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"Kleine Eiszeit", Gegenreformation, Absolutismus, Hexenverfolgungen, Kriege und Krisen verleihen dem 17. Jahrhundert den Charakter einer dunklen und chaotischen Epoche klimatischer Ungunst, konfessioneller Erstarrung, sozialer Repression, politischer Ohnmacht und kultureller Fremdbestimmung. Doch vieles an diesem dunklen Säkulum weist nach vorne, ist uns nahe und vertraut. Die Musik des Barock begleitet uns ins 21. Jahrhundert, und der Rationalismus des einsetzenden "Projekts der Moderne" bestimmt noch heute unser Leben. Von einem erweiterten Fragehorizont aus, der die janusköpfige Struktur…mehr

Produktbeschreibung
"Kleine Eiszeit", Gegenreformation, Absolutismus, Hexenverfolgungen, Kriege und Krisen verleihen dem 17. Jahrhundert den Charakter einer dunklen und chaotischen Epoche klimatischer Ungunst, konfessioneller Erstarrung, sozialer Repression, politischer Ohnmacht und kultureller Fremdbestimmung. Doch vieles an diesem dunklen Säkulum weist nach vorne, ist uns nahe und vertraut. Die Musik des Barock begleitet uns ins 21. Jahrhundert, und der Rationalismus des einsetzenden "Projekts der Moderne" bestimmt noch heute unser Leben. Von einem erweiterten Fragehorizont aus, der die janusköpfige Struktur des Jahrhunderts als Symptom eines umfassenden kulturellen Wandlungsprozesses deutet, erscheint die Epoche zwischen dem Reformations- und dem Aufklärungsjahrhundert als Scheitelphase jenes tiefen Umbruchs, der das Mittelalter von der Moderne trennt. Das "Jahrhundert des Zwiespalts" ist uns näher als wir denken.
Autorenporträt
Dr. Paul Münch ist Professor für Neuere Geschichte an der Universität Essen.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 12.10.2000

Der Abstieg des Hauses Brandenburg
Nie mehr Reichsliga: Paul Münchs deutsche Geschichte des 17. Jahrhunderts will europäisch sein

Man hat das siebzehnte Jahrhundert ein "eisernes" Säkulum genannt. Hundert Jahre, in denen Hunger, Teuerung und Pest wie die Apokalyptischen Reiter über das Land kommen, angedroht von himmlischen Zeichen, von Kometen und blutroten Sonnenuntergängen. Ein Jahrhundert des Glaubensstreits, eine Zeit von Frömmigkeit und Eifer. Eine Epoche, die schaurige Szenarien erlebt: aufs Rad geflochtene oder am Galgen baumelnde arme Sünder, flackernde Scheiterhaufen, auf denen "Hexen" brennen; umherziehende Scharen zerlumpter Bettler. Und immer wieder der klirrende Schritt der Soldaten im düsteren Schimmer ihrer Harnische und Helme, der Donner der Kanonen und über unzähligen Schlachtfeldern der Geruch von Pulverdampf und Tod. Ein Zeitalter freilich auch, in dem die Künste blühen, kühne Urbanistik sich der Städte bemächtigt und Musik entsteht, die noch heute zu uns herüberklingt. Der Glanz der Höfe zwischen Versailles und der Wiener Hofburg spiegelt sich im siebzehnten Jahrhundert, der Kerzenschein der Soireen, und die internationale Diplomatie spinnt darin mit Geschick ihre feinen Fäden. Vor allem gelingt ihr, den konfessionellen Konflikt in einen Kokon von Paragraphen einzuspinnen und ihn auf diese Weise unschädlich zu machen. Am Ende, mit den Friedensschlüssen von Rastatt und Baden, scheint ein System des Gleichgewichts etabliert zu sein wie die Fata Morgana eines friedlichen modernen Europa.

Ein "Jahrhundert des Zwiespalts" nennt der in Essen lehrende Paul Münch die Epoche, deren Besichtigung sein Buch gewidmet ist. Ein Titel, der die komplexe, in der Tat widersprüchliche Signatur des Zeitalters festhält. Die Darstellung des doppelköpfigen Janus, der Vergangenheit und Zukunft zugleich ins Visier nimmt, ziert den Umschlag als treffende Pictura. Münch macht deutlich, wo traditionelle, aber auch, wo auf das "Projekt der Moderne" verweisende Tendenzen sichtbar werden. Es ist das "Heroenzeitalter des okzidentalen Rationalismus" (Carl Schmitt), in dem es zum welthistorisch bedeutenden Durchbruch der modernen Wissenschaft kommt. Zugleich ist es das Jahrhundert des allmächtigen Leviathan. Der souveräne Staat erweist sich als der eigentliche Sieger der Epoche: Er ist es, der sich hinter der Maske der wie sterbliche Götter drapierten Fürsten des Barock verbirgt.

Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation wurde nicht zum Staat, auch durch dreißig Jahre Krieg nicht. Dieser auf Friedenswahrung bedachte Rechtsverband konnte kaum die Begeisterung einer am Nationalstaat orientierten Geschichtsschreibung entfachen. Eine Neubewertung des Reichssystems setzte erst in den letzten Jahrzehnten ein. "Die vielbeklagte Kleinstaaterei läßt sich unter gewandelten Bedingungen kaum mehr als Verlustgeschäft bilanzieren", resümiert Münch. Daß die alte, politikgeschichtliche Perspektive durch einen differenzierten Zugriff ersetzt werden müsse, ist die Folgerung des Autors.

Dementsprechend umgreift das Buch ein breites Spektrum von Themen. Bezeichnenderweise steht ein knappes Kapitel mit der Überschrift "Krisen und Kriege" ganz am Schluß; "Kriege und Krisen" hatte Volker Press noch ein ganzes Buch über das siebzehnte Jahrhundert genannt. Auf die Darstellung der Schlachten und der politischen Hintergründe des Dreißigjährigen Krieges verschwendet Münch ganze drei Seiten, der Nordische Krieg, die Kriege Ludwigs XIV., die Auseinandersetzung mit den Osmanen oder die Anfänge des Spanischen Erbfolgekrieges irrlichtern nur Momente durch den Text. Das "Wellenspiel" der Ereignisse über den großen Strömungen interessiert diesen Autor offenkundig nur wenig. Man mag sich dieser Daten in den Handbüchern vergewissern. Als "Männer des Jahrhunderts" und Gewährsleute begegnen denn auch nicht Wallenstein, Maximilian von Bayern oder die habsburgischen Kaiser, sondern Kepler, Comenius oder Leibniz.

Der lässige Umgang mit dem, was die älteren Darstellungen bis zur Neige füllt - auch der sogenannte "Aufstieg des Hauses Brandenburg" zählt dazu -, ist programmatisch gemeint. Münch möchte sich dem teleologischen Zugriff verweigern. Die Zeitgenossen selbst, so eine zentrale These des Buches, seien sich allmählich der eigenen, unverwechselbaren Identität - und Modernität - ihrer Epoche bewußt geworden. Man habe sich von der Idealisierung der Vergangenheit, dem Erbe des Renaissance-Humanismus, gelöst und sei zusehends dazu gekommen, Geschichte als offenen Prozeß zu begreifen. Aus der Erfahrung raschen Wandels, dem Bewußtsein, in "geschwinden Zeiten" zu leben, sei - so Münch - die Einsicht in die Gestaltbarkeit der Zukunft gefolgt.

Spezifisch deutsch war dieser Wandel der Selbstwahrnehmung des Zeitalters nun allerdings nicht, einmal abgesehen davon, daß er sich in den Köpfen allenfalls einer kleinen Minderheit vollzogen haben dürfte. In der Tat kommt Münch schon in seinem fulminanten Abschnitt über die Modernität des siebzehnten Jahrhunderts ohne Gewährsleute aus anderen Teilen Europas nicht aus. Die wissenschaftliche Revolution war bekanntlich ebensowenig ein deutsches Ereignis, wie die Kunst des Barocks deutsch war und vieles andere, vom dem Münch erzählt. Das führt auf die Frage, ob das vorliegende Buch tatsächlich "deutsche" Geschichte bietet, grundsätzlicher noch: ob es überhaupt möglich ist, für eine Epoche wie das siebzehnte Jahrhundert Nationalgeschichte zu schreiben - es sei denn, man versteht sie als Geschichte der Bevölkerung eines Gebietes, auf dem sich später einmal ein Nationalstaat etablieren wird.

Gewiß, in den Quellen finden sich Hinweise darauf, daß sich so etwas wie eine deutsche "Erfahrungsgemeinschaft" zu bilden beginnt. Man versucht, sich durch Kleidung, Verhalten und nicht zuletzt durch den Glauben von anderen zu unterscheiden. Ein Stück deutscher Identität formt sich seit Renaissance und Reformation, so scheint es, vor allem durch Widerspruch und Abgrenzung, etwa gegenüber dem "papistischen" Rom oder dem aggressiven Frankreich Ludwig XIV. Sehr sporadisch zeigen sich "reichspatriotische" Regungen, Sprachgesellschaften mühen sich um die Reinheit des Deutschen, das erst im Jahrhundert darauf zur Literatursprache von europäischem Rang avancieren wird. "Ausländer", das ist für die meisten Zeitgenossen freilich noch immer der Bewohner des benachbarten Städtchens oder Fürstentums. Man fühlte sich allererst als Sachse, Bayer, Nürnberger oder Hamburger; die Bindung an das Reich wird, wenn, dann als Bindung an den Kaiser manifest. Mit nationalen Sentiments oder gar Nationalismus späterer Zeiten hat das noch wenig zu tun.

Viel schärfer konturiert treten dagegen die transnationalen Vernetzungen der deutschen Welt des siebzehnten Jahrhunderts hervor. Münchs Buch mit seinem kultur- und geistesgeschichtlichen Horizont zeigt, wie europäisch die historische Tradition Deutschlands an der Schwelle der postnationalen Phase seiner Geschichte ist.

BERND ROECK

Paul Münch: "Das Jahrhundert des Zwiespalts". Deutsche Geschichte 1600-1700. W. Kohlhammer Verlag, Stuttgart 1999 192 S., br., 35,- DM.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Zunächst charakterisiert Bernd Roeck das Projekt dieses Buches: Da geht es um das Erwachen der "modernen Wissenschaft" im "Jahrhundert des allmächtigen Leviathan", der absoluten Staatsmacht. Aber das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war kein Nationalstaat sondern ein Stadt- und Staatenbund und das Bewusstsein der Menschen mehr und mehr geprägt von der "Moderne" der neuen Wissenschaften mit ihren Gewährsleuten Kepler, Comenius und Leibniz. Aus dieser Konstellation zieht der Autor in seiner kultur- und geistesgeschichtlich orientierten Studie auch seine Neubetrachtung der "Kleinstaaterei" und des Föderalismus. Er möchte sich, so Roeck, dem "teleologischen Zugriff" verweigern und Geschichte als für die Zeitgenossen "offenen Prozess" darstellen. Allerdings, so merkt der Rezensent an, macht der Blick auf "die Modernität" des 17.Jahrhunderts natürlich eine weitere als nur die deutsche Perspektive notwendig, schließlich war die wissenschaftliche Revolution kein "deutsches Ereignis". Und Münch hat diese Perspektive in den entsprechenden Kapiteln auch geboten. Am Ende steht Roecks Einschätzung, dass der Autor immerhin zu zeigen vermochte, "wie europäisch die historische Tradition Deutschlands" in der Zeit der Vielstaaterei doch war.

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