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Der Mensch ist von Natur aus verrückt das ist ganz normal. Jamal weiß das nur zu gut. Täglich entlockt er seinen Patienten auf der Couch wilde Phantasien, Träume und Wünsche. Über das eigene Geheimnis spricht er nur selten, aber wenn er erzählt, klingt seine Geschichte unglaublich. Nur Ajita weiß, was er verschweigt und behält es dreißig Jahre lang für sich. Da sind Jamal, seine Familie und seine Freunde nicht mehr jung, aber auch nicht zu alt, um die erste Liebe wiederzubeleben, ihr Coming-out zu verkünden oder der Wahrheit ins Auge zu sehen. Sie alle wissen um die komische, zärtliche und…mehr

Produktbeschreibung
Der Mensch ist von Natur aus verrückt das ist ganz normal. Jamal weiß das nur zu gut. Täglich entlockt er seinen Patienten auf der Couch wilde Phantasien, Träume und Wünsche. Über das eigene Geheimnis spricht er nur selten, aber wenn er erzählt, klingt seine Geschichte unglaublich. Nur Ajita weiß, was er verschweigt und behält es dreißig Jahre lang für sich. Da sind Jamal, seine Familie und seine Freunde nicht mehr jung, aber auch nicht zu alt, um die erste Liebe wiederzubeleben, ihr Coming-out zu verkünden oder der Wahrheit ins Auge zu sehen. Sie alle wissen um die komische, zärtliche und manchmal traurige Aufgabe, ein Mensch zu sein und setzen alles aufs Spiel, damit es gelingt. Ein mitreißender Streifzug durch alle Facetten Londons mit seinen Menschen - traurig und sinnlich, spannend und komisch.
Autorenporträt
Hanif Kureishi, geb. 1954 als Sohn einer Engländerin und eines Pakistani in London, wurde mit seinem Drehbuch für Stephen Frears' Film 'Mein wunderbarer Waschsalon' 1985 international bekannt . 1998 schrieb er das Drehbuch zu Patrice Chéreaus Film 'Intimacy', der bei den Berliner Festspielen 2001 den Goldenen Bären gewann. Für sein Romandebüt erhielt er 1990 den Whitbread Prize. Hanif Kureishi ist Verfasser zahlreicher Drehbücher, Erzählbände und Romane.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 12.04.2008

Jetzt werden die Untertitel auch noch polnisch!
Ein Besuch bei Hanif Kureishi, dessen neuer Roman „Das sag ich dir” wieder einmal aus der Welt des multikulturellen London erzählt
Hanif Kureishi lächelt selten. Meist blickt er ziemlich distanziert unter seinen imposanten Brauen hervor. Aber als beim Gespräch im Büro seines Agenten in Notting Hill die Unterhaltung auf die jüngsten Empfehlungen von Lord Goldsmith kommt, huscht ein Grinsen über sein Gesicht. Goldsmith hat kürzlich vorgeschlagen, britische Kinder sollten morgens vor Schulbeginn einen „pledge of allegiance”, einen Treueeid auf die Queen ablegen. Das, glaubt der frühere Rechtsberater Tony Blairs, würde den nationalen Zusammenhalt Großbritanniens stärken. „Lachhaft!”, sagt Kureishi und schaut dann wieder ganz ernst. „Sobald man glaubt, so was vorschreiben zu müssen, ist schon alles zu spät, dann ist das Ideal einer einheitlichen britischen Identität bereits explodiert.”
Es ist das ewig wiederkehrende Thema in Hanif Kureishis Leben und Werk: Was heißt es, britisch zu sein? Was hält Großbritannien zusammen, und was seine Metropole London, diesen „Eintopf aus Fremden”? Wo verlaufen gesellschaftliche Bruchstellen? Diese Fragen haben ihn, den Sohn eines pakistanischen Vaters und einer englischen Mutter, von Kindheit an verfolgt. Seit seinen ersten Stücken für das Royal Court Theatre Anfang der achtziger Jahre hat er sich daran abgearbeitet. Selbst heute, da er ein Commander of the British Empire ist und mit einem respektierten Œuvre von Romanen, Drehbüchern und Essays zum literarischen Establishment zählt, kann man ihn leicht verstimmen mit Einordnungen seiner ethnischen oder gesellschaftlichen Zugehörigkeit, die er für unbedacht, wenn nicht gar rassistisch hält.
Erst kürzlich hat Kureishi sich wieder geärgert, in Deutschland, bei einer Interview-Tour zu seinem neuen Buch „Das sag ich dir” (Roman. Aus dem Englischen von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008. 512 Seiten, 19,90 Euro). Da fragten ihn alle Gesprächspartner, ob er sich denn mittlerweile in England „als Immigrant integriert” fühle. Kureishi wurde 1954 in Bromley in Südost-London geboren. Ja, er hatte in seiner Kindheit viel zu leiden unter seiner Abstammung, und er hat darüber Mitte der achtziger Jahre in seinem wütenden Essay „The Rainbow Sign” berichtet: Von Lehrern, die ihn mit konstanter Bosheit „Pakistani Pete” nannten; von Schulfreunden, die über Nacht zu Skinheads mutierten und auf „Pakis” Jagd machten; von Weißen, die sich weigerten, im Café mit ihm an einem Tisch zu sitzen. Aber Kureishi ist niemals „immigriert”. Er hat immer in seinem Geburtsland gelebt. Und dann diese Fragen der deutschen Interviewer nach Integration: „sehr charmant gestellt, und sehr verräterisch”, wie er sagt. „Auf dem Kontinent gibt es anscheinend immer noch homogene weiße Gesellschaften, die sich von Einwanderern bedroht fühlen.”
Die intensive Art des Glaubens
Die anfängliche Anspannung löst sich, als Kureishi auf Rainer Werner Fassbinders Film „Angst essen Seele auf” zu sprechen kommt, mit dem er sich gerade intensiv befasst. Da findet er alle Themen gebündelt, die ihn beschäftigen: „Entfremdung, Angst, Neid – auch Sexualneid – und Rassismus. Es geht um die europäische Identität, und darum, wie sehr sich alle von der Liebesbeziehung zwischen einem arabischen Mann und einer deutschen Frau bedroht fühlen.” Kureishi hat stets gerungen mit der Ambivalenz seiner Identität als „in-between”, als vermeintliches Bindeglied zwischen den Kulturen. Anders als beispielsweise in Salman Rushdies Romanen sucht man in Kureishis Werk vergeblich nach orientalisierenden Elementen. Während der junge Hanif von seiner Umwelt als Außenseiter angesehen wurde, banden ihn sein
Hineinwachsen in das britische Klassensystem und seine Prägung durch westliche Popkultur untrennbar an England. Von islamistischen Aufrufen zur Segregation fühlt er sich deshalb ebenfalls abgestoßen.
In seinen Romanen „Das Schwarze Album” und „My Son The Fanatic” hat er schon in den neunziger Jahren die Radikalisierung junger Muslime in Großbritannien aufgegriffen, „lange bevor das Thema irgendjemanden interessierte”, wie er betont. Die fanatische Hinwendung zur Religion ist ihm, dem säkularen Westler, völlig fremd: „Man fragt sich: Warum erregen sie sich so sehr an der Religion, warum bedeutet ihnen das, was Gott angeblich sagt, so viel? Wir haben einfach das Verständnis für diese Art intensiven Glaubens verloren.” Doch die Gründe dafür, die Ausgrenzung und als Erniedrigung erfahrene Opferrolle, in der sich viele Muslime sehen, kann er bestens nachvollziehen: „Wenn man ständig ausgeschlossen wird, möchte man irgendwann auch mal andere ausschließen.” Hinzu komme das Schuldgefühl, die Heimat der Vorfahren hinter sich gelassen zu haben: „Selbst die U-Bahnattentäter, die in England aufwuchsen, hatten diese Art Schuldgefühl des Überlebenden, ein schlechtes Gewissen, weil sie hier im Westen waren, während die Verwandten immer noch in ihrem Kaff in der dritten Welt leben mussten.”
Die Hoffnung, diese drohende Spaltung zu überwinden, eröffnete sich ihm, als er in den Siebzigern ins Zentrum Londons zog, wo er am King’s College Philosophie studierte: „Als ich aus der Vorstadt hierher kam”, erinnert er sich, „war das sehr befreiend für mich. Hier fühlte ich mich zu Hause, während ich dort ziemlich herausstach, obwohl ich nicht mal besonders dunkle Haut habe.” In der Metropole sei er plötzlich „Teil eines größeren Ganzen” gewesen. Kureishi beschreibt diese Stadt 1985 im Drehbuch zu Stephen Frears Film „Mein wunderbarer Waschsalon”, einem Schlüsselwerk des britischen Kinos der Thatcher-Jahre. Die Geschichte der homosexuellen Liebesbeziehung zwischen Omar, dem Spross einer pakistanischen Mittelstands-Familie, und Johnny, einem ehemaligen Skinhead, mit Witz und Verve erzählt, wurde zu einem Pop-Phänomen.
Der Preis des Erfolgs war, dass sich Kureishi harter Kritik seitens der indischen und pakistanischen Gemeinschaft ausgesetzt sah. Man warf ihm vor, Menschen vom indischen Subkontinent als einen Haufen von Drogendealern und Sodomiten darzustellen. Der Spross einer mixed race marriage sah sich einem massiven Repräsentationsdruck ausgesetzt. Er wurde als Sprecher einer Minderheit angesehen, der er sich weder uneingeschränkt zugehörig fühlte, noch als Sprachrohr dienen wollte. Bis heute weigert er sich, sein Werk „nützlichen Lügen und aufmunternden Fiktionen” zu unterwerfen.
Jamal, der Ich-Erzähler in Kureishis neuem Roman „Das sag ich dir”, verdient sein Geld gewissermaßen damit, solche Lügen und Fiktionen aufzudecken: Er ist Psychoanalytiker. Kurz vor der Midlifecrisis trifft er eine alte Jugendliebe, Ajita, wieder, die er nach einem traumatischen Erlebnis, das zum Tod eines Menschen führte, aus den Augen verloren hatte. In „Ich sag dir was” geht es weniger um die Probleme des Multikulturalismus als um das libertinistische Erbe der siebziger Jahre, das Kureishi in „Der Buddha aus der Vorstadt” noch gefeiert hatte – freilich mit starker ironischer Brechung. Der neue Roman ist bevölkert von jener Mischung aus britischen Asiaten und Weißen der Mittel- und Arbeiterschicht, die „Buddha” zu einem so lebendigen Bild Londons um 1990 machte. Doch ertastete sich die ältere Generation damals noch ihre hedonistischen Erfahrungen, sind diese hier zu einem normalen Bestandteil des Alltags geworden. Besonders die beiden buntesten Gestalten des Buchs, Jamals Schwester, eine tätowierte, bisexuelle alleinerziehende Mutter mit schamanischen Neigungen und sein Freund Henry, ein übergewichtiger alter Theaterregisseur, lassen sexuell nichts anbrennen.
Es wird bei der Lektüre nie ganz klar, ob Jamal den Hedonismus, den er beschreibt, gutheißt oder kritisiert. Wie steht Kureishi dazu? „Die Frage, die ich stelle, lautet: ‚Hat die sexuelle Revolution uns das gebracht, was wir wirklich wollen?‘”, sagt er. „In den Siebzigern dachten wir, eine befreite Sexualität würde zu einem besseren Leben führen. Das tut sie in mancher Hinsicht auch, aber Sexualität ist eben nicht alles, was Menschen brauchen. Sie kann zu einer Sucht, zu einem Ersatz für andere Formen menschlicher Interaktion, ja sogar zur Psychose werden.” Diese Art der Psychologisierung, die langen assoziativen Passagen voller Freud-Zitate in „Das sag ich dir”, wurde in den britischen Rezensionen gerügt. John Crace spricht in einer satirischen Zusammenfassung des Buches im Guardian von „einem Autor mittleren Alters, der sich an seine traurige Biographie klammert, seine Charaktere mit Grotesken verwechselt, und Drogen und Sex für Grenzüberschreitung hält.”
Es liegt tatsächlich nahe, autobiographische Motive aus Kureishis Werk herauszufiltern: So tauchen in seinem bisher erfolgreichsten Buch, dem pikaresken Bildungsroman „Der Buddha aus der Vorstadt”, wie auch in seinem neuen Werk eine weiße Mutter und ein pakistanischer Vater auf, zu dem der jeweilige Protagonist ein schwieriges Verhältnis hat. Auch die Drogenexperimente sowie das geradezu obsessive Verhältnis der Hauptcharaktere zu Sex und Musik wirken bekenntnishaft. Seine Familie hat sich seit „Mein wunderbarer Waschsalon” von Hanif mehr oder weniger literarisch denunziert gefühlt. Kureishis Schwester Yasmin zählte anlässlich der britischen Veröffentlichung von „Das sag ich dir” in einem galligen Independent-Artikel alle Ähnlichkeiten zwischen Mitgliedern ihrer Familie und Figuren in diversen Romanen und Drehbüchern ihres Bruders auf. Hanif Kureishi findet solche Vorwürfe haltlos: „Ich schreibe nicht autobiographischer als irgendjemand sonst”, meint er. „Woran soll man das messen? Das würde ja bedeuten, dass andere Autoren dazu in der Lage wären, nicht sie selbst zu sein, wenn sie schreiben. Wenn man etwas Persönliches über einen Autor weiß, kommt man dadurch auch nicht näher an sein Werk heran.”
Die Prägung seines Werkes durch die Stadt London bestreitet er allerdings keineswegs. „Das sag ich dir” konnte so nur in diesem „Stadtstaat” spielen. Ob Kureishi jemals dieses Schauplatzes müde werden wird? In seinem kategorischen „Nein” klingt so etwas wie Verwunderung mit, wie man solch eine Frage stellen kann: „London hat seinen Zauber für mich nie verloren, gerade weil es sich ständig verändert.” In den letzten sechs Monaten sei zum Beispiel sein Stadtteil Shepherd’s Bush „immer polnischer” geworden. Das Essen in den Supermärkten polnisch, die Untertitel im Kino polnisch. Er finde das großartig, sagt Kureishi: „Aber jetzt regen sich die Polen über die Rumänen und Bulgaren auf, die ihnen die Jobs wegnehmen. Es ist zum Totlachen.”ALEXANDER MENDEN
Ohne den bunten Eintopf Londons wären Hanif Kureishis Romane nicht denkbar. Foto: Sion Touhig/Corbis
Fragen Sie ihn besser nicht, ob er Immigrant ist: Hanif Kureishi Getty Images
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.04.2008

Vaterstolz, Hurenliebe und Bombenterror

Hanif Kureishi blickt in seinem neuen Roman "Das sag ich dir" zurück auf die Höhepunkte seines Lebens - und begutachtet dabei in Gestalt seines Protagonisten, eines Psychoanalytikers, eine Gegenwart, die nicht nur in London für Beunruhigung sorgt.

Von Tobias Döring

Man kennt dieses Gefühl von Klassentreffen. Wenn man nach zwanzig Jahren - oder sind es bald schon dreißig? - lauter Ehemalige und Verflossene wiedersieht, wenn man an ihren Halbglatzen und Schmerbäuchen das eigene Alter mitsamt den wenig schmeichelhaften körperlichen Zugaben bemerkt und wenn man doch zugleich in den Gesichtern so viel Bekanntes, fast noch jugendlich Vertrautes wiederfindet, dass unerwartet die Vergangenheit lebendig wird, überkommt einen entweder der Fluchtreflex oder die unbändige Lust, alles noch einmal so richtig auszukosten. Denn in der Distanz rücken die Jahre zugleich auf unwirkliche Weise näher, wie die Alpen bei Föhn: Verglühte Liebschaften lassen sich vielleicht neuerlich anfachen, verbotene Lüste jetzt gründlicher ausleben, offene Rechnungen begleichen und vor allem endlich Worte für all jene Gefühle und Geheimnisse finden, die uns in pubertären Zeiten überforderten. "Das sag ich dir": Schon der Titel von Hanif Kureishis neuem Roman kündigt an, dass Tacheles geredet werden kann.

Der Eröffnungsabsatz geht gleich aufs Ganze: "Meine Währung sind die Geheimnisse: Ich lebe davon, mit ihnen zu handeln. Die Geheimnisse des Begehrens und die Geheimnisse dessen, was die Menschen wirklich wollen und wovor sie sich am meisten fürchten. Die geheimen Gründe dafür, warum Liebe schwierig ist, Sex heikel, das Leben eine Qual und der Tod so nah und fern zugleich."

Noch Fragen? Mit diesen Worten stellt sich der Erzähler vor, ein Fiftysomething, der als Psychoanalytiker sein Brot verdient und seine Alimente zahlt, der also Abgründe im Leben anderer erforscht, vor denen im eigenen jedoch die Augen gern verschließt. Offensichtlich hat er seine wilden Jugendjahre gleich bis zur Midlife-Crisis ausgedehnt und sucht jetzt, da mit den alten Freundinnen und Freunden auch seine Liebesfähigkeit allmählich wegzusterben droht, nach einer letzten Chance zum neuen Leben. Beim Klassentreffen wäre er also der heikle Typ, der einem ungefragt und unaufhaltsam - und mit zunehmendem Alkoholgenuss schwerer erträglich - seine unvollendete Geschichte enttäuschter Hoffnungen erzählt.

Jamal Khan wuchs in den himmelstürmenden Jahren auf, als die Beatles noch gemeinsam spielten und die Indien-Seligkeit als radikal galt. Das Londoner Kind eines pakistanischen Einwanderers und einer englischen Mutter musste lange Jahre die Vorstadtödnis einer Reihenhausexistenz ertragen, bevor er endlich die vibrierende Metropole erobern und dort die wahre Leidenschaft entdecken konnte. Die Zugfahrten mit British Rail, durch zuverlässige Verspätungen verlängert, ließen sich für die Lektüre von Wittgenstein und Freud nutzen. So fand er bald sein Studienfach und an der Universität seine erste ungestüme Liebe, die ihn jedoch tödlich in Schuld verstrickt und abrupt endet. Drei Jahrzehnte liegt all das zurück. Viele weitere Liebschaften sowie eine Ehe hat er mittlerweile hinter sich. Da kehrt die unerledigte Vergangenheit zurück.

Kureishi-Lesern muss vieles davon wie ein Déjà-vu vorkommen, und tatsächlich spielt der Autor ganz gezielt mit der Erinnerung an seine frühen, unvergesslichen Figuren, denen er im neuen Roman Gastauftritte gibt. Beim Party-Wochenende im Landhaus eines reichen Freundes beispielsweise, wo sich die Geld- und Glitter-Schickeria zum Champagner-Exzess trifft, lernt Jamal einen alternden Schauspieler namens Karim Amir kennen, eben aus der Rehaklinik entlassen, sowie dessen Kumpel Charlie Hero, vormals Held der Popkultur. Außerdem treibt sich dort ein schwuler asiatischer Millionär herum, Omar Ali, der sich gerade einen Fußball-Club geleistet hat und für sein öffentliches Engagement nach Blairs Amtsantritt geadelt wurde; jetzt heißt er Lord Ali von Lewisham und will sich an die eigenen Anfänge kaum mehr erinnern, als er in Südlondon mit Skinheads anbändelte, einen alten Waschsalon auf Vordermann brachte und damit die Basis des erfolgreichen Geschäftsimperiums schuf.

So kommen Thatchers Erben in die Jahre, während dieser Autor, Jahrgang 1954, wohl nicht ganz ohne Wehmut die Triumphe noch einmal Revue passieren lässt, mit denen er einst debütierte: den großartigen Stephen-Frears-Film "Mein wunderbarer Waschsalon" von 1985, für den Kureishi das Oscar-nominierte Drehbuch schrieb, und seinen Welterfolgsroman "Der Buddha aus der Vorstadt" von 1990, der fast über Nacht das schräge, hippe multikulturelle London als gleichermaßen angesagtes wie umkämpftes Zukunftslabor etablierte. Wie müde Wiedergänger dieser Aufbruchszeit tauchen deren Zeitgenossen jetzt beiläufig im neuen Roman auf und machen so die Kluft nur umso deutlicher, die seine Gegenwart von ihnen trennt. Denn trotz äußerer Gemeinsamkeiten hat der frustrierte Analytiker Jamal nicht viel mehr als seine London-Liebe mit ihnen gemein. Zwischen Vaterstolz und Hurenliebe, Familiensehnsucht und gleich drei Expartnerinnen schwankend, stolpert er durch seine zweite Lebenshälfte und zeigt wenig von dem anarchisch respektlosen Witz, der Kureishis frühere Erzählfiguren auszeichnete.

Stringente Handlungsführung war noch nie Hanif Kureishis Sache, immer schon sind seine Plots locker gestrickt - so auch im neuen Roman, dessen episodischer Verlauf munter die Register wechselt und alle möglichen Konstellationen und Kopulationen durchspielt, ganz im Muster einer Weekly Soap. Im strikten Sinne mangelt es dem Autor auch an Phantasie, denn seine Stärke ist weniger Erfindungs- als Beobachtungsgabe, mit der er Situationen einfängt und Momentaufnahmen schafft, um die Stimmung denkwürdiger Augenblicke festzuhalten. Davon bietet auch "Das sag ich dir" wieder eine ganze Galerie, wenn es die bleierne Blair-Zeit jüngst vergangener Jahre mustert, als Bombenterror und Kriegsrhetorik das öffentliche Leben Londons lähmten. Oftmals sind es daher eher Randbemerkungen - über das Ambiente indischer Restaurants, über Caffe Latte, den es neuerdings in London gibt, über Musik und den aktuellen Sound der Zeit -, mit denen Jamals Welt für uns Interesse und Kontur gewinnt ("Bilder und Zeiten" vom 5. April).

Dagegen bleibt das Zentrum der Geschichte, der Erzähler, trotz aller starken Leidenschaften, die er professionell analysiert und persönlich sucht, merkwürdig fahl und ungerührt. Der dunkle Punkt seiner Vergangenheit, so viel darf hier verraten werden, klärt sich bereits auf Seite 188 als Schuld an einer gerechten Strafaktion, die unerwartet tödlich ausging. In den folgenden zwei Dritteln seiner Lebensbeichte aber spielt dieses Ereignis keine klare Rolle und gerät zunehmend in den Sog anderer Begehrlichkeiten und Betriebsamkeit. So bleibt er, der doch mit dem Geheimnis handelt, selbst ziemlich geheimnislos. Was Jamal uns zu sagen hat, wirkt wie der allzu ausgedehnte Monolog eines Zerstreuten, der die Welt bereisen, sich mit Berufsjugendlichen umgeben und durch Swinger-Clubs tingeln muss, um sich auf die eigenen Erinnerungen zu besinnen.

Am Schluss erklärt Jamal uns, dass er nunmehr in einem Alter sei, "nicht mehr jung" und "noch nicht alt", "in dem man sich die Frage stellt, wie man sein Leben führen will und wie man die Zeit und die Lust nutzen möchte, die einem noch bleiben". Auch das ist so die Sorte Sinnfrage, die man sich nach einem Klassentreffen stellt. Nach dem Wiedersehen mit Hanif Kureishi jedenfalls beschließen wir, dass wir die Zeit, die uns zum Lesen bleibt, gern auch für andere Autoren nutzen möchten. Trotzdem ist klar: Wenn dieser Autor das nächste Mal zur Neubegegnung einlädt, sind wir auf jeden Fall wieder dabei.

- Hanif Kureishi: "Das sag ich dir". Roman. Aus dem Englischen übersetzt von Henning Ahrens. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2008.

509 Seiten, geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Nicht unbedingt ein gutes Zeichen: Rezensent Tobias Döring holt weit aus und denkt über Klassentreffen und ihre Folgen nach, bevor er auf diesen Roman kommt, den er nicht ohne den Vergleich mit früheren Werken des Autors lesen will. Nun lädt Hanif Kureishi zu diesem Vergleich durchaus ein, indem er nicht nur die Milieus seiner wilden, frühen Jahre - als er etwa das Drehbuch zu Stephen Frears' Film "Mein wunderbarer Waschsalon" schrieb -, sondern einige seiner alten Figuren für Gastauftritte selbst aufruft. Dagegen stellt er jedoch seine Hauptfigur, den Psychoanalytiker Jamal Khan. Und die ist ein Problem, findet Tobias Döring. Dass Kureishi Plots nicht gut kann und auch eher durch genaue Beobachtungen als durch Fantasie überzeugt, nun gut. Seinen Erzähler-Helden aber kann man, auch wenn ihm ein "Geheimnis" aufgebürdet ist, schwerlich faszinierend finden, bedauert Döring. Er bereut es, wie er versichert, keineswegs, dieses Buch gelesen zu haben, zu den stärksten seines Verfassers zählt er es aber offensichtlich nicht.

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