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Jim kommt aus Florida, jetzt ist er in Italien auf der Suche nach seinen Vorfahren. Rosemarie und Roland möchten heiraten, und Capri ist Ziel ihrer vorgezogenen Hochzeitsreise. Es ist ihr letzter Tag, die Welt tut noch, als wäre sie in Ordnung. Da kommt Jim an den Strand und fragt nach einem Schluck Wasser. Was dann passiert, passiert in einer Nacht. Sie vergessen die Zeit, und später haben sie ein Leben lang etwas, das sie nicht mehr loslässt. »Komm, gehen wir« ist die Geschichte von drei Leben, drei Lieben, Glück und Unglück. Und so als wäre die Liebe etwas gewesen, bleibt am Ende die…mehr

Produktbeschreibung
Jim kommt aus Florida, jetzt ist er in Italien auf der Suche nach seinen Vorfahren. Rosemarie und Roland möchten heiraten, und Capri ist Ziel ihrer vorgezogenen Hochzeitsreise. Es ist ihr letzter Tag, die Welt tut noch, als wäre sie in Ordnung. Da kommt Jim an den Strand und fragt nach einem Schluck Wasser. Was dann passiert, passiert in einer Nacht. Sie vergessen die Zeit, und später haben sie ein Leben lang etwas, das sie nicht mehr loslässt.
»Komm, gehen wir« ist die Geschichte von drei Leben, drei Lieben, Glück und Unglück. Und so als wäre die Liebe etwas gewesen, bleibt am Ende die Sehnsucht. Vom Leser wird in diesem Buch nichts anderes erwartet, als dass er verliebt ist oder sich daran erinnern kann, wie das war. Könnte es sein, dass die Liebe das Warten auf die Liebe ist?
Autorenporträt
Arnold Stadler wurde 1954 in Meßkirch geboren. Er studierte katholische Theologie in München, Rom und Freiburg, anschließend Literaturwissenschaft in Freiburg, Bonn und Köln. Er lebt und schreibt in Berlin, in Sallahn unweit der Elbe und in Rast über Meßkirch. Arnold Stadler erhielt zahlreiche bedeutende Literaturpreise, darunter der Georg-Büchner-Preis. Zuletzt erschienen die Romane »Rauschzeit« und »Am siebten Tag flog ich zurück« sowie der Künstleressay »Mein Leben mit Mark«.Literaturpreise:- 1989 Literaturförderpreis der Jürgen-Ponto-Stiftung für »Ich war einmal«- 1994 Hermann-Hesse-Preis - Förderpreis für »Feuerland«- 1995 Nicolas-Born-Preis für Lyrik der Hubert-Burda-Stiftung- 1996 Thaddäus-Troll-Preis- 1996 Kulturpreis "Der Feldweg" von der Museumsgesellschaft Wald- 1997 Märkisches Stipendium für Literatur- 1998 Marie-Luise-Kaschnitz-Preis- 1998/1999 Stadtschreiber von Bergen-Enkheim- 1999 Alemannischer Literaturpreis- 1999 Georg-Büchner-Preis, für seine autobiographisch gefärbten Romane- 2002 Verdienstmedaille des Landes Baden-Württemberg- 2004 Stefan-Andres-Preis- 2004/2005 Stipendiat des Internationalen Künstlerhauses Villa Concordia in Bamberg- 2006 Ehrendoktorwürde der Freien Universität Berlin (FB Geschichts- und Kulturwissenschaften, Seminar für Katholische Theologie- 2009 Kleist-Preis - 2010 Johann-Peter-Hebel-Preis, der besonders Stadlers autobiographisch geprägte Trilogie »Feuerland«, »Ich war einmal« und »Mein Hund meine Sau mein Leben« würdigt- 2014 Bodensee-Literaturpreis
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 04.07.2007

Nächstes Jahr bei den Faraglioni
Wer antizyklisch reist, darf auch über Kreuz lieben: Arnold Stadlers unfrisierter Capri-Roman „Komm, gehen wir”
Wenn jemand aus der Generation des Schriftstellers Arnold Stadler – er ist Jahrgang 1954 – von Altersmelancholie heimgesucht wird, kann er sich damit trösten, dass der Fluch der frühen Geburt ihm ein paar unwiederbringliche Privilegien verschafft hat. Zum Beispiel die Chance, ein Schöpfungswunder wie die Insel Capri gerade eben noch vor der Ära der Billigflieger und Schnellfähren, der Internetbuchungen und der fernsehgesteuerten Reise-Popkultur zu erleben. „Kein Mensch, der 1978 auf sich hielt, fuhr nach Capri, außer einigen, die es sich leisten konnten”, heißt es im ersten Kapitel des Romans „Komm, gehen wir”. Das Kuriose war, dass damals auch diejenigen, die sich wenig leisten konnten, dort leicht ein Unterkommen fanden – nur verfielen sie selten auf die Idee, das vom Rudi-Schuricke-Klischee der Fünfziger vernebelte Eiland zu besuchen. Capri war in jener Zeit, und übrigens noch Jahre später, nicht angesagt.
Was das für Charakter und Atmosphäre des Ortes bedeutete, lässt sich heute nur schwer vermitteln, aber wer dabei war, vergisst es nicht. Vieles deutet darauf hin, dass Arnold Stadler als junger Mensch zu den Individualisten gehörte, die durch antizyklisches Reiseverhalten in den Genuss dieser Erfahrung kamen. Weitere Mutmaßungen über Korrespondenzen zwischen Biographie und Roman verbietet die literaturkritische Diskretion, wenngleich die Zentralfigur Roland das Anagramm von Arnold im Namen trägt und nicht nur das Geburtsjahr, sondern auch die badisch-ländliche Herkunft, die Studienzeit in Freiburg, die Schriftstellerkarriere und den späteren Wohnsitz Berlin mit dem Verfasser teilt.
Gegenüber der Kundenzeitschrift der Deutschen Bahn, die das Buch groß bewirbt, obwohl fast niemand mehr mit dem Zug an den Golf von Neapel fährt, bekannte Stadler, ein Leben wie Roland möchte er nicht geführt haben, aber natürlich habe die Geschichte mit ihm zu tun. In der Tat kann nur die andrängende Fülle persönlicher Erinnerungen ein Werk wie dieses generieren, das sich um Fragen der Form und des Stils, der Erzählökonomie und der Banalitätsvermeidung nicht zu scheren scheint. Was bei anderen Autoren im Desaster enden müsste, funktioniert bei Stadler, weil er Dokumentarisches und Fiktionales völlig ungezwungen, ja anarchisch mischt – und weil er im Stroh langatmiger Abschweifungen die Ostereier seiner verblüffenden Pointen und oftmals genialen Beobachtungen so geschickt versteckt, dass man des Suchens nicht müde wird.
Roland also, der Philosophiestudent, ist im Sommer 1978 mit der gleichaltrigen Rosemarie verlobt, einer angehenden Medizinerin aus „naturtrüben Verhältnissen in Minden”. Die Hochzeit ist für November geplant, und die jungen Leute gönnen sich vorgezogene Flitterwochen auf Capri, wo sie in einer billigen Pension logieren und Pizza aus der Hand essen. Um das Flair der Insel zu vergegenwärtigen, führt der Autor freilich erst einmal Rolands Tante Paula ein, die in den fünfziger Jahren hier ihre formvollendeten Ferien verbracht und den Keim der Capri-Sehnsucht ins Herz des Neffen gesenkt hat. Tante Paula, die ein Leben führte „wie in einer bisher nicht aufgeschriebenen Kurzgeschichte”, würde man gern länger begleiten, doch sie verschwindet aus der Erzählung, sobald sie ihre Funktion erfüllt hat. Das hat sie mit diversen Figuren dieses erzählerischen Sackgassen-Labyrinths gemeinsam. Dafür bekommt nun Jim seinen Auftritt, ein gutaussehender, erotisch bipolarer Amerikaner, ebenso jung wie „Romy” und „Rolly”, der in Florida Tourismus-Management studiert und in Italien nach seinen Vorfahren fahndet.
In einer inoffiziellen FKK-Zone gegenüber den Faraglioni-Felsen begegnet er dem Pärchen aus Deutschland, und schon sind alle im Dreieck verliebt. Dass sie daraufhin die Nacht im Dreierpack verbringen, entspricht dem Kodex der Siebziger. Dass Jim ausgerechnet so heißt wie der dritte Teil eines berühmteren, im Film verewigten Liebestrios, ist nur ein hübsches Ornament, genau wie die Anspielungen, die ihn mit Felix Krull in Zusammenhang bringen. Dass es sich aber bei der Verwirrung der Triebe und Gefühle, die den grüblerischen Roland stärker ergreift als die beiden anderen, um „Liebe” handelt, bleibt eine Behauptung, die der Erzähler hartnäckig wiederholt, um sie nach und nach mit schwerblütiger Ironie ad absurdum zu führen.
Zunächst jedoch werden die Lebensläufe und Familiengeschichten der Hauptfiguren höchst umständlich aufgerollt, so als wäre die Folie des deutschen, italienischen oder amerikanischen Provinzalltags bedeutsam für das Zustandekommen des Dreieckszaubers – was sie allenfalls aus psychoanalytischem Blickwinkel ist. Der Zauber selbst, die unwiderstehliche Anziehung, die Jim auf das Paar ausübt, wirkt in Stadlers Schilderung eher komisch als magisch, wiewohl durch einen katholischen Ritus gleichsam geheiligt: Roland, Rosemarie und Jim machen auf dem Weg nach Freiburg in Rom Station und sehen auf dem Petersplatz den weißen Rauch, der den neuen Papst Johannes Paul I. ankündigt. Dessen überraschender Tod nach vier Wochen markiert symbolträchtig das Ende der Beziehung zwischen Rosemarie und Jim (von dem Rosemarie zum schicksalhaften Überfluss auch noch schwanger ist). Roland hingegen, der nun als hingebungsvoll Leidender in den Vordergrund tritt, wird noch mindestens bis zu seinem Flug nach Miami am Weltspartag des Jahres 1989 von der Geschichte zehren: Lange Briefe gehen über den Atlantik hin und her, die Sehnsucht nach dem Capri-Lover überdauert zwei Ehen, diverse homosexuelle Kontakte und die politischen Umwälzungen des Jahrzehnts.
So kann Jims spielerische Aufforderung „Komm, gehen wir”, mit der die Ménage-à-trois für die Dauer eines Pontifikats begann, denn auch als leicht angefälschtes Zitat aus „Warten auf Godot” gelesen werden, nur dass Godot hier die Liebeserfüllung ist oder vielmehr das, was man in ewiger Selbsttäuschung dafür hält. Mit einer kleinen, sentimentalisierenden Abweichung wird einmal Kafkas Erzählung „Gibs auf!” zitiert, die spirituell auf das Gleiche hinausläuft. Und um einen Erkenntnisgewinn spiritueller Art geht es in der Geschichte, so unfrisiert, geschwätzig und zotig sie sich an vielen Stellen gibt.
Roland, „Linkshänder geblieben im Denken” und trotzdem Schriftsteller geworden, nennt seinen ersten Roman „Ungewaschene Erinnerung an die Liebe”, und die Handlung scheint ziemlich genau dem zu entsprechen, was wir bei Stadler lesen. Auch wenn vom Capri-Thema ein plakativer Reiz ausgeht: So recht in seinem Element ist der Autor, wenn er aus dem süddeutsch-katholischen Dorfmilieu berichtet, etwa von einer Hochzeitsfeier im Hasensaal zu Hinterstenweiler. Wo derber Realismus auf philosophischen Feinsinn trifft, entfalten sich Stadlers Stärken. Nein, ein Leben wie Roland möchte man nicht geführt haben. Und doch hat das große, allumarmende „Ja”, in das seine Misere am Ende umkippt (womit das epochale Dreieck Kafka, Beckett, Joyce komplett ist) neben dem satirischen einen genuin versöhnlichen, tröstlichen Unterton: das Leben, die Liebe, die Glücksillusion – nichts als ein gigantischer Witz. Dass Arnold Stadler ihn mit linkshändigem Charme erzählt, schmälert nicht seine befreiende Wirkung.
KRISTINA MAIDT-ZINKE
ARNOLD STADLER: Komm, gehen wir. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 398 Seiten, 18,90 Euro.
Als es noch keine Billigflieger gab, und Tante Paula auf Capri ihren formvollendeten Urlaub zu verbringen pflegte: Blick auf das Luxusbad „Canzone del mare” und die Faraglioni-Felsen in einer Aufnahme aus dem Jahr 1967 Foto: Ullstein
Der Schriftsteller Arnold Stadler Foto: Isolde Ohlbaum
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 30.06.2007

Die leichten Augenblicke der Liebe

"Komm, gehen wir" ist der achte Roman des Büchner-Preisträgers Arnold Stadler. Immer, wenn er auf Capri spielt, ist er berückend. Aber er spielt nicht nur dort.

Von Jochen Hieber

Am Anfang liegt ein großer Glanz über der Geschichte. Sie spielt im Sommer des Jahres 1978 auf der Insel Capri - und weil man nicht genau genug sein kann, wenn es um einen überwältigenden Zustand, also um die Liebe, geht, benennt Arnold Stadler exakt den Tag, den Ort und die Figuren, die von nun an und für immer mit dem ungeheuren Gefühlsgeschehen verbunden sind.

Es ist Donnerstag, der 24. August, zugleich der letzte Ferientag von Roland und Rosemarie, zwei Studenten aus Freiburg. Sie sind noch keine vierundzwanzig Jahre alt und werden in knapp drei Monaten heiraten. Von den Prachtserpentinen der Via Krupp aus sind sie die steile Treppe zum Meer hinabgestiegen, haben ihre Handtücher vor den Faraglioni-Felsen ausgebreitet und genießen nun den Tag. Man müsse sich, so instruiert uns der Erzähler, zu all dem noch "die Musik dazudenken", die "Sommerlieder aus San Remo", die aus den "Transistorradios" der Strandbesucher tönen, dazudenken ferner "den Sog der Wellen", "die Sonne und ihr Glitzern und Glimmern auf dem Wasser", das "ältere Paar aus Neapel", das sich mit Sonnenschirm und einem Packen illustrierter Blätter neben den jungen Leuten aus Deutschland eingerichtet hat - jene "Französin" nicht zu vergessen, die in der Nähe lagert und deren einzige Kleidung, als sei sie einem Film von Claude Chabrol entsprungen, aus "einer rabenschwarzen Sonnenbrille mit Spiegelglas" besteht.

Der schaumgeborene Gott.

Die Szene ist perfekt. Sie wird für beide, für Roland und Rosemarie, überwältigend, als sich Jim, ein Amerikaner mit italienischen Vorfahren, in sie hineinspielt. Ganz am Ende des Buchs wird sich Roland noch einmal des Augenblicks erinnern, als dieser Jim aus den Wellen kam, und er wird, inzwischen elf Jahre älter, ein gescheiterter Philosoph zudem und ein gewordener Schriftsteller, nicht umhin können, den Mythos der Aphrodite zu bemühen, um die einstige Überwältigung zu beglaubigen - als Anadyomene, als Schaumgeborene, war die Göttin dem Meer entstiegen. Um aber auch Jims unwiderstehlich androgyne Ausstrahlung zu beglaubigen, nehmen uns, einige Kapitel vor dem Ende, der Autor und sein Erzähler mit in ein Freiburger Studentenkino und in einen Film, "der den Himmel und die Erde versöhnte" - in Pier Paolo Pasolinis "Teorema" von 1968 mithin, in dem ein junger gottähnlicher Kerl eine ganze Familie erst verführt und dann verlässt: "Der Hauptdarsteller Terence Stamp", heißt es, "sah Jim zum Verwechseln ähnlich." Und weil der Autor Arnold Stadler als Romanerzähler bisweilen direkt mit uns, seinen Lesern, spricht, fügt er bekräftigend hinzu - "nun wissen Sie es."

Es ist zu wissen, dass Stadler in seinem neuen Roman, dem mittlerweile achten seit 1989, eine Zauberkulisse zu errichten versteht, die nie in Kitschnähe gerät. Mit Hilfe einiger erzähltechnischer Kniffe hält er seine Geschichte zumindest zu Beginn in der schönen Schwebe zwischen Sinnlichkeit und Vernunft, zwischen Melancholie und Emphase. Kaum also sind im Beziehungsdreieck zwischen Roland, Rosemarie und Jim die ersten Blicke gewechselt, genehmigt sich das Buch auch schon eine Rückblende auf die Nachkriegsreisen des wundersam-liebenswerten, zudem lesbischen "Fräulein Hahn", einer Tante Rolands. Es erlaubt sich sogleich eine ironische Kulissenkritik: "Kein Mensch, der 1978 auf sich hielt, fuhr nach Capri, außer einigen, die es sich leisten konnten." Und Stadler lässt nie einen Zweifel daran, dass es, zumal in den Nebenrollen, Kunstfiguren sind, die, gerade noch heftig agierend, auch gleich wieder "aus dieser Geschichte verschwinden" werden.

Deren Handlung ist allerdings rasch im Jenseits der Liebe angelangt und damit bei einigen Stadlerschen Zentralthemen: bei der mal kleinbürgerlichen, mal bäuerischen Enge der Lebensverhältnisse, bei der "Schwarzwaldtannenschwermut" der Protagonisten, bei ihrer Sehnsuchtstristesse, ihrer Sterbensgewissheit und Todesangst. Dass es dieser Roman zunächst nur zwei Kapitel lang auf Capri und bei der Liebe aushält, dass er danach mit einer ans Buchhalterische gemahnenden Akkuratesse die jeweilige "Vorgeschichte" seiner Hauptfiguren Revue passieren lässt, dass er von der oberschwäbischen Hochzeits- bis zur oberschwäbischen Beerdigungsfeier aufs Neue das längst bekannte Erzählarsenal des Autors variiert, dass er ein weiteres Mal Lektionen liefert über die Zurichtung des Menschen im Allgemeinen, insbesondere aber über jene des mittleren Ewigstudenten Roland, dieses "Linkshänders im Kopf" und anagrammatischen Doppelgängers des Arnold S.: Dass er all dies tut, ist mehr als ein bisschen schade - es ist ein Fehler.

Schon einmal, im Roman "Ein hinreißender Schrotthändler" von 1999, hatte Stadler auch die amouröse Dreiecksgeschichte durchgespielt und damit das Changieren des erotischen Begehrens zwischen Hetero- und Homosexualität. Nun wirkt, zugegeben, der amerikanische Hallodri Jim de Mariniello im neuen Buch ungleich verführerischer als sein Vorgänger, der Kölner Altmetallexperte Adrian in seiner "Adidas-Hose", zudem sind Roland und Rosemarie ungleich jünger als der frühpensionierte Geschichtslehrer und die zweiundvierzigjährige Handchirurgin, die Adrian verfielen. Die Grundkonstellation jedoch ist nur zu ähnlich - und sie benötigt statt der einst gut zweihundert jetzt fast vierhundert Seiten, um sich zu entfalten.

Liebesnovelle und Entwicklungsroman.

Womit das kompositorische Hauptproblem von "Komm, gehen wir" auch schon benannt ist: Was aufgrund der Capri-Exposition als Liebesnovelle wohl fabelhaft hätte funktionieren können, ist als Entwicklungsroman gleich dreier Weltenkinder aus ähnlich kleinen Verhältnisse entschieden überfrachtet, überdeterminiert - und dann auch im Detail keineswegs immer mehr stimmig. Wenn uns der Erzähler angesichts der desolaten Vorstellung der deutschen Fußball-Nationalmannschaft bei der WM 1978 (2:3 gegen Österreich verloren!) etwa weismachen will, es hätten hierzulande die Gesichter vor "Freude" gestrahlt, so irrt er gewaltig. Und wenn er sein Freiburger Paar wie geplant am 22. November aufs Standesamt schickt, so hätte es weiland realiter vor verschlossenen Türen verharrt: es war Bußund Bettag.

In früheren Zeiten, jenen von Theodor Fontane oder Thomas Mann etwa, ließ sich die Qualität eines Romanciers am sichersten danach beurteilen, wie er das Kranksein und das Sterben schilderte oder beschrieb. Diesem Kriterium gemäß, denn beides kann er, wäre Arnold Stadler zweifellos ein großer Autor. Von einem Schriftsteller der unmittelbaren Gegenwart aber wäre zu erhoffen, mehr noch: zu erwarten, dass er körperliche Begierde, den Beischlaf also, zu erzählen vermag, zumal wenn er sich ganz absichtsvoll in Liebesgefilde begibt. In Stadlers neuem Roman erfahren wir vielfach auch, dass Roland, Rosemarie und Jim in wechselnden Kombinationen Bad und Bett teilen - was sie dabei und darin tun, aber wird höchstens diskret angedeutet, nie ausgesprochen, geschweige denn erzählt. "Und dann die Nacht in der Pension Tosca", heißt es also, und weiter: "Hierzu nur ein einziges Stichwort: Jim."

Die scheue Szene in der Pension Tosca findet sich kurz vor der Mitte des Romans. Nach mancherlei Umwegen in den deutschen Alltag und die amerikanische Provinz aber ist man lesend jetzt wieder auf Capri zurück. Und sofort ist auch der Glanz des Anfangs wieder da, sofort beginnt das Erzählte zu leuchten, glücklicherweise nicht zum letzten Mal. "Vielleicht war es doch leichter", vermutet der Erzähler in leitmotivischen Variationen immer wieder, "einen Liebesroman zu schreiben, als zu leben." Arnold Stadlers neues Buch belegt jedoch etwas Anderes: Beide, die Liebe und der Roman darüber, können gleich schwer sein, im gelingenden Moment indes auch gleich - also ungeheuer - leicht. Der Roman "Komm, gehen wir" kennt solche Momente. Sie wird man so rasch nicht vergessen. Zum großen Kunstwerk ist er gleichwohl nicht geworden.

- Arnold Stadler: "Komm, gehen wir". Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 400 S., geb., 18,90 [Euro].

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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Für Rezensentin Verena Auffermann ist "Komm wir gehen" ein Buch über vieles: über die Unmöglichkeit zu lieben, über die Versuchung, über erschreckend zielorientierte Frauen und schließlich über die Siebziger. Natürlich auch eine Hommage an Pasolini, Truffauts "Jules und Jim" und an Julien Green. In der Geschichte selbst geht es um den stillen Roland, der zunächst recht glücklich mit Rosemarie zusammen ist. Beide verlieben sich aber in den Italo-Amerikaner Jim. Aus dieser Konstellation ist ein schön trauriges, "ergreifend einfach" geschriebenes Buch geworden, das mit Sicherheit schon in das Regal mit den literarischen Lieblingen Auffermanns eingereiht wurde, so begeistert erzählt sie von Arnold Stadlers bisher umfangreichstem Roman. "Ein starkes, leicht geschriebenes Buch über ein rutschiges Thema", befindet die Rezensentin, die diese Kombination außerordentlich gelungen findet.

© Perlentaucher Medien GmbH
Eine Formel für diese Art Existenz-Roman wäre: Die Einmaligkeit des Immerwährenden. Martin Walser Die Zeit 20141127