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Der Historiker Fritz Klein hat ein konsequentes und doch ganz verschiedene Leben gelebt: Eine Kindheit im Berlin der Weimarer Republik, eine Jugend im Dritten Reich, die Kriegsteilnahme als Soldat, und dann, als bewußte Entscheidung, das Erwachsenenleben in der DDR. Geboren als Sohn eines bedeutenden nationalkonservativen Journalisten, als Waise aufgewachsen in der Familie eines sozialdemokratischen Pädagogen, wurde er 1945 Kommunist. Schon allein aufgrund dieser Familiengeschichte ist sein Buch ein Zeitdokument ersten Ranges. Fritz Kleins in wunderbar klarer Prosa geschriebenes Buch erzählt…mehr

Produktbeschreibung
Der Historiker Fritz Klein hat ein konsequentes und doch ganz verschiedene Leben gelebt: Eine Kindheit im Berlin der Weimarer Republik, eine Jugend im Dritten Reich, die Kriegsteilnahme als Soldat, und dann, als bewußte Entscheidung, das Erwachsenenleben in der DDR. Geboren als Sohn eines bedeutenden nationalkonservativen Journalisten, als Waise aufgewachsen in der Familie eines sozialdemokratischen Pädagogen, wurde er 1945 Kommunist. Schon allein aufgrund dieser Familiengeschichte ist sein Buch ein Zeitdokument ersten Ranges. Fritz Kleins in wunderbar klarer Prosa geschriebenes Buch erzählt eine deutsche Biographie im "Jahrhundert der Extreme". Der marxistische Historiker Fritz Klein war loyaler Staatsbürger und SED-Mitglied - und dabei stets ein integrer, selbstbewußter, im Habitus durch und durch bürgerlicher Zeitgenosse, der sich meist souverän über die kleinkarierte Engstirnigkeit der Apparatschiks hinwegsetzte. Er berichtet anschaulich über teils beklemmende, teils grotesk-komi sche Züge der realsozialistischen Wirklichkeit, über die Maßregelungen, denen er wegen seines Beharrens auf freies Denken ausgesetzt war, aber mit großer Offenheit auch über sein Versagen in Situationen, die Zivilcourage erfordert hätten. Fritz Klein hat die DDR von Anfang an entschieden bejaht und "von innen" mitgestaltet. Damit hat er anderes zu erzählen und mehr zu erklären als die Oppositionellen. Trotzdem hat er sich einen Blick "von außen" auf sein eingemauertes Heimatland bewahrt. Dadurch war er einer der wenigen auch im Westen geachteten Vertreter seiner Zunft. In seiner Lebensbeschreibung gelingt ihm das Kunststück, seine früheren Denkweisen - beispielsweise zum 17. Juni 1953, zum Mauerbau 1961 und zum Einmarsch der Truppen des Warschauer Pakts in Prag 1968 - so schonungslos wie möglich zu rekonstruieren. Gleichzeitig betrachtet er sein damaliges Verhalten selbstkritisch aus heutiger Sicht.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 14.08.2000

Für die Stasi auf Reisen
Der renommierte DDR-Historiker Fritz Klein erzählt sein Leben und lässt manches aus
FRITZ KLEIN: Drinnen und draußen, ein Historiker in der DDR, Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 376 Seiten, 39. 80 Mark.
Als man ihn im Herbst 1989 fragen wollte, ob er nicht seinen guten Namen für das „Neue Forum” hergeben wolle, war er nicht da. Fritz Klein, Historiker im Ruhestand, machte Urlaub auf Korsika. Was heute unspektakulär klingt, war es vor elf Jahren nicht im geringsten. Die Mauer stand, und man konnte die DDR gen Westen leidlich gefahrlos nur via Osten verlassen - dann aber für immer. Tausende kehrten in diesem Sommer der DDR den Rücken. Pensionäre durften zwar reisen, 30 Tage im Jahr, aber den meisten fehlte das nötige Kleingeld.
Fritz Klein war also auf Korsika. Diese Anekdote, erzählt von Kleins einstigem Mitarbeiter, dem Historiker Stefan Wolle, sagt zweierlei: Fritz Klein war offenbar der Einzige unter den prominenten ostdeutschen Historikern, den man für das Neue Forum überhaupt gewinnen wollte. Sein ehemaliger Chef am „Zentralinstitut für Geschichte der Akademie der Wissenschaften” sei eine „positive Ausnahme” gewesen, betont Wolle auch jetzt. Zu seiner Pensionierung im Juli 1989 hatte Klein im Institut eine Rede gehalten, die für damalige Verhältnisse beachtlich war. „Was wir brauchen, ist Ehrlichkeit, Offenheit und gewissenhafte Prüfung der eigenen moralischen Integrität. Nur so gewinnen wir Glaubwürdigkeit und Überzeugungskraft. ”
Weit weg vom Durchschnitt
Klingt heute harmlos, sagt Wolle, war damals aber ein „Lufthauch in Zeiten bedrückender Windstille. ” Zum anderen lebte Fritz Klein auch in der DDR ein Leben, dass sich vom Durchschnitt abhob. In der DDR musste man keine Reichtümer besitzen, um als privilegiert zu gelten, ein Reisepass genügte. Professor Fritz Klein war durch seine Veröffentlichungen über den Ersten Weltkrieg über die Grenzen bekannt. Von der SED wurde ihr Mitglied Klein zwar oft misstrauisch beäugt und auch gemaßregelt – man ließ es aber trotzdem in den Westen fahren. Der weltläufige und sprachgewandte Mann kam im Ausland einfach besser an als irgendein bornierter Funktionär.
Dieses „Drinnen und Draussen” beschreibt Fritz Klein in seinem Buch. Fritz Klein wird 1924 in Berlin geboren. Sein Vater, ein Konservativer aus Siebenbürgen, wird Chefredakteur der konservativen „Deutschen Allgemeinen Zeitung”. Die vier Söhne der Kleins wachsen in Wohlstand auf. Durch den frühen Tod der Eltern kommen Klein und ein Bruder zu Pflegeeltern, in die Familie des Sozialdemokraten Heinrich Deiters nach Zehlendorf, und damit in eine politisch andere Umgebung. Der Lehrer Deiters macht aus seinen Ansichten über die Nazis keinen Hehl und wird alsbald aus dem Schuldienst entfernt.
Obwohl nicht gerade begeistert, meldet sich der achtzehnjährige Fritz Klein nach dem Abitur freiwillig an die Front. „Weder Abenteuerlust noch gar irgendeine Art von Begeisterung für Hitlers Krieg bewogen mich zu diesem Schritt, sondern die realistische Überlegung, wie das Unausweichliche etwas weniger unangenehm gestaltet werden könne. ” Bis zum Kriegsende macht er mit, gehört zu einer Einheit, die bis vor die tschetschenische Stadt Grosny vordringt. Noch 1945 wird Klein Mitglied der KPD und beginnt ein Jahr später an der Humboldt-Universität in Berlin zu studieren.
Klein schildert die Hoffnung und den Aufbruch, aber auch die bald einsetzende politische Eiszeit in der sowjetischen Besatzungszone. Als mutig wird ein Jura-Student beschrieben, der sich den Denkverboten durch Hardliner wie Erich Honecker in der SED widersetzt: Friedrich Wolff. 1957 ist er der Anwalt Walter Jankas; Jahrzehnte verteidigt er seinen einstigen Gegenspieler Honecker vor einem bundesdeutschen Gericht. Durch seine Bekanntschaft mit Wolfgang Harich und Walter Janka gerät Klein in einen Kreis kritischer Intellektueller, der von der SED ”äußerst misstrauisch” beäugt wird. 1957 hängt man ihm deshalb ein Parteiverfahren an, er wird als Chefredakteur der „Zeitschrift für Geschichtswissenschaft” abgelöst. Wolfgang Harich wird unterstellt, er habe ein Programm zur Wiedervereinigung Deutschlands ausgearbeitet. Wie Walter Janka, dem Leiter des Aufbau-Verlages, wird er wegen „Bildung einer konspirativen staatsfeindlichen Gruppe” zu zehn Jahren Gefängnis verurteilt. Fritz Klein beginnt einige Zeit später in der Akademie der Wissenschaften zu arbeiten. Seine Berufung zum Professor wird um 1968 herum lange hinausgezögert.
Als die Staatssicherheit ihn das erste Mal um Mithilfe bittet, lehnt er deren Ansinnen nach eigener Erinnerung ab. Zunächst jedenfalls. In den siebziger Jahren jedoch willigt er ein, über Gesprächspartner im Ausland und Diplomaten in der DDR zu berichten. Wenn er darüber schreibt, klingt das, als habe Klein diese Spitzelei lediglich als Preis seiner Reisefreiheit gesehen; nicht weiter von Bedeutung. „Reiseberichte” seien das gewesen. Ob seine Gesprächspartner ahnten, dass dieser kultivierte Mann als „IM Wilhelm” für die Stasi über sie schrieb?
Sie hätten es wissen müssen, verteidigt sich Klein. Seine einstigen Mitarbeiter aus der Akademie haben gerade diese Passagen genau gelesen. Dass der von ihnen geschätzte Professor einiges von dem verschweigt, was nicht zu seiner großbürgerlichen guten Kinderstube passte, hat sie enttäuscht. Dass er auch über Klaus Bölling berichtet hat, den Freund aus der Zehlendorfer Zeit und einige Jahre Ständiger Vertreter der BRD in der DDR: Fehlanzeige. Historiker Stefan Wolle fand auch diese Berichte in der Hinterlassenschaft des MfS.
Leerstellen füllen
Mag sein, dass gerade mancher im Westen es für kleingeistig hält, bei einem großen Wissenschaftler auf diese wenigen Leerstellen in seinem Lebensbericht zu verweisen. Immerhin hat Klein ja öffentlich, und nicht erst in diesem Buch, berichtet, für die Staatssicherheit geschrieben zu haben. Und doch: Vielleicht liegt es am Ton, in dem das ganze Buch geschrieben ist: Es ist der Ton eines Nestors, mit dem er nachsichtig und milde auf die Jungen Wilden blickt. In diesem Ton hatte Klein auch seine jungen Mitarbeiter Stefan Wolle und Armin Mitter beschrieben, als die 1990 einen Aufruf ans „schwarze Brett” des Institut hängten: „In ätzender Schärfe geißelten sie die Situation auf dem Gebiet der Geisteswissenschaften, in denen jahrzehntelang ein ungenießbarer Brei aus Lüge und Halbwahrheit jede freie geistige Regung erstickt habe. ” Zwar sei ihr Aufruf voller „vorsätzlicher Übertreibung und verletzender Schärfe”, trotzdem solle man „sich aber dadurch nicht abhalten lassen, solche Wort ernst zu nehmen”, urteilt der Professor milde. Letztlich akzeptiert auch Klein, dass es genau dieser „ätzenden Schärfe” gelungen war, Betonköpfe und Betonmauern zu zerbröseln.
Klein hatte die Grenze schon Jahre früher überschritten. Nun konnten das alle. Am Ende räumt der Mann, der sich als „systemtreuer Reformer” bezeichnet, ein: „Diese Wende hatte ich nicht gewollt. Nachdem die eigene Seite sich aber unfähig gezeigt hatte, ihre grundlegenden Mängel aus eigener Kraft zu überwinden, war ich bereit, sie als einen unbezweifelbaren Fortschritt zu akzeptieren. ”
LIANE VON BILLERBECK
Die Rezensentin, die in der DDR aufgewachsen ist, lebt als freie Journalistin in Berlin.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 27.04.2000

Die Faust in der Tasche, den Faust im Kopf und doch mit dem Teufel paktiert
Über Leben in zwei Diktaturen: Fritz Klein und Karl-Heinz Gerstner erinnern sich teils auf gleiche Weise, teils unterschiedlich

Fritz Klein: Drinnen und Draußen. Ein Historiker in der DDR. Erinnerungen. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2000. 376 Seiten, 39,80 Mark.

Karl-Heinz Gerstner: Sachlich, kritisch, optimistisch. Eine sonntägliche Lebensbetrachtung. edition ost, Berlin 1999. 448 Seiten, 39,80 Mark.

Fritz Klein und Karl-Heinz Gerstner waren zu DDR-Zeiten Stützen des Regimes und renommierte Persönlichkeiten des sozialistischen Lebens. Klein, leitender Historiker in der Akademie der Wissenschaften, galt als Koryphäe der Geschichtsschreibung über den wilhelminischen Imperialismus; Gerstner, bis 1989 als Chefreporter der "Berliner Zeitung" und Moderator der pseudokritischen Fernsehsendung "Prisma" tätig, zählte zur Crème des DDR-Journalismus.

Die Autobiographien dieser Autoren weisen bei aller Verschiedenheit in Charakter und Temperament bemerkenswerte Parallelen auf. Beide entstammen bürgerlichen Familien. Beide wuchsen im Berlin der Zwischenkriegszeit auf. Gerstner Jahrgang 1912, Klein Jahrgang 1924. Beide waren bündisch orientiert. Gerstner diente dem Dritten Reich als Diplomat im Westen, Klein als Soldat im Osten. Beide waren, wie sie hervorheben, keine Anhänger der NS-Diktatur. Beide beteiligten sich nach 1945 aus Überzeugung am Aufbau des Sozialismus in Ostdeutschland, lehnten aber die stalinistische Diktatur und den Dogmatismus der SED-Führung ab. Glaubt man ihren Autobiographien, so ertrugen sie den realen DDR-Sozialismus häufig nur mit der Faust in der Tasche. Trotz Goethes Faust im Kopf reichten beide irgendwann dem Staatssicherheitsdienst die Hand zum geheimen Pakt. Klein empfing noch im August 1989 seinen Führungsoffizier zur Informationsübergabe.

Dem Führer des Dritten Reiches dient der junge Fritz Klein im Russlandfeldzug als Funkmelder. "Ich hatte den Krieg nicht gewollt oder begrüßt, glaubte nicht an einen deutschen Sieg und wünschte ihn auch nicht. (. . .) Ich tat meinen Dienst und funktionierte wie Millionen andere." Zur Desertion fehlten ihm, wie er schreibt, der Mut und die innere Bereitschaft. Im Herbst 1943 erfuhr er auf einer Rückreise vom Heimaturlaub Genaueres über die Judenvernichtung. Als der Zug durch Polen fuhr, begann ein Soldat im voll besetzten Abteil, darüber zu sprechen. In dieser Nacht sei ihm klar geworden, dass hinter der Front "ein Volk von Deutschen umgebracht" wurde.

Als er sich 1945 in das zerstörte Berlin durchschlug, musste Klein erfahren, dass die Rache der Sieger auch den Kreis seiner Liebsten getroffen hatte. Zwei junge Frauen aus seiner Familie waren nach dem Einmarsch der sowjetischen Truppen mit vorgehaltener Waffe vergewaltigt worden. In der DDR wäre eine Schilderung dieser Geschehnisse nie gedruckt worden. Klein verschweigt sie heute selbst da nicht, wo sie ihn zutiefst geschmerzt haben. Um so irritierender ist es, dass er den Einmarsch der Roten Armee euphemistisch als Befreiung bezeichnet. Er selbst begründet diese Übernahme der Opferperspektive mit seiner "Scham über das Unheil, das Deutsche über andere Völker gebracht hatten", sowie der "Bereitschaft, daraus erwachsene Ansprüche der Sieger anzuerkennen".

So in Übereinstimmung gebracht mit der neuen Lage begann er 1945 seinen "neuen Weg". Der führte ihn bereits 1946 in die Kommunistische Partei, deren Mitglieder "am radikalsten widerstanden hatten, am schärfsten verfolgt worden waren und nun am geschlossensten die neue Linie vertraten". Im Herbst 1946 nahm Klein an der wieder eröffneten Berliner Universität sein Geschichtsstudium auf. Er blieb dem neuen kommunistischen Weltbild treu, als sich viele seiner Kommilitonen enttäuscht von der Sache abwandten, "deren undemokratische, autoritäre, ja diktatorische Züge sie für unaufhebbar hielten". Einer von denen, die damals an die Freie Universität nach West-Berlin wechselten, war Klaus Bölling, mit dem sich Klein schon 1945 im antifaschistischen Jugendausschuss Zehlendorf angefreundet hatte.

Hornhaut auf der Seele

Als Klaus Bölling 1981 in offizieller Mission als diplomatischer Vertreter der Bundesrepublik nach Ost-Berlin kam, nahm er alsbald Kontakt zu seinem Jugendfreund auf und lud ihn zum Abendessen ein. Klein, zu dieser Zeit inoffiziell unter dem sinnigen Decknamen "Wilhelm" Mitarbeiter des Staatssicherheitsdienstes, gab seinem Führungsoffizier weiter, was Bölling ihm unter vier Augen anvertraute. In seinen Erinnerungen erwähnt Klein diese Berichterstattung über Bölling nicht. Er spielt seine Tätigkeit für die Stasi als einen ständigen Kontakt herunter, der zur Abwehr "von Annäherungsversuchen der CIA" gedacht war: "Ich informierte einen Verbindungsmann mündlich über Begegnungen mit Amerikanern, wobei man vor allem wissen wollte, welche Fragen mir im Laufe des jeweiligen Gesprächs gestellt worden seien." Verdienstmedaillen der Nationalen Volksarmee, die ihm der Staatssicherheitsdienst zum 60. und 65. Geburtstag verlieh, werden als DDR-typische "Auszeichnungsmanie" verbucht, der keine Bedeutung beizumessen sei. Ausflüchte dieser Art lassen ahnen, welche Hornhaut die Doppelidentität als Historiker und Spitzel auf der Selee des Autors hinterlassen hat.

Als akademischer "Reisekader" durfte Fritz Klein die Vereinigten Staaten besuchen. Er schwärmt in seinen Erinnerungen regelrecht von der Gastfreundschaft jenseits des Atlantiks, von der "Offenheit der Menschen" und der elementaren "Verwurzelung des Demokratiegedankens in der Gesellschaft". Als "Zeichen der Toleranz in der allgemein eher konservativen Hochschule" bewertet er, dass die jungen Amerikaner, die an seinem Privatissimum über marxistische Geschichtstheorie teilnahmen, ihn am Ende des Semesters um einen Schein mit Benotung baten.

Seine Mitwirkung an einer Zwangsgemeinschaft, die alles andere betrieb als "eine Verwurzelung des Demokratiegedankens", steht dazu in ebenso hartem wie erklärungsbedürftigem Kontrast. Klein hielt den Mauerbau für unausweichlich, da so 1961 das drohende Ende "eines für mich nach wie vor legitimen Gesellschaftsversuchs" verhindert wurde. Am Ende seines "Lebensberichtes" aber muss er als politischer Historiker konstatieren: "Was Lenin vor achtzig Jahren begann ist gescheitert, und zwar im wesentlichen an sich selbst." Statt einer Gesellschaft der Freien und Gleichen sei als Ergebnis der Oktoberrevolution "eine Gesellschaft der Reglementierung und des Zwanges" entstanden, die 1989 zu Recht untergegangen sei.

So bewahrt der Autor schließlich doch - von manch akademisch-institutioneller Überdehnung und selbstlegitimatorischer Untertreibung einmal abgesehen - die Spannung zwischen professioneller Distanz und zeitgenössischer Nähe. Das stellt die Authentizität des biographischen Zugangs gleichrangig neben die tiefere Erklärungskraft historisch gesicherter Erkenntnisse über Irrungen und Wirrungen des zwanzigsten Jahrhunderts. Am Ende seiner Geschichte ist alle historische Teleologie aufgebraucht, der kritische Mitläufer steigt atemlos aus seinem Laufrad. Zum zweiten Mal steht er ernüchtert vor den Trümmern eines totalitären Weltentwurfs und der Frage, warum er das alles mitgemacht hat. Seine professionelle Antwort lautet: "Historiker sollten wissen um die Macht und Kraft der Vergangenheit, ihre Dauerlastigkeit."

Ganz anders als Klein und unberührt von jeder Nachdenklichkeit geht Karl-Heinz Gerstner in seiner "Lebensbetrachtung" zu Werke. Nach dem Motto "Hoppla jetzt komm' ich" erzählt er, wie er Tausendsassa immer auf der richtigen Seite stand. Erst als Roter Student, der 1933 der NSDAP beitrat, um sie von innen zu bekämpfen. Dann als NS-Diplomat in Paris, der die Résistance unterstützte. Nach 1945 als Reformsozialist, der im besseren Deutschland, immer gewusst hat, was falsch lief, 1968 mit dem Prager Frühling sympathisierte und selbstverständlich von Anfang an mit Gorbatschow.

Wir Ostdeutschen

Gerstner wäre nicht Gerstner, wenn er nicht auch heute genau wüsste, was falsch läuft und wo es langgeht. Über den Bundestag befindet er: "Bei aller Arroganz, mit der uns gönnerhaft Demokratie gepredigt wird, wird offenbar nicht gemerkt, dass man sich mit einer entwerteten Institution brüstet." Dabei beansprucht er selbstredend, für "die Ostdeutschen" zu sprechen: "Was uns da geboten wird, reicht nicht zur Befriedigung der lang angestauten Bedürfnisse. Viele wollen mehr. Wenn von uns Ostdeutschen verlangt wird, dass wir uns zur Demokratie bekennen und dieses Bekenntnis unter Beweis stellen, so fordern wir eine Demokratisierung der Demokratie. Wir berufen uns auf das Grundgesetz und schreiben demokratische Ideale auf unsere Fahnen." So und klotziger lesen sich auch die anderen Bekenntnisse in seinen aufdringlichen Erinnerungen.

Zurückhaltend äußert sich Gerstner nur über seiner Rolle als Inoffizieller Mitarbeiter. Unter den Decknamen "Hans Peters" und "Ritter" hat er viele Jahre für den DDR-Staatssicherheitsdienst gearbeitet. Auf Bitte des zuständigen Politbüromitgliedes Hermann Axen will er lediglich etwas "social life" mit den ausländischen Diplomaten betrieben und "um des lieben Friedens Willen" auf Axens Wunsch auch die Stasi "über Dinge, die für die Außenpolitik der DDR relevant sein könnten", unterrichtet haben. Seine als IM "Ritter" zwischen 1975 und 1985 gelieferten Spitzelberichte füllen rund 2000 Seiten. Unterlagen über seine vorherige und spätere Geheimdienstarbeit wurden 1989 vernichtet.

Das im Archiv der Gauck-Behörde aufbewahrte Schriftgut belegt indes einen anderen inoffiziellen Werdegang, als ihn Gerstners "sonntägliche Lebensbetrachtungen" nahe legten. Demnach wurde er 1946 aus dem Internierungslager entlassen und "von sowjetischen Freunden angeworben, um ehemalige NSDAP-Mitglieder aufzuklären und Informationen zu sammeln". Den KGB interessierten weiterhin Gerstners Auskünfte über französischen Trotzkisten und frühere Mitarbeiter des Auswärtigen Amtes. Vom KGB ausgemustert, weil für unzuverlässig befunden, nahmen ihn irgendwann die Armeeaufklärung des Ministeriums für Nationale Verteidigung der DDR und danach die Hauptverwaltung Aufklärung unter ihre Fittiche.

Als nach dem UN-Beitritt der DDR eine diplomatische Vertretung nach der anderen in Ost-Berlin akkreditiert wurde, übergab die Stasi-Aufklärung den rührigen Journalisten in die Obhut der Abwehrabteilung. Diese Überleitung erfolgte im November 1975 in Gerstners Wohnung, wo ihm seine künftigen Führungsoffiziere vorgestellt wurden. Sein Auftrag lautet fortan, insbesondere mit den Diplomaten derjenigen Staaten Kontakte aufzunehmen, "die auf Grund ihrer politischen Aktivitäten gegen die DDR von Bedeutung sind". Namentlich wurden ihm als Zielobjekte die Vertretungen der "BRD, USA, England, Frankreich, vor allem eben Nato-Staaten", zugewiesen. Die Staatssicherheit sorgte dafür, "dass er an Empfängen in Vertretungen teilnehmen und auch entsprechende Kontakte zu Diplomaten vertiefen" konnte.

In seinen Erinnerungen behauptet Gerstner nun, dass er "nicht das Gefühl hatte, etwas Unredliches tun zu sollen. Ich wusste sehr wohl zu unterscheiden, was vertraulich und privat war und niemanden etwas anging - und was die diplomatische ,Message' war." In seinen Berichten an die Stasi-Abwehr gab Gerstner aber nicht nur weiter, was Günter Gaus, Egon Bahr, Otto Bräutigam und andere Diplomaten ihm auf Empfängen der Ständigen Vertretung sagten. Wenn Gaus 1976 ihm gegenüber wegen der Flut von Ausreiseanträge "die politische Lage der DDR als nicht sehr stabil" einschätzte oder der indische Botschafter für die Aufnahme indischer Fachkräfte warb und forderte, "die Einwanderungspolitik müsse großzügiger gestaltet werden", so mochte das als "diplomatische Message" betrachtet werden. Nicht aber Gerstners fortwährende Mitteilungen über DDR-Bürger, die ohne offizielle Erlaubnis an Empfängen der westlichen Botschaften teilnahmen, oder die Auskundschaftung von Kontaktpersonen Wolf Biermanns, die Übergabe eines regimekritischen Textes von Wolfgang Harich oder die Information darüber, wer sich nach einem Empfang in der amerikanischen Residenz privat bei Manfred Krug einfand und was dort gesprochen wurde. An solche Berichte an den Staatssicherheitsdienst erinnert der Autor in seiner trotzig-protzigen Selbstbespiegelung nicht. Was als "sachlich, kritisch, optimistisch" deklariert wird, ist tatsächlich nur seicht, kitschig, opportunistisch und verlogen, zutiefst verlogen.

JOCHEN STAADT

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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Der Ton des Buchs stört Liane von Billerbeck: herablassend, scheinbar weise, milde lächelnd, so imaginiert sich die Rezensentin den renommierten DDR-Historiker Fritz Klein beim Schreiben seiner Autobiografie. Er hatte es längst öffentlich zugegeben, als "IM Wilhelm" für die Stasi gearbeitet zu haben, es geht also mehr darum wie er es sagt, als was er sagt: als "kleine Reiseberichte" tut Klein laut Billerbeck ab, was er bei Kollegen und ausländischen Diplomaten hörte. Immerhin war Klein kein getreuer Parteisoldat, gehörte ins Umfeld von Harich und Janka und wurde als einziger Professor vom Zentralinstitut für Geschichte von den Mitgliedern des neuen Forum als würdig oder empfänglich erkoren, ihren Aufruf 1989 mit zu unterzeichnen. Jedoch: der Mann war schlicht nicht da, wie Billerbeck berichtet, sondern auf Reisen. Das macht sich für einen Historiker nicht gut, eine Revolution zu verpassen.

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