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Die Wittgensteins gehören zu den schillerndsten Familien des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts. Vater Karl hatte es als Stahlmagnat zu großem Vermögen gebracht und führte ein offenes Haus, in dem Musiker wie Brahms, Mahler oder Richard Strauss und die Wiener Avantgarde verkehrten. Seine Kinder jedoch litten unter dem strengen Vater: Drei der fünf Söhne brachten sich um, einer verschenkte sein Erbe und wurde ein weltbekannter Philosoph, einer blieb Pianist, der trotz fehlender rechter Hand konzertierte und sich von Ravel, Hindemith, Prokofjew oder Britten Stücke komponieren ließ. In…mehr

Produktbeschreibung
Die Wittgensteins gehören zu den schillerndsten Familien des ausgehenden 19. und des 20. Jahrhunderts. Vater Karl hatte es als Stahlmagnat zu großem Vermögen gebracht und führte ein offenes Haus, in dem Musiker wie Brahms, Mahler oder Richard Strauss und die Wiener Avantgarde verkehrten. Seine Kinder jedoch litten unter dem strengen Vater: Drei der fünf Söhne brachten sich um, einer verschenkte sein Erbe und wurde ein weltbekannter Philosoph, einer blieb Pianist, der trotz fehlender rechter Hand konzertierte und sich von Ravel, Hindemith, Prokofjew oder Britten Stücke komponieren ließ.
In seiner faszinierenden Biographie schildert Alexander Waugh die gesamte Tragik und Größe einer Familie vor dem Hintergrund zweier Weltkriege und dem Nationalsozialismus. Entstanden ist das erschütternde Portrait einer Familie so hochbegabter wie schwieriger Menschen.
Autorenporträt
Alexander Waugh, geb. 1963 und selbst aus einer berühmten Familie stammend, arbeitete nach seinem Studium der Musik zwei Jahre als Konzertagent und danach als Musikkritiker für verschiedene Zeitungen, u.a. für den Evening Standard. Er hat zahlreiche Bücher über Musik geschrieben, darunter den Bestseller »Classical Music, A New Way of Listening« (1995). Er lebt als Publizist, Theaterautor und Musikproduzent in Somerset in England.

Susanne Röckel, geb. 1953 in Darmstadt, lebt in München. Sie hat Erzählungen und Romane veröffentlicht und wurde mit zahlreichen Literaturpreisen, darunter em Tukan-Preis der Stadt München, ausgezeichnet.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.09.2009

Abkehr vom Unternehmergeist des Vaters
Süffisant, verklatscht und manchmal ahnungslos: Alexander Waugh erzählt die Geschichte der Familie Wittgenstein
„Das Haus Wittgenstein” – selten rückt eine bürgerliche Familie in den Rang eines „Hauses” auf. Die Wittgensteins – oder jedenfalls der österreichische Großindustrielle Karl Wittgenstein (1847 - 1913), seine Gattin Leopoldine (1850 - 1926) und ihre neun Kinder, darunter der Philosoph Ludwig und der Pianist Paul Wittgenstein – waren ein „Haus”. Nicht nur, weil ihr Haus in der Alleegasse zu den prächtigsten Wiener Bürgerpalästen zählte; Mahler, Brahms und Strauss gingen in ihm ein und aus. Später baute Ludwig Wittgenstein seiner Schwester Gretl bekanntlich selbst ein Haus, das modernistische Haus Wittgenstein in der Kundmanngasse, das den üppigen Historismus der Vätergeneration durch Askese zu überwinden suchte.
Der außergewöhnliche Status der Familie Wittgenstein schlug sich auch in hartnäckigen Gerüchten nieder, der Großvater Hermann Christian Wittgenstein sei der uneheliche Sohn eines Prinzen aus dem Hause Sayn-Wittgenstein-Berleburg gewesen. Wer Wittgenstein heißt, also eine Territorialbezeichnung als Namen trägt, der ist wahrscheinlich ein Aristokrat – oder ein Jude. Als mit dem Anschluss von 1938 die Wittgensteins und ihr Vermögen ins Visier der Nationalsozialisten gerieten, war den Geschwistern jeder Nachweis einer rein „arischen” Herkunft willkommen. Sie selbst waren Katholiken, und gleiches galt für die Eltern, drei der vier Großeltern aber waren jüdischer Herkunft, worauf ihre Enkel nach den Nürnberger Gesetzen als „Volljuden” galten.
Kultur ist eine Ordensregel
Vom Schicksal der Wittgensteins in den Jahren der NS-Okkupation – keiner kam um, aber große Teile des Vermögens gingen verloren und die Geschwister zerstritten sich für den Rest des Lebens – erzählt Alexander Waugh besonders ausführlich. Im Untertitel heißt sein Buch, anders als in der deutschen Übersetzung, treffend „A Family at War”. Das kann sich auf verschiedene Kriegszustände innerhalb der Familie beziehen und auf die zwei Weltkriege und ihre Folgen für die Wittgensteins. Im Ersten Weltkrieg, von den Wittgensteins als Patrioten und Unternehmer begeistert begrüßt, verlor Paul Wittgenstein, der Pianist, seinen rechten Arm, woraufhin er seine Karriere mit Konzerten für die linke Hand fortsetzte. Ludwig überlebte die Front und verschenkte später, wie man weiß, im Geiste Tolstois große Teile seines Vermögens an Künstler und andere Bedürftige und trachtete danach, ein Leben in höchster Bescheidenheit und geistiger Disziplin zu führen.
Man wusste ja schon vor Waugh das eine oder andere aus dem Leben der Wittgensteins, dank der Bücher, die einige der Geschwister selbst geschrieben haben, dank der Erinnerungen von Zeitgenossen und schließlich dank der Biographien, die in den letzten Jahrzehnten erschienen, etwa das Standardwerk von Ray Monk.
Alexander Waugh, ein Mann aus berühmtem Hause (zu seinen Vorfahren gehört der Schriftsteller Evelyn Waugh), findet das Familienleben der Wittgensteins interessanter als die geistigen Hervorbringungen einzelner ihrer Mitglieder. Sein Buch ist ganz sicher keines über Ludwig Wittgenstein oder gar über seine Philosophie. Seine Hauptfigur – kein Wunder, Waugh ist gelernter Musiker und ausübender Musikkritiker – ist der phänomenale Paul Wittgenstein.
Man kann sich amüsieren mit Waughs manchmal bos- und klatschhaften Erzählungen, man kann aber durchaus auch die Behandlung der Frage vermissen, wie und warum die jungen Wittgensteins wurden, was sie waren. Die totale Abkehr vom väterlichen Unternehmergeist, die Flucht in den Selbstmord (drei Wittgenstein-Söhne nahmen sich das Leben), die zeittypischen Sexualnöte, die Unterwerfung Pauls und Ludwigs unter ein striktes athletisches Übungs-Regime, das alles wird von Waugh nur erzählt, ohne dass ihn der kulturelle und historische Gehalt all dessen beschäftigen würde. Peter Sloterdijk öffnet in „Du musst dein Leben ändern” mit einem Satz Ludwig Wittgensteins („Kultur ist eine Ordensregel”) dessen biographisch-philosophisches Universum. Alexander Waugh schafft (oder will) es in einem ganzen langen Buch nicht. Dafür kann er seitenlang über die finanziellen Transaktionen berichten, die zwischen Wien, England und Amerika vorgenommen wurden, um das Wittgensteinsche Vermögen zu retten. Aber weil Waugh ein guter Erzähler ist, liest man auch das nicht ungern.
Waugh ist zwar ein guter Erzähler, aber außerhalb seiner bevorzugten Themen Geld und Musik fehlt es ihm doch mitunter an Kenntnissen. Man lese etwa die Zeilen über die Stadt Wien, die den Bericht über das erste öffentliche Konzert des jungen Pianisten Paul Wittgenstein am 1. Dezember 1913 einleiten: „Wien ist, allzu oft vielleicht, als eine Stadt der Widersprüche beschrieben worden. Die meisten Kurzbesucher nehmen heute nichts davon wahr; sie sehen nur Sahnetorten, Mozart-T-Shirts, (. . .), alte Frauen in Pelzmänteln, vorsintflutliche Straßenbahnen und Lipizzanerhengste”. Das ist dann, gemessen an Büchern wie „Wittgensteins Wien” von Stephen E. Toulmin und Allan S. Janik, doch schon sehr platt formuliert und mag vielleicht eine Leserschaft erfreuen, die von Wien zum allerersten Mal hört.
Leicht manisches Spiel
Auch die Wiener Moderne kommt nicht wirklich vor; das hätte womöglich die Lektüre von Texten erfordert, die Waugh zu kompliziert sind. Geschickt projiziert er seine eigene Ahnungslosigkeit auf die Schüler und Gefährten Ludwig Wittgensteins in Cambridge: für sie war Wittgenstein Gott, obwohl oder weil sie ihn nicht verstanden. „Seine Vorlesungen waren exklusive Veranstaltungen, zu denen nur Auserwählte Zutritt hatten, und das Blaue und das Braune Buch, das unter ihnen zirkulierte, wurde mit der gleichen andächtigen Verehrung betrachtet wie die Offenbarung des Johannes” – das alles mag stimmen, aber es sollte nicht von der Tatsache ablenken, dass man über Wittgensteins Probleme philosophisch debattieren kann und bis heute debattiert.
Also konzentriert man sich am Besten auf die Geschichte Pauls, die ja auch schon Thomas Bernhard und andere fasziniert hat. Wie kann es sein, dass ein junger Konzertpianist nach dem Verlust des einen Armes seine Laufbahn einhändig fortsetzt und mit seinen Auftritten für eine Weile sogar Weltruhm erlangt? Erstens war Paul Wittgenstein, wie sein Bruder Ludwig, von einem maßlosen Übungs- oder Trainings-Furor beherrscht. Er eignete sich dabei eine Technik an, die der linken Hand Aufgaben und Möglichkeiten zudachte, die es in der klassischen Klavierliteratur nicht gegeben hatte. Zweitens war Paul Wittgenstein reich: er gab bei Ravel, Britten, Prokofjew und anderen gegen hohe Honorare Konzerte in Auftrag und ließ sich ein mehrjähriges exklusives Aufführungsrecht einräumen. Drittens war Paul Wittgenstein ein herausragend begabter Pianist – auch wenn sein Klavierspiel in der Familie wegen seines leicht manischen Charakters nur bedingt Anklang fand.
Schließlich aber hatte der Welterfolg Paul Wittgensteins, der ihn in den großen Jahren vor 1935 bis in die Carnegie Hall führte, auch etwas Tragisches: man jubelte ihm zu, aber man sah in Wittgenstein auch den exzentrischen Millionär, der sich den gewiss heroischen Weg aufs Podium mit Geld erkauft hatte und der, wie auch anders, sein „Handicap” als musikalisches Alleinstellungsmerkmal einzusetzen verstand.
Nach dem Krieg wurde es still um Paul Wittgenstein, der, als einziger männlicher Spross des Hauses, eine Familie gegründet und sich in New York niedergelassen hatte. Er starb 1961, zehn Jahre nach seinem Bruder Ludwig. Hier muss man noch mal Waughs Lästermaul zu Wort kommen lassen, weil es so schön ist: „Nach seinem Tod 1951 ist um die außergewöhnliche Persönlichkeit des gutaussehenden, stotternden, gequälten, unverständlichen Philosophen ein Kult entstanden – an dem, nebenbei gesagt, viele teilnahmen, die seine Bücher nie lasen und nie versuchten, einen einzigen seiner Gedanken zu begreifen.” Und dabei hatten wir immer gedacht, der späte Wittgenstein („zwei”) sei einer der Väter der „ordinary language philosophy”. Zu hoch für Waugh, aber immerhin kann er für sich reklamieren, Wittgenstein nicht gelesen und nicht bewundert zu haben.
Und die Schwestern? Auch sie gab es, und wenigstens von Margaret „Gretl” Wittgenstein (später Stonborough) haben Wittgenstein-Leser schon gehört. Sie starb als letzte der Wittgenstein-Schwestern im Jahre 1958. Es ist schon merkwürdig, wie sich die Wittgenstein-Söhne reihenweise das Leben nahmen oder in den Rang von Genies aufstiegen, während die Schwestern, wenngleich auch sie höchst bemerkenswerte Persönlichkeiten, mehr oder minder dienend in ihrem Schatten verharrten. Diese Wittgensteins! Ein Haus wie ihres wird es nicht noch einmal geben. CHRISTOPH BARTMANN
ALEXANDER WAUGH: Das Haus Wittgenstein. Geschichte einer ungewöhnlichen Familie. Aus dem Englischen übersetzt von Susanne Röckel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 440 Seiten, 24, 95 Euro.
Karl Wittgenstein und seine Gattin Leopoldine, um 1900; rechts: der Pianist Paul Wittgenstein im Jahr 1927 Foto: Getty Images, Scherl
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.09.2009

Wie hübsch waren doch die Frauen in Wien
Alexander Waugh schwingt sich zum Biographen der Familie von Paul und Ludwig Wittgenstein auf

"Bei der unglaublichen Bekanntheit unseres Namens, dessen einzige Träger wir in Österreich sind, . . . ist es ausgeschlossen, wirklich vollkommen ausgeschlossen, dass ein Mensch der unseren Namen trägt, und dem man die vornehme und feine Erziehung auf tausend Schritte ansieht, nicht als ein Mitglied unserer Familie erkannt werde. Selbst eine Änderung Deines Namens als Ultima ratio würde Dir nichts nützen. Es ist das eine Sache, so hart sie sein mag, mit der Du Dich vertraut machen mußt."

Es war ein ungewöhnlicher Brief, der im Winter 1921 von einem Wiener Stadtpalais in das Dörfchen Trattenbach im nahen Alpenvorland ging. Geschrieben hat ihn Paul Wittgenstein an seinen Bruder Ludwig, der kurz zuvor versucht hatte, eine Dorfschullehrerstelle unter falschem Namen anzutreten, erkannt worden war, darauf zurücktrat und damit die Gerüchte über seine seltsamen Anwandlungen erst recht in Umlauf gebracht hatte. Die nächste Stelle trat der Sohn aus einer der reichsten Familien der ehemaligen Monarchie dann unter richtigem Namen an, lebte bescheiden, doch nicht in der gesuchten Ruhe des Gemüts und fand die Trattenbacher genauso unerträglich wie später die Puchberger. Als er einige Jahre später nach Cambridge ging, wo er vor dem Ersten Weltkrieg studiert hatte, war er dort eindeutig besser aufgehoben.

Und weil er dort auch zu einem der wichtigsten und bis heute weit über alle akademischen Einhegungen ausstrahlenden Philosophen des letzten Jahrhunderts wurde, dürfen selbst die Trattenbacher Episode und der zugehörige Familienbriefwechsel unser Aufmerksamkeit beanspruchen. Wenn Alexander Waugh Pauls Brief auf halber Strecke seines Buchs über die Familie Wittgenstein zitiert, bekommt diese Angelegenheit allerdings fast die Anmutung, dass Ludwig hier erfolglos versucht habe, dem Fluch des "Hauses Wittgenstein" zu entgehen. Denn was der englische Musikkritiker und Publizist bis dahin ausgebreitet hat, läuft auf eine dunkle Geschichte hinaus, deren Bestimmungsstücke der Schatten eines Patriarchen, fragile Seelenhaushalte, verstiegene Vorstellungen, Depressionen und Selbstmorde sind.

Nun lässt sich an den Selbstmorden von zwei oder vielleicht sogar drei Brüdern Pauls und Ludwigs nicht rütteln, sind insbesondere sie und ihre Schwester Gretel, spätere Stonborough, keine Musterbilder temperierten Selbstregimes gewesen und war der Seelenhaushalt Ludwigs gewiss eine äußerst verquere Sache. Aber diese auf den ersten Blick fatal anmutenden Züge einer Familiengeschichte gewinnen nur an Interesse, weil sie beeindruckende Figuren hervorbrachte. Mit scharfkantigem Individualismus, Obsessionen, künstlerischer Begabung, Witz und in einem Fall dazu auch noch schlicht mit Genialität.

Wie das zuging und worin das Ungewöhnliche bestand, das müsste eine Familiengeschichte der Wittgensteins halbwegs fassbar werden lassen. Aber Alexander Waugh stehen die Mittel dafür nicht zu Gebote. Er hält sich zumeist mit ausgeprägtem Sinn fürs Holzschnitthafte an leicht traktierbare Oberflächen und erstaunlich lieblos und ohne viel Sinn für Gewichtungen wirkt, wie er sich damit vom rasanten Aufstieg des Vaters Karl Wittgenstein zum schwerreichen Stahlmagnaten bis zum Tod Pauls Anfang der sechziger Jahre durchschlägt.

Was ihm dabei vorschwebte, ist gar nicht so leicht zu erraten. Die nächstliegende Vermutung ist, dass er sich ursprünglich für den Pianisten Paul zu interessieren begann, der trotz des Verlusts seines rechten Arms im Ersten Weltkrieg seine Karriere als Pianist fortsetzte und dafür bei einer Reihe berühmter Komponisten Klavierkonzerte für die linke Hand bestellte - die er dann nicht selten in seinem Sinne zurechtstutzte. Paul ist eine interessante Figur, nicht zufällig Gegenstand literarischer Anverwandlungen, und seiner Biographie ließen sich manche Facetten abgewinnen, gerade auch wenn es um das gehobene Bürgertum Wiens, seine Musikkultur und den Stellenwert des Salons der Wittgensteins in der Alleegasse geht.

Tatsächlich steht Paul unübersehbar im Zentrum von Waughs Geschichte. Dagegen gibt es für Ludwig durchgehend nur Anmerkungen, die vor allem klarmachen, dass der Autor mit ihm nicht das Geringste anfangen kann. Wie es dieser offensichtliche Halbirre mit verklemmten Heiligkeitsbestrebungen eigentlich zu seiner Wirkung brachte und welchen Charakter sein Philosophieren ungefähr hatte: Von Waugh darf man sich dazu keinen Wink erwarten, bekommt dafür aber einschlägige Anekdoten ohne weiteren Aufwand serviert.

Nun könnte man dieses Ungleichgewicht vielleicht beiseite setzen mit dem Hinweis, dass diese Familie selbst dann, wenn man von Ludwigs und Pauls verschiedenen Arten des Virtuosentums absieht, nicht irgendeine war und sich deshalb an ihr einiges vor Augen führen lässt: von den Bedingungen des Industrierittertums am Ende des neunzehnten Jahrhunderts über die kulturelle Verausgabung großbürgerlicher Art bis zum Funktionieren des Räderwerks der nationalsozialistischen Rassengesetze, in das diese Familie geriet.

Aber auch in dieser Hinsicht wird man mit Waugh nicht glücklich. Zu sehr klappert es, wenn es um die dafür geforderte Verknüpfung der individuellen Geschichten mit den Kontexten geht. Ludwig meldet sich nach Kriegsausbruch freiwillig zur Armee: "Wie viele junge Männer in Deutschland von 1914 war Ludwig geistig erschöpft und sehnte sich nach Veränderung." Über Pauls erotische Eskapaden: "Allem Anschein nach waren die Frauen Wiens in den ersten Jahren des zwanzigsten Jahrhunderts, als Paul die Pubertät erreichte, besonders attraktiv." Kakaniens tiefgehende Probleme: "Eine charakteristische Eigenart der Stimmungslage in den letzten Dekaden der Donaumonarchie war die Tatsache, dass die Gesellschaft sich schwertat, den Fähigkeiten junger Männer Vertrauen zu schenken." Vielleicht, möchte man sagen, aber etwas genauer würde man das doch gern haben.

Vor solchem Hintergrund ist man dann bereits wieder erleichtert, wenn Waugh zu konkreten Begebnissen im Leben der Wittgensteins zurückkehrt. Aber man hätte ihnen doch einen anderen Biographen gewünscht, mit mehr Geduld, Kenntnissen und Sinn für Zwischentöne.

HELMUT MAYER

Alexander Waugh: "Das Haus Wittgenstein". Geschichte einer ungewöhnlichen Familie. Aus dem Englischen von Susanne Röckel. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 439 S., Abb., geb., 24,95 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Rezensent Eberhard Straub hat Alexander Waughs Biografie der Familie Wittgenstein mit großem Interesse gelesen. Das scheint ihn selbst ein bisschen zu überraschen, denn Engländer, weiß Straub seine Leser zu bescheiden, neigen in ihrer "Freude an individuellen Arabesken" zum Pointilisimus. Ausfürhlich erzählt Straub die Geschichte der Familie nach, angefangen beim Patriarchen Karl Wittgenstein, einer Art österreichischem Krupp, der neun Kinder in die Welt setzte und sie mit seinem herrischen Wesen zu menschenscheuen, nervösen oder hysterischen Menschen machte. Finanziell abgesichert waren sie allenfalls innerlich vollbeschäftigt. Leben, erklärt Straub, war für sie keine Reihe von Handlungen, sondern von Zuständen. Sein musikalisches Talent vererbte er jedoch nicht nur dem Pianistensohn Paul, sondern allen Familienmitgliedern, natürlich auch dem Philosophen Ludwig Wittgenstein. Beklommen erzählt Straub auch von dem Schicksal der jüdischen, aber bis zur Selbstverleugnung assimilierten Familie unter NS-Herrschaft: Sie gab viel Geld, um sich den halbwegs sicheren Status einer "Mischlingsfamilie" zu erhalten, durfte deshalb auch ihre Schlösser und Paläste behalten - und tat nichts für andere verfolgte Juden.

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