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Alles beginnt damit, dass einer seine Schulden eintreiben will. Doch wer glaubt schon, man könne heute Schulden eintreiben, ohne an Liebe und Lust zu denken? Der Gerichtsvollzieher will nur sein Geld, aber er bekommt Gefühle. Er will vollstrecken, doch er setzt eine Geschichte in Gang. Wenn einer schon pfänden will, jagen sich die Schuldner, dann soll er doch alle Last von ihren Schultern nehmen. Der alternde Chef gesteht an seinem Geburtstag, dass er auf viel zu junge Mädchen steht. Und Elisabeth bekennt, dass sie sich ein blutjunges Gesicht machen lässt, um wenigstens das Opfer eines Betrugs…mehr

Produktbeschreibung
Alles beginnt damit, dass einer seine Schulden eintreiben will. Doch wer glaubt schon, man könne heute Schulden eintreiben, ohne an Liebe und Lust zu denken? Der Gerichtsvollzieher will nur sein Geld, aber er bekommt Gefühle. Er will vollstrecken, doch er setzt eine Geschichte in Gang. Wenn einer schon pfänden will, jagen sich die Schuldner, dann soll er doch alle Last von ihren Schultern nehmen. Der alternde Chef gesteht an seinem Geburtstag, dass er auf viel zu junge Mädchen steht. Und Elisabeth bekennt, dass sie sich ein blutjunges Gesicht machen lässt, um wenigstens das Opfer eines Betrugs zu werden. Ein junger Dichter verliebt sich erst in Vera von der Fleischtheke und dann in Sophie aus dem Fitnessstudio, die ihn für jemanden anderen hält. Ein Heiratsschwindler in einem roten Ford Mustang, der kräftig in die Liebe investiert, erlebt bei seinem letzten großen Coup eine böse Überraschung. "Das ist eine schmutzige Geschichte,sagt einmal eine der Figuren. Denn gestehen sie ihre klei nen und großen Verbrechen nicht nur deshalb, um eine letzte Chance zu bekommen? Angelika Klüssendorf erzählt glasklar: Unter dem Glas fixiert sie die Leidenschaften ihrer Figuren mit unbarmherziger Konzentration. Ihr Roman ist eine sich immer weiter aufdeckende Erkundung kunstvoll verknüpfter Lebensgeschichten: eine Prosa, die vom ersten Satz an den Leser in ihren Bann zieht.
Autorenporträt
Angelika Klüssendorf, geboren 1958 in Ahrensburg, lebte von 1961 bis zu ihrer Übersiedlung 1985 in Leipzig; heute lebt sie in Berlin. 1990 erschien im Hanser Verlag die Erzählung "Sehnsüchte", 1994 die Erzählung "Anfall von Glück"; es folgte 1995 das Theaterstück "Frag mich nicht, schieß mich tot" (Verlag der Autoren).
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 01.10.2001

Unglück mit Flachmann
Angelika Klüssendorfs Roman „Alle leben so”
Was haben ein Gerichtsvollzieher, ein Schriftsteller und ein Heiratsschwindler gemeinsam? Das könnte eine Scherzfrage sein. Doch Angelika Klüssendorf, die diesen Herren drei von insgesamt sechs Erzählstimmen zuteilt, ist weniger zum Scherzen aufgelegt als zum bedeutungsvollen Spiel mit verborgenen Verknüpfungen. In ihrem ersten Roman nach den Erzählungen „Sehnsüchte” (1990) und „Anfall von Glück” (1994) schlägt sie einen Ton an, dass man geheime Korrespondenzen auch dort zu wittern beginnt, wo vermutlich gar keine sind.
Nehmen wir nur die Anfänge. Der Gerichtsvollzieher eröffnet das Buch mit dem beamtenhaften Satz: „Ich hatte den ganzen Vormittag damit verbracht, nach den Unterlagen zu suchen.” Der mittellose, hypochondrische junge Schriftsteller, bei dem ein Vollstreckungstermin ansteht, lamentiert zu Beginn seiner Geschichte: „Mein Problem war es, dass ich keine alltäglichen Begebenheiten beschreiben konnte.” Der Heiratsschwindler mit dem keuschen Namen Joseph führt sich mit schicksalsschweren Worten ein: „Die Welt war aus den Fugen.”
Zuvor tritt ein anonymer „Erzähler” auf, dessen erster Satz durch schöne Schlichtheit beruhigt: „Joseph saß auf einer Bank im stadtnahen Park und wartete auf Elisabeth.” Ferner gibt es eine „Beobachterin”, die bei der Polizei beschäftigt und nie ohne Flachmann unterwegs ist; ihr Einstieg in die Erzählung betrifft Elisabeth, die wiederum die Mutter des armen Poeten ist: „Wir befassten uns näher mit ihr, weil wir ihren Vater observierten.” Schließlich schildert die Krankenschwester Victoria ihre Begegnung mit dem Patienten Joseph, und sie wählt dafür den bildkräftigen Beginn: „In der linken und in der rechten Hand hielt er jeweils einen Blutbeutel.”
Die knapp zweihundert Seiten, auf denen Angelika Klüssendorf ihre Berichterstatter samt diversen Nebenfiguren nach einem schwer durchschaubaren System verschiebt, auf Tuchfühlung bringt und wieder voneinander entfernt, lassen zwei Möglichkeiten offen: Entweder handelt es sich um Bruchstücke eines ursprünglich umfangreicher geplanten Werkes oder um eine Verrätselungsstrategie, mit der die Autorin den spröden Reiz ihrer Prosa noch erhöhen wollte. Kalkuliert wirkt hier alles, effektbewusst auf eine merkwürdig müde, melancholische Art, nicht unähnlich der des dichtenden Dystonikers im Buch, der über seine Schriftstellerei sagt: „Bei mir hüpften die Vögel nicht von Ast zu Ast, sie brachen sich das Genick.”
Dazu fügt sich der lakonische Titel „Alle leben so”, denn Genickbrüche, im metaphorischen Sinn, sind hier an der Tagesordnung: geglückte oder misslungene Selbstmordversuche, gescheiterte Liebeswünsche, Betrug, Verrat, Rache, Armut, Trunksucht, Krebs. Und doch macht erst die Aufzählung offenbar, wie erbarmungswürdig da gelebt wird. In den einzelnen Episoden nehmen sich die Katastrophen alltäglich, fast nebensächlich aus, und der Schleier der Tristesse, der über dem Ganzen hängt, wird immer wieder durch unerwartete Wendungen oder Äußerungen gelüftet, die auf eine gewisse Abgebrühtheit der Beteiligten schließen lassen.
Das mag nicht zuletzt daran liegen, dass sie Bewohner der östlichen Regionen sind, in denen Angelika Klüssendorf, die 1959 geboren und 1985 aus Leipzig in den Westen übergesiedelt ist, den größeren Teil ihres bisherigen Lebens verbrachte. Ihr Roman, nennen wir ihn behelfsweise so, führt ganz beiläufig ins Nachwendeland, wo die Welt ihren Klebstoff, Marke „Duosan Rapid”, verloren und sich aufgelöst hat, wo das „letzte Schwein aus der LPG” längst verdaut wurde, aber in einem vermoderten Bunker noch ein Schädel liegt, der „an einem Stahlhelm festgewachsen” ist. Observierung, Täuschung und Verdunkelung sind wiederkehrende Motive in diesem Buch, und vielleicht muss auch die Figur des Gerichtsvollziehers in diesem Licht gesehen werden: Hier ist noch eine Rechnung zu begleichen. Literarisch jedenfalls dient der Schuldeneintreiber einem Unrechtsspezialisten, der Angelika Klüssendorf zuweilen beim Schreiben über die Schulter blickt. Wenn ein Kapitel drohend anhebt: „Hinter mir stand das Gesetz”, oder der junge Dichter seinem ungebetenen Gast erklärt: „Wissen Sie, hier tapsen manchmal Engel durchs Zimmer”, dann spukt der Geist Franz Kafkas durch die Seiten.
Der Heiratsschwindler Joseph wird, obwohl er das gleiche Aftershave benutzt wie Winston Churchill, am Ende von einer Frau hereingelegt. Danach überlegt er, ob er Gerichtsvollzieher oder Schriftsteller werden soll. Der Leser, beeindruckt von der virtuosen Jonglage mit männlichen Identitäten, sinnt unterdessen der Frage nach, ob das weibliche Alter Ego der Autorin in der stoischen „Beobachterin” mit Flachmann zu suchen sei, oder doch eher in der Krankenschwester, die sich als Wasserleiche verabschiedet und dem Mann, der sie enttäuscht hat, ein grausiges Erbe hinterlässt.
KRISTINA MAIDT-
ZINKE
ANGELIKA KLÜSSENDORF: Alle leben so. Roman. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2001. 192 S., 36,90 Mark.
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Jegliche Veröffentlichung exklusiv über www.diz-muenchen.de
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

In dem ersten Roman von Angelika Klüssendorf spiele sich das meiste im Verborgenen ab, so die Rezensentin Maidt-Zinke. Die Verbindungen der drei Hauptpersonen, denen sechs Erzählerstimmen zur Seite gestellt werden, seien dunkel und ließen den Leser in einer gespannten Unruhe, wodurch er versuche, das "schwer durchschaubare System" zu entwirren. Offen bleibt die Frage, ob es sich dabei um ein Bruchstück eines umfangreicheren Romans handle, oder ob es eine bewusst gewählte Strategie sei, "den spröden Reiz" dieser Prosa zu erhöhen. Kennzeichnend für dieses Buch seien auch die "Genickbrüche, im metaphorischen Sinn", die von misslungenen Selbstmordversuchen über gescheiterte Liebeswünsche bis hin zur Trunksucht reichten.

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