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Das Hollywoodkino spielt vertraute Geschichten in immer neuen Abwandlungen durch - genau das ist seine Stärke. So variiert ein Film wie "Million Dollar Baby" virtuos die Muster des klassischen Erzählens und erweitert damit die filmsprachlichen Möglichkeiten. Anhand prominenter Beispiele untersucht Michaela Krützen, was die Filme des "etwas anderen Hollywood" so besonders macht und arbeitet die drei aktuellen Strategien heraus, mit denen die alten Geschichten neu aufgeladen werden: Das Kino der Gegenwart bietet unzuverlässige Erzählungen, nicht-chronologische Geschichten und mehrsträngige…mehr

Produktbeschreibung
Das Hollywoodkino spielt vertraute Geschichten in immer neuen Abwandlungen durch - genau das ist seine Stärke. So variiert ein Film wie "Million Dollar Baby" virtuos die Muster des klassischen Erzählens und erweitert damit die filmsprachlichen Möglichkeiten. Anhand prominenter Beispiele untersucht Michaela Krützen, was die Filme des "etwas anderen Hollywood" so besonders macht und arbeitet die drei aktuellen Strategien heraus, mit denen die alten Geschichten neu aufgeladen werden: Das Kino der Gegenwart bietet unzuverlässige Erzählungen, nicht-chronologische Geschichten und mehrsträngige Handlungen. Wer die lebendig geschriebenen Analysen von "The Usual Suspects", "Mulholland Dr.", "Pulp Fiction", "Memento", "Short Cuts", "Twelve Monkeys", "Traffic", "The Hours" oder "Adaption." gelesen hat, wird diese Filme noch einmal, nämlich mit anderen Augen sehen wollen.
Autorenporträt
Krützen, MichaelaMichaela Krützen, geboren 1964 in Aachen, ist seit 2001 Professorin für Kommunikations- und Medienwissenschaft an der Hochschule für Fernsehen und Film in München. Im Fischer Verlag sind zuletzt erschienen 'Dramaturgien des Films. Das etwas andere Hollywood' (2010), 'Väter, Engel, Kannibalen. Figuren des Hollywoodkinos' (2007), 'Was ist Pop?' (Hg., 2004) sowie 'Dramaturgien des Films. Wie Hollywood erzählt' (2003).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 17.05.2011

Wie Hollywood exzessiv rätselhaft wurde
Immer verworrener, immer komplexer: Michaela Krützen singt ein Loblied auf das Zeitalter der DVD und unzuverlässige Filmerzählungen
Wir stehen am Ende einer kurzen Ära. Diesen Eindruck erzeugt die Lektüre des jüngsten Buches der an der Münchner Hochschule für Fernsehen und Film lehrenden Medienwissenschaftlerin Michaela Krützen: „Dramaturgien des Films“. Es geht darin um „Das etwas andere Hollywood“, das in den 1990er Jahren mit Filmen wie „Short Cuts“, „Pulp Fiction“ oder „Fight Club“ begann, eine neue, komplexere Art von Geschichten zu erzählen. Auf mehr als 500 Seiten wird ein gutes Dutzend der schwierigen Plots zusammengefasst, entwirrt, gegliedert und analysiert. Das ist verdienstvoll, auch wenn es sich gelegentlich liest, als hätte man sich im Internetforum versehentlich auf eine Diskussion mit „BruceWillEs“ und „filmhengst1996“ eingelassen. Aber glücklicherweise verzichtet Krützen auf die im Netz stets fälligen Beleidigungen und kann stattdessen deutlich machen, dass weniger nicht mehr, sondern unterkomplex gewesen wäre.
Die wahre, nur angedeutete Geschichte ist aber eine ganz andere: Das Buch singt ein Loblied auf das Zeitalter der DVD. Die neue Komplexität im Film und das neue Speichermedium entstanden fast zur gleichen Zeit. Ende 1996 kamen in Japan die ersten DVD-Player auf den Markt, 2006 gab es sie in siebzig Prozent der deutschen Haushalte. So wurde ein Millionenpublikum in die Lage versetzt, Szenen ohne Qualitätseinbußen zwei-, drei- oder zehnmal anzusehen; dazu gab es Platz für Regiekommentare, neue Schnitte und alternative Enden.
Der Regisseur David Fincher versteckte in „Fight Club“ einzelne Bilder, die beim normalen Ansehen nicht bewusst wahrnehmbar waren, die also gezielt angesteuert werden mussten – „DVD moments“ nannte er das. Dank der DVD ließen sich Filme also endlich in verschiedenen Geschwindigkeiten, sowie immer wieder neu und anders lesen. Damit hatten zahlreiche Innovationen etwas Altes zurückgebracht: Es wurde möglich, mit Filmen umzugehen wie mit Büchern. Darum greift Krützen bei ihrer Analyse auf eine an literarischen Texten entwickelte Erzählforschung zurück.
Wenn der etwas schlichte „Forrest Gump“ berichtet, er müsse sich um Geld keine Sorgen mehr machen, ein Freund habe für ihn erfolgreich in „irgendwas mit Obst“ investiert, macht die Rückblende seine Naivität offensichtlich: Der Brief der „Obstfirma“ trägt das Logo des Technologie-Unternehmens Apple. Eine „unzuverlässige Erzählung“ nennt Krützen das, und nutzt damit einen aus der Literaturwissenschaft stammenden Begriff. Auf die Spitze treiben dieses Stilmittel die oft charmant als „Mindfuck“ bezeichneten Filme wie „The Sixth Sense“, „The Usual Suspects“ oder „Fight Club“. Hier offenbart sich die Unzuverlässigkeit der Erzählung erst ganz zum Schluss: Ein „last act twist“ zwingt die Zuschauer, alles noch einmal anzusehen und anders zu interpretieren – und sei es nur im Kopf.
Zu einer solchen Neuordnung fordern auch nicht chronologisch erzählte Geschichten wie „Pulp Fiction“, „Memento“ oder „Twelve Monkeys“ heraus; oder die Fülle von Handlungssträngen, die man aus „Short Cuts“, „Traffic“ und „The Hours“ kennt. Der Filmwissenschaftler Thomas Elsaesser fasst die gesamte Entwicklung perfekt zusammen: Die Erzählungen aus Hollywood, die früher „exzessiv offensichtlich“ waren, durften „exzessiv rätselhaft“ werden.
Inzwischen wirkt ein „Mindfuck“-Film wie der 2010 in die Kinos gebrachte „Inception“ von Christopher Nolan seltsam altmodisch. Dass über diese Art des Erzählens die Dämmerung hereingebrochen ist, dafür ist das besprochene Buch selbst ein Indiz. Denn entwirren und verstehen kann man das Neue immer nur, wenn seine überwältigende Präsenz nachgelassen hat. Und tatsächlich sinkt heute auch der Stern der DVD, die mit der Zeit von Blu-ray-Discs und immer schnelleren und besseren Downloads abgelöst wird.
Interessant ist allerdings, dass diese Episode der Mediengeschichte gerade nicht krude deterministisch erscheint. Es gab nicht zuerst die DVD und ihre technischen Features, was dann quasi automatisch eine neue Art des Erzählens ausgelöst hat. Auch das Internet reicht als Erklärung nicht aus – auch wenn es einen Meinungsmarkt geschaffen hat, auf dem sich Filmdeutungen gut austauschen lassen. Eher war es andersherum: Ein Film wie „Short Cuts“ von Robert Altman wurde bereits 1993 weltweit mit Begeisterung aufgenommen. So wirkt es, als habe es erst eine Evolution des Erzählens sowie eine entsprechende Nachfrage gegeben – und erst dann die Medien, um diese Nachfrage angemessen zu befriedigen.
Jedenfalls gab es in Hollywood eine Phase der Verdichtung, in der immer mehr, immer verworrenere und stärker verschlungene Handlungen in 90 oder 120 Minuten erzählt wurden. Und dann gab es einen Knall, und es entstanden neue, komplexe, 40 bis 80 Stunden lange Fernsehserien: „The Sopranos“, „The Wire“ etc. Aber das ist eine andere Geschichte. JAN FÜCHTJOHANN
MICHAELA KRÜTZEN: Dramaturgien des Films. Das etwas andere Hollywood. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2010. 624 Seiten, 24,95 Euro.
Am Ende ist der Zuschauer
gezwungen, alles noch einmal
anzusehen – wenigstens im Kopf
Entwirren kann man das Neue
erst, wenn seine überwältigende
Präsenz nachgelassen hat
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Michaela Krützens Buch über Filmdramaturgien der 1990er Jahre hat Jan Füchtjohann als Hymne auf die zu der Zeit entwickelte neue Technik der DVD gelesen. Wenn die akribischen Filmanalysen der Medienwissenschaftlerin auch mitunter wirken wie direkt einem Forum von Kino-Enthusiasten entnommen, so findet der Rezensent die Ergebnisse, zu denen die Autorin kommt, in sich schlüssig und interessant. Nach Krützen lässt sich die neue Komplexität der 90er-Jahre-Filme wie "Pulp Fiction" oder Twelve Monkeys" nur ganz erschließen, wenn einem die technischen Möglichkeiten der DVD zur Verfügung stehen, man Teile der Filme im Rückblick neu interpretieren, alternative Enden oder Zusatzmaterial wie Regieanweisungen hinzufügen kann. Wie die Autorin überzeugend darlegt, wird in den Dramaturgien der Filme der 90er Jahre eine "unzuverlässige Erzählung" entwickelt, die sich von der Eindeutigkeit früherer Hollywood-Filme absetzt und einer geradezu "exzessiven" Verrätselung Platz macht, so der Rezensent gefesselt.

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