Marktplatzangebote
Ein Angebot für € 36,00 €
  • Gebundenes Buch

Weshalb geriet die Schweiz ab 1995 in ihre größte außenpolitische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg? Ausgehend von Interviews, die er mit Protagonisten der Auseinandersetzungen - so Singer, Eizenstat, Burg, Korman, Ospel, Krayer und Borer - in der Schweiz, den USA und Israel geführt hat, liefert der Autor facettenreiche und tiefgründige Erklärungen.

Produktbeschreibung
Weshalb geriet die Schweiz ab 1995 in ihre größte außenpolitische Krise seit dem Zweiten Weltkrieg? Ausgehend von Interviews, die er mit Protagonisten der Auseinandersetzungen - so Singer, Eizenstat, Burg, Korman, Ospel, Krayer und Borer - in der Schweiz, den USA und Israel geführt hat, liefert der Autor facettenreiche und tiefgründige Erklärungen.
Autorenporträt
Dr. Thomas Maissen ist Professor für Neuere Geschichte am Historischen Seminar der Universität Heidelberg.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 02.05.2006

Das vergessene Raubgold
Eine penible Studie über die Rolle der Schweiz in der Zeit des Nationalsozialismus und während des Kalten Krieges
Die Auseinandersetzung mit den materiellen Folgen des Nationalsozialismus und speziell mit Fragen der Restitution geraubter Vermögenswerte ist in den 90er Jahren breit diskutiert worden. Der Fokus war dabei auf jene Länder gerichtet, die im Zweiten Weltkrieg Neutrale oder sogar Kriegsgegner Deutschlands waren. Die Wiederbelebung der Restitutionsfrage hatte ihren Ursprung in Osteuropa im Zusammenhang mit der Auseinandersetzung um die „property claims”. Die Konflikte um Rückerstattung sprengten jedoch schnell den engen Rahmen und wurden zu einem internationalen Thema. Speziell die Auseinandersetzung um nachrichtenlose Vermögen und Raubgold hat sich zu einer der großen Debatten über die NS-Zeit entwickelt, innerhalb derer die Schweiz einen zentralen Platz einnahm.
Thomas Maissen hat in einer detaillierten und sehr informativen Studie, für die er eine große Anzahl von Interviews führte, diese Debatte analysiert. Sein Buch unterscheidet sich positiv von jener Literatur, die noch während der Auseinandersetzung erschienen ist und „als Teil davon anzusehen ist”, wie Maissen kritisch anmerkt. Er selbst ist um eine differenziertere Darstellung bemüht und versucht, die verschiedenen Wahrnehmungsweisen des Konflikts zu reflektieren.
Maissen umreißt die Vorgeschichte der Debatte und skizziert die Rolle der Schweiz im Weltkrieg und ihren Umgang mit nachrichtenlosen Vermögen während der Zeit des Kalten Krieges. Obwohl seit 1945 der Handlungsbedarf offensichtlich war, verhielten sich die Banken nicht nur untätig, sondern „sabotierten zielstrebig so lange, wie es möglich war, auch eine entsprechende (Sonder-)Gesetzgebung, die allein der außergewöhnlichen Situation nach der Schoah hätte angemessen sein können”.
Den Rahmen bildet für den Autor die sich neu entwickelnde (Welt-)Ordnung nach dem Ende des Kalten Krieges sowie der Paradigmenwechsel in der Holocaust-Erinnerung - die Schoah wurde „zum Angelpunkt eines gesamteuropäischen und universalen Gedächtnisses”. Auf allein mehr als 400 Seiten befasst sich Maissen chronologisch mit dem Verlauf der Auseinandersetzung. Die Menge an Informationen ist beeindruckend, auch wenn darunter manchmal die Gesamtübersicht zu leiden droht.
Maissen kommt zu der zentralen Einschätzung, dass es „keineswegs ‚nur‘ ums Geld” ging. Damit tritt er jenen Deutungen entgegen, die die Auseinandersetzungen um Restitution und Entschädigung auf eine Monetarisierung der Erinnerung reduzieren. Eine Geste der Entschuldigung von Seiten der Schweiz sowie das unumwundene Eingeständnis eigener Fehler und der Selbstverpflichtung, daraus Konsequenzen zu ziehen, hätten nach Einschätzung des Autors eine Eskalation der Krise noch verhindert.
Es war diese generelle Abneigung gegen ein Schuldeingeständnis, das die Schweiz von anderen westlichen Ländern unterschied und die Schärfe der Auseinandersetzung provozierte. Maissen hält treffend fest, dass es in der Debatte also nicht um „das vorhandene individuelle Wissen von Spezialisten” ging, sondern um „gesellschaftliches Wissen, das für ganze Gruppen bewusstseinsbildend und handlungsleitend ist”. Dies beinhaltete auch eine generelle Auseinandersetzung mit den nationalen Nachkriegsmythen des Kalten Krieges. An diesem Punkt wäre es wünschenswert gewesen, die Herausbildung eines neuen geschichtspolitischen Selbstverständnisses der westlichen Gesellschaften nach dem Ende des Kalten Krieges stärker in die Untersuchung mit einzubeziehen.
Maissen legt den Schwerpunkt auf die „Erfordernisse einer gewandelten, globalisierten Umwelt”. Er lässt dabei leider einen anderen zentralen Aspekt, den der US-Geschichtspolitik nach dem Ende der bipolaren Weltordnung, in den Hintergrund treten. Hier wäre es interessant gewesen, stärker auf den „Kreuzzug für Gerechtigkeit” der Clinton-Regierung einzugehen: die Frage, inwieweit eine universalisierte und aus dem Kontext gelöste Holocaust-Erinnerung den moralischen Kitt für eine neue Legitimationsgrundlage westlicher Handlungsoptionen bilden kann. Kritisch zu bewerten ist daher Maissens Feststellung, dass die Debatte „zur Entwicklung eines Normenfundaments beitrug, das in Menschenrechtsfragen über das herkömmliche Gewaltverbot des Völkerrechts hinauswies”.
Der Bedeutung des „Auschwitz-Codes” für ein neues Geschichtsbild und die damit zusammenhängende „zunehmende Moralisierung der zwischenstaatlichen und wirtschaftlichen Beziehungen” wären in diesem Kontext mehr Aufmerksamkeit zu wünschen gewesen. Insgesamt gelingt es Maissen aber in seiner profunden Arbeit, die zentralen Elemente des entschädigungspolitischen Paradigmenwechsels zu benennen und die Debatte mit großem Detailwissen nachzuzeichnen.
JAN SURMANN
THOMAS MAISSEN: Verweigerte Erinnerung. Nachrichtenlose Vermögen und Schweizer Weltkriegsdebatte 1989-2004. Verlag Neue Zürcher Zeitung, Zürich 2005. 736 Seiten, 47 Euro.
Mit diabolischer Freude betrachten Joseph Goebbels und Reichsbankpräsident Walther Funk (in der Mitte) das von ermordeten Juden geraubte und eingeschmolzene Gold, das teilweise seinen Weg auch in die Schweiz fand.
SZ-Archiv
SZdigital: Alle Rechte vorbehalten - Süddeutsche Zeitung GmbH, München
Eine Dienstleistung der DIZ München GmbH
…mehr