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Lange Zeit war der Tod ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Er hatte seinen Ort inmitten der Familie, inmitten unserer Gesellschaft. Noch heute wünschen sich 80 Prozent der Deutschen, zu Hause zu sterben, doch die Wirklichkeit sieht anders aus, denn tatsächlich sterben 80 Prozent in Krankhäusern, Pflegeheimen oder, noch immer viel zu selten, in einem Hospiz. Der Tod wird zunehmend institutionalisiert, medikalisiert und ökonomisiert - mit der Konsequenz, dass sich immer komplexere ethische Fragen stellen: Was bedeutet uns "Sterben in Würde"? Darf man das Leben künstlich verlängern?…mehr

Produktbeschreibung
Lange Zeit war der Tod ein selbstverständlicher Bestandteil des Lebens. Er hatte seinen Ort inmitten der Familie, inmitten unserer Gesellschaft. Noch heute wünschen sich 80 Prozent der Deutschen, zu Hause zu sterben, doch die Wirklichkeit sieht anders aus, denn tatsächlich sterben 80 Prozent in Krankhäusern, Pflegeheimen oder, noch immer viel zu selten, in einem Hospiz.
Der Tod wird zunehmend institutionalisiert, medikalisiert und ökonomisiert - mit der Konsequenz, dass sich immer komplexere ethische Fragen stellen: Was bedeutet uns "Sterben in Würde"? Darf man das Leben künstlich verlängern? Oder andersherum: Darf man das Sterben beschleunigen?
Reimer Gronemeyer versucht, mögliche Antworten auf diese komplexen Fragen zu geben. Indem er uns damit vertraut macht, was an den verschiedenen Orten des Sterbens passiert und welche Veränderungen heute das Sterben prägen, nimmt er dem Tod auch einen Teil des Schreckens, den er für jeden von uns hat.
Autorenporträt
Prof. Dr. Dr. Reimer Gronemeyer, geb. 1939, Studium der Theologie in Hamburg, Heidelberg und Edinburgh, dann lutherischer Pfarrer in Hamburg ist seit 1975 Professor für Soziologie an der Universität Gießen. Er ist Mitleiter des Graduiertenkollegs 'Palliative Care' am IFF Wien, Mitglied im wissenschaftlichen Beirat der Bundesarbeitsgemeinschaft Hospiz und Mitglied der Arbeitsgruppe Sterbebegleitung im Hessischen Sozialministerium.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 17.12.2007

Die Würde, keine Kosten zu verursachen
Ökonomisierung des Sterbens: Reimer Gronemeyers heiliger Zorn

Solange die Medizin nur geringe Möglichkeiten hatte, diese Vorgänge zu beeinflussen, erschien der Tod als ein Geschick, das man entgegenzunehmen hatte, wie es kam. Seitdem es medikamentöse und technische Wege gibt, den natürlichen Verlauf zu verzögern, sehen die Dinge anders aus. Sterben wird damit zum Problem: für den Kranken, dem Selbstbestimmung zugemutet wird, für die Ärzte, deren Kunst an ihre Grenzen stößt, und nicht zuletzt auch für die Gesellschaft, die das Ganze bezahlen muss. So unterschiedlich die Entscheidungsmaßstäbe jeweils sein mögen, letztlich geht es in allen Fällen darum festzulegen, was das nackte Leben in Relation zu anderen Interessen wert ist. Bei den konkurrierenden Interessen kann es sich um solche des Sterbenden selbst handeln, etwa seinen Wunsch nach Schmerzminderung. Soweit es um die Verteilung knapper Ressourcen geht, von Spendernieren bis zur finanziellen Ausstattung des Gesundheitssystems insgesamt, kommen aber auch Fremdinteressen ins Spiel. Das Leben wird damit, allen Sonntagsreden zum Trotz, zwangsläufig zum Gegenstand einer Abwägung.

Heikel wird die Situation in dem Moment, in dem die Abwägungsentscheidung des Kranken von der straf- bzw. standesrechtlichen Regelbewertung abweicht. Soll der Kranke seine Entscheidung trotzdem durchsetzen können? Auf diese Frage läuft ein großer Teil der heutigen medizinethischen Debatten hinaus, von dem Streit um die Bindungswirkung von Patientenverfügungen bis hin zu den Kontroversen um die Zulassung des assistierten Suizids und der aktiven Sterbehilfe. Die Tendenz ist in all diesen Diskussionsfeldern die gleiche: Ja, der Patient soll grundsätzlich seinen Willen bekommen. Nur wer selbstbestimmt sterben könne, sterbe würdevoll. Was macht diese Auffassung so anziehend?

Das soziale Todesurteil

Der Soziologe und Theologe Reimer Gronemeyer weist zu Recht darauf hin, dass sie sich nahtlos in die heutige Neigung einfügt, das Leben statt als Gabe als ein Planungsprojekt zu betrachten. Der moderne Mensch wolle nichts auf sich zukommen lassen, sondern sich noch im Sterben als den aktiven Gestalter seines Schicksals erleben können, der dem Tod präventiv die Handlungsmacht nehme. "Wenn ich schon sterben muss, dann will ich sagen wann und wie." Zur selbstgemachten Biographie gehört demnach auch der selbstgemachte Tod - freilich ein Tod, der nicht mehr für den Übergang in eine andere Existenz steht, sondern der nichts weiter ist als "der schiere nackte Grenzstrich, der das Leben abschneidet".

Die Autonomie- und Projektrhetorik klingt für den nachmetaphysischen Menschen bestrickend, aber er sollte ihr nicht vorschnell aufsitzen. Die heutige Gesellschaft würde die Berufung auf den Selbstbestimmungsgedanken nicht so bereitwillig zulassen, wenn dieser Berufung nicht in aller Regel eine sozial inzwischen weithin geteilte Bewertung zugrunde läge: die Überzeugung, dass ein Leben in Hilfsbedürftigkeit und Schmerz im Grunde genommen wertlos sei. Jene Personen, deren Selbstbestimmung Raum gegeben werden soll - die unheilbar Kranken, die schwer Pflegebedürftigen - repräsentieren, wie Gronemeyer treffend bemerkt, "alles, was diese Gesellschaft nicht sein will". Es ist kaum übertrieben, wenn er Hilfsbedürftigkeit mit einem sozialen Todesurteil gleichsetzt: "Du bist nicht mehr aktiv, nicht mehr leistungsfähig - nicht einmal mehr als Konsument - also bist du tot." Mit der formell freien Entscheidung des angesichts seiner Nutzlosigkeit auf Lebensbeendigung pochenden Kranken erkennt eine auf Ökonomie, Nützlichkeit und Leistungsfähigkeit gegründete Gesellschaft demnach die Verbindlichkeit ebenjener Maximen an, die sie selbst dem Kranken zuvor vermittelt hat. Von der vielbeschworenen Würde des Leidenden und Sterbenden bleibt unter dieser Perspektive nicht mehr viel übrig: Anerkannt wird unter dem Strich lediglich "die Würde, keine Kosten zu verursachen".

Bei diesem Stand der Dinge lässt sich, zumal angesichts der bevorstehenden demographischen Verschiebungen, unschwer prognostizieren, dass zunehmend in Bedrängnis kommen wird, wer die gesellschaftlich vorherrschenden Wertungen nicht teilt, wer also sein nach jenen Maßstäben lebensunwertes Leben nicht aufgeben will. Gronemeyer sagt voraus, in nicht allzu ferner Zeit würden die Betroffenen wählen dürfen zwischen Sterbehilfe auf Krankenschein und palliativmedizinischer Sterbebegleitung. "Der Weg zur Euthanasie wird sich dabei nicht als äußerer Zwang gestalten, sondern als ein Weg, bei dem die Individuen den gesellschaftlichen Imperativ verinnerlichen und so den Wunsch nach Euthanasie als den eigenen begreifen."

Das dürfte ein realistischer, aber noch zu harmloser Befund sein. Wer ein nach gesellschaftlichem Urteil eigentlich lebensunwertes Leben künstlich zu verlängern sucht, nimmt nämlich der Sache nach eine Sonderleistung in Anspruch; er lässt die Solidargemeinschaft für seine ideologische Rückständigkeit zahlen. Mehr als eine Minimalversorgung kann er deshalb nicht erwarten. Will er ein Mehr an Leistungen, muss er sie, so er dazu in der Lage ist, gesondert kaufen. Ansonsten mag er sehen, wo er bleibt.

Mitunter schießt Gronemeyer in seiner Erbitterung über die Ökonomisierung des Sterbens freilich über das Ziel hinaus. So polemisiert er etwa dagegen, dass mit der Palliativmedizin auch das Sterben in den Bereich des Controlling gerate: "Niemand dürfte noch Geld ausgeben für ein Medikament oder eine Behandlung, die dem Patienten eine - wenn auch unrealistische - Hoffnung macht." Auch der Umstand, dass das Gesetz dem Sterben neuerdings konkrete Abrechnungsziffern zuordnet, findet keine Gnade vor Gronemeyers Augen: Was um Himmels willen sei das für ein Fortschritt? Umgekehrt rät Gronemeyer der Hospizbewegung, sich vor der Kontaminierung durch wirtschaftliche Belange in acht zu nehmen: "Vielleicht ginge es gerade darum, nicht auf einer Gleichstellung mit ärztlichen und pflegerischen Dienstleistungen zu beharren, sondern sich als das radikale Gegengewicht zu präsentieren, das keine finanziellen, ständischen oder professionellen Interessen zu vertreten hat."

Hospize gibt es nicht kostenlos

Das Erste ist so einseitig, wie das Zweite - bei allem Respekt für den dahinter stehenden moralischen Impetus - naiv ist. Die Frage, ob der medizinische Sinn einer bestimmten Behandlung noch in einem akzeptablen Verhältnis zu den Kosten steht, muss aus Gründen der Verteilungsgerechtigkeit selbst im Fall sterbender Patienten gestellt werden dürfen; und ein Arzt tut nichts Anstößiges, wenn er bei seinem Handeln auch sein wirtschaftliches Auskommen im Blick hat. Hospize schließlich sind ebenfalls nicht zum Nulltarif zu haben und müssen deshalb, wenn sie sich um den Erhalt knapper Finanzmittel bemühen, ihre Leistungen in einer Weise beschreiben, die einen Vergleich mit den Leistungen anderer Anbieter ermöglicht. Das Sterben wirft nun einmal auch ökonomische Fragen auf, und diesen Fragen wird man nicht gerecht, indem man ihre Legitimität a priori bestreitet.

Auch auf Gronemeyers rhetorische Frage "Sind die Sterbenden wie die alleinerziehenden Mütter oder die Landwirte oder die Energiekonzerne auf eine Lobby angewiesen, die ihre Interessen in Berlin vertritt?", kann die Antwort nur lauten: Selbstverständlich sind sie das - oder versucht die Hospizbewegung, der Gronemeyer eng verbunden ist, etwa nicht, auf Öffentlichkeit und Politik Einfluss zu nehmen? Dieser eklatante Mangel an Sinn für die Bedeutung von Institutionen ist bei einem Soziologieprofessor verwunderlich. Die Bedeutung von Gronemeyers Buch wird dadurch allerdings nur marginal geschmälert.

MICHAEL PAWLIK

Reimer Gronemeyer: "Sterben in Deutschland". Wie wir dem Tod wieder einen Platz in unserem

Leben einräumen können. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 2007. 288 S., geb., 19,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Rezensent Michael Pawlik begrüßt Reimer Gronemeyers Buch "Sterben in Deutschland" als fundierte Auseinandersetzung mit der zunehmenden Ökonomisierung des Sterbens. Zustimmend äußert er sich über die Einschätzung des Soziologen und Theologen, die Idee, einzig das selbstbestimmte Sterben sei würdevoll, füge sich in die Tendenz, das Leben nicht als Gabe, sondern als Planungsprojekt zu betrachten. Gronemeyers kritischer Blick auf die Autonomie- und Projektrhetorik und ihre Implikationen, die letztlich nur noch die "Würde, keine Kosten zu verursachen" gelten ließen, hat ihn insgesamt überzeugt. Allerdings hält er dem Autor vor, mit seiner Polemik gegenüber ökonomischen Fragen im Kontext des Sterbens gelegentlich über das Ziel hinaus zu schießen. Pawlik unterstreicht demgegenüber etwa die Legitimität der Frage, ob eine bestimmte medizinische Behandlung noch in einem akzeptablen Verhältnis zu den Kosten steht. Zudem moniert er beim Autor einen Mangel an Sinn für die Bedeutung von Institutionen. Diese Kritik schmälert die Bedeutung des Buchs in seinen Augen allerdings nur unwesentlich.

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