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Weshalb konnte ein radikaler Kritiker der Moderne und bekennender Platoniker wie der jüdische Emigrant Leo Strauss (1899-1973) einer der einflussreichsten Theoretiker in der amerikanischen Politikwissenschaft werden? Was hält sein aus verwickelten Interpretationen von Klassikern der politischen Philosophie bestehendes uvre zusammen? - Von diesen beiden Problemen ausgehend, entwickelt Harald Bluhm eine werkgeschichtliche Gesamtdeutung von Strauss' politischem Philosophieren. Strauss' Denken, dessen Motive aus der Weimarer Zeit stammen, wird durch die Frage nach der besten Ordnung und der…mehr

Produktbeschreibung
Weshalb konnte ein radikaler Kritiker der Moderne und bekennender Platoniker wie der jüdische Emigrant Leo Strauss (1899-1973) einer der einflussreichsten Theoretiker in der amerikanischen Politikwissenschaft werden? Was hält sein aus verwickelten Interpretationen von Klassikern der politischen Philosophie bestehendes uvre zusammen? - Von diesen beiden Problemen ausgehend, entwickelt Harald Bluhm eine werkgeschichtliche Gesamtdeutung von Strauss' politischem Philosophieren. Strauss' Denken, dessen Motive aus der Weimarer Zeit stammen, wird durch die Frage nach der besten Ordnung und der richtigen Lebensführung getragen, die er im Rekurs auf antike Klassiker entfaltet. Philosophie gilt als Lebensform und Suche nach einem universellen qualitativen Maß politischer Ordnung. Aus dieser Quelle speist sich seine radikale Liberalismus- und Fortschrittskritik. Damit sorgte Strauss in den USA für Aufsehen und er wurde durch die Gründung einer Schule sowie durch seine Nähe zum Neokonservatismus berühmt.
Autorenporträt
PD Dr. Harald Bluhm ist Politikwissenschaftler an der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 23.06.2003

Der Code geht schon in Ordnung
Ist Leo Strauss der Pate von Bush? Harald Bluhms Werkdeutung

Die jüngste Manifestation der Bush-Doktrin las sich so: Der Staatssekretär des amerikanischen Außenamtes, John Bolton, sagte der BBC, Präsident Bush habe mehrfach deutlich gemacht, daß beim Umgang mit Iran "alle Möglichkeiten auf dem Tisch" lägen. Auch ein militärisches Eingreifen gegen Iran "muß eine Option sein", selbst wenn ein solcher Einsatz derzeit "weit, weit von unseren Gedanken entfernt ist".

Es ist der gewohnt enigmatische Charakter dieser und anderer regierungsamtlicher Verlautbarungen Amerikas (von der "Achse des Bösen" bis zum "globalen Feldzug gegen den Terrorismus"), der an der Schwelle zum Irak-Krieg die politischen Kommentatoren zu immer neuen Exegesen herausgefordert hatte: Ist das nur dräuende Drohrhetorik zur Vermeidung von Gewalt, oder impliziert im Gegenteil jede Gewaltmetapher schon den operativen Willen zu ihrer realpolitischen Umsetzung? Muß, so gesehen, die Ankündigung einer "Option" immer schon als der erste Schritt ihrer Durchführung betrachtet werden? Und ist in diesem Sinne die Deklaration eines Vorhabens als "weit, weit entfernt" stets nah genug, um es in jedem Fall wirklich werden zu lassen? Tatsächlich stellt die als "esoterisch" empfundene Codierung derartiger Äußerungen die eine Ebene dar, an welche in amerikanischen Publikationen derzeit eine Debatte über die geistesgeschichtlichen Paten der Bush-Doktrin anknüpft: näherhin über den Einfluß des vor dreißig Jahren verstorbenen, als stilistischen Esoteriker wahrgenommenen Philosophen Leo Strauss auf die aktuelle Programmatik der Neokonservativen unter Bush (vgl. F.A.Z. vom 18. Juni). Die andere Ebene, auf der versucht wird, einen solchen Einfluß dingfest zu machen, betrifft nicht Fragen der Präsentation, sondern die politische Substanz der Bush-Doktrin selbst, den Horizont, in welchem ihre globalen Ordnungsvorstellungen Plausiblität beanspruchen.

Naturgemäß setzt eine Debatte über ideenpolitische Genealogien neben manchen erhellenden Befunden Spekulationen, ja Phantastereien frei. So erklärt es, für sich genommen, noch nicht viel, wenn jetzt immer wieder der Hinweis auf bekennende prominente "Straussians" fällt, zu denen etwa der stellvertretende Verteidigungsminister Wolfowitz gehört oder der Begründer des neokonservativen Zentralorgans "Weekly Standard", William Kristol, oder Gary Schmitt, federführend in einem der neokonservativen Think Tanks, dem "Projekt for the New American Century". Will man sich jenseits tagespolitischer Mutmaßungen ein Bild von Strauss machen, der von ihm gegründeten und heute in dritter Generation bestehenden Schule; will man sich einen profunden Eindruck verschaffen über ihre hermeneutischen Methoden, ihre Ordnungsvorstellungen und die politikwissenschaftlichen Kontroversen, die um die "Straussians" in Amerika geführt wurden - dann ist ein Buch sehr hilfreich, das unlängst von Harald Bluhm im Akademie Verlag veröffentlicht wurde.

Unter dem Titel "Die Ordnung der Ordnung" versucht es eine werkgeschichtliche Gesamtdeutung des politischen Philosophierens von Leo Strauss, eine von Herfried Münkler angeregte, durchweg um Sachlichkeit und philologische Genauigkeit bemühte Arbeit. Mit dem nötigen langen Atem und der Liebe zu Umwegen macht sich Bluhm daran, das widerspenstige Phänomen Strauss eher einzukreisen als abzuhandeln, und er enträt auf diese Weise Schnellschüssen wie jenem von Heinrich August Winkler, der das Strausssche Denken jüngst als die "Vollendung der Liberalismuskritik von Carl Schmitt" beschrieb. Auch in dieser Frage, was Strauss mit Schmitt teilt und was beide radikal voneinander trennt, weiß Bluhm entschieden Genaueres zu berichten, als daß man am Ende ein bißchen schlichtweg den einen als den "Vollender" des anderen ansehen möchte.

Bluhm informiert detailliert über die Schritte der Institutionalisierung des Denkens von Strauss. Als jüdischer Gelehrter 1932 mit einem Rockefeller-Stipendium von Deutschland über England nach Amerika gekommen, schuf Strauss mit seinem Wechsel von New York nach Chicago Ende der vierziger Jahre die Bedingungen, um eine strategische Schulbildung zu betreiben, die - wiewohl rein philosophisch, ja philosophiegeschichtlich auftretend - in der amerikanischen Politikwissenschaft, deren "szientistischen" Charakter Strauss strikt ablehnte, immer wieder für gehörige Debatten sorgte. Dabei profitierte Strauss seit den siebziger Jahren durchaus von dem Interesse, das John Rawls der politischen Philosophie wieder verschuf, sowie von der Prominenz, die Strauss in den Achtzigern dadurch erhielt, daß viele seiner philosophischen Schüler unter Reagan in die Politik wechselten. Hatten diese "Straussians" von ihrem Lehrer einen Masterplan für starwars in der Tasche? Als wirkmächtiger Interpret großer Autoren der Philosophiegeschichte (Hobbes, Rousseau, Spinoza), deren Probleme er als unlösbare Alternativen und Antithesen darstellte, hat es Strauss im wesentlichen vermieden, politisch konkret zu werden. Es ist die Wiedergewinnung des klassischen philosophischen Horizonts, um den es ihm ging, eines Horizontes, in welchem politische Ordnungsvorstellungen überhaupt nur zu diskutieren seien.

Derart politische Fragen als Wahrheitsfragen aufzufassen, sie der spezifisch liberalen Kontingenz von Verfahren und Dezisionen (denn auch letztere sind ja nur Antworten auf liberale Prämissen) zu entheben - darin liegt für den Neokonservatismus die eigentliche Anschlußfähigkeit von Strauss. Nur mit einer solchen Prämisse, die im politischen Leben das "gute" Leben sucht, lassen sich politische Konzepte, wie unter Reagan und Bush geschehen, intellektuell als Antwort auf "das Böse" rechtfertigen. Politische Theologie, sei sie in der Variante Schmitt oder Voegelin, war für Strauss ein viel zu partikulares Projekt, viel zu sehr noch dem Horizont des Liberalismus verpflichtet, als daß es - bei allen Gemeinsamkeiten im einzelnen - als Ordnungsrahmen für Politik hätte taugen können; entsprechende polemische Seitenhiebe teilt Strauss zur Genüge aus.

Bluhm beobachtet gegenüber Schmitts Entsubstantialisierung des Politischen durch das Differenzkriterium Freund-Feind geistesgeschichtlich denn auch eher einen "Rückschritt" als eine "Vollendung": "Das Denken der Ordnung, das Strauss favorisiert, zielt der Grundtendenz nach auf eine Resubstantialisierung des Verständnisses des Politischen. Die Gattungsbestimmung von Strauss und das Differenzkriterium von Schmitt lassen sich nicht einfach zusammenfügen. Höchstens können sie als verschiedene Bestimmungen des Politischen komplementär gedacht werden, wo die eine nach innen und die andere auf Beziehungen zwischen politischen Gebilden bezogen ist." Doch auch so bleibe es dabei: Das implizit von Strauss geforderte Denken der besten Ordnung und das, was bei Schmitt von 1934 an das "konkrete Ordnungsdenken" heißt, "trennen Welten, denn das eine ist ein geistesgeschichtlich-philosophisches Projekt, und das andere verband Schmitt nicht zufällig mit nationalsozialistischem Gedankengut".

Die allgemeine, aber in ihrer Allgemeinheit essentialistische Auffassung des Politischen kommt dem Neokonservatismus viel grundlegender entgegen als die konkret-konservativen, aber eben doch sehr zeitgebundenen Anschauungen, die der in Weimarer Zeiten sozialisierte Strauss in einer Handvoll zeitdiagnostischer Schriften zurückließ. Für den Neokonservatismus, so Bluhm, "sind aus den Zeitdiagnosen von Strauss vor allem die Fortschrittskritik, der Antikommunismus und der Kampf gegen jeden Werterelativismus Anknüpfungspunkte gewesen. Seine dauerhafte Attraktivität speist sich aus der Vehemenz, mit der er diese Positionen auf prinzipielle Weise vertritt, ohne politisch konkret zu werden". Welche Durchschlagskraft ein solch betont intransigenter Gestus entfalten kann (auf entsprechende Kritik hin grenzt Strauss die Intransigenz, zu der er sich bekennt, verschnupft vom Fanatismus ab), konnte man vor fünfzehn Jahren paradigmatisch bei dem Strauss-Schüler Allan Bloom studieren. Dessen Bestseller "The Closing of the American Mind" (1987) aktualisiert das elitäre Bildungskonzept am Ende der Expansion der Massenuniversitäten. Bluhm zeigt, daß Blooms ganze Argumentation für Werte und Kanon "im Kern straussianisch ist und auch so wahrgenommen wurde".

Mit der Schilderung der zwischen esoterischem und exoterischem Schreiben oszillierenden Stilproblematik bei Strauss hält Bluhm fest, worin Strauss-Kritiker jetzt auch dessen formalen Einfluß auf die Bush-Doktrin und ihre konkrete Präsentation sehen wollen: die "Wahrheit der guten Ordnung" als einem elitären Projekt, das nur denjenigen gegenüber durchsichtig zu machen sei, die diese Wahrheit "ertragen" können, während die anderen - gegebenfalls mit "notwendigen Lügen" - über sie im unklaren gehalten werden müssen. Ein Widerspruch, den Strauss-Gegner freilich als "naturgemäß" bezeichnen - Strauss habe von der Philosophie schließlich adressatenspezifische Argumentation verlangt. Das wiederum kann Bluhm bestätigen: Nur so, durch partielle Codierung, könnten Philosophen jener Verantwortung nachkommen, die Nietzsche und Heidegger in den Augen von Strauss nicht hinreichend wahrgenommen hätten: der Verantwortung, die "Gefährlichkeit" ihres Denkens gefälligst in Schach zu halten.

CHRISTIAN GEYER

Harald Bluhm: "Die Ordnung der Ordnung". Das politische Philosophieren von Leo Strauss. Akademie Verlag, Berlin 2002. 370 S., geb., 49,90 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

"Ist Leo Strauss der Pate von Bush?" fragt Christian Geyer gleich in der Überschrift seiner Rezension. Harald Bluhms Buch arbeite vor allem zwei Aspekte von Strauss' Denken heraus, führt der Rezensent dann aus, an die die amerikanischen Neokonservativen offenbar anschließen. Zum einen sei da Strauss' Bemühen, politische Fragen wieder als "Wahrheitsfragen", nämlich als solche nach dem "guten Leben" aufzufassen, und sie so der Kontingenz liberaler Verfahren zu entheben. Und zum anderen der Umstand, dass Strauss die "Wahrheit der guten Ordnung" als ein esoterisches, elitäres Projekt behandele, das nur denjenigen gegenüber durchsichtig zu machen sei, die diese Wahrheit "ertragen" könnten. Wolle man sich auch noch "jenseits tagespolitischer Mutmaßungen" ein Bild machen vom Denken Leo Strauss' sowie "einen profunden Eindruck" verschaffen von den amerikanischen, hierzulande ebenso wenig bekannten politikwissenschaftlichen Kontroversen um die "Straussians" , dann ist Bluhms "durchweg um Sachlichkeit und philologische Genauigkeit bemühte" Arbeit jedenfalls sehr hilfreich, lobt der Rezensent.

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