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Die Fundorte der Sierra de Atapuerca in Spanien bilden seit Jahr und Tag die unerschöpfliche Goldader der Paläanthropologie. Und erst kürzlich hat der Fund des vollständigen Beckenknochens eines Prä-Neandertalers in der Sima de los Huesos die Wissenschaftler dazu veranlasst, eine ganz neue Evolutionstheorie aufzustellen. Der Neandertaler, so Juan Luis Arsuaga, Ko-Leiter der Ausgrabungen, war weit größer und kräftiger als bisher angenommen und fast so intelligent wie unser Vorfahr der Cromagnon, der Homo sapiens.

Produktbeschreibung
Die Fundorte der Sierra de Atapuerca in Spanien bilden seit Jahr und Tag die unerschöpfliche Goldader der Paläanthropologie. Und erst kürzlich hat der Fund des vollständigen Beckenknochens eines Prä-Neandertalers in der Sima de los Huesos die Wissenschaftler dazu veranlasst, eine ganz neue Evolutionstheorie aufzustellen. Der Neandertaler, so Juan Luis Arsuaga, Ko-Leiter der Ausgrabungen, war weit größer und kräftiger als bisher angenommen und fast so intelligent wie unser Vorfahr der Cromagnon, der Homo sapiens.
Autorenporträt
Juan Luis Arsuaga ist Professor der Abteilung für Paläontologie der Geologischen Fakultät der Universidad Complutense in Madrid und Gastprofessor der anthropologischen Abteilung der University College of London. Seit 1991 ist er Kodirektor des wichtigsten Ausgrabungsorts weltweit in der Sierra de Atapuerca. Er ist international renommiert und Autor mehrerer Bücher über die Frühgeschichte.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.03.2003

Hochgeschwindigkeitsgesichter sehen dich an
Kluge Köpfe wie wir: Juan Luis Arsuaga revidiert das Bild vom kräftigen, aber dumpfen Neandertaler

Wenn ein Neandertaler in Schlips und Kragen in die New Yorker U-Bahn stiege, woran würde man ihn erkennen? Gar nicht, behauptete Caleton Coon 1939 in seiner "Geschichte des Menschen". Juan Luis Arsuaga, Paläontologe an der Universität Madrid und einer der Direktoren des bedeutenden Ausgrabungsprojektes in der Sierra de Atpuerca in Spanien, hat da andere Erfahrungen. Er rekonstruierte mit seinen Kollegen eine Maske eines Neandertaler-Gesichts. Demnach erinnert das Neandertaler-Gesicht weder an einen Menschen noch an einen Schimpansen, wie es etwa bei den Australopithecinen der Fall ist. Anders als die zierlichen Cromagnon-Menschen, unsere Vorfahren, hatten die Neandertaler dicke Augenwülste, die an der Nasenwurzel zusammenstießen, und eine flache Stirn. Vor allem aber hatten sie, was Arsuaga ein "Hochgeschwindigkeitsgesicht" nennt: Die Nasenöffnung befand sich weit vorne, das Nasenbein verlief fast waagerecht, und die geraden Flächen der Wangen- und Kiefernknochen gaben dem Gesicht eine spitze, keilförmige Gestalt.

Die Neandertaler sind die Helden dieses Buches. Weil sie gerade nicht unsere Vorfahren sind, sondern ein paralleles Experiment der Evolution, das wir uns als Spiegel vorhalten können, um uns durch die Analyse der Unterschiede und Gemeinsamkeiten besser kennenzulernen. Denn anders als die meisten anderen Tierarten haben die Menschen keine nahen lebenden Verwandten. Homo sapiens ist die einzige überlebende Art der Gattung Mensch. Gestützt auf Ergebnisse der spanischen Ausgrabungen, revidiert Arsuaga das gängige Bild vom kräftigen, aber dumpfen Neandertaler. Sein Gehirn war nicht viel kleiner als das unsere. Es gab unter ihnen Rechts- und Linkshänder und in ihrem Gehirn wohl auch das für Sprache wichtige Broca-Zentrum. Es spricht also einiges dafür, daß die Neandertaler ähnlich intelligent waren wie wir, meint Arsuaga.

Er und seine Kollegen haben nicht nur Masken gebaut, sie haben auch versucht, den Kehlkopfbereich der Neandertaler zu rekonstruieren, um die Frage zu beantworten, ob sie sprechen konnten. Man kann sich kaum vorstellen, daß sie es nicht konnten, bemerkt Arsuaga, denn nachweislich nutzten sie das Feuer: "Kann man sich die Szene einer Menschengruppe, seien es auch Neandertaler, vorstellen, die um das Feuer sitzen und sich anschweigen?" Geschwiegen haben sie wohl nicht, doch mit ihrer Sprache war es vielleicht nicht allzuweit her. Die Forscher konstruierten einen Sprachsimulator, mal mit dem hoch sitzenden Kehlkopf eines "modernen" Säuglings, mal mit dem tiefer liegenden eines Erwachsenen und schließlich mit dem des Neandertalers mit einer angenommenen Zwischenposition des Kehlkopfes. Der Simulator traf die Laute des Erwachsenen und des Säuglings gut, was dafür spricht, daß er bei den Neandertalern auch nicht ganz danebengelegen haben wird. Demnach brachte der Neandertaler zwar eine Vielfalt von Lauten zustande, scheiterte jedoch an den für eine verständliche Sprache entscheidenden Vokalen a, i und u.

Die Neandertaler entwickelten sich in Europa, die modernen Menschen in Afrika. Etwa zehntausend Jahre müssen sie nebeneinander verbracht haben, bis die Neandertaler vor dreißigtausend Jahren verschwanden. Die Frage, ob sie sich ignoriert, vertragen oder verspeist haben, regt seit langem die Phantasie der Paläontologen an. In Spanien, meint Arsuaga, hat der Ebro die zierlichen dunkelhäutigen Cromagnonen und die kräftigen Neandertaler zunächst auseinandergehalten.

Daß die Neandertaler dennoch weichen mußten, führt Arsuaga darauf zurück, daß diese sich die Welt der Sprache und Symbole nicht wirklich erschließen konnten. Sie konnten sich Techniken der Schmuck- und Werkzeugherstellung abschauen, doch sie scheiterten letztlich wohl an der komplexeren sozialen Organisation der afrikanischen Menschen. Diese hatten einen neuen Filter, meint Arsuaga, um schnell die wichtigsten Informationen aus ihrer Welt herauszulesen. Dieser Filter besteht - bis heute - darin, die Welt zu vermenschlichen. Nicht nur den Mitmenschen, sondern auch Steinen, Tieren und ganzen Landschaften menschlichen Ausdruck und menschliche Eigenschaften zuzuschreiben: Die Gewitterwolke droht, das Kamel blickt hochnäsig.

Das Originelle des Buches ist, daß der Autor es versteht, die Umwelt der Frühmenschen lebendig werden zu lassen, von den geographischen Rahmenbedingungen bis hin zu der Tier- und Pflanzenwelt, in der sie sich mehr oder weniger erfolgreich durchschlugen - und die der Autor mit einer gewissen Wehmut beschreibt: Steineichen-, Haselnuß- und Erlenwälder, Nebelwälder und Mammutbäume, Rentiere, Wollmammuts, Leoparden und Löwen und natürlich der Höhlenbär, der mit seinen vierhundertfünfzig Kilogramm Lebendgewicht einen beeindruckenden Anblick geboten haben muß.

Arsuaga findet immer wieder neue Methoden, um das Leben der Frühmenschen zu verstehen: Zur Entscheidung der leidigen Frage, ob denn nun die Männer als Jäger oder die Frauen als Sammler mehr zum Unterhalt der Familie beigetragen haben, nimmt er sich den Braunbären vor und verfolgt durch das Jahr, was er sammeln konnte und was er erjagen mußte. Den größten Teil des Jahres, so das Ergebnis, gibt es nichts zu sammeln, tierische Eiweiße und Fette dürften also für das Überleben der Menschen zentral gewesen sein.

"Auf der Suche nach den Ursprüngen des menschlichen Bewußtseins", wie es der Untertitel verspricht, ist Arsuaga nur gegen Ende des Buches. Das Bewußtsein manifestiert sich für den Paläontologen in den Bestattungsriten. Das älteste Beispiel dieser Praktiken findet Arsuaga an einem "Knochengrube", Sima de los Huesos, genannten Fundort. Dort liegen zweiunddreißig Skelette sorgfältig übereinandergestapelt, und das seit etwa dreihunderttausend Jahren. Und woher kam es, das Bewußtsein? Es entstand, so Arsuaga, weil es nützlich ist, Dinge vom Standpunkt des anderen aus zu sehen. Hier gerät seine Theorie ein wenig ins Schwimmen: Einerseits ist Bewußtsein ein soziales Phänomen, und nach Arsuaga verfügen erst die modernen Menschen über die Fähigkeit, die Welt durch den sozialen Filter zu sehen. Dennoch besteht er darauf, die Neandertaler seien sich auch ohne diese Fähigkeit ihrer selbst voll bewußt gewesen.

Vielleicht ist der Autor doch ein wenig zu sehr in seine Neandertaler verliebt. Er wechselt bisweilen zwischen Faktenbericht und Paläofiktion hin und her, doch nie, ohne den Leser vorzuwarnen, und stets amüsant.

MANUELA LENZEN

Juan Luis Arsuaga: "Der Schmuck des Neandertalers". Auf der Suche nach den Ursprüngen des menschlichen Bewußtseins. Aus dem Spanischen von Sabine Grimm. Europa Verlag, Hamburg, Wien 2003. 352 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

In ihrer insgesamt sehr positiven Besprechung lobt Manuela Lenzen, dass der Neandertaler in diesem Buch als ein "paralleles Experiment der Evolution" vorgeführt werde, das wir "uns als Spiegel vorhalten können, um uns durch die Analyse der Unterschiede und Gemeinsamkeiten besser kennen zu lernen." Zwar wechsle Arsuaga bisweilen zwischen Faktenbericht und "Paläofiktion" hin und her, doch "nie ohne den Leser vorzuwarnen", vor allem aber "stets amüsant". Auch gerate die Theorie Araguas, Paläontologe an der Universität Madrids und einer der Direktoren "des bedeutenden Ausgrabungsprojektes in der Sierra de Atpuerca" in Spanien, an einigen Stellen "ein wenig ins Schwimmen". So schreibe er dem Neandertaler einerseits Bewusstsein zu, binde dies aber andererseits an die Fähigkeit des modernen Menschen, "die Welt zu vermenschlichen". Man könnte wohl auch sagen: zum metaphorischen Gebrauch der Sprache. Außerdem begebe sich Aragua auch nur "gegen Ende des Buches" wirklich auf die versprochene "Suche nach den Ursprüngen des menschlichen Bewusstseins". Das "Originelle" des Buches bestehe vordringlich darin, dass Aragua es verstehe, die "Umwelt der Frühmenschen lebendig werden zu lassen". Außerdem finde er "immer wieder neue Methoden, um das Leben der Frühmenschen zu verstehen."

© Perlentaucher Medien GmbH…mehr