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Was geht im Kopf der Kanzlerin vor? Und was hatten Kohlrouladen und die Opern von Wagner mit ihrer Flüchtlingspolitik zu tun? Dieses Buch lässt Angela Merkel als tragikomische Figur von Shakespeare'schem Format lebendig werden. Überraschend, scharfzüngig und äußerst amüsant.

Produktbeschreibung
Was geht im Kopf der Kanzlerin vor? Und was hatten Kohlrouladen und die Opern von Wagner mit ihrer Flüchtlingspolitik zu tun? Dieses Buch lässt Angela Merkel als tragikomische Figur von Shakespeare'schem Format lebendig werden. Überraschend, scharfzüngig und äußerst amüsant.
Autorenporträt
Richter, Konstantin
Konstantin Richter, geboren 1971, hat bei Kein & Aber zwei Bücher veröffentlicht: »Bettermann« (2007) und »Kafka war jung und er brauchte das Geld« (2011). Er hat für deutsch- und englischsprachige Medien über Merkel und die Flüchtlingskrise geschrieben und ist Contributing Writer für das US-Nachrichtenportal »Politico«. Im Jahr 2011 gewann er den Deutschen Reporterpreis für eine Reportage in der »Zeit«.
Rezensionen

Frankfurter Allgemeine Zeitung - Rezension
Frankfurter Allgemeine Zeitung | Besprechung von 02.04.2017

Manchmal wär' ich auch gern tot
Was geht im Kopf von Angela Merkel vor? Der Roman "Die Kanzlerin. Eine Fiktion" erfindet die bescheuertstmögliche Version

Ein Autor muss sich schon wirklich viel zutrauen, wenn er einen Roman darüber schreibt, was im Kopf von Angela Merkel vorgeht. Denn er muss es sich ja ausdenken in seinem eigenen Kopf, der, nicht böse gemeint, höchstwahrscheinlich nicht so leistungsfähig ist wie der von Angela Merkel.

Schwierige Aufgabe. Aber na gut. Erst mal ist es ja schön, wenn ein Autor, in diesem Falle Konstantin Richter, Jahrgang 1971, sich einer schwierigen Aufgabe annimmt. Über Männer, heißt es in letzter Zeit vermehrt, sie fühlten sich abgehängt, unsicher und orientierungslos. Karrierelustige Frauen, ihr Leben als Start-up begreifend, bedrohten das Traditionsunternehmen Männlichkeit. Derlei Sorgen hat Konstantin Richter offenbar nicht. Während andere Männer noch als Pick-up-Artists versuchen, sich in die Köpfe harmloser Fußgängerzonenschönheiten einzuwählen, nimmt Richter sich die Bundeskanzlerin vor. Diesmal aber nicht mit den Mitteln eines Politikjournalisten, wie er es in der Vergangenheit ein paar Mal etwa bei "Politico" getan hat, sondern als Romanautor.

Schon im Juni vergangenen Jahres veröffentlichte Richter einen Artikel bei "Politico", in dem er feststellte, Merkels Mühen während der Flüchtlingskrise seien Stoff für einen "packenden Roman", den er dann auch sogleich skizzierte. Kern der Geschichte wäre, dass die Bundeskanzlerin als Pragmatikerin gezeigt würde, die einmal im Leben auf ihr Herz hört, versucht, die Dinge anders zu machen als sonst - und scheitert. "Das ist die Art von Aufstieg-und-Fall-Geschichte, die jeder gerne liest", lobte Richter seine Idee damals. Nun hat er diese Geschichte auf 176 Seiten ausgebreitet.

Ganz vorne rein in "Die Kanzlerin. Eine Fiktion" hat der Verlag zur Sicherheit geschrieben: "Dies ist ein Roman und damit Fiktion und keine Dokumentation tatsächlicher Geschehnisse." Wäre man allerdings auch so drauf gekommen. Die schönsten Geschichten schreibt halt das Leben, die schlechtesten immer ein Autor, der seine Fähigkeiten überschätzt.

Dabei ist die Sache superinteressant. Wer läse nicht gern darüber, was die Kanzlerin hinter den Kulissen tat und dachte, während Deutschland über die Flüchtlinge stritt? Das Sachbuch "Die Getriebenen", dessen Autor genau dazu recherchiert hat, verkauft sich gerade wie wild. Auch Richters Buch, sein drittes, weckt die Neugier; das Leben ist schließlich keine Meldungsspalte. Aber es ist eben auch keine Witzeseite mit Redaktionsschluss 1970, und eines der größten Probleme des Romans "Die Kanzlerin" ist, dass der Autor lustig sein will, indem er die Kanzlerin zur Witzfigur macht.

Die Erzählung setzt ein im Juli 2015. Angela Merkel, die auch im Buch Angela Merkel heißt, besucht mit ihrem Mann die Bayreuther Festspiele, genauer die Aufführung von "Tristan und Isolde". Das hatte die Kanzlerin, also die echte, tatsächlich getan. Kein aufregender Abend. Am aufregendsten war gewesen, dass Merkel vom Stuhl fiel. Die "Bild" meldete zunächst, die Kanzlerin sei ohnmächtig geworden, korrigierte das aber, nachdem Merkels Pressesprecher mitgeteilt hatte, der Stuhl sei zusammengebrochen, nicht seine Chefin, und Augenzeugen davon berichteten, dass besagter Stuhl "in mehrere Teile zerborsten" sei. Richter findet aber die Version mit der ohnmächtigen Kanzlerin besser. Dramaturgisch so mittel steuert er auf den großen Zusammenbruch zu. Seite sechs: "Die Kanzlerin presste den Po gegen die Lehne des Stuhls, um aufrecht zu sitzen, wenn das Vorspiel begann. Ihr Kleid spannte." Seite 15: "Sie schwitzte stark. Das Kleid zwickte. Sie lehnte sich vor. Sie lehnte sich wieder zurück. Sie schloss die Augen. Sie hielt durch." Aber nicht lange, denn weiter unten auf Seite 15, der erste Aufzug ist endlich vorbei, "war ihr komisch zumute", sie sah "flimmernde Punkte, ihr Blickfeld verengte sich, es wurde düster", und dann, auf Seite 16, passiert es: "Theatralisch, wie sie dachte, sank sie zu Boden, dann war da nichts mehr. Bloß Farben. Überirdisch leuchtend. Und pures Glück." Was? Na ja: Man kann als Leser schon froh sein, dass der sogenannte Po nicht noch mal Erwähnung findet.

Anstatt es bei solchen Bierzeitungsphantasien zu belassen, wird Richter dann aber gemein. Er schreibt, Merkel leide an einer chronischen Krankheit: dem Restless-Legs-Syndrom. Das gibt es wirklich. Die Deutsche Restless-Legs-Vereinigung beschreibt es als ein Leiden, bei dem Schmerzen in den Beinen zu ständigem Schlafmangel führen. Der Betroffene fühle sich "immer müde und zermürbt", was zu körperlicher und seelischer Erschöpfung führen könne, schlimmstenfalls zu schweren Depressionen. Konstantin Richter also: "In letzter Zeit war die Kanzlerin oft gereizt, unmotiviert, antriebsarm." Aber sie wolle sich nun mal nicht ärztlich behandeln lassen.

Stattdessen denke sie bei sich: "Ich kann mich nicht auf komplizierte Gespräche konzentrieren, wenn die Beine jucken. Manchmal möchte ich alles hinschmeißen und was ganz anderes machen. Manchmal wär ich gern UNO-Generalsekretärin in New York. Manchmal wär ich auch gern tot."

Den letzten Satz kann man als Leser, der da weiterlesen muss, nur unterschreiben. Denn ein Roman wie "Die Kanzlerin" kann ja bloß dann überhaupt funktionieren, wenn er das, was niemand über die Kanzlerin weiß und was sich der Autor also ausdenkt, so mit dem zusammenfügt, was jeder weiß, dass es noch Sinn ergibt. Das geht aber spätestens jetzt nicht mehr. Die Kanzlerin führt jeden Tag komplizierte Gespräche, zum Beispiel zu den Themen Brexit, Türkei-Spionage und Große Koalition, und allein die Namen der Gremien im Kopf zu behalten, mit denen sie diese Woche zusammensaß (zum Beispiel mit dem Sachverständigenrat zur Begutachtung der gesamtwirtschaftlichen Entwicklung), erfordert mehr Konzentration, als die meisten Menschen aufbringen. Dieser Satz war jetzt absichtlich so lang. Angela Merkel muss jeden Tag noch viel längere Sätze lesen und verstehen. Und auf einmal soll man sich vorstellen, eigentlich juckten ihr die Beine und sie verstehe gar nichts?

Wert auf Logik scheint Richter ohnehin nicht zu legen, wie der folgende Satz beispielhaft zeigen mag: "Die Kanzlerin hatte deshalb sowohl die Fähigkeit verloren, Glück zu empfinden, wie auch, dem Glück (wenn sie welches empfand) einen angemessenen Ausdruck zu verleihen." Man müsste sich darüber gar nicht ärgern, wenn es nicht typisch wäre für eine Geisteshaltung, die alles, was sie nicht versteht oder verstehen will, als krank, kaputt, gestört charakterisiert. Das betrifft die Deutungen von Politik auch und vor allem außerhalb von Romanen, zum Beispiel in Zeitungen und Facebook-Kommentaren, aber hier nun eben auch mal in einem Roman. Wer bestimmt denn, was der angemessene Ausdruck von Glück ist? Wer am vergangenen Montag, einen Tag nach der für die CDU sehr erfolgreichen Saarland-Wahl, in Angela Merkels Gesicht schaute, als sie im Konrad-Adenauer-Haus auftrat, wusste sofort, dass sie sich freute. Muss sie erst "Geile Sache" brüllen, damit es auch der Letzte versteht? Sie sagte stattdessen einen wunderschönen, bescheidenen und doch fröhlichen Satz: "An einem Tag wie gestern muss man wenig traurig sein." Viele Deutsche wissen diesen Stil zu schätzen. Vielleicht reden sie selbst nicht so. Aber sie wählen eine Frau, die so redet, zur Kanzlerin.

Doch zurück zur Kanzlerin mit den kribbelnden Beinen. Bevor es zu dem Wochenende im September 2015 kommt, an dem sie die Flüchtlinge aus Ungarn nach Deutschland einreisen ließ, streut Richter noch ein paar Informationen über Merkel ein, die er offensichtlich Merkel-Biographien entnommen hat. Jedenfalls sichert er entsprechende Passagen ab mit Formulierungen wie "In fast jeder Biografie konnte man nachlesen, dass" oder "das hatten ihre Biografen auch schon bemerkt" oder "Sie ging zum Büroregal, wo die Biografien in einer Reihe standen" und "schlug die besagte Geschichte nach", ja, so steht es da echt, die Kanzlerin schlägt ihre eigenen Erlebnisse in Biographien über sich nach, denn "sie hatte schlichtweg zu viel gelesen und wusste nicht mehr, woran sie sich selbst erinnerte und was sie bloß bei Langguth, Boysen und Roll über sich erfahren hatte". Dieses Strebertum des Autors - "Hallo, ich habe ernsthafte Bücher über die Kanzlerin gelesen" - wirkt zwischen den albernen Erfindungen über sie fast schon lustig. Um dem Glück des Lesers über diese Lustigkeit mal einen angemessenen Ausdruck zu verleihen: ha, ha.

Man kann die Sache an dieser Stelle abkürzen: Die Kanzlerin lässt die Flüchtlinge einreisen. Richter beschreibt, wie sie sich am darauffolgenden Montag ihren Mitarbeitern im Kanzleramt erklärt: "In bestimmten, ja, sagen wir ruhig, historischen Momenten sei es vielleicht ratsamer, dem Instinkt zu folgen und erst dann mit dem Nachdenken zu beginnen, wenn man die Entscheidung schon hinter sich habe." Zuvor hatte sie schon Seehofer, den Mahner, "unbekümmert" mit den Worten abgefertigt: "Mach dir keine Sorgen, Horst, wir schaffen das schon." Und zwar, weil ihr "einfach nicht danach" war, zu argumentieren. Aufs SMS-Schreiben hat sie nun auch keine Lust mehr, und wenn sie was schreibt, dann "leicht verspielte Bemerkungen, die sie stets mit einem Emoticon versah". Vielleicht gibt es Leute, die das lustig finden, Leute finden ja auch Filme wie die "Wanderhure" gut.

Trotzdem ist der Roman "Die Kanzlerin" kein Beleg dafür, dass es falsch wäre, Romane über lebende Politiker zu schreiben. Auch nicht dafür, dass es falsch wäre, die Kanzlerin und ihre Politik zu kritisieren. Aber schon dafür, dass die alten Lästereien von der ewig gefühlskalten, dann irrational barmherzigen Merkel nicht überzeugender werden, wenn man nur ein paar Anekdoten (Joachim Sauer bestätigt ihr, die heulend in seinen Armen liegt, schließlich, dass sie Fehler gemacht habe) drum herum erfindet.

FRIEDERIKE HAUPT.

Konstantin Richter: "Die Kanzlerin: Eine Fiktion". Kein & Aber, 176 Seiten, 18 Euro

Alle Rechte vorbehalten. © F.A.Z. GmbH, Frankfurt am Main
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Süddeutsche Zeitung - Rezension
Süddeutsche Zeitung | Besprechung von 10.04.2017

Grüße an Horst
Flaue Fiktion: „Die Kanzlerin“
von Konstantin Richter
„Eine Fiktion“ steht gleich unter dem Titel dieses Buches. Ausgedacht hat sich der 1971 geborene Reporter Konstantin Richter allerdings wenig. Die äußeren Umstände, in denen er seinen – nennen wir es Roman – angesiedelt hat, entsprechen denen des Jahres 2015: Die Kanzlerin besucht Bayreuth und hört „Tristan und Isolde“, kurz darauf entscheidet sie, die Grenzen für die auf der Balkanroute herbeiströmenden Flüchtlinge zu öffnen. Schließlich beginnen Verhandlungen mit der Türkei, um eben diesen Strom einzudämmen.
Ja aber, könnte man einwenden, alles andere scheint doch der Fantasie des Autors entsprungen: Wie Angela Merkel einsam in der Skylobby des Kanzleramts sitzt und über das Glück sinniert. Wie sie von ihrem Mann Rat erhofft, Joachim Sauer aber lieber über seinen Kampf um Fördermittel monologisiert. Wie sie in der Uckermark Tulpenzwiebeln pflanzt und Christopher Clarke liest, aus der Historie aber ebenso wenig Aufschluss darüber erlangt, wie mit der schwierigen Situation umzugehen sei, wie von Martin Walser, den sie in einem Akt völliger Verzweiflung anruft, nur um ihn auf dem falschen Fuß zu erwischen.
All das ist freilich nicht passiert und also ausgedacht. Aber ist es eine Fiktion? Zumindest keine gute. Denn sie arbeitet einzig mit dem Naheliegenden. Sie bedient sich aller Merkel-Klischees, ohne daraus satirische Schärfe zu ziehen oder gar Einsichten in die Mechanismen der Politik zu gewinnen.
Anfangs erscheint die Kanzlerin in Konstantin Richters Vorstellung wie eine Autistin, die nur deshalb zur Opernpremiere auf den Grünen Hügel geht, weil in ihrer Biografie eben steht, sie liebe Opern. Immer wieder wird betont, wie gut sie darin ist, viele Informationen schnell aufzunehmen und zu verarbeiten – ein Aktenroboter.
Nur mit den Gefühlen hat es Angela Merkel, meint man gemeinhin, nicht so recht. Und so verpasst ihr Konstantin Richter für seine „Fiktion“ gleich einen Überschuss davon. Von ihrer eigenen Entscheidung, die Grenzen zu öffnen, völlig berauscht, wird sie zu einem von ihren Gefühlen hin- und hergerissenen Teenager, der an Horst Seehofer Kurznachrichten voller alberner Emoticons schickt. Ein flauer Witz, wie alle Witze in diesem Buch.
Manches stößt zudem recht unangenehm auf: Die Darstellung des Wissenschaftlers und Ehemannes Joachim Sauer scheint eher einem gewissen Ressentiment zu entspringen, wie auch der Angela Merkel unterstellte Gedanke, „manchmal wäre ich gerne tot“ mehr mit Anmaßung als mit Erfindungsreichtum zu tun hat. Nicht nur die Kanzlerin sollte ihre kostbare Zeit sinnvoller verbringen als mit der Lektüre von „Die Kanzlerin“.
TOBIAS LEHMKUHL
Konstantin Richter: Die Kanzlerin. Eine Fiktion. Kein und Aber Verlag, Zürich 2017. 176 Seiten, 18 Euro. E-Book 14,99 Euro.
DIZdigital: Alle Rechte vorbehalten – Süddeutsche Zeitung GmbH, München
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Perlentaucher-Notiz zur Süddeutsche Zeitung-Rezension

Tobias Lehmkuhl weiß seine Zeit besser zu verbringen als mit dem Buch des Reporters Konstantin Richter. Was Richter über Angela Merkels Leben und Wirken im Jahr 2015 aufschreibt, möchte Lehmkuhl lieber nicht einen Roman nennen. Zu nahe kommt ihm das Ausgedachte sämtlichen Merkel-Klischees, ohne aus diesem Umstand satirische Funken zu schlagen. Auch Einsichten in die Mechanik des Politischen kann der Autor dem Rezensenten nicht vermitteln. Stattdessen bietet er laut Lehmkuhl flaue Witze und Anmaßungen.

© Perlentaucher Medien GmbH