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Nach dem Tod Stalins im März 1953 war seinen Erben bewußt: Um die Kontinuität der kommunistischen Parteiherrschaft zu sichern, mußten umgehend Reformen durchgeführt werden, deren wichtigste die Beendigung des willkürlichen Massenterrors war. Hinzu kam eine Wirtschaftskrise, die ökonomische und gesellschaftliche Reformen notwendig machte. Es galt, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu verbessern, das Los der Bauern zu erleichtern und das mit dem Aufstieg zur Weltmacht verbundene Primat der Schwer- und Rüstungsindustrie zu relativieren, damit eine Verbesserung der industriellen…mehr

Produktbeschreibung
Nach dem Tod Stalins im März 1953 war seinen Erben bewußt: Um die Kontinuität der kommunistischen Parteiherrschaft zu sichern, mußten umgehend Reformen durchgeführt werden, deren wichtigste die Beendigung des willkürlichen Massenterrors war. Hinzu kam eine Wirtschaftskrise, die ökonomische und gesellschaftliche Reformen notwendig machte. Es galt, die Lebensmittelversorgung der Bevölkerung zu verbessern, das Los der Bauern zu erleichtern und das mit dem Aufstieg zur Weltmacht verbundene Primat der Schwer- und Rüstungsindustrie zu relativieren, damit eine Verbesserung der industriellen Konsumgüterproduktion überhaupt möglich werden konnte. Die politischen und wirtschaftlichen Reformen der neuen, "kollektiven" Führung in der Sowjetunion einschließlich der Neuordnung der Außenbeziehungen des Landes bildeten die Voraussetzungen für die Experimente in der DDR und in Ungarn, mit denen die kollektive Führung die Veränderungen der sowjetischen Politik nach außen trug. Die komparatistisch angelegten Untersuchungen des Bandes konzentrieren sich auf die Entstehung, Implantierung und Folgen des "Neuen Kurses", mit dem die sowjetische Führung nach Stalins Tod die Lage in der DDR und in Ungarn konsolidieren wollte. Der Beitrag von Manfred Wilke und Tobias Voigt zur Geschichte des "Neuen Kurses" in der DDR versucht die Komplexität der Ereignisse darzustellen: Der Prozeß von der Verordnung des "Neuen Kurses" über die Existenzkrise bis zur Stabilisierung der SED-Herrschaft verdichtete sich in einem Zeitraum von wenigen Monaten. In Ungarn dagegen wurde der "Neue Kurs" nicht zuletzt unter dem Eindruck der Berliner Ereignisse zügig umgesetzt, führte zur Konsolidierung der Lage und in der Folge zu einer Entwicklung der Widersprüche der sozialistischen Ordnung, an deren Ende die Revolution stand.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 19.01.2001

Fatale Gemeinsamkeiten
Ost-Berlin 1953 und Budapest 1956: Partei und Volk drifteten im sowjetischen Imperium auseinander

András B. Hegedüs, Manfred Wilke (Herausgeber): Satelliten nach Stalins Tod. Der "Neue Kurs". 17. Juni 1953 in der DDR. Ungarische Revolution 1956. Studien des Forschungsverbundes SED-Staat an der Freien Universität Berlin. Akademie Verlag, Berlin 2000. 316 Seiten, 78,- Mark.

"Ungarn und Deutschland verbindet eine mehr als tausendjährige Geschichte." Mit diesem Satz beginnt der ungarische Staatspräsident Árpád Göncz sein Vorwort, das er den vorliegenden Studien zum Juni-Aufstand 1953 in der DDR und zum Volksaufstand 1956 in Ungarn beigegeben hat, und er verknüpft darin zugleich Vergangenheit und Gegenwart: "So wie die Deutschen sich daran erinnern, daß mit dem politischen Umbruch in Ungarn 1989 und vor allem mit der Öffnung der ungarischen Grenze für die Flüchtlinge aus der DDR der Weg zur deutschen Einheit begann, so vergessen die Ungarn nicht, daß Deutschland ein verläßlicher Partner ihres Landes auf dem Weg in die westliche Werte- und Sicherheitsgemeinschaft ist."

Ein mahnendes Wort. Es würdigt zudem, daß die Studien aus einem gemeinsamen Forschungsprojekt des Berliner FU-Forschungsverbunds SED-Staat und des Budapester Instituts für die Geschichte der Ungarischen Revolution 1956 hervorgegangen sind. Darin liegt ihr besonderer wissenschaftlicher Reiz. Im Mittelpunkt steht die sowjetische Politik gegenüber Deutschland und Ungarn nach Stalins Tod, die durch das Eingreifen der Moskauer Führung zur Bewältigung tiefreichender politischer Krisen als Folgen stalinistischer Parteidiktatur in beiden Ländern charakterisiert ist - eine fatale Gemeinsamkeit.

Als im Frühjahr 1953 an der Moskwa der Ernst der Situation begriffen und erkannt wurde, daß unverzüglich Reform vonnöten war, wurden Delegationen unter Leitung von Walter Ulbricht und Otto Grotewohl zum einen, Mátyás Rákosi und Imre Nagy zum anderen zu getrennten "Gesprächen" in den Kreml einbestellt. Hier wurde unmißverständlich oktroyiert, was hernach in Ost-Berlin und Budapest als Politik des Neuen Kurses umgesetzt werden sollte.

In Ost-Berlin und der DDR mißriet das Moskauer Krisenmanagement binnen weniger Tage. Die Beschlüsse von Partei und Regierung über den Neuen Kurs hatten das Umschlagen der Krise in den offenen revolutionären Konflikt nicht zu verhindern vermocht, im Gegenteil, einem Katalysator gleich beschleunigten sie den Aufstand vom 17. Juni. Sowjetische Panzer erstickten die Rebellion. Ulbricht konnte sich an der Spitze der SED behaupten. Der Sturz L. P. Berijas in Moskau ermöglichte es ihm sogar, seine von dem sowjetischen Geheimpolizeichef protegierten Widersacher Wilhelm Zaisser und Rudolf Herrnstadt kaltzustellen und ihnen ein Großteil seiner Verantwortung für die Krise zuzuweisen.

Im Lande der Madjaren schien der Neue Kurs vorerst erfolgversprechend. Rákosi, hauptverantwortlich für Massenterror und Wirtschaftsverfall, als Stalinist heillos diskreditiert, blieb bis 1956 Chef der ungarischen Staatspartei. Aber Imre Nagy - einst entmachtet - wurde 1953 als Ministerpräsident eingesetzt, bis sich sein Neuer Kurs an den alten Parteikadern brach. 1955 wurde er gestürzt. Man kennt das dramatische Geschehen in der Folgezeit. Als Nagy am 24. Oktober 1956 erneut zum Ministerpräsidenten gewählt wurde, hatte der Aufstand des ungarischen Volkes schon begonnen. Am 25. Oktober floß das erste Blut in Budapest, zehn Tage später gingen Sowjettruppen in Ungarn zur bewaffneten Aggression über und schlugen den Aufstand blutig nieder.

Verschärfung des Klassenkampfes

Manfred Wilke und Tobias Voigt zeichnen die Entwicklung im Machtbereich der SED nach, ihre ungarischen Kollegen logischerweise die in ihrem Land, aber das Frappierende ihrer auf Fakten gestützten komparatistischen Betrachtungsweise ist die Vielfalt der Parallelen und Übereinstimmungen beim "Aufbau des Sozialismus" in der DDR wie in Ungarn. Der Einsatz früherer Moskau-Emigranten als Schlüsselfiguren in den jeweiligen Parteiführungen, die Instrumentalisierung des Staatsapparates, die Zernierung der nichtkommunistischen Parteien, die rigide Durchsetzung der Planwirtschaft bei unverhältnismäßiger Bevorzugung der Schwerindustrie, die Kollektivierung der Landwirtschaft ohne Rücksicht auf die Volksernährung, die Forcierung der Aufrüstung - im Prinzip stimmte das alles in der DDR und in Ungarn überein.

Übereinstimmung herrschte schließlich auch in der nach stalinistischer Manier eingeleiteten "Verschärfung des Klassenkampfes", im Einsatz von Justiz- und Geheimpolizeiterror als Mittel zur Herrschaftssicherung und zur Durchsetzung politischer Ziele, der unter Rákosi allerdings noch exzessiver, brutaler praktiziert wurde als unter Ulbricht. Die Folgen dieser Politik, ökonomische Stagnation und strukturelle Herrschaftskrisen - in der DDR zugespitzt durch eine "Abstimmung mit den Füßen" in Gestalt permanenter Massenflucht -, traten schier unausweichlich ein. Der 1953 in Moskau beschlossene Neue Kurs, der der Politbürokratie sowohl der SED wie ihrer "Bruderpartei", der Partei der Ungarischen Werktätigen, zwingend auferlegt wurde, resultierte wesentlich aus der Erkenntis, daß die herangereiften Probleme nicht mehr in alter stalinistischer Weise zu lösen waren. Andererseits sollte das Machtmonopol der Kommunisten unangetastet bleiben. Insoweit glich der Neue Kurs der Quadratur des Kreises aus dem Schattenreich politischer Illusionen.

Auch bei den Anstrengungen zur Krisenbewältigung und ihrem Scheitern zeigen sich Parallelen, vor allem die, daß auch Stalins Nachfolger die Entscheidungen nicht ihren Satrapen in Ost-Berlin und Budapest überließen. Natürlich traten auch Unterschiede hervor. In der DDR konnte nach dem Juni-Aufstand 1953 die Diktatur der SED wesentlich schneller stabilisiert werden als das Regime in Ungarn. Hier schien umgekehrt ein Neuer Kurs mit reformerischer Tendenz zeitweilig zu gelingen, bis der Aufstand des ungarischen Volkes 1956 alle Hoffnung zunichte machte. Er führte zum Zerfall der Partei der Ungarischen Werktätigen, zur Invasion der Sowjetarmee und zur blutigen Niederschlagung der Volksrevolution. Die von den Machthabern im Kreml eingesetzte Gegenregierung unter János Kádár brauchte ein Jahrzehnt, um der Diktatur zu relativer Stabilität zu verhelfen. Im Zuge der "restaurativen Vergeltung" wurden etwa 12 000 ungarische Freiheitskämpfer verurteilt. Weit über zweihundert Todesurteile wurden vollstreckt. Auch Imre Nagy starb 1958 am Galgen.

In einem resümierenden Schlußkapitel wird "der gescheiterte Gesellschaftsvertrag zwischen Partei und Volk im sowjetischen Imperium" an den historischen Beispielen DDR und Ungarn problematisiert. In dieser vergleichenden Analyse und Geschichtsbetrachtung liegt der eigentliche Erkenntniswert des Buches, wobei sich vor allem die Darlegungen zur ungarischen Revolution auf neue, bislang unausgeschöpfte Quellen aus russischen und ungarischen Archiven stützen konnen.

Das Buch ist gut gegliedert, in einer klaren, eingängigen Sprache verfaßt, nicht überfrachtet mit wissenschaftlichen Fachtermini, aber es hätte mehr editorische Sorgfalt verdient. "Nazionalsozialisten" - das muß nicht sein. Der wechselnde Gebrauch der Kürzel USAP (deutsch) und MSZM (ungarisch) für Ungarische Sozialistische Arbeiterpartei stört. Auch eine Bibliographie wird vermißt.

KARL WILHELM FRICKE

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Perlentaucher-Notiz zur FR-Rezension

Die vergleichende Studie über den Volksaufstand am 17.Juni 1953 in der DDR und die Revolution in Ungarn im Jahr 1956 stellt nationale Geschichte modellhaft in den Kontext der europäischen Geschichtsschreibung, meint Udo Scheer, der voll des Lobs ist für den von András B. Hegedüs, Lehrer am Institut für Gesellschaftsgeschichte an der Universität Budapest, und Manfred Wilke, Mitbegründer des Forschungsverbundes SED-Staat an der FU Berlin, herausgegebenen Sammelband. Zwar seien die Ereignisse bereits ausführlich und weitreichend von anderen Wissenschaftlern dokumentiert worden, doch der Rezensent sieht die besondere Qualität dieser Studie in ihrer Einordnung der beiden Aufstände in das Gefüge des sowjetimperialen Machtanspruchs. In aller Deutlichkeit könne man hier nachlesen, wie die Großmachtinteressen der Sowjets die Selbstbestimmung und Souveränität der DDR und Ungarns über Jahrzehnte verhinderten. Nur eines weiß Scheer zu korrigieren: Nicht 18 Menschen wurden in der DDR nach dem Aufstand standrechtlich erschossen, der Rezensent ist sich sicher, dass es 21 waren.

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