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Seit E. Annie Proulx hat keiner mehr so farbig, unmittelbar und doch kunstvoll vom Leben unter dem Nordwind geschrieben, seit Hemingway keiner uns mehrdas Herz der Wälder so geöffnet wie Alistair MacLeod.

Produktbeschreibung
Seit E. Annie Proulx hat keiner mehr so farbig, unmittelbar und doch kunstvoll vom Leben unter dem Nordwind geschrieben, seit Hemingway keiner uns mehrdas Herz der Wälder so geöffnet wie Alistair MacLeod.
Autorenporträt
Brigitte Jakobeit, Jg. 1955, lebt in Hamburg und übersetzt seit 1990 englischsprachige Literatur, darunter die Autobiographien von Miles Davis und Milos Forman sowie Bücher von John Boyne, Paula Fox, Alistair MacLeod, Audrey Niffenegger und Jonathan Safran Foer.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 08.05.2004

Stumme Blicke, Kratzen an der Tür
Wie man zum Schriftsteller wird: Alistair MacLeod erzählt von Leben und Sterben auf der kanadischen Insel Cape Breton

Sechs graue Hunde sind das Schicksal einer schottischstämmigen Sippe aus Cape Breton: Im Sterben, so heißt es, sieht jedes Familienmitglied die Tiere in einer Vision. Der Ursprung dieser Überlieferung liegt vier Generationen zurück, als ein Züchter von seinem riesigen Lieblingshund freudig begrüßt und zu Boden geworfen wurde, um anschließend von den sechs Jungen des Tiers zerfleischt zu werden. Viele Jahre später sieht der Erzähler, der Ururenkel jenes Züchters, in einem Krankenhaus seinem Vater beim Sterben zu, gemeinsam mit seinen fünf Brüdern. Sie alle, um das Bett des Vaters geschart, sind grauhaarig; und während sie hilflos Witzchen über die Prophezeiung reißen, fragt sich der Erzähler, wie sein Vater in der nahen Todesstunde wohl seine Umgebung wahrnehmen wird - und ob er selbst "das Scharren der Pfoten hören" wird "und das Kratzen an der Tür".

Die sechzehn Erzählungen des Kanadiers Alistair MacLeod, die inzwischen auf deutsch vorliegen, spielen fast alle auf Cape Breton, schildern (wie MacLeods großer Roman "Land der Bäume" von 1999) den Übergang einer bäuerlich geprägten Kultur in eine städtische, berichten von der räumlichen Nähe und der Distanz der Gefühle in den Großfamilien der Insel, vom gälischen Erbe und den weltgewandten jungen Landflüchtigen, die auf dem Festland einer bessere Zukunft jenseits der kargen Böden und der Kohlenbergwerke der Insel suchen - und die doch immer wieder heimkehren in die verwitterten Gehöfte, die ihre Eltern und Großeltern aufsuchen und insgeheim wissen, daß erst ihre eigenen Kinder den Abstand zur Armut Cape Bretons finden werden.

Weil sich diese zwischen 1968 und 1999 entstandenen Geschichten thematisch oft berühren, weil sie denselben Lebenskreis schildern, bieten sie die Gelegenheit, dem Schriftsteller MacLeod beim Wachsen zuzusehen. Besonders die frühen Erzählungen tragen manchmal schwer an der Last, eine intensiv erlebte Welt zu schildern und die Beschreibung gleichzeitig zu rechtfertigen: Da wird Offensichtliches ausgesprochen, um die Bedeutung der erzählten Schicksale zu betonen, der Autor streut Adjektive, um die Farben noch etwas stärker aufzutragen, und kommentiert etwa die Rettung aus einem - allerdings großartig beschriebenen - Wintersturm mit den Worten: "Wir waren wieder einmal davongekommen."

Dann aber, je jünger die Erzählungen sind, findet sich mehr und mehr Meisterliches wie etwa "Vögel bringen die Sonne hervor", die Geschichte der grauen Hunde. Hier wie auch in "Die Suche nach Vollkommenheit" oder "Die Insel" gelingt es MacLeod, mit kluger Ökonomie (und einer Schwäche für stumme Blickwechsel) einen Bogen zwischen den Zeiten zu schlagen, Jugend und Alter einer Figur ineinanderfließen zu lassen und im Verhältnis der Generationen einer Familie das Trennende zu betonen und im selben Atemzug das Verbindende aufscheinen zu lassen.

So ist es kein Zufall, daß nicht wenige dieser Erzählungen die Perspektive eines Älteren einnehmen, der sich an einen bestimmten Abschnitt seiner Jugend erinnert, eine Zeit, die wiederum auf das Leben des Erwachsenen einen beträchtlichen, oft erst später entdeckten Einfluß ausübt. Der Erwachsene ordnet, bewertet, vermißt oder bedauert das Geschehene, er beschreibt die Arbeit der Eltern als Fischer, seltener als Bauern, oft auch die lange Abwesenheit des Vaters, der in den Kohlengruben auf dem Festland oder im Norden Cape Bretons seine Gesundheit ruiniert, in Städten, die New Waterford oder Sydney heißen, während die Mütter an der allgegenwärtigen Armut verbittern.

All dies ist eingebettet in Naturschilderungen, die mit der zunehmenden Meisterschaft des Autors deutlicher in den Dienst der Geschichte treten, die das enge Verhältnis unterstreichen, das die Figuren mit der Insel eingehen, ohne daß der Erzähler dies noch eigens benennen müßte. Was dabei in der Summe des Erzählten entsteht, ist das Bild einer Weltgegend, die sich dem Zufallsbesucher beharrlich verschließt (auch dafür gibt es Beispiele in diesem Band), die erarbeitet, ergraben, erwandert werden will. Und die durch MacLeod endgültig zu einem Ort der Literatur geworden ist.

Alistair MacLeod: "Die Insel". Erzählungen. Aus dem Englischen übersetzt von Brigitte Jakobeit. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 441 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 15.06.2004

Fortleben im Fleische
Alistair MacLeods „Die Insel” und das Glück der Schönheit
Die Insel, um die es in der Titelerzählung geht, ist so klein, dass sie gar keinen richtigen Namen hat. Sie liegt vor einer anderen, Cape Breton Island, die wiederum groß genug für fünfzehn weitere Geschichten ist. Cape Breton aber liegt vor dem noch deutlich größeren Nova Scotia, einer Provinz im Nordosten Kanadas, die dem Festland so nahe ist, dass sie man sie als Halbinsel bezeichnen kann.
Der Name Nova Scotia, Neuschottland, gibt auch einen Hinweis auf die Herkunft jener Menschen, von denen der 1936 im zentralkanadischen Saskatchewan geborene und auf Cape Breton aufgewachsene Alistair MacLeod erzählt. Aus ihrer alten, schottischen Heimat haben sie ein ausgeprägtes Familienbewusstsein, Lieder und Hirtenhunde mitgebracht in jene neue, in der sie als Bergleute, Fischer und Farmer arbeiten und große Häuser mit großen Küchen bewohnen, zu denen Kinder und Kindeskinder bei Familienfesten aus mit den Jahren zunehmender Entfernung anreisen müssen.
Die Titelerzählung bildet den Nukleus all dieser Geschichten, ein Leben in isolierter Gemeinschaft, ein Inselleben. Eigentlich sind alle davon überzeugt, dass auf jenem namenlosen Eiland immer „irgendein MacPhedran” als Leuchtturmwächter leben sollte - und sei es in Gestalt einer etwas wunderlich alternden Frau, die ihren Verlobten durch einen Unfall und ihre uneheliche Tochter ans Festland verloren hat. Aber irgendwann soll das Leuchtfeuer automatisiert werden, und wenig später erscheint überraschend ihr Enkel auf der Insel, der seinem Großvater zum Verwechseln ähnlich sieht. Am Ende scheint der Tote selbst noch einmal zurückgekommen zu sein, um seine Geliebte zu sich zu holen: „Ein Hund bellte kurz. Und als das Licht kreiste, fand sein verlassener Strahl keine MacPhedrans mehr, weder auf der Insel noch im Meer.”
Solche Geschichten erinnern eher ans 19. Jahrhundert als an die Jahre 1968 bis 1999, aus denen sie stammen, und viele der Großvater- und Vater-, der Großmutter- und Muttergestalten wären auch geeignet, das Herz eines sentimentalen Steinkohlelobbyisten, eines Bauernfunktionärs oder Gewerkschafters zu erwärmen. Der Eindruck des Klischeehaften ergibt sich jedoch eher aus der Fülle thematisch ähnlicher Erzählungen. Zudem ist Kanada literarisch ein vergleichsweise unbeschriebenes Blatt, so dass es dort noch sehr viel nachzuholen, also ganz konventionell und realistisch zu beschreiben gibt. Und schon die erste und älteste der Geschichten Alistair MacLeods, „Das Boot”, konterkariert und ironisiert jedes Aufkommen von Sozialromantik oder Naturschwärmerei.
Unserem Hemingway
Es ist das Porträt eines Vaters aus der Sicht seines Sohnes, der das heimatliche Fischerdorf längst mit einer anonymen Universität im mittleren Westen vertauscht hat. Dieser Vater muss einst ein Bild von einem Fischer gewesen sein, hochgewachsen, mit blauen Augen und schneeweißem Haar, eine Attraktion für Touristen, denen er Shanties und endlose gälische Trinklieder in die Mikrophone ihrer Kassettenrekorder sang: „Im Winter schickten sie ihm ein Foto, aufgenommen am Tag, als er gesungen hatte. Auf der Rückseite stand: ,Unserem Ernest Hemingway.‘”
Die Ironie dieser Widmung ist eine gleich doppelte, denn wenn ihn sein Pflichtgefühl und seine Frau nicht aufs Meer treiben, vergräbt sich dieser archetypische Fischer am liebsten zu Hause in seine Bücher und Zeitschriften. Dieser Mann, der Bücher mehr als Inseln liebte, wird im Meer sterben, und nachdem der Erzähler seinen angespülten Leichnam beschrieben hat, heißt es lakonisch: „Wie er so da lag, die Messingketten an den Handgelenken und den Seetang im Haar, war von meinem Vater nicht viel übrig geblieben, körperlich.”
Solchen hart konturierten Schicksalen, den zahllosen Opfern, die Meer, Kohlegruben und Alkohol fordern, stehen die großen Familienclans entgegen, die ein Fortleben im Fleische garantieren. Und dazu spannen die alten Lieder und das Gälische den Bogen über den Atlantik, bis in die Heimat, die kaum einer von ihnen jemals zu sehen bekommt.
Doch die Kinder und mehr noch die Enkel wandern wiederum aus, nicht nur aus den Farmer-, Bergbau- und Fischerexistenzen, sondern auch aus den Familienverbänden. Alistair McLeods Erzählungen sind Generationsgeschichten, Beschreibungen von Brüchen, die unheilbar, von Entwicklungen, die irreversibel sind. Und zur Ironie jener Geschichte vom lesenden Fischer gehört auch, dass die Mutter recht behält, wenn sie lamentiert: „Ich möchte wissen, ob Bücher irgendwem helfen, sein Leben zu meistern.” Dem Vater haben sie immerhin Ablenkung und einige glückliche Mußestunden geboten, doch dem Sohn scheint der universitäre Lehrberuf eher schlaflose Nächte zu bereiten. Das mag daran liegen, dass er etwas verloren hat, was in den von Unglücken und Armut überschatteten Geschichten seiner fatalistischen Vorfahren bisweilen aufflackerte und was sich in einigen der grandiosen Naturbeschreibungen MacLeods bis in die Gegenwart erhalten hat: Eine oft strenge und manchmal überwältigende Schönheit, einige seltene und unverhoffte Augenblicke des Glücks.
ULRICH BARON
ALISTAIR MACLEOD: Die Insel. Aus dem Englischen von Brigitte Jakobeit. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2003. 443 Seiten, 19,90 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur ZEIT-Rezension

"Ein großer Schriftsteller", jubelt Verena Auffermann angesichts dieses Bandes mit sechzehn Erzählungen des Kanadiers Alistair MacLeod. Seine Geschichten spielen fern ab "vom Dreck der Welt", an der Mündung des St.-Lorenz-Stroms, wo es noch Natur gibt und die Menschen von Großstadtquerelen und den "Märkten der Eitelkeit" nichts ahnen, berichtet die Rezensentin. Vor diesem Hintergrund erzähle MacLeod vom Begehren, das er in der Landschaft spiegelt, in dem Bestreben, beides zur Einheit zu bringen, so Auffermann. Dass dies nicht zur "Naturromantik" und falschen Idylle gerate, sieht die Rezensentin in der "unromantischen Härte" der Einsichten des Autors ebenso begründet, wie in der Tatsache, dass er kein Kritiker der Moderne sei, der melancholisch einer besseren Vergangenheit nachtrauert. In MacLeods Buch, dass Brigitte Jakobeit "vorzüglich" ins Deutsche übertragen habe, spielt das Zeitgeschehen weder als Schreckgespenst noch überhaupt eine Rolle, "die Uhr übernimmt die Sonne, nur das Zählwerk, das den Tod bringt, gilt", schwärmt Auffermann.

© Perlentaucher Medien GmbH