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Wer 1530 gestorben und ein Jahrhundert später wieder auferstanden wäre, hätte die Welt problemlos wiedererkannt an den wesentlichen Strukturen hatte sich nichts verändert. Heute würden wir schon nach einem Jahrzehnt nichts mehr verstehen, so schnell fliegen uns die Gewissheiten und neuen Erkenntnisse um die Ohren. Wenn es ein Schlagwort für unsere Epoche gibt, dann ist es wohl: die Unvorhersagbarkeit. Unsere Lebensläufe, aber auch unser Alltag, unsere Lebenswelt sind voll von überraschenden Ereignissen. Keiner hat den Islamismus kommen sehen, noch heute gibt es auf ihn keine Antwort. Google…mehr

Produktbeschreibung
Wer 1530 gestorben und ein Jahrhundert später wieder auferstanden wäre, hätte die Welt problemlos wiedererkannt an den wesentlichen Strukturen hatte sich nichts verändert. Heute würden wir schon nach einem Jahrzehnt nichts mehr verstehen, so schnell fliegen uns die Gewissheiten und neuen Erkenntnisse um die Ohren.
Wenn es ein Schlagwort für unsere Epoche gibt, dann ist es wohl: die Unvorhersagbarkeit. Unsere Lebensläufe, aber auch unser Alltag, unsere Lebenswelt sind voll von überraschenden Ereignissen. Keiner hat den Islamismus kommen sehen, noch heute gibt es auf ihn keine Antwort. Google hat in zehn Jahren mindestens ebenso viel für die Demokratisierung des Wissens getan wie sozialdemokratische Volksbildungspolitik in hundertfünfzig Jahren. Und die SMS ist zum privaten wie politischen Leitmedium geworden.
Weil Standardwerke die Welt nicht mehr erklären können, ergründet Nils Minkmar in zum Teil ganz persönlichen, so witzigen wie ernsthaften Geschichten die modernen Kerngebiete des Normalen: Politik, Kunst, Religion, Tod und das Leben im Großraumwagen.
Autorenporträt
Nils Minkmar, 1966 in Saarbrücken geboren, besitzt einen deutschen und einen französischen Pass. Während des Studiums an der Universität des Saarlandes amtierte er zwei Semester als AStA-Präsident. Später wandte er sich der historischen Anthropologie der frühen Neuzeit zu, besuchte Pierre Bourdieus Doktorandenseminar und promovierte 1996 in Neuer Geschichte mit einer Arbeit über Ehrenkonflikte im frühneuzeitlichen Colmar. 1997 wurde er Redakteur der ZDF-Sendung »Willemsens Woche« in Hamburg. Danach folgte eine Phase als freier Journalist mit Texten für die »Süddeutsche Zeitung«, »Geo« und »Merian«. 1999 Berufung zum Redakteur der »Zeit«, erst ins Feuilleton, dann ins Wissens-Ressort, mit Zuständigkeit für die Medienseite. Seit Juli 2001 Redakteur im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung. Gründungsmitglied der Deutschen Montaigne Gesellschaft.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 11.03.2009

NILS MINKMAR, Redakteur im Feuilleton dieser Zeitung, ergründet in zum Teil ganz persönlichen Geschichten die modernen Kerngebiete des Normalen: Politik, Kunst, Religion, Tod und das Leben im Großraumwagen. Wer 1530 gestorben und ein Jahrhundert später wieder auferstanden wäre, hätte die Welt problemlos wiedererkannt. Heute dagegen würden wir schon nach einem Jahrzehnt nichts mehr verstehen. Unsere Lebensläufe und unser Alltag sind voll von unvorhersehbaren Ereignissen. Keiner hat den Islamismus kommen sehen. Google hat in zehn Jahren mindestens so viel für die Demokratisierung des Wissens getan wie sozialdemokratische Volksbildungspolitik in hundertfünfzig Jahren. Und die SMS ist zum privaten wie politischen Leitmedium geworden. (Nils Minkmar: "Mit dem Kopf durch die Welt". Ganz persönliche Geschichten aus der Normalität. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2009. 224 S., geb., 17,95 [Euro].)

F.A.Z.

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 28.03.2009

Steak Montaigne
Nils Minkmars Erforschung einer durchgedrehten Gegenwart
Augustinus trifft noch keine Schuld, aber dann, sagen wir seit den achtziger Jahren des 20. Jahrhunderts, wird aus einer normalen Journalistenmigräne oft sogleich ein normatives Bekenntnis, daraus ein normatives Essay, endlich eine Sammlung von normativen Essays in einem normativen Buch. Leute, die wirklich nicht interessanter sind als du und ich, sie betreiben Tiefenforschungen in der Kneipe, beim Doc oder in der Unterhose. Hier und da wirkt diese Rührung über sich selbst, die eigene Generation, Familie oder Scheißlaune noch milde neoflamboyant. Aber naja, beim Fernsehen sagt man: das versendet sich.
Der sonderbare Titel des Essaybandes „Mit dem Kopf durch die Welt” nun könnte Schimanskihaftes insinuieren, durch die Wand also, aber dazu passt schon das ätherische Buchcover nicht. Hier schaut man aus einem Fenster der Deutschen Bahn auf eine verwischte Landschaft. „Mit Köpfchen durch die Welt”? Das trifft die Sache! Sicher klingt das etwas neunmalklug, aber warum nicht. Immerhin forscht auch hier ein Reporter – Nils Minkmar, 42, von der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Zum Beispiel wenn er an einer Haustür in der deutschen Vorstadt liest: „Hier wohnen, lieben und streiten sich Jürgen, Kathrin, Felix und Lara Krause.”
Seine persönlichen Anschauungen hält der Historiker, Soziologe und Philosoph Minkmar, der bei Bourdieu studierte und mehr als einen Löffel von dessen kritischer Ironie abbekommen hat, für unwichtiger als die objektiv nachprüfbaren Sonderphänomene des Jetzt. Findet er sie – wie bei jenem Türschild –, meint man einen kurz aufjauchzenden Naturwissenschaftler vor sich zu haben, der tolle Schwebeteilchen im Reagenzglas entdeckt hat. Die eigene Befindlichkeit taugt Minkmar nun höchstens zur trockenen, nie kalten Ironie; wichtig ist diesem oft tückisch beiläufig scheinenden Buch schon stets das große Ganze. So wird bezüglich der Vorstadt zu Beginn klargestellt, wo und wie wir trotz Krise leben: „Von einer anderen Warte besehen, von der nahezu aller Menschen, die vor uns auf der Erde gelebt haben, und der krassen Mehrheit derer, die derzeit mit uns diesen Planeten bewohnen, kommt der wenig raffinierte, aber friedvolle und liberale bundesdeutsche Alltag dem sehr nahe, was sich heute längst tote Menschen unter einem erlösten Leben vorgestellt haben. Ein Paradies mit Postleitzahl.”
Minkmar vermutet, dass man die Welt problemlos wiedererkannt hätte, wäre man 1530 gestorben und 1630 wieder auferstanden; nicht aber, wenn man vor zehn Jahren gestorben und heute wieder auferstanden wäre: Google, Islamismus, die SMS als politisches Leitmedium, und so weiter, bitte, welcher Denker und Mahner hat die Wirkung dieser Mächte in welchem Leitartikel vorhergesehen?
Damit behauptet Minkmar zwischen den Zeilen und womöglich nicht zu Unrecht, in wahnsinnigeren Zeiten zu leben als Montaigne, den er verehrt. Natürlich ist dieses Buch im Sinne der Essais des großen Aufklärers, Ironikers und Bürgermeisters von Bordeaux: ein Plädoyer für ein vernünftiges, antiklerikales und gelassenes Europa in Zeiten religiösen Wahns und ex- wie implodierender Märkte, und auch ist es im Sinne der von Minkmar zitierten Worte aus dem Testament Willy Brandts: „Nichts kommt von alleine, und nur wenig ist von Dauer.”
Apropos Montaigne/Bordeaux: Minkmars Erdung hat der französische Großvater in Bordeaux besorgt – ein offenbar uneitler und prinzipienstarker Mann, der dem Jungen mit dem deutschen und dem französischen Pass aus dem saarländischen Dudweiler die Seele weitete für essentielle, ergo französische Dinge, die man ja schon im Saarland nicht mehr kennt. Zum Beispiel definierte sich der Opa fast weniger über sein aufgeklärtes Sozialistentum und den Hass auf Chirac. Sondern eher über ein einfach, aber perfekt zubereitetes Steak in seiner Küche in Bordeaux (natürlich: kurz, aber sehr heiß angebraten): „Das Mittagessen, und sicher nicht der Beruf, war das eigentliche, das praktizierte Leben. Es sagte ihm etwas über sich selbst, wie er sein Leben lebte, was war und noch kommen würde, es gab dem Tag und der Woche und dem Jahr eine Struktur, die zugleich in Genuss aufgehoben war.” So vom Opa geerdet, verstört einen nicht mehr viel. Man weiß jetzt, was gut, schön und lecker ist und hat sozusagen auch mental was im Magen.
In sieben Kapiteln erzählt der derart gestärkte Autor von einer Welt im Aufruhr, und man verbringt als Rezensent viel Zeit mit dem Anstreichen klarer Gedanken wie bestürzender Beobachtungen: Sei es, dass Minkmar als Reisereporter am 11. 9. 2001 in einer Touristenfalle ausgerechnet in der Islamistenhochburg Amman festsitzt; sei es, dass er im suburbia seines saarländischen Heimatkaffs das reale Bühnenbild einer Terrorzelle in Deutschland seziert, die um ein Haar hochgegangen wäre; sei es, dass er die Komödie beschreibt, wie Salman Rushdie mit dem Wunsch nach einer Pizza in Hamburg die Staatsgewalt herausfordert, bis er in einem geräumten Lokal neben verschreckt herumstehenden Pizzabäckern zum Sitzen kommt. Ein Traumbild: „ . . . der kleine Schriftsteller, der an der Mitte eines sehr langen Tisches saß und etwas beklommen auf zwanzig leere Stühle verwies: Take a seat”.
Auch das Soziotop eines Bahnabteils, in dem Fahrgäste hochnotpeinliche Vertraulichkeiten ins Mobiltelefon brüllen, oder die räumlich-psychologische Zerlegung eines Wohnungsumzugs, all dies wirkt traum- im Sinne von filmhaft. Ein bisschen steht Nils Minkmar wie der unsterbliche Franzose Jacques Tati in dieser Welt: optimistisch, mit Prinzipien, aber staunend über die Tücke des ganzen Krimskrams, der so überaus gaga in der Wirklichkeit herumliegt wie Legosteine im Kinderzimmer.
Jedem Aufklärer muss es nun natürlich unbedingt darum gehen, diese Einzelteile einer kaputten Welt wieder zusammenzuleimen! Ausführlich lässt sich Minkmar deshalb im letzten Kapitel – „Umzüge” – über seine Faszination für eine Sekunden-Zweikomponenten-Klebmasse aus, von der er nach eigenem Bekunden schon mehrere Tonnen verarbeitet hat und die sogar „Dübel, Spachtelmasse, Dichtungsringe” ersetzt. Diese Klebmasse, sie ist ihm „eine Brücke zwischen dem freien Willen des Menschen und der sperrigen Gegenwelt der Objekte. Sartre hätte eine Hymne darauf verfasst – wäre er jemals umgezogen”.
Was, wenn nicht das, ist eine umwerfend rührende Analogie?
In seiner Mischung aus Beiläufigkeit, hoher Komik und dem tiefen Ernst der Erkenntnis ist dieses Buch perfekt. Den Bedeutungshubern und -huberinnen, den vielen empörten Texttrompetern, ihnen allen dreht Minkmar dabei eine lange Nase. Feinere Essays über das Jetzt finden wir hier gerade nirgends. ALEXANDER GORKOW
NILS MINKMAR: Mit dem Kopf durch die Welt. Ganz persönliche Geschichten aus der Normalität. S.Fischer, Frankfurt am Main 2009. 224 Seiten, 17,95 Euro.
Ein Kopf mit kritischer Ironie: Nils Minkmar Foto: Helmut Fricke
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.sz-content.de
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

Hinreißend findet Rezensent Haug von Kuenheim dieses Buch des Saarländers und Feuilletonisten Nils Minkmar, in dem er "Momentaufnahmen des Lebens in unserem Land", also "x mal Deutschland" erkennt. Es beginne mit der für Kuenheim vielleicht schönsten Geschichte, die von Minkmars französischem Großvater und dessen unerschütterlichem Weltbild handele. Es folgten Texte mit breit gefächerten Themen, die "nachdenklich, behutsam, verschmitzt, komisch" und vor allem völlig uneitel behandelt würden. Alltägliches, aber auch kleine Essays über Politik. Einer natürlich über den Saarländer Lafontaine, den Kuenheim sehr treffend beschrieben fand. Minkmar sei ja auch ein kluges Köpfchen, klopft der ältere Kollege den jüngeren anerkennend auf die Schulter.

© Perlentaucher Medien GmbH