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"Kein Roman kann sich mit einem solch wichtigen Werk der Wahrheit messen." Antony Beevor
Als der bekannte Anwalt für Menschenrechte Philippe Sands eine Einladung nach Lemberg erhält, ahnt er noch nicht, dass dies der Anfang einer erstaunlichen Reise ist, die ihn um die halbe Welt führen wird. Er kommt einem bewegenden Familiengeheimnis auf die Spur, und stößt auf die Geschichte zweier Männer, die angesichts der ungeheuren NS-Verbrechen alles daran setzten, diese juristisch zu fassen. Sie prägten die zentralen Begriffe, mit denen seitdem der Schrecken benannt und geahndet werden kann:…mehr

Produktbeschreibung
"Kein Roman kann sich mit einem solch wichtigen Werk der Wahrheit messen." Antony Beevor

Als der bekannte Anwalt für Menschenrechte Philippe Sands eine Einladung nach Lemberg erhält, ahnt er noch nicht, dass dies der Anfang einer erstaunlichen Reise ist, die ihn um die halbe Welt führen wird. Er kommt einem bewegenden Familiengeheimnis auf die Spur, und stößt auf die Geschichte zweier Männer, die angesichts der ungeheuren NS-Verbrechen alles daran setzten, diese juristisch zu fassen. Sie prägten die zentralen Begriffe, mit denen seitdem der Schrecken benannt und geahndet werden kann: "Verbrechen gegen die Menschlichkeit" und "Genozid". Meisterhaft verwebt Philippe Sands die Geschichte von Tätern und Anklägern, von Strafe und Völkerrecht zu einer kraftvollen Erzählung darüber, wie Verbrechen und Schuld über Generationen fortwirken.

"Ein Buch wie kein anderes, das ich gelesen habe - man kann es nicht weglegen und vergessen." Orlando Figes

"Über die Geburtsstunde der internationalen Menschenrechte und zugleich ein zartes Familienporträt ... bewegend und fesselnd." Adam Thirlwell

"Beeindruckend und wichtig." Louis Begley

"Überwältigend, erschütternd ... 'Rückkehr nach Lemberg' ist eines der außergewöhnlichsten Bücher, das ich je gelesen habe." Antonia Fraser

"Ein schönes und notwendiges Buch." A. L. Kennedy
Autorenporträt
Sands, Philippe
Philippe Sands, geboren 1960, ist Anwalt und Professor für Internationales Recht und Direktor des Centre on International Courts and Tribunals am University College London. Leidenschaftlich setzt er sich für humanitäre Ziele und das Völkerrecht ein. Er formulierte u. a. die Anklage gegen den chilenischen Diktator Pinochet. Sands hat selbst Wurzeln in Lemberg, wo der Großteil seiner Familie während des Krieges ermordet wurde. »Rückkehr nach Lemberg« wurde ausgezeichnet mit dem renommierten Baillie Gifford Prize und dem Wingate Literaturpreis 2016 und war Buch des Jahres bei den British Book Awards 2017.

Böhnke, Reinhild
Reinhild Böhnke wurde 1944 in Bautzen geboren und ist als literarische Übersetzerin in Leipzig tätig. Sie ist Mitbegründerin des sächsischen Übersetzervereins. Seit 1998 überträgt sie die Werke J. M. Coetzees ins Deutsche, außerdem hat sie u.a. Werke von Margaret Atwood, Nuruddin Farah, D.H. Lawrence und Mark Twain ins Deutsche übertragen.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.03.2018

Eine Familiengeschichte aus Galizien
Philippe Sands hat seine Herkunft aus Lemberg mit der Erzählung über den Holocaust verklammert – und sich dabei übernommen
Aufarbeitungen von Familiengeschichten können quälend, unendlich langsam, bruchstückhaft und suchend ohne Unterlass vonstattengehen. Die Geschichte des britischen Völkerrechtlers und Anwalts Philippe Sands ist eine solche und, seine Bewältigung zu respektieren, das mindeste. Schwieriger hingegen bleibt die Frage, ob die Vermittlung der familialen Aufarbeitung für Dritte angemessen ist.
Der Großvater des Autors verbrachte seine Kindheit im damals polnischen Lemberg, dem heutigen ukrainischen Lwiw, einer Stadt, die zwischen 1914 und 1945 nicht weniger als achtmal ihre Herrschaft wechselte. Wenig wusste der Verfasser, Jahrgang 1960, über die Herkunft des Großvaters, als er im Herbst 2010 in der Universität von Lemberg einen Vortrag hielt. Diesen Aufenthalt nahm er zum Anlass für die familiale Recherche. Erst nach und nach entschlüsselten sich für ihn die Zusammenhänge, denen die Provinz Galizien als Kernland der nationalsozialistischen Judenvernichtung ausgeliefert war und der etliche Familienmitglieder zum Opfer fielen. Ihm zur Seite stand der jüngste Sohn des damaligen Generalgouverneurs für die besetzten polnischen Gebiete, Hans Frank. Der bekannte Journalist und Buchautor Niklas Frank konnte Sands aus eigenem Erleben in Tatorte und Zusammenhänge des sogenannten Generalgouvernements einführen wie auch den Verlauf des Nürnberger Hauptkriegsverbrecherprozesses vor dem Internationalen Militärgerichtshof erläutern, der Hans Frank 1946 zum Tode verurteilte.
Doch damit nicht genug. Sands wusste, dass zwei weltberühmte Juristen, Hersch Lauterpacht und Raphael Lemkin, deren Wirken das Grundgerüst der Nürnberger Anklage ausmachte – nämlich die Tatbestände des Verbrechens gegen die Menschlichkeit und des Genozids –, ebenfalls aus Lemberg stammten. Beider Leben und die theoretische Begründung der erstmals 1946 angewandten völkerrechtlichen Normen zeichnet Sands als Fachmann nach und verschraubt sie gewissermaßen mit seiner Familiengeschichte.
Natürlich gibt es Verbindungen, schließlich ist der Jurist Sands mit völkerrechtlichen Anklagen, so gegen den früheren chilenischen Diktator Pinochet, befasst, die immer wieder Verbrechen gegen die Menschlichkeit zum Gegenstand haben. Aber diese Verbindungen sind für die Erzählung nicht tragend. Sein Interesse an der Entstehung der beiden Straftatbestände und die Darlegung aktueller Rechtsdogmatik – um einen Genozid zu beweisen, muss man belegen, dass dieser in der Absicht begangen wurde, eine Gruppe zu vernichten, während der Tötungsvorsatz bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit entfällt – bleibt unbenommen, ist aber im Grunde eine eigene Geschichte. Auch dass beide Tatbestände speziell in der Anklage gegen Hans Frank wegen seiner Verbrechen in Galizien zum Tragen kamen, rechtfertigt nicht eine integrale Erzählung. Zumal die Zusammenhänge der Vorstöße Lauterpachts und Lemkins wohl viel komplexer waren, als dass sie erzählerisch widergespiegelt werden können. Dazu beschäftigt sich das Staats- und Völkerrecht bis heute zu intensiv mit der Problematik.
Im Zentrum der Erzählung steht die tragische Familiengeschichte. Hier zeichnet Sands in Grundzügen das Leben des Großvaters in Lemberg und im benachbarten Zolkiew nach, Überraschendes taucht dabei nicht auf, die Atmosphäre kleinstädtischen Lebens in Galizien kennt man gut aus anderen Quellen wie Joseph Roth. Eine Zäsur erfolgte durch die Besetzung Galiziens, nach dem Überfall auf Polen zunächst des westlichen Teils, nach Einmarsch in die Sowjetunion am 22. Juni 1941 auch des östlichen Teils. In diesem Landstrich befand sich die europaweit dichteste Ansiedlung jüdischer Bevölkerung. Bereits unmittelbar nach Einfall in beide Länder begann die zunächst noch nicht organisierte Ermordung der Juden, 1942 jedoch eine planvoll umgesetzte Vernichtung. Auch unmittelbare Verwandte von Philippe Sands wurden ermordet.
Die Übersicht über diese Familienmitglieder zu behalten, fällt schwer, Sands verstellt den Zugang mit einer Fülle von überflüssigen Nebensächlichkeiten, die sich durch das ganze Buch ziehen und eigentlich nur zur atmosphärischen Ausleuchtung dienen und Nähe zum Ort des Geschehens simulieren sollen. Eine Zeitzeugin darf sich nicht ohne Ausschmückung erinnern: „Sie tat das, während sie vor einem großen Kessel mit kochendem Kohl stand. Vor der herbstlichen Kühle hatte sie sich mit etlichen dicht um den Hals geschlungenen Tüchern geschützt.“ Oder, kurz nach Eintreffen in Lemberg, stößt Sands auf „einen namenlosen Platz vor St. Georg, wo der Nazi-Gouverneur Galiziens, Otto von Wächter, Mitglieder der Galizischen Division der Waffen-SS rekrutiert hatte“. Weder weiß der Leser über die Verwaltungsstruktur im Generalgouvernement Bescheid noch wer Wächter war. Auch wegen der nur stichwortartigen Auflistung des Autors bleibt die Struktur des Infernos in Galizien unscharf. Eine Familiengeschichte im Generalgouvernement rein erzählerisch zu schildern, geht eben nicht ohne profunden historischen Hintergrund.
Erschwert wird die Lektüre zusätzlich durch den biografischen Einbezug der beiden aus Lemberg stammenden Juristen, Lemkin und Lauterpacht. Spätestens hier drängt sich der Gedanke auf, ob die Entwicklung der Rechtstheorien der beiden in England und den USA lebenden Wissenschaftler nicht eine eigene Abhandlung wert gewesen wäre.
Sands schafft Klammern, mit denen er seine Familiengeschichte, die Geschichte der beiden Völkerrechtler und das Umfeld des Holocaust verbindet. Eine solche ist Hans Frank, der Generalgouverneur für die besetzten polnischen Gebiete. Er wird vorgeführt anhand eines Artikels des Schriftstellers Curzio Malaparte und Erinnerungen seines Sohnes Niklas. Auch hier werden Einblicke in feudale Wohnsitze, Mobiliar, Besuche, Veranstaltungen zu einer untauglichen Einschätzung des verbrecherischen Besatzungssystems herangezogen. Stattdessen taucht bei Sands in fünf Zeilen der Verweis auf die Vernichtung der Lemberger Juden auf: „Die ‚Große Aktion‘ startete am Montagmorgen, dem 10. August, man sammelte viele der verbliebenen Juden im Ghetto und außerhalb ein und hielt sie auf einem Schulhof fest, ehe sie in das Janowska-Lager im Stadtzentrum gebracht wurden.“
Vielleicht ist es weiterführender, diesen ungeheuren Vorgang en détail zu schildern, als sich ständig in Franks Pianokünsten in stilvollem Ambiente zu ergehen. Denn bereits ein Blick in die Forschungsliteratur offenbart die Dimension dieses Geschehens in Lemberg. Dort lebten vor dem Massenmord etwa 100 000 Juden. Zwischen dem 10. und 25. August 1942 wurden mindestens 40 000 Menschen ermordet. Für die etwa 50 000 verbleibenden Menschen wurde ein endgültiges Ghetto eingerichtet. Die verschiedenen Sammelstellen hatten unterschiedliche Funktionen, so wurden in dem von Sands zitierten Schulhof nur „arbeitsunfähige“ Juden festgehalten, bis auch sie mit Gewalt zum Bahnhof getrieben und qualvoll zusammen mit unterwegs Erschossenen mit bis zu 100 Personen in Güterwaggons verfrachtet wurden. Die Mehrzahl der Juden wurde zunächst in überfüllten Straßenbahnen zum stadtauswärts gelegenen Durchgangslager Janowska verschleppt und selektiert. Dort auf dem Sammelplatz mussten sie nachtsüber regungslos verharren, um am nächsten Morgen ebenfalls zum Bahnhof getrieben zu werden.
Auch die Erzählung des Nürnberger Prozesses bietet wenig Neues. Die oberflächliche Beschreibung der Angeklagten ist hinlänglich bekannt, nur als zweiter Erzählstrang taucht die Argumentation „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ und „Genozid“ auf, wie der französische Ankläger festhielt: „Keiner der Angeklagten war ein Einzelmensch, jeder kooperierte und leistete Beihilfe bei den Aktionen.“ Was bleibt, ist eine Vermengung von Privatem mit Zeitgeschichte, die in keiner Hinsicht überzeugend ist. Das eine wie das andere bleibt blass, vor allem aber der historische Hintergrund. Dem derzeitigen Trend, Geschichte erzählerisch zu vermitteln, leistet dies Buch keinen Gefallen.
KNUD VON HARBOU
Eine Fülle von überflüssigen
Nebensächlichkeiten
zieht sich durch das ganze Buch
Auch das Leben zweier berühmter
Juristen aus der Gegend
wird noch eingewebt
Philippe Sands:
Rückkehr nach Lemberg. Über die Ursprünge von Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Eine persönliche Geschichte. Übersetzt von Reinhild Böhnke. S. Fischer, Frankfurt 2018. 592 Seiten, 26 Euro.
Prächtige Kulisse, bedrückende Geschichte: Eine Frau im historischen Kostüm in Lwiw.
Foto: ALEXANDER DEMIANCHUK / Reuters
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.05.2018

Von Auslöschung und Auferstehung des Rechts
Wenn Staaten morden: Philippe Sands folgt der Spur zweier Völkerrechtler und landet in der eigenen Geschichte

Dieses Buch ist ein Epos. Es erzählt von einem intellektuellen Duell, von wiedergefundenen Großeltern, von einer Heimkehr nach langer Odyssee. Es sind Stoffe des heroischen Weltzustands, die Philippe Sands' "Rückkehr nach Lemberg" erzählt. Aber sie werden erforscht und geschildert mithilfe denkbar unheroischer Verfahren, als Beschreibung detektivischer Archivarbeit und der Abenteuer, die man als Oral-History-Forscher erlebt. Der Epiker des einundzwanzigsten Jahrhunderts muss seine großen Themen aus unscheinbaren Archivalien, zufälligen Erinnerungsfetzen und den Protokollen mäandernder Gespräche rekonstruieren, statt sie ab ovo und getragen von einer allgemeinen Überlieferung zu besingen. Denn die totalitären Mächte des letzten Jahrhunderts haben mit ganzen Völkern auch deren Gedächtnis ausgelöscht.

Philippe Sands ist ein Londoner Rechtsanwalt und ein international anerkannter juristischer Gelehrter, der das Feld der internationalen Rechtsbeziehungen bearbeitet, jene Sammlung von Vereinbarungen und Normen, die durch die Charta der Vereinten Nationen eine - freilich immer politisch umkämpfte - Rechtsgeltung erlangt haben. Ihr Ursprung liegt in den Großverbrechen der ersten Jahrhunderthälfte, dem osmanischen Völkermord an den Armenin und dem deutschen an den europäischen Juden. Diese von Staaten begangenen Untaten waren bis 1945 juristisch im Grunde nicht zu bearbeiten.

Das Selbstbestimmungsrecht der Nationen hatte die perverse Konsequenz, dass die national herrschenden Mächte mit ihren Untertanen im Extremfall verfahren konnten, wie es ihnen gefiel. Die Nürnberger Kriegsverbrecherprozesse mussten das Recht, das sie anwenden wollten, überhaupt erst schaffen.

Die intellektuelle Tat, die der epische Archivar Philippe Sands in seinem Buch besingt, hat zwei Helden, den berühmten Völkerrechtler Hersch Lauterpacht und Raphael Lemkin, den Erfinder und Propagandisten des Konzepts "Genozid", der in den Nürnberger Verhandlungen gegen die nationalsozialistische Elite zwar eine untergeordnete Rolle spielte, 1948 aber durch die Vereinten Nationen völkerrechtlichen Status erhielt. Die aktuellen politischen Auseinandersetzungen darüber, ob man die staatlich organisierten Verbrechen gegen die Armenier als Genozid bezeichnen darf oder nicht, führen auch zeitgenössischen Beobachtern vor Augen, dass die juristische Grundlagenarbeit, die zur Verurteilung von Hermann Göring und Hans Frank führte und die Bestrafung von Pol Pot, Slobodan Milosevic und dem ehemaligen liberianischen Präsidenten Charles Taylor ermöglicht hat, zu den großen gedanklichen Leistungen des letzten Jahrhunderts gehört.

Lauterpacht und Lemkin waren zeitlebens intellektuelle Rivalen. Sie kämpften erbittert um das Gehör zum Beispiel Robert H. Jacksons, des Chefanklägers bei den Nürnberger Prozessen. Während Lemkin die Einführung des Genozid-Begriffs ins Völkerrecht für unabdingbar hielt, um so etwas wie Auschwitz künftig zu verhindern, befürchtete der Rechtspositivist Lauterpacht, dass die Orientierung auf eine Gruppe den Rechtsanspruch des Individuums überschatten werde.

Die Pointe des Buchs von Philippe Sands besteht darin, dass er den intellektuellen Werdegang dieser beiden Denker bis zu ihrer beider Kindheits- und Studienstadt Lemberg zurückverfolgt, einer der wichtigen Städte des habsburgischen Kaiserreichs, aus der auch die Großeltern des Autors stammten. Anhand beiläufiger Bemerkungen, die er als Kind in Paris von ihnen hörte, mit Hilfe weniger Fotografien und kryptisch beschriebener Zettel rekonstruiert er die alteuropäische Lebenswelt weit im Osten Europas, die sich durch zwei Weltkriege in ein umkämpftes und ihre Staatlichkeit alle paar Jahre wechselndes "killing field" verwandelte.

Die geruhsame und kunstsinnige Provinzstadt wurde zu einem Zentrum der "Bloodlands", die Timothy Snyder in seinem berühmten Buch beschrieben hat. In dieser stets bedrohten Lebenswelt entstanden die Ideen, entstanden, die heute in New York, Wien und Den Haag zu einer Art provisorischem demokratischem Weltregierungprogramm geworden sind.

Wichtige Bücher bearbeiten auch immer persönliche Problemlagen. Ein Grund dafür, warum man den labyrinthischen Forschungen Philippe Sands' als Leser überhaupt folgen mag, liegt darin, dass der Autor in dieser Recherche auch die persönlichen Motivationen verfolgt, die seinem bedeutenden juristischen und politischen Wirken insgeheim zugrunde liegen. Denn die Suche nach dem internationalen Recht ist auch ein Kampf um Gerechtigkeit für ermordete Großväter und Väter.

Deshalb ist ein Erzählstrang dieses multiperspektivischen Buchs der Begegnung des Autors mit Niklas Frank gewidmet, dem Sohn des Mannes, der von der Krakauer Königsburg aus die Ermordung der Juden in Lemberg organisierte und dessen Verlautbarungen und Erlasse Raphael Lemkin im Stockholmer Exil mit der grimmigen Energie eines Giftspinnenexperten sammelte, um aus ihnen zu beweisen, was wirklich in diesen abgeschotteten Gegenden vor sich ging - er legte es in einem einflussreichen Buch über die deutsche Okkupation des europäischen Ostens nieder.

Sands' Buch schildert, wie Frank und er zusammen mit Horst von Wächter, dem Sohn des NS-Gouverneurs Otto Wächter, Lemberg besuchen. Es gibt einen im Internet zugänglichen Film über diese Reise, der auf geradezu herzzerreißende Weise die Macht der Naziväter über die Seelen der Söhne zeigt. Und das ebenso ergreifende menschliche Interesse Sands an den inneren Kämpfen von Männern, die seine Mutter, wenn ihr Leben anders verlaufen wäre, 1943 im Getto gesehen haben könnte, sie ein hungriges und zerlumptes Kind, Niklas und Horst luxuriös privilegierte junge Herrenmenschen hinter den Scheiben schwerer Limousinen, wie sie gelegentlich von Chauffeuren durch die elenden Straßen dieser mit todgeweihten Menschen vollgestopften Wohnbezirke gesteuert wurden, wenn Brigitte Frank oder die Frau von Otto Wächter dort etwas "einkaufen" wollten.

In den sachlichen Sätzen dieses Buchs ist eine entsetzliche Zeit eingefangen. Sie bannen diese Zeit, indem sie schildern, wie die Ideen entstanden sind, die vielleicht verhindern können, dass sie noch einmal wiederkehrt.

STEPHAN WACKWITZ

Philippe Sands: "Rückkehr nach Lemberg". Über die Ursprünge von Genozid und Verbrechen gegen die Menschlichkeit.

Aus dem Englischen von Reinhild Böhnke. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2018. 592 S., geb., 26.- [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensentin Marie Schmidt sieht die Bedeutung von Philippe Sands' historischer Rekonstruktion darin, dass der Autor dem Zufall eine beziehungsreiche Geschichte abgewinnt: Über seine jüdischen Großeltern schreibt er, über die Nürnberger Prozesse und darüber, wie die dafür notwendigen Begriffe im Völkerstrafrecht erst gefunden werden mussten. All das vereint Sand in einer packenden Dramaturgie, lobt die Rezensentin. Indem er nüchtern und klar historische Zusammenhänge in ihren riesenhaften Dimensionen und zugleich unmittelbar und deutlich vergegenwärtigt, gelingt ihm laut Schmidt ein äußerst lesenswerter Text, ein Buch, das viele Bücher in sich vereint.

© Perlentaucher Medien GmbH
eines der spannendsten, lesbarsten, klügsten, bewegendsten - schlicht besten 'Sachbücher' [...] Mit anderen Worten: große Literatur. Peter Rutkowski Frankfurter Rundschau 20171130