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Ein eindringliches, bestens informiertes und wichtiges Buch. Christian Marazzi liefert in Verbranntes Geld eine innovative Analyse der Finanzökonomie, die heute die Wirtschaftskreisläufe in ihrer Gesamtheit durchdringt. Die globale Krise des Finanzkapitalismus ist nicht etwa eine unproduktive oder parasitäre Abweichung auf dem Weg zu mehr Wachstum. Im Gegenteil, es offenbart sich darin eben die Form der Akkumulation des Kapitals, die den neuen Prozessen der Produktion und der Wertschöpfung genau entspricht.
Zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft ist keine scharfe Trennung mehr zu
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Produktbeschreibung
Ein eindringliches, bestens informiertes und wichtiges Buch. Christian Marazzi liefert in Verbranntes Geld eine innovative Analyse der Finanzökonomie, die heute die Wirtschaftskreisläufe in ihrer Gesamtheit durchdringt. Die globale Krise des Finanzkapitalismus ist nicht etwa eine unproduktive oder parasitäre Abweichung auf dem Weg zu mehr Wachstum. Im Gegenteil, es offenbart sich darin eben die Form der Akkumulation des Kapitals, die den neuen Prozessen der Produktion und der Wertschöpfung genau entspricht.

Zwischen Realwirtschaft und Finanzwirtschaft ist keine scharfe Trennung mehr zu ziehen, und der Kapitalismus ist längst nicht mehr mit Industriekapitalismus gleichzusetzen, sondern tritt ebenso als Biokapitalismus und Wissenskapitalismus in Erscheinung. Entscheidend ist, so Marazzi, ein neues begriffliches Rüstzeug nicht nur zum Verständnis der Krise zu entwickeln, sondern auch für den politischen Umgang mit der Finanzökonomie als solcher.
Autorenporträt
Marazzi, ChristianChristian Marazzi ist Ökonom und Politologe. Als Professor für Wirtschaftswissenschaften unterrichtet er an der Scuola Universitaria della Svizzera Italiana (Lugano). Er hat zahlreiche Bücher zu gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Themen veröffentlicht.
Rezensionen

Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 18.10.2011

Kommunismus des Kapitals
Ähnlich wie Joseph Vogl kritisiert der Italiener Christian Marazzi die globale Finanzwirtschaft und plädiert für neue supranationale Steuerungsinstrumente
Ausgerechnet der Essay des Berliner Literaturwissenschaftlers Joseph Vogl sorgte um die Jahreswende für Aufsehen. Unter weitgehendem Ausschluss von Ökonomen entzündete sich in deutschen Feuilletons eine Debatte über das intellektuelle Versagen der Zunft. Vogls Schrift verdichtete die Kritik. Nun liegt in der gleichen Reihe des kleinen, aber feinen Diaphanes-Verlags ein mindestens ebenso streitbares Büchlein von Christian Marazzi vor. Der Italiener ist Ökonomieprofessor an der Universität der italienischen Schweiz in Lugano. In seiner Heimat ist er als Kapitalismuskritiker bekannt. Marazzi setzt nahtlos dort an, wo Vogl endet: Bei der Feststellung, dass die etablierte ökonomische Theorie einen Irrweg beschritten hat. Mit seiner Analyse des heutigen Finanzkapitalismus will er zeigen, dass die gegenwärtige Krise keine Ausnahme darstellt, sondern die Norm. Eine dem Kapitalismus innewohnende Gesetzmäßigkeit sozusagen.
Nun ist Marazzi keinesfalls als erster dieser Ansicht. Bereits in den 1960er Jahren hatte der US-Ökonom Hyman Philip Minsky eine entsprechende Theorie entwickelt. Damit blieb er ein Außenseiter und konnte die herrschende neoklassische Theorie angeblich effizienter Kapitalmärkte nicht vom Thron stoßen. Auch Wirtschaftshistoriker wie Charles Poor Kindleberger oder Barry Eichengreen erkannten wiederkehrende Krisenmuster.
Marazzis Buch ist dennoch bemerkenswert. Auf nur 122 Seiten entfacht er, vergleichbar mit Vogl, ein in sich schlüssiges gedankliches Feuerwerk. Souverän rekurriert er auf verschiedene Denkschulen. Marazzi ist ein meinungsstarker Autor, dem das Denken in großen Zusammenhängen Spaß macht. Die zunehmende Herrschaft der Geldsphäre über die reale Wirtschaft – und im Laufe der Zeit auch über alle anderen Lebensbereiche – sei die logische Folge der krisenhaften Entwicklung ab den 1960er Jahren. Die Ursache sieht er vor allem im dramatischen Rückgang der Gewinne Ende der 1960er und zu Beginn der 1970er Jahre. Marazzi spricht von rund fünfzig Prozent. Auf der Suche nach neuen Gewinnquellen gingen immer mehr Akteure dazu über, mittels Geld noch mehr Geld zu verdienen, ohne die Welt im Gegenzug mit Brot, Maschinen oder Reparaturen von Sportbooten zu beglücken. Ökonomen bezeichnen dieses Phänomen als Finanzialisierung.
Seine These malt der Italiener in großen Schwüngen aus und sieht in dieser Finanzialisierung den neuen Motor des Kapitalismus. Den vorläufigen Höhepunkt markieren die Finanzkrise des Jahres 2008 und die ihr folgenden Krisen der Staatsverschuldung und des Euro. Die Situation ist historisch, denn sie birgt in sich alle Widersprüche, die sich seit den 1960er Jahren angehäuft haben. Allein Marazzis in diesem Zusammenhang skizzierte Beschreibung der globalen Ursachen ist lesenswert. Die weitere Analyse kreist um eine der Folgen: die Umverteilung der Geld- und Renteneinkommen auf „eine zutiefst ungleiche und prekäre Weise“. Illustres Beispiel sind die deutschen Altersrenten. Sie werden nicht wie früher vollständig aus den Einzahlungen der Jungen in einen gemeinschaftlichen Topf erbracht. Vielmehr sichert sich jeder Einzelne zunehmend mit Wertpapieren auf dem Finanzmarkt ab. Im widersinnigen Vertrauen darauf, das System werde schon irgendwie weiter laufen und Wertsteigerungen generieren.
Auch die Geburt der europäischen Gemeinschaftswährung fiel Marazzi zufolge dem Finanzkapitalismus zum Opfer: Politiker stellten nicht die soziale und wirtschaftliche Einigung Europas in den Mittelpunkt, sondern die Einheit der Kapitalmärkte. Sie versäumten, die jeweiligen Lohn- und Steuersysteme der Mitgliedsstaaten aufeinander abzustimmen. Der Euro, faktisch eine Währung ohne Staat, diene als Vehikel der Finanzialisierung der Ökonomie. In der derzeitigen zweiten Runde der Krise – ausufernde öffentliche Schulden und drohende Staatspleiten – dehnt sich die Finanzlogik auf den öffentlichen Raum aus. Marazzi geißelt die „Sozialisierung des Finanzkapitals“ als „Diktatur des Marktes“ und „Kommunismus des Kapitals“. Das ist polemisch, entspricht aber den Tatsachen: Private, zumeist wohlhabende Schuldner wälzen ihre Verluste auf die Steuerzahler ab.
Der Autor hat konkrete Vorstellungen, wie der fatale Kreislauf überwunden werden könnte. Ohne die Einbindung der Schwellenländer wird es keine tragfähige globale Lösungsstrategie geben. Zudem müsste das internationale Währungssystem so reformiert werden, dass sich die grundlegenden globalen Ungleichgewichte nicht länger reproduzieren. Deshalb greift Marazzi Vorschläge für die Institutionalisierung einer echten supranationalen Währung auf. John Mayard Keynes zum Beispiel hatte ein solches Konzept, den Bancor, bereits auf der Konferenz von Bretton Woods im Jahr 1944 vorgestellt. Erfolglos.
Inzwischen organisiert sich der Widerstand gegen das herrschende Finanzsystem lokal und global. „In den Kämpfen geht es darum“, schreibt Marazzi, „die Regeln, nach denen die Märkte und das Finanzsystem zu steuern sind, kollektiv von unten neu zu definieren.“ Letztlich geht es ihm um ein ausgewogeneres Verhältnis zwischen dem Finanzsektor und der übrigen Wirtschaft. Wie das konkret aussehen soll, lässt er offen. Er stellt lediglich fest, dass es keine fertigen Rezepte gibt. Doch hat er „die feste Überzeugung, dass jedwede Zukunft von uns selbst abhängt.“
ULI MÜLLER
CHRISTIAN MARAZZI: Verbranntes Geld. Verlag Diaphanes, Zürich 2011. 137 Seiten, 14,90 Euro.
Der Widerstand gegen das herrschende Finanzsystem organisiert sich mittlerweile global: Hier Demonstranten in Vancouver, Berlin und Athen. Fotos: Jeff Vinnick/Getty Images/AFP, Louisa Gouliamaki/AFP Photo, Hannibal dpa/lbn
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Perlentaucher-Notiz zur TAZ-Rezension

Als das "wichtigste Buch über die Krise" in diesem Herbst würdigt Ulrike Heike Müller diesen Essay von Christian Marazzi. Dem italienischen Ökonom gelingt es in ihren Augen, die Ursachen, Wirkungen und Folgen der Finanzkrise und der Krise des Euro prägnant zu erfassen und zu analysieren. Die Ausdehnung der Finanzlogik, die Entwicklung weg von einer Real- zu einer Finanzökonomie und zu neuen Formen der Kapitalakkumulation erläutert der Autor für sie klar und geradlinig. Besonders hebt sie hervor, dass sich Marazzi auch Gedanken über einen Weg aus der Krise und eine Umgestaltung des Finanzsystems macht, ohne besserwisserisch zu erklären, wie ein neues Wirtschaftssystem aussehen könnte. "Verbranntes Geld" bietet für Müller nicht zuletzt eine überzeugende "intellektuelle Basis" für neue Formen des Widerstands gegen den Krisenkapitalismus.

© Perlentaucher Medien GmbH
»Marazzis Buch ist bemerkenswert. Auf nur 122 Seiten entfacht er ein in sich schlüssiges gedankliches Feuerwerk.« Uli Müller, Süddeutsche Zeitung