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In den hier erstmals vorgelegten Texten verhandelt Foucault die Beziehungen zwischen der Sprache des Wahnsinns, der Literatur und dem, was er ihre »Kritik« nennt. Mit Shakespeare und Cervantes greift er das Hereinbrechen des Wahnsinns in die Literatur auf, gibt am Beispiel von Homer und Proust eine Einführung in sein eigenes literaturontologisches Denken und zeigt sich zugleich ganz als Literaturarchäologe. Im Spannungsfeld der permanenten Überschreitung einer außer sich geratenen Sprache und dem Trugbild eines »Buches«, das, um Literatur zu werden, seine eigene Existenz bestreiten muss,…mehr

Produktbeschreibung
In den hier erstmals vorgelegten Texten verhandelt Foucault die Beziehungen zwischen der Sprache des Wahnsinns, der Literatur und dem, was er ihre »Kritik« nennt. Mit Shakespeare und Cervantes greift er das Hereinbrechen des Wahnsinns in die Literatur auf, gibt am Beispiel von Homer und Proust eine Einführung in sein eigenes literaturontologisches Denken und zeigt sich zugleich ganz als Literaturarchäologe. Im Spannungsfeld der permanenten Überschreitung einer außer sich geratenen Sprache und dem Trugbild eines »Buches«, das, um Literatur zu werden, seine eigene Existenz bestreiten muss, entwirft Foucault das Bild einer Literatur, die sich der Repräsentation entzieht und zugleich die sie verdoppelnde Sprache der Kritik ermöglicht. Dabei geht er das Risiko ein, eine »andere Ordnung« zuzulassen, um der modernen Erfahrung der Literatur Raum zu geben und den historischen Augenblick ihrer Entstehung zu konkretisieren. Diese Erfahrung kommt nirgends so deutlich zum Ausdruck wie beide Sade: In der bedingungslosen Zurschaustellung, in der zeremoniellen Form der erotischen Szenen zeigt sich eine Verbindung zwischen Wahrheit und Begehren, die die Literatur eingeht, um all das vehement abzulehnen, was im Namen Gottes oder der Natur bislang gesagt wurde.
Autorenporträt
Michel Foucault war Philosoph, Soziologe und Ideenhistoriker. Er gilt als Begründer der Diskursanalyse.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 21.01.2015

Still ruht das Ding im Getöse der Sprache
Abschied von de Sade: Texte von Michel Foucault zu Literatur und Wahnsinn

Im Werk Michel Foucaults nahmen literarische Werke eine Zeitlang einen bedeutenden strategischen Platz ein. Zumindest bis 1970, dem Jahr seines Eintritts ins Collège de France, tauchen eine Reihe von Autoren an neuralgischen Punkten seiner Bücher auf: Hölderlin, Cervantes, der Marquis de Sade, Mallarmé oder der exzentrische französische Schriftsteller Raymond Roussel, dem Foucault 1963 auch ein kleines Buch widmete. Darüber hinaus entstanden in dieser Zeit zahlreiche Essays zu Literatur und Kritik, von denen eine Auswahl bereits 1974, also noch zu Lebzeiten des Autors, auf Deutsch unter dem Titel "Schriften zur Literatur" erschien. Und nachdem das meiste, was Foucault je geschrieben und gesprochen hat, mittlerweile veröffentlicht worden ist, mag man die Frage stellen, was der nun erschienene kleine Band mit Texten zu "Wahnsinn und Literatur" diesen Tausenden von Seiten noch hinzuzufügen hat.

Während die Herausgeber der französischen Ausgabe die versammelten Äußerungen vornehmlich als Beitrag zur Foucault-Forschung im engeren Sinn betrachten, möchte die deutsche Präsentation in ihnen eine genuin Foucaultsche "Ontologie der Literatur" als analytisches Programm orten. Angesichts des inflationär gebrauchten Labels "Diskursanalyse" in der deutschsprachigen Literaturwissenschaft müsste man derartige Rigorosität im Prinzip begrüßen. Allerdings hinterlassen Auswahl und rudimentäre editorische Arbeit eher den Eindruck, dass sich der Band viel zu sehr im Windschatten der unerbittlichen Kanonisierung Foucaults bewegt, als dass er diesen historisch-kritisch zu befragen imstande wäre.

So stellt sich etwa die Frage, warum zwei Folgen einer Radiosendung über die "Sprache des Wahnsinns" von 1963 ausgewählt wurden. Längere Zitate aus literarischen Texten, aber auch klinische Aufzeichnungen, von Schauspielern gelesen, sollten da im Wesentlichen die kühnen Thesen des Philosophen illustrieren, der sich anschickte, anhand des "Prüfsteins des Wahnsinns die Geschichte der westlichen Gesellschaften zu schreiben", wie es im Ankündigungstext der Sendung hieß. Es ging hier also weniger um das Entwickeln von neuen Thesen über "Wahnsinn und Gesellschaft" (1961) hinaus als um deren publikumswirksame Präsentation. Mystiker wie Anstaltsinsassen kommen bloß als Kronzeugen des von Foucault formulierten "Gesetzes" zu Wort, dass die "Dinge in der Sprache enthalten und von ihr umhüllt sind wie ein versenkter und stiller Schatz im Getöse des Meeres". Eine Ontologie der Literatur findet sich eher in solchen beschwörenden Gesten als in programmatischer Form.

Eine besondere Stellung unter den Autoren, die hier ihren Auftritt haben, kommt dem Marquis de Sade zu. Das Faktum, dass de Sades Schriften unterdrückt und er selbst lange Zeit seines Lebens weggesperrt war, machte ihn zur geeigneten Galionsfigur einer Theoretisierung der Literatur als "Gegendiskurs", wie sie im Frankreich der Nachkriegszeit entworfen wurde. In diesem Zusammenhang hatten Georges Bataille, Maurice Blanchot oder Pierre Klossowski bereits den "Wahnsinn" de Sades thematisiert. Wie sehr Foucault im Banne dieser Lesarten stand, macht ein 1964 gehaltener Vortrag über "Literatur und Sprache" deutlich, der sich im zweiten Teil des Bandes findet. De Sades Schreibweise wird hier als Figur der Überschreitung in ihrer reinsten Ausprägung bezeichnet. Das Werk des Marquis erscheint als Begründung der modernen Literatur, die mit der Repräsentationsordnung des Klassischen Zeitalters und dem Vorrang der Rhetorik bricht.

Es ist interessant zu beobachten, wie sich diese Einschätzung Foucaults mit den Jahren wandelte. Der dritte und letzte Text des Bandes, ein Vortrag, den Foucault in verschiedenen Versionen zwischen 1970 und 1972 gehalten hat, ist allein einer Lektüre von de Sades "La Nouvelle Justine" gewidmet. Dabei wird die Bedeutung des Schreibens für de Sade nun in der engen Verschränkung von Wahrheit und Begierde (wie man "désir" hier wohl besser übersetzen würde) auf der Ebene der "Mechanik" des Diskurses der Libertinage verortet. Mit seiner nüchternen Systematisierung der einzelnen Funktionen dieses Diskurses wendet sich Foucault insbesondere gegen die Auffassung, de Sade sei ein Vorläufer der Psychoanalyse oder theoretisch und politisch für das Projekt sexueller Emanzipation zu gebrauchen.

Die Vorlesung markiert damit auch jenen Wendepunkt im Denken Foucaults, nach dem ihm der Marquis zunehmend nur noch als "letzter Zeuge des 18. Jahrhunderts" erscheint. Im Licht von Foucaults Thesen zur Disziplinargesellschaft wird de Sade als "Unteroffizier des Sex" zu einem ihrer ersten und konsequentesten Vertreter erklärt und im ersten Band der "Geschichte der Sexualität" (1976) als Adept einer vormodernen "Symbolik des Blutes" schließlich sogar zum Wegbereiter von Rassismus und Eugenik.

ANDREAS MAYER.

Michel Foucault: "Die große Fremde". Zu Wahnsinn und Literatur.

Hrsg. v. Ph. Artières u.a. Aus dem Französischen von A. Klawitter und J. Hock. diaphanes Verlag, Berlin 2014. 208 S., br., 24,95 [Euro].

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Perlentaucher-Notiz zur F.A.Z.-Rezension

Die hier versammelten Texte von Michel Foucault zu Literatur und Wahnsinn würde Andreas Mayer gerne als historisch-kritische Auseinandersetzung mit Foucault lesen. Allerdings hat er eher den Verdacht, die enthaltenen Texte seien nur ein weiterer Schritt auf dem Weg zur Kanonisierung des Autors. Was Foucault 1964 in einer Vorlesung über de Sades Schreibweise der Überschreitung zu sagen hat, scheint ihm dennoch interessant, kann er doch feststellen, wie sich die Einschätzung des Autors zu de Sade mit der Zeit wandelte.

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