräßigen Eiweiß-Plaques. Ja, der Verlust dieses Ichs scheint Vorbedingung für die Leichtigkeit dieser peinture automatique gewesen zu sein.
Unangenehm wird das Buch nur, wenn Shenk im Anschluss an Friedell und de Koning davon schwärmt, dass ja jedem Alzheimer-Kranken alles immer wunderbar neu sei. Sicher gibt es Fälle, bei denen ein wohltemperiertes Gemüt die Schrecken der Krankheit abmildert und der Kranke in einem freundlich stillen Jetzt lebt. Aber es gibt auch diejenigen, die nackt durch die Stadt irren, ihre Betreuer angreifen oder im Klammergriff wirrer Ängste dahindämmern.
David Shenk
Das Vergessen. Alzheimer: Porträt einer Epidemie
Europa Verlag, Leipzig 2005. 312 Seiten, 19,90 Euro.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

David Shenks Buch über die Alzheimersche Krankheit hat Rezensent Alex Rühle nicht kalt gelassen. Als "eindringlich" und "beklemmend anschaulich" empfindet er dessen Erklärung dieser Krankheit, die nach und nach alle Erinnerungen auslöscht und in der Verdunkelung des Geistes mündet. Rühle hebt hervor, dass Shenk die Schilderung des Krankheitsverlaufs mit berühmten Beispielfällen wie Ralph Waldo Emerson, Ronald Reagan oder Willem de Kooning, sowie mit einer Darstellung der medizinischen Alzheimer-Forschung verknüpft. Die "besondere Leistung" des Autors aber sieht er darin, dass hier nicht nur vom Schrecken, sondern auch von den Glücksmomenten der Krankheit die Rede ist. Shenk lasse dazu einen Kranken, den Universitätsprofessor Morris Fridell, zu Wort kommen, der davon berichte, dass er durch den Wegfall der Erinnerungen die Gegenwart immer prägnanter wahrnehme. "Diese glücklich-intensiven Augenblickserlebnisse", hält Rühle fest, "sind mit am anrührendsten."

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