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Edward Ball schreibt die Geschichte einer Familie, in der über fünf Dinge nicht gesprochen wurde: "Religion, Sex, Tod, Geld und die Neger". Er bricht das Schweigen und schreibt die Geschichte seiner eigenen Familie. Die Balls gehörten zu den großen Sklavenhalter-Dynastien der Südstaaten. Über viertausend Sklaven arbeiteten im Lauf von 170 Jahren auf ihren Reisplantagen, bis im Jahr 1865 die Unionstruppen nach South Carolina kamen, um sie zu befreien.

Produktbeschreibung
Edward Ball schreibt die Geschichte einer Familie, in der über fünf Dinge nicht gesprochen wurde: "Religion, Sex, Tod, Geld und die Neger". Er bricht das Schweigen und schreibt die Geschichte seiner eigenen Familie. Die Balls gehörten zu den großen Sklavenhalter-Dynastien der Südstaaten. Über viertausend Sklaven arbeiteten im Lauf von 170 Jahren auf ihren Reisplantagen, bis im Jahr 1865 die Unionstruppen nach South Carolina kamen, um sie zu befreien.
Autorenporträt
Edward Ball, geboren 1959 in Savannah, Georgia, ist ein direkter Nachfahre des Familiengründers Elias "Red Cap" Ball. Er studierte an der Brown University und arbeitete anschließend als Journalist und Kolumnist für "The Village Voice". Edward Ball lebt in Charleston, South Carolina.

National Book Award 1998
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 13.12.1999

Vergangenheitsvervielfältigung
Edward Ball erzählt von der Sklaverei am Beispiel seiner Familie

Wer meint, nur wir Deutschen hätten schwer an der Last der Geschichte zu tragen, der kann sich durch die Lektüre dieses Buches, das 1998 in den Vereinigten Staaten den National Book Award für nonfiction erhielt, eines Besseren belehren lassen. Der Autor setzt sich auf sehr persönliche Weise mit dem kollektiven Trauma der Sklaverei auseinander, das in der amerikanischen Gesellschaft bis heute nachwirkt. Veranlasst wurde diese "Selbstanalyse" durch den Umstand, dass Edward Ball mehr über seine Familie wissen wollte, die in South Carolina über mehrere Generationen hinweg zahlreiche Reisplantagen und insgesamt etwa viertausend Sklaven besessen hat.

Einerseits empfand der vierzigjährige Ball Stolz auf die Herkunft aus der traditionsreichen Südstaaten-Elite, andererseits musste er sich als Intellektueller eingestehen, dass die eigene Familie in ein Verbrechen verstrickt war: "Ich kann nicht sagen, dass ich mich wegen der Vergangenheit schuldig fühlte. Kein Nachkomme ist für die Taten derer verantwortlich, die längst tot und nicht mehr beeinflussbar sind. Statt schuldig fühlte ich mich für das Geschehen rechenschaftspflichtig, das heißt aufgerufen, es nach Möglichkeit aufzuklären."

Mit einem Vorschuss seines amerikanischen Verlegers ausgestattet, kehrte er für drei Jahre in den Süden zurück, um in Archiven und mit Hilfe von Interviews die Spuren seiner Vorfahren und ihrer schwarzen Sklaven zu verfolgen - ein Unterfangen, dem die meisten seiner Verwandten skeptisch bis ablehnend gegenüberstanden.

Ball stellt sich die ehrgeizige Aufgabe, drei verschiedene Perspektiven und Erzählstränge miteinander zu verbinden: Zum einen handelt es sich um die dokumentarisch gut belegte Südstaaten-Sage vom Aufstieg und Niedergang einer Reispflanzer-Dynastie im Raum Charleston von der Ankunft des Urahns Elias "Red Cap" Ball aus England im Jahr 1698 bis zum Bürgerkrieg, gefolgt vom Bemühen ihrer Mitglieder, die Sklavenemanzipation von 1865 ökonomisch zu verkraften und später im zwanzigsten Jahrhundert bürgerliche Existenzen aufzubauen.

Auf der zweiten Ebene schildert der Verfasser die Entwicklung der Sklaverei als Institution und System, eingebettet in die Geschichte der englischen Kolonien, der amerikanischen Revolution und des "Antebellum"-Südens, bis zu ihrer Beseitigung im Zuge der Rekonstruktion nach dem Bürgerkrieg. Ganz besondere Mühe verwendet er jedoch auf den dritten Aspekt, die Rekonstruktion der Lebenswege von ehemaligen "Ball-Sklaven" und ihrer Nachkommen.

Der Reiz des Buches liegt weniger in der Sprache, die auch im englischen Original nur stellenweise literarisches Format erreicht, als vielmehr in der kunstvollen Verklammerung dieser drei Ebenen, zwischen denen die Handlung häufig hin- und herspringt. Ball arbeitet mit einer Art "Rückblende"-Technik, die es ihm erlaubt, Begegnungen und Gespräche mit Zeitgenossen zum Ausgangspunkt für immer wieder neue "Reisen in die Vergangenheit" zu nehmen. So entsteht eine Spannung, die den Leser selbst dann fesselt, wenn er zwischenzeitlich durch etwas langatmige historische Exkurse oder komplizierte genealogische Herleitungen den Faden zu verlieren droht.

Obwohl Ball die neuere Forschungsliteratur zur Geschichte der Sklaverei und der Afroamerikaner herangezogen hat, kann er den historischen Hintergrund nicht vollständig ausleuchten. Recht wenig erfährt man zum Beispiel aus der Zeit nach dem Bürgerkrieg, die im Süden durch besonders heftige Konflikte und rassische Gewaltausbrüche gekennzeichnet war.

Außerdem unterlaufen Ball - beziehungsweise dem Übersetzer - einige störende Fehler. So wurde die Sklaveneinfuhr in den achtziger Jahren des siebzehnten Jahrhunderts nicht durch den Verfassungskonvent von Philadelphia, sondern durch mehrere Staatenparlamente vorübergehend ausgesetzt, bevor der Kongress sie 1808 offiziell untersagte. Bei der berühmten schwarzen Einheit der Unionsarmee, die unter dem Befehl weißer Offiziere im Juli 1863 Fort Wagner angriff, handelte es sich um das 54. (nicht das 45.) Massachusetts-Infanterieregiment. Und Lincolns Gettysburg Address vom November 1863 war keineswegs seine "zweite Antrittsrede". Durch einen Übersetzungsfehler verursacht ist die kuriose Mitteilung, John Brown habe Harper's Ferry "gekapert"; der Name "Harper's Ferry" geht zwar auf eine Fähre zurück, bezeichnet aber den Ort eines bundesstaatlichen Waffenarsenals, dessen gewaltsame Besetzung durch den Abolitionisten John Brown und seine Männer 1859 zum Fanal des Bürgerkriegs wurde. Solche Ungenauigkeiten hätten durch eine Straffung des Textes mit Konzentration auf die "schwarzweiße" Familiengeschichte vermieden werden können.

Das Hauptanliegen des Autors, das Schicksal der Sklavenbesitzer und ihrer Sklaven als eine gemeinsame, wenngleich tragische Geschichte sichtbar zu machen, wird konsequent verwirklicht. Während in vergleichbaren Chroniken die Herren und Herrinnen häufig einer gesichtslosen Masse von Sklaven gegenüberstehen, berichtet Edward Ball nicht nur über Tun und Lassen seiner weißen Vorfahren, sondern nennt auch die Namen von "Ball-Sklaven" wie Dolly, Boston King, Bright Ma, Paris, Priscilla, Angola Amy, Scipio und viele andere (die Wahl eigener Vornamen und Familiennamen war Schwarzen erst nach der Befreiung möglich).

Indem Ball alle noch so spärlichen Informationen über ihre Herkunft, ihr Leben und ihre Nachkommen sammelt und weitergibt, entreißt er sie postum der Anonymität der Sklaverei und weist ihnen symbolisch einen gleichberechtigten Platz im Familienverband zu. Im Anhang des Buches findet man deshalb neben dem offiziellen Stammbaum der Ball-Dynastie zwei afroamerikanische Stammbäume, die ihren Ausgang nehmen von Angola Amy, die sich seit 1736 im Besitz von Elias Ball befand, und von Priscilla, die 1756 als Zehnjährige aus Sierra Leone nach Amerika verschleppt wurde.

Schonungslos enthüllt Balls nüchterne Darstellung die alltägliche Grausamkeit der Sklaverei, die Weiße und Schwarze in einem pathologischen Verhältnis miteinander verband. Nicht nur gemäß der Familienlegende, sondern auch im Urteil mancher Schwarzer galten die meisten Balls als durchaus "moderate" Sklavenhalter. Die Dokumente, die Edward im Familienbesitz und in den südstaatlichen Archiven ausgewertet hat, belegen jedoch eindeutig, dass körperliche Züchtigungen gang und gäbe waren, dass auch härtere Strafen wie die Amputation von Zehen vorkamen und dass man Auspeitschungen später gegen Geldzahlung im Charlestoner "Workhouse" vornehmen ließ.

Noch heikler, ja bis in die Gegenwart hinein geradezu tabuisiert ist ein anderer Themenkreis, an den Ball sich ohne Rücksicht auf die "Familienehre" heranwagt: die sexuellen Beziehungen zwischen weißen Herren und schwarzen Sklavinnen, die offenbar viel häufiger vorkamen, als früher vermutet oder zugegeben wurde, und die alle Formen von der Vergewaltigung bis zum dauerhaften Konkubinat annehmen konnten. Mittels einer Kombination von genealogischer Kleinarbeit und Auswertung der mündlichen Überlieferung gelingt Ball der Nachweis, dass etliche seiner Vorfahren illegitime Kinder mit Sklavinnen zeugten, deren Freilassung sie dann in der Regel spätestens in ihrem Testament verfügten.

Ball hat sich sehr bemüht, möglichst viele dieser "entfernten Verwandten" in den Vereinigten Staaten ausfindig zu machen und mit ihnen wie auch mit anderen Nachfahren von "Ball-Sklaven" ins Gespräch zu kommen. Gewiss hatte dies auch praktische Gründe, denn jedes Treffen ergab neue Erkenntnisse und Kontakte. Wichtiger scheint jedoch Balls Bedürfnis nach persönlicher Aussprache und individueller Überbrückung des Rassengegensatzes gewesen zu sein. Die Protokolle dieser (zumeist auch fotografisch festgehaltenen) Begegnungen und gemeinsamen Unternehmungen, bei denen - wie etwa beim Rundgang über die verfallene Ball-Plantage Limerick mit Angehörigen der Martin-Familie - Vergangenheit und Gegenwart ineinander fließen, verleihen dem Buch eine Intensität und Authentizität, die über alle sprachlichen Schwächen hinwegsehen lassen.

Ball will nicht nur kritisch Rechenschaft ablegen, sondern er leistet einigen Gesprächspartnern gegenüber Abbitte für das Verbrechen der Sklaverei, das "wir Ihnen vor langer Zeit angetan haben". Oder er sucht um Verzeihung für das Leid nach, "das meine Familie der Ihren zugefügt hat". Bis auf wenige Ausnahmen reagieren die so Angesprochenen gutwillig auf Balls ungewohnte Offenheit: "Wir können das Gewesene nur durch Liebe überwinden", versichert ihm Carolyn Goodson, und von Carutah Williams bekommt er zu hören, dass man in der Rassenfrage doch "ganz schön weiter gekommen" sei. Andere betonten, die Afroamerikaner müssten sich von ihrer "Bitterkeit" freimachen und Weiße und Schwarze sollten sich "an einen Tisch setzen". Am Ende des Buches trägt der Autor seine Botschaft auch nach Sierra Leone, von wo aus viele der Ball-Sklaven ihre unfreiwillige Reise über den Atlantik angetreten hatten. In dem vom Bürgerkrieg erschütterten Land trifft er die Nachfahren schwarzer Sklavenhändler, spricht mit ihnen über die historische Erblast und kann sie zu einem gemeinsamen Buß- und Reinigungsritual veranlassen.

Nicht nur Balls weiße Verwandtschaft hegte Zweifel am Sinn des Projekts, sondern auch einige schwarze Intellektuelle warfen ihm vor, mit seinem Interesse an den "Sklaven in der Familie" lediglich eine neue Spielart des Plantagen-Paternalismus zu praktizieren. Beim deutschen Leser überwiegt aber der Eindruck, dass der Autor die von vielen Landsleuten verdrängte Vergangenheit gerecht bilanziert hat und ehrlich um Verständnis und Verständigung bemüht ist. Es bleibt zu hoffen, dass sich die Debatte über Sklaverei und Rassismus, die in den Vereinigten Staaten derzeit wieder heftig geführt wird, nicht auf Forderungen nach regierungsamtlichen Entschuldigungen, UN-Resolutionen und finanzieller Entschädigung beschränkt, sondern in einen wirklichen nationalen Versöhnungsdialog mündet. Dann könnte die Trennungslinie zwischen Schwarz und Weiß im kommenden Jahrhundert durchlässiger und eines Tages irrelevant werden.

JÜRGEN HEIDEKING

Edward Ball: "Die Plantagen am Cooper River". Eine Südstaaten-Dynastie und ihre Sklaven. Aus dem Amerikanischen von Hans Günter Holl. S. Fischer Verlag, Frankfurt am Main 1999. 560 S., geb., 49,80 DM.

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Andreas Eckert bespricht in seiner Rezension Edward Balls "Die Plantagen am Cooper River" zusammen mit "Von Benin nach Baltimore" von Norbert Fintzsch, James Horton und Lois Horton. Denn beide, so Eckert widmen sich einem Thema, das in der deutschsprachigen Literatur bisher nur in hoffnungslos veralteten Studien behandelt wurde: Der Geschichte der afrikanischen Sklaven in den USA..
1) Norbert Fintzsch/James Horton/Lois Horton: "