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Die Dissoi Logoi - "Zweierlei Ansichten" - sind ein kurzer Traktat, der als Anhang zu den
Schriften des kaiserzeitlichen Skeptikers Sextus Empiricus überliefert wurde. Der von einem anonymen Autor wahrscheinlich an der Wende vom 5. zum 4. Jh. verfaßte Text gibt einen einzigartigen Einblick in die Debatten und den Unterricht der Sophisten.
Im Traktat werden am Beispiel verschiedener Gegensatzpaare, dem vom Guten und Schlechten, vom Schicklichen und Unanständigen, vom Gerechten und Ungerechten, von Wahrheit und Falschheit, von Sein und Nichtsein erörtert, wobei an der Debatte weniger der
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Produktbeschreibung
Die Dissoi Logoi - "Zweierlei Ansichten" - sind ein kurzer Traktat, der als Anhang zu den

Schriften des kaiserzeitlichen Skeptikers Sextus Empiricus überliefert wurde. Der von einem anonymen Autor wahrscheinlich an der Wende vom 5. zum 4. Jh. verfaßte Text gibt einen einzigartigen Einblick in die Debatten und den Unterricht der Sophisten.

Im Traktat werden am Beispiel verschiedener Gegensatzpaare, dem vom Guten und Schlechten, vom Schicklichen und Unanständigen, vom Gerechten und Ungerechten, von Wahrheit und Falschheit, von Sein und Nichtsein erörtert, wobei an der Debatte weniger der jeweils verhandelte Inhalt interessiert als vielmehr die Argumentationsweise, da gezeigt wird, daß alle Unterscheidungen bloß relativ und damit letztlich gleichgültig seien.

Weitere Themen dieser Schrift sind die Lehrbarkeit von Tugend und Klugheit, die richtige Auswahl der Beamten, das für die politische Betätigung und Rede nötige Wissen sowie die Gedächtnistechniken.

Das wesentliche Anliegen der vorliegenden Ausgabe besteht darin, diesen Text, der einen unmittelbaren Einblick in die sophistische Lehrsituation bietet, einem weiteren Leserkreis als bislang zugänglich zu machen und nahezubringen - sprachlich durch einen neugestalteten griechischen Text und eine beigegebene moderne deutsche Übersetzung, inhaltlich durch eine eingehende Erläuterung der Argumentation in den einzelnen Kapiteln und Analyse der philosophisch durchaus eigenständigen, häufig unterschätzten Position des Autors und schließlich historisch durch eine Skizze des historisch-politischen und intellektuellen Umfelds, aus dem die Schrift hervorgegangen ist.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 30.11.2004

Der hohle Schädel, diese fremde Sitte
Ein gewisses Vergnügen am Widerspiel der Meinungen: Eine Neuausgabe der sophistischen Schrift „Zweierlei Ansichten” aus der Zeit um 400 vor Christus - ihr Autor ist ein anonymer Pionier der Aufklärung
Helden finden sich nicht bloß auf Schlachtfeldern, in Mondraketen oder Ritterburgen. Es gibt, wie man weiß, auch die Heroen des Geistes. Doch sind dies nicht nur die Stars, die großen Erzieher von Platon bis Habermas. Nein, so wie wir von selbstlosen Kinderkrankenschwestern oder mutigen Sozialarbeitern als Helden des Alltags sprechen, so müssen wir auch jene sehen, die das Werk der großen Geister fortsetzen, aber auch vorbereiten. Dies sind die Lehrenden ohne Namen, die mitdenken, die an der Zurüstung ihrer Schüler zu Vernunft, Wissen und zur Bewährung im öffentlichen Leben arbeiten. Die, wie es heute heißt, „Schlüsselkompetenzen” verankern.
Noch heldenhafter ist dieses Tun in einer Zeit, in der man zunächst die Ansicht verteidigen muss, dass überhaupt Unterricht der Ort dieser Tüchtigkeit sein kann. Man hat es eben oder man hat es nicht - das war noch ein dominantes, von Dichtern machtvoll eingehämmertes Bild einer göttergefälligen aristokratischen Elite, die ihre schönen Gaben an Geist und Körper nur noch zu entfalten hatte. Dem standen entgegen die neuen Propheten vermittelbarer, ja käuflicher Bildung für die Konflikte in der demokratischen Arena.
Die Rede ist von jener politisch und intellektuell elektrisierten Zeit im antiken Athen, als die Stadt nach außen um ihre Hegemonie rang, als im Innern die Schriften des Protagoras, der den Menschen zum Maß aller Dinge erklärte, öffentlich verbrannt wurden, als Sokrates im Theater als Sophist verspottet und dann hingerichtet wurde, als Euripides in seinen Tragödien die ungeheure rationale wie irrationale Kraft des Humanen in ihrer ganzen Ungeborgenheit dramatisierte.
In dieser Zeit, um die Wende des fünften zum vierten Jahrhundert vor Christus, schreibt ein kleiner, für uns unbenannter Lehrer gegen die Meinung an, „dass Klugheit und Tugend weder lehrbar noch lernbar seien”. Diese Erörterung ist uns überliefert als sechstes von neun Kapiteln einer kurzen, am Ende unvollständigen Schrift, die man „Dissoi Logoi” nennt; sie heißt so nach dem mehrfach aufgegriffenen Anfangssatz, wonach über Themen wie „Das Gute und das Schlechte” oder „Das Gerechte und das Ungerechte” unter den Griechen immer jeweils „zweierlei Ansichten” vertreten werden.
Dass man wirklich alles so oder so sehen kann: Dies ist der so allgemeine wie kontroverse Erkenntniszweck der Abhandlung, die Peter Scholz und Alexander Becker nun neu herausgegeben, übersetzt und mit eigenen Einordnungen umfasst haben. Als „recht dürftiges Erzeugnis” (Albin Lesky) hat man sie, als „talentlos” (Hermann Diels und Walther Kranz) ihren Verfasser bezeichnet. Das stimmt, wenn man den Text gegen die philosophischen und literarischen Hervorbringungen seiner Zeit bestehen lassen will. Es stimmt nicht, wenn man die „Zweierlei Ansichten” als das nimmt, was sie sind: ein Übungsstück für den mündlichen Unterricht, Skizze eines Exerzitiums der argumentativen Wendigkeit, die ein Bürger der Demokratie vor Gericht oder Volksversammlung braucht, mithin als Dokument der Entdeckung einer anti-esoterischen, anti-dogmatischen geistigen Offenheit.
Es ist diese Offenheit, die Bereitschaft, Bewertungen als Konventionen zu nehmen, die den Wahrheitsfundamentalisten Platon zu seinem Großangriff auf die Sophisten veranlasste. Einen Nachtritt verpasste ihnen Aristoteles, indem er die Fehlerhaftigkeit ihrer „sophistischen” Schlüsse nachwies. Von diesem Doppelschlag der moralischen wie logisch-formalen Unzulänglichkeit haben sich die Sophisten lange nicht erholt. Erst seit Hegel nehmen die Stimmen zu, die sie zu Recht als Pioniere der griechischen „Aufklärung” ausrufen.
Die zur Zeit unseres Anonymus aufkommende professionelle Rhetorik, deren Entstehungsbedingungen Scholz in seiner Einleitung umreißt, hat Friedrich Nietzsche als „wesentlich republikanische Kunst” gewürdigt und so beschrieben: „Man muss gewohnt sein, die fremdesten Meinungen und Ansichten zu ertragen und sogar ein gewisses Vergnügen an ihrem Widerspiel empfinden.”
Von diesem Vergnügen nun hat dieser Lehrtext der „Dissoi Logoi” einiges. Der Autor meint, „wenn jemand befehlen würde, dass alle Menschen das zusammentragen sollten, was jeder für unanständig hält, und im Gegenzug aus all dem wieder das mitnehmen sollten, was jeder für schicklich hält, dass dann gar nichts übrigbliebe, sondern sie alle das, was da wäre, verteilen würden. Denn nicht alle haben dieselben Bräuche und Überzeugungen.”
Auf solch einem bunten Bazar der Meinungen spielt sich die gesamte Argumentation ab. Dabei wird nicht nur versucht zu zeigen, dass die Identität gegensätzlicher Eigenschaften sowohl behauptet wie bestritten werden kann - dies mit in der Tat nicht ganz sauber scheinenden Schlüssen; es werden vor allem Beispiele dafür ausgebreitet, wie individuen- und kulturabhängig Urteile sind.
Das geht dann so: „Krankheit ist für die Kranken schlecht, für die Ärzte gut; der Tod ist für die Sterbenden schlecht, für die Bestattungsunternehmer und Totengräber gut.” - „Vor den Feinden im Kampf davonzulaufen ist schändlich, schicklich hingegen, vor dem sportlichen Gegner im Stadion.” - „Die Skythen halten es für schicklich, dass derjenige, der einen Mann tötet und ihn skalpiert, dessen Haupthaar vorne am Pferd befestigt sowie dessen Schädel vergoldet und versilbert, um daraus zu trinken und ein Trankopfer an die Götter darzubringen. Bei den Hellenen möchte einer nicht einmal dasselbe Haus betreten wie jemand, der das getan hat.” Auch zeigt der Autor ganz unkantianisch, dass es in bestimmten Situationen „gerecht ist, zu lügen und zu betrügen”.
Dies ist nicht zersetzender Kulturrelativismus, ist nicht die beliebige Umdeutung der Begriffe, von der Thukydides mit seiner Kriegsbeschreibung und Orwell mit seinem Wahrheitsministerium ein abschreckendes Bild gegeben haben. Es ist vielmehr die notwendige geistige Gymnastik einer Ausbildung, die jeder Demokratie gut ansteht.
Alexander Becker, Peter Scholz (Hrsg.)
Dissoi Logoi - Zweierlei Ansichten
Ein sophistischer Traktat. Text, Übersetzung, Kommentar. Akademie Verlag, Berlin 2004. 165 Seiten, 59,80 Euro.
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Johan Schloemann würdigt einen unbekannten Helden der Geistesgeschichte, einen "Lehrenden ohne Namen": den Verfasser einer Schrift vom Ende des fünften vorchristlichen Jahrhunderts, einem "Dokument der Entdeckung einer anti-esoterischen, anti-dogmatischen geistigen Öffentlichkeit". Man hat diese Abhandlung als Werk eines Mittelmäßigen abgetan, rekapituliert der Rezensent, doch man müsse sie als das nehmen, was sie war, nämlich "ein Übungsstück für den mündlichen Unterricht". Denn darum ging es, und darin verbindet sich für Schloemann diese kleine Schrift mit der Geistesgeschichte der Zeit: die Überzeugung, dass Klugheit trainierbar ist. Mit dieser Auffassung war der unbekannte Geistesheld in seiner Zeit keineswegs wohlgelitten - Schloemann erinnert daran, dass man Sokrates damals als Sophisten hinrichtete. Der namenlose Lehrer setzte der Vorstellung einer eindeutig erkennbaren Wahrheit seine "zweierlei Ansichten" entgegen; in kleinen Lehrstücken suchte er zu zeigen, dass man immer das eine, aber auch das andere, das Gegenteil begründen kann. Das ist kein "zersetzender Kulturrelativismus", sondern "die notwendige geistige Gymnastik einer Ausbildung, die jeder Demokratie gut steht", findet der Rezensent.

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"Insgesamt ist hervorzuheben, dass es den beiden Autoren hervorragend gelungen ist, die Bedeutung des Textes in philosophiehistorischer, aber vor allem in politischer Hinsicht herauszuarbeiten." Charlotte Schubert in: "H-Soz-u-Kult" "Die Herausforderungen, die das dürftig überlieferte Fragment an das editorische Geschick und das intellektuelle Verständnis stellt, haben die Hrsg. glänzend gemeistert. Insbesondere in dem Kommentar gelingt es ihnen vortrefflich, schierige Textpassgen plausibel zu erklären und die Argumentationsstruktur der einzelnen Kapitel durchsichtig zu machen. Auch die Übersetzung läßt nichts zu wünschen übrig." Kai Trampedach in: Historische Zeitschrift, Bd. 283, 6/2006 Die Herausgeber dieser Abhandlung machen plausibel, "daß die Schrift nicht nur besser komponiert ist, als genmeinhin angenommen, sondern auch, daß der Verfasser einen eigenständigeren Standpunkt vertritt, als ihm bisher zugebilligt wurde." Rolf Geiger in: Zeitschrift für philosophische Forschung